120 Jahre RMS Genève – eine unbekannte Trouvaille.
Das Highlight der Dampferzeitungs-Exkursion am Genfersee war für mich die Besichtigung des Radschiffes Genève in Genf. Im ehemaligen 1.-Klasssalon begrüssten uns Vertreter des Vereins Association pour le Bateau Genève und erklärten die Bedeutung dieser Location. Nach der Ausserdienststellung des Schiffes 1974 hatten zwei Pastoren die Idee, aus dem Schiff einen sozialen Treffpunkt für Randständige zu schaffen. Dank einem Spender konnte die Kaufsumme von 75 000 Franken bezahlt werden. Eine Petition motivierte den Genfer Staatsrat 1976, das Vorhaben zu unterstützen. Er erteilte 1978 eine provisorische und ab 1983 eine definitive Bewilligung für den Standplatz am Quai von Eaux-Vives. Der Geschäftsführer der Association pour le Bateau Genève, Alejandro Jorand: «In Genf gibt es 700 Obdachlose. Für sie sind wir erste Ansprechpartner, einen Ort, wo man Probleme besprechen und lösen kann. Jeden Dienstag gibt es ausserdem Informatikkurse. Sehr beliebt ist im Sommer für die Genfer Bevölkerung auch unsere Bar.» Diese ist die einzige gröbere Veränderung des Schiffes seit seiner Aussendienststellung: diese Aufbauen befinden sich auf dem Radkasten backbord. Jorand: «Täglich servieren wir 150 bis 200 Essen – alle sind willkommen an Bord.» Das Genfer Sozialamt unterstützt den Verein. Während die „Genève“ nur in den warmen Monaten offen ist, gibt es etwas Ähnliches auch in Zug, aber in den Wintermonaten. Auf der „Yellow“ (ex-Schwyz I) ist eine Gassenküche auf dem Zugersee eingerichtet.
Das Schiff vereinigt so viele Spezialitäten und Geschichten wie kaum ein anderes in der Schweiz. Ich kann sie an dieser Stelle gar nicht alle aufzählen und verweise auf die Quellenangabe. Ich beschränke mich auf drei herausragende Gegebenheiten. DS Genève war 1896 der erste Salonraddampfer aus dem Hause der Gebrüder Sulzer aus Winterthur und sorgte zu jener Zeit unter der Fachwelt für Aufsehen. Zwei Jahre später geriet das Schiff zu unrühmlichen Weltehren: auf ihm verstarb Sissi, ihres Zeichens Kaiserin Elisabeth und Gemahlin des österreichischen Kaisers Franz Josef I, nachdem ein Anarchist auf der Landungsbrücke mit einer Nagelfeile ihr einen tödlichen Stich ins Herz versetzte. Und 40 Jahre später war das Schiff das erste der Welt, auf dem eine dieselelektrische Anlage zum Antrieb der Schaufelräder eingebaut wurde. Der durch die BBC (Brown Boveri & Co in Baden) ermöglichte Umbau war dann Vorbild für einen ähnlichen Umbau auf weiteren fünf Radschiffen des Genfersees und für den Bau der neuen DDSG-Schiffe Stadt Wien (fährt heute noch, stationiert in Tulln) und Stadt Passau (heute als Grof Szécheny in Budapest).
Skizze aus einer BBC Mitteilung von 1985, Seite 168 der DZ 3/96 S. 5
Auf dem Rundgang ist der Maschinenraum von besonderem Interesse. Wir steigen hinab in ein technikgeschichtliches Minimuseum. Grob betrachtet kann man sich diese heute noch in ihrer Substanz vollständige Anlage so vorstellen (siehe folgender Plan). Dort, wo vor 1934 der Kessel stand, stehen nun zwei Dieselaggregate (Nr. 1), die eine Generatorenanlage antreiben (Nr. 2, 3). Anstelle von Dampf in einer Dampfleitung führen Kabel mit Strom seitwärts an die Stelle, wo früher die Dampfzylinder waren. An dessen Stelle steht ein Motor, der nun die elektrische Energie wiederum in Drehenergie umwandelt. Statt Pleuelstangen sorgt nun ein untersetztes Zahnradgetriebe dafür, dass sich die Kurbelwelle und die Schaufelräder drehen können. Noch 1992 fuhr die «Genève» mit eigener Kraft zur Revision nach Lausanne. Zurückgekehrt drang nach einem Sabotageakt Wasser ein und beschädigte die Aggregate. Schön wäre es, wenn sich Bundesbern, die Denkmalpflege Genf, die Industrie (z.B. die BBC) und Private zusammen tun könnten, die Maschine zum 125. Geburtstag des Schiffes wieder flott zu kriegen. Die «Genève» gehört unter Schutz gestellt und hat bereits heute den Status nationaler Bedeutung. Wem ist dies bewusst?
Vor 120 Jahren in Betrieb genommen: der Dampfer Genève hier am Pont du Mont-Blanc in Genf. Zwischen 1934 und 1973 war die „Genève“ als dieselelektrisches Schiff unterwegs, hier in Thonon-les-Bains.
Heute ist das Radschiff in der Kalvinstadt eine Institution, die für alle Bevölkerungsschichten offen ist.
Besonders beliebt ist das Schiff zur Lunchzeit im Hochsommer.
Der Besucher entdeckt einige Originalteile an Bord, wie (beispielsweise) sämtliche Treppenaufgänge.
Die ganze Maschinenlage ist noch völlig in Takt: von rechts nach links erkennbar: der 6‑Zylinder 4‑Takt-Dieselmotor backbord (in der Skizze Nr. 1), der Hauptgenerator (Nr. 2), der Erregergenerator (Nr. 3, auch steuerbordseits gut sichtbar) mit dem Band der Gleichstrom-Abnahme, Hauptschalttafel (Nr. 4) mit dem Steuerstand im Maschinenraum und dem Potentiometer zum Regulieren der Stromstärke und damit des Antriebes.
Der nach hinten geleitete Strom treibt nun den Triebmotor an (Bild 6, in der Skizze Nr. 5), der seine Drehbewegung dann auf das Zahnradgetriebe überträgt Bild 7, Skizze Nr. 6).
Rechts sichtbar die Kurbelwelle für das Backbord-Schaufelrad.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Quellen
Text und Bilder 3 bis 7 H. Amstad,
1 und 2 Sammlung H. Amstad.
Beat Zumstein „100 Jahre „Genève“ in Dampferzeitung 2/1996 S. 30 – 45 und 3/1996 S. 2 – 15
Sehr guter und informativer Bericht. Interessant wären einige weitere Innenaufnahmen – Salon – gewesen.