Ein uner­müd­li­cher For­scher der Schiff­fahrt: Bene­dikt von Heben­streit zum Neunzigsten

Ein Blick auf mein Bücher­re­gal zeigt mir, dass es auch in Deutsch­land bekannte Publi­zis­ten auf dem Gebiet der Binnen­schiff­fahrt gibt. Mir fal­len dabei die zahl­rei­chen und fach­lich her­vor­ra­gen­den Hefte von Heinz Trost (1934−2010) aus Wie­densahl auf oder die zu eigent­li­chen Nach­schla­ge­werke gewor­de­nen Bücher von Die­ter Schu­bert aus Ber­lin (*1939, erst kürz­lich am 8.12.2017 ver­stor­ben). Mit bei­den durfte ich zahl­rei­che Fach­ge­sprä­che füh­ren und ich behalte sie als grosse Ken­ner der Schiff­fahrt in Erin­ne­rung. Auch Bene­dikt von Heben­streit aus Mün­chen hat uner­müd­lich geforscht, recher­chiert und publi­ziert. Er tut es heute noch, obwohl ihn sein Alter und die damit ein­her­ge­hen­den Geb­res­ten zwin­gen, die Arbeit etwas geruh­sa­mer anzu­ge­hen. Aber halt: Bene­dikt von Heben­streit ist Öster­rei­cher, gebo­ren in Ried aus dem Inn-Vier­tel, süd­lich von Passau.

Dass er nicht als Öster­rei­cher wahr­ge­nom­men wird hängt damit zusam­men, dass man in sei­nen Publi­ka­tio­nen stets die Adres­sen von Mün­chen und Zürich vor­fin­det. Nach den Aus­bil­dun­gen kam Bene­dikt von Heben­streit bereits 1953 als Assis­tent an die Uni­ver­si­tät Mün­chen, wo er dann ab 1968 beim TÜV Bay­ern als Ver­kehrs­psy­cho­loge eine Stelle antrat. Spä­ter wurde er dort 1985 (bis 1992) Geschäfts­füh­rer der TÜV-Aka­de­mie. Ab 1972 war er aus­ser­dem am IAP (Insti­tut für Ange­wandte Psy­cho­lo­gie) Zürich in For­schung und Lehre als Free­lan­cer tätig. „So pen­delte ich beruf­lich zwi­schen Zürich und Mün­chen, was für mich span­nend und gegen­sei­tig befruch­tend war.“ Zusam­men­ge­fasst: in Zürich geforscht und gelehrt, in Mün­chen ange­wen­det und in die Pra­xis umgesetzt.

Pres­se­kon­fe­renz der Aktion «Sicher zur Schule – sicher nach Hause“ im Poli­zei­prä­si­dium Mün­chen im Sep­tem­ber 2016.

Nach sei­nem beruf­li­chen High­light, auf das er beson­ders stolz sei, gefragt, über­legt er lange und meint: „Alles ist gleich­wer­tig“. Gleich dar­auf prä­zi­siert er: „Die schu­li­sche Ver­kehrs­sinn­bil­dung in Bay­ern konnte ich prä­gen und nach­hal­tig ent­wi­ckeln, wo sie heute steht. Bay­ern ist in Deutsch­land das ein­zige Bun­des­land, wo gescheite Ver­kehrs­er­zie­hung gemacht wird. Auch in der Schweiz hatte ich mit der Per­fek­tio­nie­rung der Ver­kehrs­sinn­bil­dung schöne Erfolge, die sich heute über­all durch­ge­setzt hat.“ Zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen zu Fra­gen der Ver­kehrs­er­zie­hung und Arbeits­si­cher­heit, von Unter­richts­hil­fen für die KITA-Stufe bis zu Stan­dard-Wer­ken zur Aus­bil­dung von Fahr­leh­rern, sind aus sei­ner „Feder“ ent­stan­den. „Alles, was ich gemacht habe, hat Spass gemacht. Ich bin in all den Jahr­zehn­ten wei­ter gekom­men, das war schön,“ stellt er mit einem Lachen im Gesicht fest.

Am Anfang mei­nes Lebens herrschte Elend im Land; ich war in der 7. Klasse, als sie uns in den Krieg schick­ten. Nach der Kapi­tu­la­tion 1945 durfte ich in Salz­burg die 8. Kasse besu­chen. Dann wollte ich Inge­nieur wer­den. Wir wohn­ten aber im ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­ge­biet, in Linz gab es an der Uni­ver­si­tät nur die Fächer Phi­lo­so­phie und Päd­ago­gik.“ Nach zwei Stu­dien mit zwei Pro­mo­tio­nen in Phi­lo­so­phie (Neben­fach Päd­ago­gik) sowie Psy­cho­lo­gie (Neben­fach Psych­ia­trie und Neu­ro­lo­gie) lan­dete er spä­ter doch noch bei der Tech­nik. Dank sei­ner Kom­bi­na­tion von Geis­tes- und Tech­nik­wis­sen­schaf­ten, die er sich aus Inter­esse selbst ange­eig­net hatte, war er ab 1955, im Zeit­al­ter des boo­men­den Motor­fahr­zeug­ver­kehrs, ein gefrag­ter Mann. Und seine Her­zens­an­ge­le­gen­heit Schiff­fahrt, wie kam das dazu?

Vom Sai­son­ma­trose zum Schifffahrtshistoriker

Meine Eltern und Gross­el­tern konn­ten 1927 in Atter­see, 150 Meter von der Schiff­sta­tion ent­fernt, ein Haus bauen. Seit ich mich erin­nern kann mach­ten wir dort Urlaub.“ Als die Rus­sen 1945 in Linz ein­mar­schier­ten, wur­den diese Auf­ent­halte län­ger, Bene­dikt war damals gerade mal 17 Jahre alt. „Hin­ter dem Haus war der Bahn­hof, dort konnte ich bei der Bahn von Stern & Haf­frl als Ran­gie­rer aus­hel­fen, in den Som­mer­mo­na­ten als Matrose auf den Schiffen.“

Um vier Uhr mor­gens fuhr das erste Boot los und sam­melte rund um den See die Arbei­ter ein, um sie zur gros­sen Zell­woll­fa­brik in Lenzing und zu ande­ren klei­nen Betrie­ben in der Bezirks­haupt­stadt Vöck­la­bruch zu brin­gen. Von Heben­streit: „Der Ober­bahn­rat von Stern & Haf­ferl war ein guter Freund mei­nes Vaters – dies hat mir Tür und Tor geöff­net auch zu andern Schiff­fahrts­ge­sell­schaf­ten.“ Die Fas­zi­na­tion Schiff liess von Heben­streit nicht mehr los – im Gegen­teil. „Ich kenne jeden Schiffs­be­trei­ber in Öster­reich. Für meine nau­ti­schen Recher­chen ging ich Som­mer für Som­mer bei jedem Betrieb min­des­tens ein Mal vor­bei.“ Seit 90 Jah­ren ver­brachte er unun­ter­bro­chen sei­nen Urlaub am Atter­see. „Kann sein, dass es heuer das letzte Mal war“, meint er weh­mü­tig aber auch dank­bar in Anbe­tracht sei­ner ein­ge­schränk­ten Mobilität.

Dank die­ser Auf­ent­halte am Atter­see war es ihm mög­lich, die Geschichte sämt­li­cher Schiffs­be­triebe von Öster­reich zu recher­chie­ren und auf 620 Sei­ten in Bild, Text und Tabel­len (mit den tech­ni­schen Anga­ben aller Schiffe) fest­zu­hal­ten, zu doku­men­tie­ren und zu ver­öf­fent­li­chen: „681 Schiffe sind beschrie­ben, davon 496 in Bil­dern fest­ge­hal­ten.“ Spä­ter kam die glei­che, akri­bi­sche Arbeit den Gewäs­sern Bay­erns zugute. „Die Schiff­fahrt Bay­erns war dem TÜV in Mün­chen unter­stellt.“ Damit wird klar, wie auch diese „Mons­ter­re­cher­che“ zu Stande kam. „Hier sind in glei­cher Weise 439 Schiffe auf 20 baye­ri­schen Seen und Flüs­sen beschrie­ben, davon 311 mit Bild.“ Die andere Lei­den­schaft, jene für die Eisen­bahn, pflegte von Heben­streit stun­den­lang bei sei­ner Eisen­bahn­an­lage, Spur HO, aus­zu­le­ben. Über 1 000 Fahr­zeuge zählt er sein Eigen. „Von den Loko­mo­ti­ven der OeBB habe ich seit Beginn bis 2006 sämt­li­che in mei­ner Sammlung.»

Nebst Fami­lie, Arbeit, Modell­ei­sen­bahn und Schiff ist wohl keine Zeit mehr für wei­tere Hob­bies vor­han­den gewe­sen, frage ich von Heben­streit. „Doch, doch: Sport war mir immer sehr wich­tig. Mit zwei stand ich auf den Ski­ern, mit sechs fuhr ich die erste Segel­re­gatta. Auch Ten­nis hat mir viel Spass gemacht und Tur­nier-Tanz. Hier brach­ten wir es auf den 10. Platz in der Deut­schen Meis­ter­schaft.“ Noch heute ist ihm Bewe­gung wich­tig: jeden Tag 30 Minu­ten auf dem Home­trai­ner Rad­fah­ren gehört zu sei­nem Ritual wie der Gang mit dem Rol­la­tor zum Ein­kau­fen im Quar­tier­la­den. Heute am 12. Okto­ber fei­ert er sei­nen 90. Geburts­tag, wozu ich ihm herz­lich gra­tu­liere. Zusam­men mit sei­ner ehe­ma­li­gen Frau Ingrid in Zürich, sei­ner Toch­ter Bar­bara in Ber­lin und dem Sohn Andreas Bene­dikt in Mün­chen wün­schen wir noch viele unbe­schwerte Stunden.

Nach­trag: Benedkt von Heben­streit ist am 7. Januar 2022 gestor­ben. Er hin­ter­lässt ein rei­ches Erbe von Wis­sen, das unter ande­rem auch in der Schiff­pe­dia weiterlebt.

Bild­ma­te­rial aus sei­nem Leben ­– auf sei­ner Visi­ten­karte steht Prof. Dr. Dr. Bene­dikt von Heben­streit – gibt es sehr wenig; selbst Nach­fra­gen bei Ingrid von Heben­streit-Wichert füh­ren nicht zum Erfolg. „Ein Fami­li­en­al­bum exis­tiert nicht“, ent­schul­digt sich der Jubi­lar. Im Hin­ter­grund des Por­traits erkennt man die Stras­sen­bah­nen von Wien im Modell.

Ein sol­ches Bild mit Atter­see-Land­schaft und einem Elek­tro­boot prägt die Erin­ne­rung von Heben­streit von Kinds­bei­nen an.

MS Burgau vom Atter­see war eines der bei­den Elek­tro­boote, auf denen ich sei­ner­zeit als Matrose um 4 Uhr früh tätig war.“

Auf MS Helene vom Mond­see war Bene­dikt von Heben­streit bis zur Aus­ser­dien­stel­lung des Schif­fes immer wie­der mit­ge­fah­ren und hat den reiz­vol­len See genossen.

Auf der letz­ten Fahrt von MS Inns­bruck (Achen­see) 1994 vor der Aus­ser­dienst­stel­lung bin ich mit­ge­fah­ren. Wir alle hoff­ten, dass die Tiro­ler Lan­des­re­gie­rung das Schiff als wert­vol­les Kul­tur­gut ret­ten würde, aber dann liess man es verfallen.“

Mit dem DS Eli­sa­beth auf dem Traun­see war von Heben­streit eben­falls unterwegs, …

… so auch mit dem Schrau­ben­damp­fer Tha­lia auf dem Wörthersee.

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Text und Bild 1 H. Amstad, übrige Bil­der Samm­lung H. Amstad (Aktua­li­sie­rung 20.03.2022)

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