90 Jahre MS Zürich im Kontext der Meilensteine „Bodensee-Schifffahrt Schweiz“
Wie bereits im letzten Jahr beim 90-Jahr-Jubiläum von MS Thurgau liess es sich die SBS nicht nehmen, am 30. September auch ihr Schwesterschiff Zürich anlässlich des gleichen runden Geburtstages zu feiern. Gleichzeitig erinnerte man mit diesem Festakt daran, dass auch noch ein anders Schiff der SBS-Flotte einen „Runden“ zu feiern hatte: 40 Jahre MS Alte Rhy. Beispielhaft für andere Seen ruft man mit solchen Anlässen in Erinnerung, dass die hiesige Schifffahrt ein nachhaltiges Business ist und mit Ressourcen schonend umgegangen wird. Nicht nur Dampfschiffe können so während 100 und mehr Jahren verkehren, sondern auch Motorschiffe. Vorausgesetzt, man will und die Bauqualität lässt dies auch zu.
Eine fröhliche Gästeschar bestieg am späten Nachmittag einen der beiden Jubilare und genoss bei angenehmen Wetterverhältnissen eine Duofahrt, die einige Varianten an Formationen vorsah. Die zwei Höhepunkte waren die auf dem Bodensee traditionelle Sekt-Übergabe Bug-an-Bug und die „Sandwich-Begegnung“ mit der SBS-Autofähre Romanshorn. Letztere wich kurz von ihrer angestammte Fahrroute ab und machte unter Applaus einen Schwenker, um die beiden jubilierenden Schiffe back- und steuerbordseits zu begrüssen. Am Abend dann gehörte die Aufmerksamkeit ganz der „Zürich“: Das gut besetzte Schiff lief zur grossen Galafahrt mit Dreigang-Menü aus, wobei die späte Abfahrtszeit dazu führte, dass der Bodensee rasch in Dunkelheit gehüllt war.
Zwischen der Formations- und Galafahrt blieb Zeit, um im Festsaal des Kornhauses im Beisein von Prominenz einen Apéro-Riche zu kredenzen und den Ausführungen von Erich Hefti zu folgen. Als ehemaliger Oberkapitän, Leiter Nautik der SBS und Mitglied der Geschäftsführung gab er einen Einblick in die Geschichte der Schifffahrt am Schweizer Ufer. Im Folgenden geben wir den Wortlaut seines Vortrages mit freundlicher Genehmigung des Referenten wieder.
Die SBS AG als vierte Gesellschaftsform
„In der Bronzezeit siedelten sich erste Menschen am Bodensee an und benutzen Einbäume, um sich am Ufer fortzubewegen. In der Römerzeit entstanden die Städte Bregenz und Konstanz; nun kamen Segellastschiffe (Lädinen) und Galeeren zum Einsatz. Ab dem Mittelalter gab es die Schifferzünfte, die die aufkommenden Handelsrouten zwischen Rorschach, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen und Konstanz organsierten. Am 10. November 1824 sah der Bodensee sein erstes Dampfschiff: Die württembergische “Wilhelm” verkehrte auf der Strecke Friedrichshafen – Rorschach, resp. Romanshorn.
Am 1. Juli 1854 wurde durch die Nordostbahn (NOB) auch am Schweizer Ufer eine erste Dampfschifffahrtsgesellschaft gegründet. Bereits ein Jahr zuvor begann die Erweiterung des Romanshorner Hafens durch die NOB zum grössten Hafen am Bodensee (mit einer Fläche von 74 000 m2), nachdem der Kanton Thurgau bereits 1842 den Anfang machte (11 500 m2). Am 1. Januar 1902 ging die NOB mitsamt dem Schiffsbetrieb an die Schweizerischen Bundesbahnen SBB. Der Betrieb mit sechs Dampfschiffen, zwei Trajektkähnen, drei Schleppbooten sowie in Gemeinschaft mit Bayern mit einer Trajekt-Dampffähre und einem Schleppboot sowie die 1861 – 1864 erbaute Werft und sämtliche Anlagen wurden verstaatlicht. Am 1. Juli 1929 kam die Motorfähre Schussen in den Einsatz und mit ihr wurde der Autofährbetrieb zwischen Romanshorn und Friedrichshafen eröffnet (Ausserbetriebnahme der “Schussen” 1983 und Abbruch 1986).
Per 1. Januar 1996 wurde der gesamte SBB-Schiffsbetrieb mit Werft und Anlagen privatisiert, dies mit der Gründung der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft AG (SBS Schifffahrt AG) mit Sitz in Romanshorn; Mehrheitsaktionär blieben mit 94,5 % die SBB. Noch im gleichen Jahr war noch ein weiterer Meilenstein zu vermelden: der Stapellauf der Gemeinschaftsfähre1 «Euregia» (8. Mai, Inbetriebnahme 1. Juli).
Die letzten 15 Jahre mit Turbulenzen
Zehn Jahre später wollten die SBB ihre damalige SBS Schifffahrt AG an die Konstanzer Stadtwerke, die die Fähre nach Meersburg und die deutsche Bodenseeflotte betreibt, verkaufen. Eine Ostschweizer lnvestorengruppe verhinderte dies; sie machten in erster Linie “Heimatschutz-Gedanken”2 geltend, waren damals aber auch überzeugt, dass eine solche Schifffahrt gewinnbringend zu betreiben sei. An einer ausserordentlichen Generalversammlung der SBB vom 12. Januar 2007 beantragte der zurücktretende (SBB‑, resp.) SBS-Verwaltungsrat Neuwahlen der Herren Hermann Hess, Felix Ludwig, Walter Klaus, Urs-Peter Rutishauser sowie Edgar Oehler. Eine Woche später (am 19. Januar) besiegelte die erste ausserordentliche Generalversammlung der neuen Besitzer der SBS Schifffahrt AG die neue, inzwischen für die schweizerische Bodensee-Flotte vierte Gesellschaft3.
Im Zuge dieser “erneuten” Privatisierung übernahm die neue SBS AG die drei Schiffe Rhynegg (1977), Rhyspitz (1970) und Alte Rhy vom Schiffsbetrieb Rorschach4. Zwei Jahre später (März 2009) stand die junge Firma vor dem finanziellen Abgrund. Nun wurde die Firma reorganisiert und das Angebot der Schifffahrt komplett neu aufgestellt; man besann sich auf Diversifzierung und nutzte in der Folge konsequent das Potential der Liegenschaften. Als erstes wurde der westliche Teil des Hafens in einträgliche Bootsplätze umgewandelt. 2011 begannen die Totalsanierung und der Umbau der alten Transitpost mit angebautem Lagerhaus: Neue Büroräume zum Mieten, eine Grossküche für Schiffe und Catering zu Land, Mitarbeitende-Garderoben, Aufenthaltsräume und Küche für Mitarbeitende sowie Büros für die Verwaltung entstanden (Einweihung am 4. Mai 2013).
2014 erhoffte sich die SBS mit der lnbetriebnahme der sanierten und vergrösserten Werft vermehrt Fremdaufträge “an Land” holen zu können, zumal inzwischen die grosse Halle der Bodanwerft in Kressbron dem Bodensee nicht mehr zur Verfügung stand. Infolge eines verschlechterten Kooperatiosklimas unter den vier “grossen” Reedereien am Bodensee, hervorgerufen durch unterschiedlichste Unternehmensauffassungen, traf dies nicht ein5. Dafür gelang der SBS mit der neu gebauten Hafenplattform 2015 (Eröffnung am 15. Juli) eine für Romanshorn (und den gesamten Bodensee) städtebaulich wertvolle Aufwertung des Hafens. Dazu gehört auch ein neues Restaurant mit 80 lnnen- und 100 Aussensitzplätzen.
Anfangs 2016 efolgte der komplette Umbau des Maschinenraums mit Caterpillar Neumotorisierung der MF Romanshorn. Die SBS AG erhält im gleichen Jahr den „Thurgauer Apfel» als Motivationspreis der Thurgauer Wirtschaft. 2017 bekam MS Säntis eine komplette Innenrenovation und Umbau des Freidecks, zwei Jahre später passierte dies auch für MS St. Gallen. Die zwei Pandemie-Jahre brachten dann im Erneuerungsprogramm der SBS-Flotte eine Verzögerung: Erst im Oktober 2024 ist geplant, die «Zürich» neu zu motorisieren6.»
Sektübergabe zwischen dem MS Alte Rhy und Zürich, die zusammen 130 Jahre feiern.
Ein schnittiger Oldie aus dem Hause der Bodan-Werft
40 Jahre und noch lange nicht müde: MS Alte Rhy von der Lux-Werft in Mondorf/Rhein erbaut.
Fotoshooting für MS Zürich (Standort des Fotografen)
Vollmondnacht auf der Galafahrt “90 Jahre MS Zürich”
Zurück im Hafen Romanshorn; die Festbeflaggung wird eingezogen.
Eines der zahlreichen Bilder aus dem Fundus von Erich Heftis Vortrag über die SBS-Schifffahrt im Kornhaus Romanshorn: Schalenrevision der “Zürich” im Winter 1981/82.
Bilder im Textteil: Schiffsportrait MS Alte Rhy / Referent Erich Hefti, bis 2022 Oberkapitän der Schweizer Föotte SBS / schwesterlich vereint und zusammen 181 Jahre auf dem Kiel (MS Thurgau ist 2023 bereits 91-jährig).
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) MF Euregia ist von den BSB GmbH Konstanz und der SBS AG Romanshorn gemeinsam finanziert worden und wird seither im ausgeglichenen Wechsel von der SBS und von der BSB betrieben. Seit einigen Monaten steht sie allerdings still, weil die beiden Partner die Kosten der anstehenden Neumotorisierung nicht finanzieren wollen. (Es zeigt sich: Wenn die Firmenphilosophien nicht zueinander passen, werden Kooperationsprojekte früher oder später anspruchsvoll.)
2) Bereits vor dem Verkauf der SBB-Flotte wurden Schweizer Edelmarken wie die Toblerone (Schokolade), Bally (Schuhe/Accessoires) und Valser-Mineralwasser an amerikanische Konzerne verkauft. Dänische Firmen haben die Brauerei Feldschlösschen und die Mineralwassermarken Passugger und Rhäzünser übernommen. Die Ovomaltine wurde nach Grossbritannien und Hero (Nahrungsmittel) an ein deutsches Unternehmen verkauft. Und die Lufthansa besitzt die Aktienmehrheit der Fluggesellschaft Swiss. Dies bereitete den Ostschweizern Sorge und sie befürchteten, dass nun «ihre» Schifffahrt auch noch in deutsche Hände geraten könnte.
3) Es gab am Schluss vier Bewerber7, die die SBB-Flotte kaufen wollten. Schliesslich machte Mitte Dezember 2006 eine Gruppe um den Amriswiler Investor Hermann Hess mit dem Arboner Fabrikanten Edgar Oehler, dem SBW-Inhaber Peter Fratton (Privatschulen), dem Architekten Hans-Peter Rutishauser, dem Herisauer Rechtsanwalt Felix Ludwig, dem Romanshorner Beat Hirt (Provida) und dem Vorarlberger Unternehmer Walter Klaus, der nicht nur Kapital, sondern auch sein touristisches Know-how einbrachte, das Rennen. Während die insgesamt sechs Schweizer Aktionäre 51 Prozent der Aktien hielten, war Klaus über seine Unternehmensgruppe mit einem Anteil von 49 Prozent grösster Einzelaktionär. Nach einem turbulenten ersten Jahr gab es 2007 grössere Verschiebungen: Hauptaktionär mit einem Anteil von 50 Prozent wurde dann Hermann Hess, 20 Prozent hielt Beat Hirt, 15 Prozent neu Fredy Lienhard vom Autobau und 15 % Edgar Oehler. Walter Klaus zog sich nach Differenzen zurück und mit ihm auch Peter Fratton, der rückblickend meint: «Klaus hatte gegenüber Hess mehr Erfahrung mit Tourismus, weshalb ich ihn unterstützte. Nach seinem Rücktritt zog ich mich dann auch zurück.»
4) Der Schifffahrtsbetrieb Rorschach (SBR) war 1960 Nachfolgefirma des privaten Motorbootbetriebs von Gottlieb Füllemann, der von 1906 an von Rorschach aus mit Personenschiffen nach Horn, Arbon, Altenrhein und auf dem alten Rheinlauf bis nach Rheineck fuhr. Um die beliebte Schiffsverbindung zu erhalten, gründeten die Gemeinden Rorschach (56,8 %), Rheineck (28,4 %) und Thal (14,8 %) den „Motorbootbetrieb Rorschach-Rheineck“. 1973 wurde der Betrieb in „Städtischer Motorboot- und Schifffahrtsbetrieb“ umbenannt und 1978 in „Schifffahrtsbetrieb Rorschach“ (SBR). Anstehende Reparaturkosten und die absehbaren Ausmusterungen älterer Schiffe führten zur Erneuerung der SBR-Flotte: 1970 wurde die «Rhyspitz» für 150 Passagiere auf der Bodan-Werft gebaut, ebenso 1977 das SBR-Flaggschiff Rhynegg für 300 Personen. Auf der Lux-Werft entstand 1983 das kleinste (60 Personen) und bis heute jüngste Schiff Alte Rhy, dem dieser (B)Logbuchbeitrag (teil-) gewidmet ist.
5) Die BSB und die Stadtwerke Konstanz sanieren ihre Schiffe nun vermehrt in Friedrichshafen und die Vorarlberg-Line hat in Zusammenarbeit mit der ÖSWAG-Werft in Fussach die Slipanlagen vergrössert (ohne Halle).
6) Die angekündigte Gesamtrenovation des MS Zürich bedeutet erfreulicherweise, dass damit das Schiff für weitere 20 Jahre im Betrieb bleiben kann. Hingegen ist die Fachwelt besorgt, dass nebst der Neumotorisierung auch das denkmalpflegerisch wertvolle Interieur durch eine Auskernung zerstört werden könnte. Die beim letzten Umbau 1988/89 durch Veronika Huber sorgfältig vorgenommen Eingriffe berücksichtigten den architektonischen Zeitgeist der Dreissigerjahre. Die SBS beabsichtigt, für die bevorstehende Renovation die gleiche Architektin wie beim Umbau der «St. Gallen» und «Säntis», nämlich Susanne Fritz aus Zürich, zu engagieren.
7) Am Bieterwettbewerb nahmen vier Gruppen von Investoren teil: Neben den Stadtwerken Konstanz interessierte sich eine Investorengruppe aus dem Kanton Thurgau, die sich mit der Stadt Rorschach zur «IG Bodensee-Schifffahrt Schweiz» zusammengeschlossen hatte. Eine dritte Gruppe von Kaufinteressenten liess sich durch die Immobilienfirma awitgroup AG vertreten. Schliesslich bot auch der Tourismus-Unternehmer Walter Klaus beim Kauf der SBS mit. Klaus hatte im Vorjahr (2005) für 11 Mio. Franken bereits die österreichische Bodenseeflotte gekauft.
Quellen
Wikipedia über die Geschichte des SBR (Link)
Weiter im Text
Bodensee: MS Thurgau feiert stolze 90 Jahre mit Jubiläumsfahrten (Link)
Impressum
Text E. Hefti, Einleitung, Hinweise und Redaktion H. Amstad
Bilder 3 und 4 sowie im Textteil 1 und 3 M. Fröhlich, Bild 7 Sammlung E. Hefti, Bilder 1, 2, 5 und 6 sowie im Textteil 1 und 3 H. Amstad
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