Acht Schiffe für vier Tage – Aus­nah­me­be­wil­ligung beglückt den Sempachersee

An was denken Sie beim Wort Dynamo? Wahr­scheinlich kommt einem zuerst die Licht­ma­schine am Velo in den Sinn – mir noch zusätzlich berühmte Sport­clubs und Sport­stadien. Für Sportler sagt das Wort als Klet­ter­technik etwas und His­to­riker erinnern sich an die grösste Eva­ku­ie­rungs­aktion im 2. Welt­krieg. Neu erweitere ich die Bedeu­tungs­pa­lette mit einem Event namens Dynamo Sem­pa­chersee, einer über­re­gio­nalen Leis­tungs­schau, initiiert von Gewerbe- und Tou­ris­mus­kreisen. Vier Tage dauerte die als Volksfest dekla­rierte Ver­an­staltung rund um einen luzer­ni­schen See, der nicht nach jenem Ort mit „See“ im Namen, sondern nach der im Süden gele­genen, viel klei­neren Ort­schaft Sempach genannt wird.

Öffnen wir noch eine zweite Geschichte: Dieser wun­der­schön gelegene Mit­tel­landsee zwi­schen den grossen Zentren Sempach (4 000 Ein­wohner) und Sursee (10 000 Ein­wohner) hat keine öffent­liche Schiff­fahrt, was viele Men­schen sehr bedauern. Spa­zier­gänger, Natur­lieb­haber, Freunde der Schiff­fahrt und Pati­enten des eben­falls am See lie­genden Para­ple­giker-Zentrum Nottwi (4 000 Ein­wohner) wün­schen sich seit Jahr­zehnten ein Schiff auf dem 14 km2 grossen Gewässer. Es ist der 14. grösste Schweizer See, grösser als zehn andere Seen, die eine öffent­liche Schiff­fahrt haben. Es ver­kehren 400 Motor­boote auf dem See.

Erstmals eine öffent­liche Schiff­fahrt für vier Tage

Dynamo Sem­pa­chersee schaffte die Sen­sation: sie war dyna­misch genug, für acht Dampf­schiffe die Erlaubnis ein­zu­holen, um für ein paar Tage diesen idyl­li­schen See mit öffent­lichen Ange­boten zu befahren. Theo­re­tiker in Amts­stuben des Kantons Luzern ver­suchten bis zuletzt, das im letzten Jahr geplante Vor­haben zu ver­hindern, eine ner­ven­auf­rei­bende Geschichte nicht nur für das OK von Dynamo Sem­pa­chersee sondern auch für die acht Eigner und Kapitäne der Schiffe. Michael Neuer, der Prä­sident der Ver­ei­nigung Schweizer Dampf­boot­freunde, spricht von einem Trau­er­spiel und resu­miert: „12 Stunden vor unserer defi­ni­tiven Zu- oder eben Absage traf die Bewil­ligung vom Kanton Luzern endlich ein.“

Leider hatten die Orga­ni­sa­toren grosses Wet­terpech; kein Wochenende im ganzen Sommer 2019 war so ver­regnet wie jenes vom 6. bis zum 8. Sep­tember. Ich hatte Glück, dass es am Samstag recht freundlich war, um diesen für mich unbe­kannten See ohne Regen kennen zu lernen. Nach 25 Minuten Fuss­marsch ab Bahnhof Sursee erreichte ich den sog. „Triechter“, eine sehr schön gelegene Bucht, 16 Meter tief, als ob sie einst durch einen Meteo­riten gebildet worden wäre. Hier sind alle acht Dampf­boote sta­tio­niert; ein Strandbad und Yacht­hafen bilden ideale Vor­aus­set­zungen (was auch für ein Kurs­schiff notabene geeignet wäre). Während vier Tagen hat die Bevöl­kerung nun die Gele­genheit, auf Kurz­rund­fahrten, Parade- und Trans­fer­fahrten nach Sempach und retour teilzunehmen.

Als erstes nimmt mich DS Dampf Hans an Bord auf, das Boot von Michael und Judith Neuer aus Würenlos. Das um 1900 herum für den Attersee gebaute Schiff mit Eichen­spanten hat eine ebenso alte Maschine und könnte viele Geschichten erzählen, viel­leicht in einem andern (B)Logbucheintrag? Die schöne Parade im «Triechter» von Sursee geniesse ich im ehe­ma­ligen Ret­tungsboot des CGN-Flagg­schiffes La Suisse. Das weisse Boot namens Loui­siana wurde 2010 durch Pierre-Edgar Croci in ein Dampf­schiff umgebaut und ist seit 2016 im Besitz von Albert Gauchat aus La Neu­veville. Mit dem ehe­ma­ligen Aare‑, Vier­wald­stät­tersee- und Sar­ner­see­schiff St. Urs (Baujahr 1889) „segeln“ wir in rekord­ver­däch­tigen 45 Minuten dann von Sursee über den ganzen See zum andern Ende nach Sempach. Die Familien Schmid (aus Luzern und Solo­thurn) sind wie alle andern auch zum ersten Mal auf diesem Gewässer und sind begeistert. Nur die desolate Infra­struktur in Sempach trübt die Freude; es braucht viel Impro­vi­sa­ti­ons­ge­schick, um hier die Fahr­gäste ein- und aus­steigen zu lassen.

Eine weitere Sem­pacher-See­runde ist an Bord der „Liberty Belle“ angesagt; Beat und Martha Bolzern sind eben­falls herz­liche Gast­geber, fleissige Besucher von aus­ser­ge­wöhn­lichen Törns („wir kommen grad von der Ems her, waren von Rheine nach Wil­helms­haven 240 km unterwegs») und Eigner eines auf­fäl­ligen Bootes, weil es meistens das einzige ist mit Sei­ten­rad­an­trieb. Gerne wäre ich auch noch mit der „Chrige“ von Philipp Frenz aus Rüfe­nacht, der „Penelope“ von Konrad Müller aus Uster, der „King of Blue“ von Christian und Judith Beck aus Gross­höchst­stetten und der „Steamy“ von Peter und Veronika Amacher aus Beinwil mit­ge­fahren. Zum einen reichte die Zeit nicht, zum andern waren in Sempach am Schluss nur noch jene vier Schiffe auf Kurs, mit denen ich bereits eine Fahrt erleben durfte.

Trau­er­spiel um den Bau des „Sem­pi­schiffes“

In Gesprächen mit den Besu­che­rinnen und Besu­chern von Dynamo Sem­pa­chersee kam immer wieder Bedauern auf, dass der weit fort­ge­schrittene Plan, auf diesem See eine Schiff­fahrt ein­zu­richten, nach zehn Jahren Bemü­hungen Ende 2010 gescheitert ist. Hans Häfeli, frü­herer Betriebs­leiter der Hall­wi­lersee-Flotte weiss, dass auch andere Pläne bereits vor­handen waren: „Vor über 20 Jahren hat sich Urs Hess, Architekt aus Sursee, die Mühe genommen, ein Projekt zu erstellen. Er hatte Pläne aus­ge­ar­beitet und auch ein Modell eines Schiffes gebaut mit Kopf­lander (Bug­lader), d.h. die Pas­sa­giere steigen über den Bug aus und ein. Die Pläne und Offerten waren von Toni Miebach von der Lux-Werft Mondorf ent­worfen worden. Das neue Schiff am Schluchsee ist identisch.»

Die Wirt­schafts­för­derung des Kantons Luzern unter­stützten zusammen mit dem Para­ple­giker-Zentrum das Projekt. Doch bereits in der Start­phase gab es Gegenwind: Die Ver­ei­nigung Pro Sem­pa­chersee mit der Vogel­warte Sempach im Hin­ter­grund sam­melte 2002 in einer Petition 4738 Unter­schriften gegen diese Idee. Es tauchten öko­lo­gische Bedenken auf, die dann später widerlegt werden konnten. Das ent­spre­chende Bun­desamt attes­tierte dem Projekt sogar eine hohe Umwelt­ver­träg­lichkeit. Am 22. Sep­tember 2005 wurde unter den Namen Schiff­fahrt Sem­pa­chersee AG mit Sitz in Nottwil eine Akti­en­ge­sell­schaft mit 250 000 Fr. Start­ka­pital gegründet. Waren es zuerst Umwelt­ver­bände, die sich Sorgen machten um die Ufer­zonen und den Vogel­schutz kamen nun eine weit mäch­tigere Gruppe ins «Boot» der Oppo­sition: die Pri­vat­ei­gen­tümer mit See­an­stoss rund um den See**. So machten die Gemeinden auf poli­ti­schen Druck selbst vor­sorg­liche Ein­sprachen, was für die Ent­schei­dungs­träger des Kantons Luzern und des Bundes immer ver­zwackter wurde.

Für die einen ein Weih­nachts­ge­schenk, für die andern ein Desaster: Ende 2010 kam Post aus Bern mit einer sau­beren Analyse. Das Bun­desamt für Raum­ent­wicklung hatte fest­ge­stellt, dass einige der geplanten Lan­dungs­an­lagen nicht zonen­konform seien. Es fehle an einem «aus­rei­chenden Bun­des­in­teresse am Linien-Schiff­fahrts­be­trieb auf dem Sem­pa­chersee, um die Gemeinden eine von ihnen nicht erwünschte räum­liche Ordnung durch den Bund auf­zu­zwingen.» Demnach könne die Plan­ge­meh­migung erst dann erteilt werden, wenn die kom­mu­nalen Nut­zungs­pla­nungen dies vor­sähen oder der Kanton Luzern den Richtplan anpasse. In diesem Fall kam also das über­ge­ordnete Eisen­bahn­gesetz nicht zur Anwendung**.

Die Schiff­fahrt Sem­pa­chersee AG hätte nun in jeder Gemeinde ein Gesuch um Ergänzung des Bau- und Zonen­re­gle­ments stellen müssen, welche den Bau von Steg­an­lagen vor­sehen würde, obschon das Projekt mit einem Bug­lader gar keine Anlagen im See gebraucht hätte. In jedem Fall hätte es dann gemeind­liche Volks­ab­stim­mungen gebraucht. Vor diesen Hürden kapi­tu­lierte die AG und teilte dann anfangs 2011 den Aktio­nären mit, dass es «höchst fraglich» sei, solche Abstim­mungen in Anbe­tracht der Geg­ner­schaft zu gewinnen und sie deshalb den Antrag stellten, die Gesell­schaft auf­zu­lösen. Nun, acht Jahre später wird der Traum trotzdem wahr, wenn auch bloss für vier Tage. Die acht Dampf­schiffe machten beste Werbung für die Idee eines «Sem­pi­schiffes» und gar manch Skep­tiker wun­derte sich, dass diese Schiffe fast keine Wellen schlagen, emmis­sions- und CO2-neutral unterwegs sind und vielen Men­schen eine Freude bereiten können. Hoffen wir, dass auch in dieser Beziehung Dynamo Sem­pa­chersee etwas «Dynamik in den Köpfen» aus­lösen konnte.

Einer, der mir kürzlich seine Vor­stel­lungen kund­getan hat, wie es auch tech­nisch klappen könnte, ist Benj Schacht, ehemals SGV-Schiffs­führer und heu­tiger Betriebs­leiter der Zuger- und Äge­ri­see­schiff­fahrt, selbst wohnhaft in Sempach. Schacht: «Der CO2-neu­trale Kata­maran hätte einen Elek­tro­motor, der den Grossteil der nötigen Energie aus dem Akku bezieht, welcher über Nacht geladen wird. Zusätzlich würde Vor­triebs­en­ergie geschaffen durch unter dem Schiff aus­schwim­mende Solar­panels und zwei Flettner-Rotoren***. Die Solar­panel würden bei den Lan­dungs­stellen achtern in den Rumpf ein­ge­zogen. Der Ein­stieg über den Bug ermög­licht ein Anfahren und Laden ohne Bau­werke. Beim Camping könnte einfach ans Ufer gefahren werden und über eine hydrau­lische Bug­klappe die Leute an Bord kommen.»

Idylle Sem­pa­chersee: Die Dampf­schiffe besammeln sich im «Triechter» zur Parade in Sursee.

Michael Neuer, Prä­sident der Dampf­boot­ver­ei­nigung Schweiz, freut sich, zum ersten Mal mit einem Team von acht Schiffen auf dem Sem­pa­chersee zu fahren.

Auf und an diesem Schiff stimmt einfach alles: Soft- und Hardware spielen optimal zusammen (DS St. Urs).

Kapitän“ Martin Schmid mit seinem Team Esther (Maschi­nistin), Mimi (Hei­zerin) und Thomas Schmid (Steu­ermann) blickt zufrieden voraus bei der Längs­fahrt von Sursee nach Sempach.

Dampfboot Penelope vor sel­tener Kulisse des Sem­pa­chersees bei Eich.

Wie ein Dampf­schiff-Ret­tungsboot ein Dampf­schiff wird: die „Loui­siana“ bei Sempach.

Beat Bolzern auf der „Liberty Belle“ gefällt der ein­malige Sempachersee-Einsatz.

Text und Bilder H. Amstad

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Hin­weise

*) Im Gegensatz zu den meisten Schweizer Seen sind weite Teile des See­ufers nicht öffentlich zugänglich, sondern durch ein­ge­zäunte Pri­vat­grund­stücke abge­sperrt. Das Bade­verbot für die gesamte Ufer­pro­menade von Sempach stammt aus den 1960er-Jahren. Selbst der Versuch, z.B. in Ober­kirch einen öffent­lichen See­zugang mit einer Bade­an­stalt zu schaffen, war trotz einer Unter­schrif­ten­sammlung nicht erfolg­reich. Die Oppo­sition gegen ein Kurs­schiff ist später weniger aus «grünen» Kreisen als von Pri­vat­per­sonen gekommen, die ihre Pri­vat­sphäre über die Inter­essen der Öffent­lichkeit stellen.

Quellen

**) Pres­se­spiegel von B. Zum­stein vom 07.01.2011

Weiter im Text

***) Funk­ti­ons­weise und Aufbau von Flettner-Rotoren siehe Link (Wiki­pedia)

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