Am Beispiel DS Thalia: Wirtschaftlichkeit, Emotionen und Denkmalpflege unter einen Hut bringen (Teil 2)
Im ersten Teil des Berichtes über den Dampfer Thalia am Wörthersee schilderte ich die Geschichte und der Kampf um die Erhaltung dieses einmaligen, kulturhistorisch bedeutenden Schiffes. Auf dem Höhepunkt der Ära der Schraubendampfer entstand 1909 in der renommierten Werft in Dresden Übigau ein klassisch schönes Exemplar, das heute als letztes seiner Art in ganz Mitteleuropa Fans aus Nah und Fern anlockt. Im 2. Teil meines Berichtes geht es um die Renovationsarbeiten in den Jahren 1986 bis 1988, die sich politisch wie technisch stark an die „Unterwalden“-Bemühungen auf dem Vierwaldstättersee anlehnten. Am Beispiel „Thalia“ lässt sich ausserdem gut zeigen, dass sich die drei Stakeholder1, nämlich Schifffahrtsunternehmung (Wirtschaftlichkeit), Kunde (Dampfschiffe wecken Emotionen) und Denkmalpflege (Pflege und Erhalt von Schlüsselobjekten) in einem fragilen Wechselspiel befinden, das nirgends als Selbstverständlichkeit oder gar als Selbstläufer angenommen werden darf.
Nachdem Mitte der Achzigerjahre klar wurde, dass die „Thalia“ gerettet werden soll, begann eine lange Planungs‑, Finanzierungs- und Vorprojektierungsphase. Für die Finanzierung wurde eine eigene Gesellschaft gegründet, die professionelle Bauleitung übernahm das noch junge Ziviltechnikerbüro DI Anzböck und als Berater fungierte der damalige Vizewerftchef der SGV, Josef Gwerder. Er erinnert sich noch gut: „Wir konnten von der umfassenden Renovation der ‚Unterwalden‘ bei der Renovation der ‚Thalia‘ profitieren. Das Engagement der SGV bei der gelungenen Generalsanierung der ‚Thalia‘ wurde von höchster Stelle gebührend gewürdigt. Schliesslich war (und ist noch heute) das Know-How auf diesem Spezialgebiet sehr rar. Es war für mich persönlich eine interessante, dankbare und schöne Aufgabe. Ein besonderes Lob gebührte auch den Maschinisten Peter Aregger und Ruedi Küng, welche mit grossem Einsatz und Fachkompetenz sich bei der Maschinenrevision engagierten.“ Dazu kam die Maschine nach Luzern und der Kessel wurde in Graz überholt. Auf Anraten von Josef Gwerder erstellte man die Aufbauten aus Aluminium; sie wurden von einer Werft in Novi Sad geliefert.
Nach 14 Jahren Stillstand erfolgt am 9. Juni 1988 die erste Probefahrt und am 2. Juli die zweite Jungfernfahrt des Schraubendampfers. Schiffbautechniker und Dampferkenner Severin Schenner: „Wenn man bedenkt, dass es sich um den letzten und einzigen Schraubendampfer in Österreich handelt, ist der denkmalwürdige Wert bereits definiert. Dass mit der Revitalisierung auch neuere Komponenten eingeflossen sind (z.B. Side-Sponson, also seitliche Stützschwimmer zur Stabilitätsverbesserung2), um sicherheitstechnische und betriebswirtschaftliche Aspekte abzudecken, liegen in der Natur der Sache. Vor einigen Jahren hat es Überlegungen gegeben, das Schiff auf ein moderneres Antriebskonzept umzustellen. Davon ist man allerdings wieder abgekommen, weil damit der Charme des Schiffes, und das, was es ausmacht, nämlich den Dampf zu spüren, zu erleben und zu riechen, verloren ginge.“
Heute (zu) selten im Einsatz
Severin Schenner: „Die mittlerweile junge Mannschaft der Wörthersee Schifffahrt hat das Schiff bestens im Griff; es gab seit seiner Indienststellung von 1988 keine nennenswerten Aus- oder gar Unfälle. Das Schiff wird gepflegt und gehegt. Was den besonderen Mehrwert ausmacht ist die Tatsache, dass es nach wir vor im Liniendienst im Einsatz steht und daher für alle öffentlich zugänglich ist. Zwar wird es allgemein als Attraktion geschätzt und man erfreut sich daran, jedoch bleiben Geschichte und technische Besonderheiten für viele verborgen oder wird ausgeklammert.“ Genau diesen Eindruck hatte ich auf meinen Fahrten in diesem Sommer auch. Da hängt man lieber ein riesiges Bierwerbeplakat auf, statt an Bord mit Stolz auf die Exklusivität dieses Schiffes hinzuweisen. Als ich meine Freude über den herrlichen Dampfer ausdrückte, antwortet mir stellvertretend ein Schiffsangestellter: „Die Leute lieben das Schiff, die Mannschaft hasst es. Je nach Wetter ist es zu heiss oder zu kalt an Bord“.
Obwohl der Dampfer seit 1986 unter Schutz des Bundesdenkmalamtes steht, liegt aus Sicht der Fachleute der langfristige Erhalt dieses Juwels nicht «in trockenen Tüchern». Schenner stellt mit Blick zu den Nachbarbarländern fest: «Für österreichische Verhältnisse ist die Wiederinbetriebnahme der ‚Thalia‘ schlicht ein Wunder3, denn gefördert werden hier vorwiegend ‚drittklassige Künstler‘, leider aber nicht verkehrstechnische Projekte. Und wenn, dann sind es eher Spenden als namhafte Beiträge. Der Denkmalschutz in Österreich hört auch bei den Eingangstüren von Schlössern leider auf.“
Ein Blick in die Geschichte der Wörthersee-Schifffahrt zeigt eine unruhige erste Phase mit sieben Firmengründungen zwischen 1853 und 1913. Dann folgt eine lange Phase, in der die öffentliche Hand die Schifffahrt betreibt: Zwischen 1913 und 2010 zwar mit sechs verschiedenen Firmenbezeichnungen – seit 1959 «Stadtwerke Klagenfurt, Verkehrsbetriebe Abt. Schifffahrt» –, aber immerhin mit stabilen Inhaberverhältnissen. Das Ende des öffentlichen Engagements für die Schifffahrt kann als Spätfolge der Haider-Epoche (Jürg Haider war von 1991 bis 1999 Landeshauptmann von Kärnten) betrachtet werden. 2008 folgte eine Teilprivatisierung und seit Oktober 2010 ist der Unternehmer Martin Ramusch Alleineigentümer. So hoffe ich, dass der heutige Inhaber der Wörthersee Schifffahrt ein Dampferfreund ist und gut für die „Thalia“ schaut. Sonst würden die Worte von Severin Schenner bitterer Ernst: «Der Kärntner merkt erst, was ihm fehlt – wenn er´s nimmer hat!“
2016 wurde auf der ‘Thalia’ am Kamin eine Werbung in Form eines Bierglases angebracht. Unbekannte machten dann eine Anzeige beim Bundesdenkmalamt. Der darauf erfolgte Augenschein durch Behördenvertreter brachte nicht nur den «Bierglasschlot» zu Fall, sondern auch weitere Versuche, das Schiff auf Dieselantrieb umzubauen. Die Behörde deklarierte den sog. «absoluten Denkmalschutz». Im Kaufvertrag zwischen der Stadt und dem Unternehmer Ramusch ist eine Betriebspflicht für die ‘Thalia’ vereinbart. Wie sieht es der Eigner bezüglich der Zukunft von DS Thalia? Für eine Stellungnahme waren aus Gründen von «Umstrukturierungen» weder er noch der Geschäftsführer der Wörthersee-Schifffahrt zu bewegen.
Weitere Schraubendampfer auf dem See
Auf und am Wörthersee gibt es noch zwei private Schraubendampfer. Die «S.L. Marie Christin» gehört Seppi Motschiunig, dem Inhaber des Hotels Seewirt in Maria Wörth. Er führt auf Bestellung Charterfahrten4 durch und ist ein begeisterter Dampfböteler: «Unser Dampfschiff wurde vor 75 Jahren 1945 bei Lower & Son in Newhaven (bei Brighton) gebaut und fährt seit dem Sommer 2012 bei uns.» Auftraggeber zum Bau des Schiffsrumpfes war 1945 Ken Williams, der dann eine bereits bestehende Dampfmaschine einbaute und auf der Themse unterwegs war. Woher diese Maschine kam und wann sie gebaut wurde ist unbekannt. 1977 wechselte der Inhaber des Dampferchens zu W.H.D. Lowe, im Dezember 1981 kam das Schiff zu Christine Stanbury, 1987 zu David Roberts, dies bis 1993. Dann hiess der Eigner Mervyn B. Loyens, der 1994 eine Kabine auf das Schiff baute.
Loyens verkaufte das Schiff dann 1997 an Urs und Jochen Loos, Inhaber der Firma Loos Kessel in Gunzenhausen. Das Schiff war dann auf dem Brombachsee unterwegs. Mit dem Verkauf der Firma Loos an die Bosch Industriekessel im Bischofshofen kam 2009 auch das Dampferchen von Deutschland nach Österreich. Seppi Motschiunig: «Wie ich das Schiff gekauft habe, hatte es noch den Originalnamen ‘SL Salamander’. Wir gaben dem Schiff den Namen unserer Tochter, die ein Jahr zuvor auf die Welt gekommen ist.» Im Winter 2012/13 folgte eine Komplettrevision von Kessel, Maschine und Schiff. Der Kessel wird mit Buchenholz befeuert. Bis 2015 musste der Kessel zwei Mal geschweisst werden. Im Frühjahr 2016 wurde der Kessel durch einen Nachbau ersetzt.5
Es gibt noch einen dritten Schraubendampfer auf dem Wörthersee, welcher allerdings in der Regel im Museum Historama in Ferlach steht. Johannes Lebitsch, Kapitän der Nostalgieschifffahrt Wörthersee: «Nach der Abstellung des letzten Wörthersee-Dampfschiffes Thalia im Jahr 1974 hatte der Veldener Geschäftsmann Alfred Kretschmann sen. die Idee, ein Dampfschiff zu bauen als Erinnerung an diesen Schiffstyp.» Kapitän Kretschmann war der «Urvater» aller musealen Technikbemühungen in Kärnten. Er hat sich immer geärgert, dass er sich keine Motorbootlizenz für den See leisten konnte. Eine solche Lizenz ist ab 350 000 Euro zu haben…. Er studierte das Schifffahrtgesetz und fand heraus, dass er für Dampfschiffe keine Lizenz braucht.
1978 begann er mit dem Bau des kleinen Dampfbootes. Johannes Lebitsch: «Nach seinem Tod 1980 wurde das Projekt nicht mehr fertiggestellt. 1991 gelangten die Teile des nicht zusammengebauten Bootes zu den ‘Nostalgiebahnen in Kärnten’, wo man entschied, das Boot bis zum Sommer 1992 fertigzustellen.» Als Kapitän Kretschmann starb, erbte das Museum nicht nur die «Alfredo», sondern auch die originale Ruderanlage der ‘Thalia’, das Ruderblatt und die ursprüngliche Schraube. Lebitsch: «Alles heute im Museum bei uns zu sehen.»
Die Perle unter der Wörthersee-Flotte vor zwei touristischen Anziehungspunkten: Maria-Wörth und rechts auf dem Hügel der 2013 erbaute Pyramidenkogel (wie auch auf der Briefmarke dargestellt).
Minimundos macht’s möglich: die «Thalia» kreuzt im Miniaturmuseum vor der Oper von Sidney.
Nach wie vor zeigt sich die Jet-Set aus Deutschland und Österreich gerne am Wörthersee. Schicke Motorboote zieren die Häfen wie anderswo Pedalos7. Da passt die stilvolle «Thalia» durchaus in diese Landschaft und auch der Slogan «Ahoi am Wörthersee – der Karibik der Alpen» ist nicht zu weit gegriffen.
Diese Geschmackslosigkeit war dann auch den Kärntnern Behörden zu viel: Die Bierreklame am Kamin musste nach einer Klage wieder entfernt werden.
Alles auf einen Blick: Ausser der eingezeichneten Fahrplanroute (im 2‑Stundentakt, 2 Schiffe) verbindet MS Velden Klagenfurt/See mit Velden ohne Zwischenstopp in knapp einer Stunde (3 Kurspaare täglich).
S.L. Marie Christin feierte im 2020 ihr 75-Jahr-Jubiläum.
Am 25.7.1992 gab es eine symbolische «Wettfahrt» zwischen den beiden Dampfschiffen Thalia und Alfredo.
Bilder im Textteil: Imposante Ausfahrt der Wörtherseeflotte um 1930: die ‘Thalia’ heisst für kurze Zeit «Klagenfurt» (im Bild rechts), aus der «Helios» die «Pörtschach» (Bild mitte) und die «Neptun» wurde zur «Krumpendorf».
Die «Thalia» als Sujet der österreichischen Philatelie: 2009 zum 100-Jahr-Jubiläum des Schraubendampfers und kurz darauf 2018 (Ausgabe 2017 zum Jubiläum «500 Jahre Landeshauptstadt Klagenfurt».
Ein bescheidenes Typenschild macht auf dieses aussergewöhnliche Schiff aufmerksam: Es ist der 1036. Bau der Schiffswerft Übigau bei Dresden.
Abendausfahrt der historischen Flotte auf dem Wörthersee; im Hintergrund die ehemaligen Flottenmitglieder Loretto (links) und Lorelei.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Stakeholder sind Personen, Gruppen, Institutionen oder Gremien, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Unternehmens oder eines Prozesses haben und diese beeinflussen können.
2) Die Breite nahm dadurch auf jeder Seite um 500 mm zu.
3) Auch Hansgeorg Prix, einer der treibenden Kräfte hinter der Wiederinbetriebnahme der «Thalia» schreibt in seinem Buch: «Ein Wunder ist geschehen» (S. 45). Dass nach der massenweisen Ausrangierung von mehr als 100 Dampfschiffen in Österreich eines mal überlebt, glaubten lange Zeit die grössten Optimisten nicht.
4) Das Schiff kann unter office@hotelseewirt.at. gebucht werden, der Mindest-Charterpreis beträgt 240 Euro. Auf der Homepage: www.hotelseewirt.at ist unter „Neuigkeiten“ ein Video aufgeschaltet.
5) Die zweifache Expansionsmaschine mit einem Hochdruckzylinder von 2 ½“ und einem Niederdruckzylinder 4 7/8“ und 4 ½“ Hub, leistet 5 PS. Der doppelwandige Rauchrohrkessel mit 58 querliegenden Wasserrohren erzeugt 20 kg Dampf pro Stunde, Max. Betriebsdruck 7 Bar, Kesselinhalt bei Niedrigwasser 16,5 Liter.
6) Dampfkessel: Eigenbau eines Veldener Schlossermeisters. Stehender Zwergkessel für max. 5 bar. Händische Speisepumpe, Feuerung mit Holz und kleinen Kohlebrocken. Dampfmaschine: englische 1‑Zylinder-Maschine, Hersteller unbekannt, Hub 60 mm, Bohrung 45 mm.
7) Helvetismus für Tretboote
Techn. Angaben der drei Schraubendampfer:
Thalia 1909, L 39,35 m, B 6,30 m, m 131 t, P 110 kW, 300 Personen
SL Marie Christin 1945, L 8,3 m, B 1.85 m, m 2,3 t, v 11 km/h, 12+1 Personen
Alfredo 1992, P 1,1 kW, 5 km/h, 4+1 Personen
Weiter im Text
Josef Gwerder „Thalia – Göttin der Komödie“, in DZ 1/89 S. 22ff (ausführlicher Bericht über die Renovation und die Inbetriebnahme des Schiffes im Jahr 1988, 13 Seiten)
DZ 4/2009 S 13ff – Severin Schenner „100 Jahre Dampfschiff Thalia“
„Einmal Velden bitte“ historischer Bildband – Hansgeorg Prix, Heyn-Verlag – Klagenfurt 2016
Impressum
Text und Bilder 1, 3, 6 und Textteil 3 H. Amstad
Bilder Textteil 1 und 2 Archiv S. Schenner
Bilder 5 und Textteil 4 Wörthersee Schifffahrt
Bild 2 O. Steindl, Bild 4 Peutz, Bild 7 Archiv HJ. Prix
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