Apérofahrten mit MS Schwan erfreuen sich auch im 2020 grosser Beliebtheit – trotz Corona
Unser Start der Apérofahrten mit Zuger Kulturpersönlichkeiten in die Saison erfolgt coronabedingt in diesem Jahr spät. Am 20. August heisst es erstmals «Bühne frei» für Caroline Flueler, einer Textildesignerin, die national in der obersten Liga «spielt». Seit 2002 kreiert sie das Design für die Swiss international Air Lines. Alles, was mit Stoff zu tun hat wie Sitzbezüge, Kissen, Vorhänge, Teppiche sowie Accessoires der Crew entsteht gestalterisch in der Räbmatt bei Oberwil, wenige Kilometer südlich von Zug entfernt. «Es ist schon ein schönes Gefühl, wenn ich mal mit Swiss fliege und all meine Produkte benutzen kann,» ergänzt Caroline Flueler, als wir vor ihrem Elternhaus in der Räbmatt mit MS Schwan einen ersten Halt machen. «Der Swiss-Auftrag öffnete mir viele Türen.» So gestaltet sie die Home-Kollektionen für Interio, Globus, Manor, Pfister (Frottee und Bettwäsche) und für andere. «Der Blick auf den Zugersee inspiriert mich immer wieder.»
Unser heutiger Schiffsführer René Simmen navigiert die «Schwan» auf Geheiss der Künstlerin nun zur Mitte des Zugersees. Ihr Thema beim zweiten Stopp ist der See: «Ich war mit meinem Vater und mit dem Segelschiff von Kindsbeinen an oft auf dem Zugersee. Er hat mir viel beigebracht. Unter anderem, wenn das Ende der Chiemen-Halbinsel und die Rigi-Kulm senkrecht übereinander stehen, wir uns genau in der Mitte des Sees befinden.» René Simmen kann das bestätigen und liest auf dem Radarbild ab: «Von hier sind es genau 1200 m zum Ostufer und 1200 m zum Westufer». Ihr Vater ist vielen Dampferfreunden bekannt, war er doch als schiffsaffiner Architekt einige Jahre das ästhetische Gewissen der Dampferfreunde in Luzern, solange sich die SGV weigerte, mit der Denkmalpflege zusammen zu arbeiten*. Er prägte u.a. 1991 bis 1994 den Umbau der «Uri». In Zug erarbeitete er die erste Seekarte, die 1979 erschienen ist.
Das Geheimnis der Weinenden gelüftet
Bereits wiederholt haben die jeweiligen Kulturpersönlichkeiten den Wunsch, vor der Weinenden einen Halt zumachen, also vor jener Statue, die vor dem Dersbacher Ufer vor dem Schilfgürtel im See draussen steht und die Faszination aller Segler, Bötler und Schiffler auf sich zieht. Doch zum ersten Mal kommen wir auch inhaltlich ganz nah an die Auflösung dieser mysteriösen Figur, die immer wieder zu regen Fantasien und zu Schifferlatein anregt. Caroline: «Die Anfahrt aufs Ufer ist für Segler an dieser Stelle heikel. Unser Drachensegelboot hatte einen 1,40 m tiefen Kiel. Man musste einen bestimmten Baum in der Linie mit dem Giebeldach der Scheune anpeilen, nur so erwischte man die einzige tiefere Rinne, die zur Bucht führt. Wer das verpasste, fuhr auf, musste vom Segelboot steigen und dieses wieder ins Wasser schuppsen, was meist problemlos gelang. Eines Tages passierte dies auch einem Kollegen meines Vaters. Als er aber ausstieg, um sein Boot zu richten, versank er im Wasser, so tief war diese Stelle. Sein Schiff war zufälligerweise auf zwei Pfosten aufgefahren, die sich unsichtbar unter dem Wasserspiegel befanden. Nachdem das Schiff mit fremder Hilfe wieder flott kam, entschloss man sich, auf diese zwei Pfähle eine Statue zu montieren. Mein Cousin Böbbi Schiess platzierte1985 eine Steinfigur, die schon lange in seiner Bildhauerwerkstatt stand, mittels Eisenstangen auf diesen Pfählen und nahm mit dem Namen der weinenden Bezug auf eine Schilfinsel, die ganz in der Nähe kurz davor wegen schlechten Umwelteinflüssen verschwunden ist. Seit 35 Jahre weint nun die Figur der Insel nach…»
Etwas profaner betrachtet, weist die Figur den Bötlern den Weg zur Bucht. Deshalb heisst diese Stelle auch Magellan, bezugnehmend auf die Meerenge zwischen Pazifik und Atlantik, die das Festland Südamerika von Feuerland trennt. «Aber keiner dieser Segler war je dort», schmunzelt Flueler. Umso schöner sind ihre Kindheitserinnerungen: «Der Name Magellan zeugt von philosophischen Gesprächen der Seeleute, die jeweils hier vertäut vor Anker lagen. Es wurde oft mit einer gewissen Demut über das freudige Leben und die Schönheiten der Natur gesprochen, über das Bewusstsein des privilegierten Lebens, das wir führen durften. Dabei ging der gekühlte Weisswein aus den Bilgen der Boote nicht vergessen. Der erste Schluck aus der Flasche ging immer an Poseidon, um ihn in guter Laune zu halten. Solche Rituale faszinieren mich sehr.» Sagt’s und tut’s sogleich aus dem Fenster von MS Schwan.
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Wer als Zuger Kulturpersönlichkeit an Bord der «Schwan» die Fahrgäste unterhält und einen Einblick in ihr Schaffen gibt hängt in den meisten Fällen von den persönlichen Vorlieben und Bekanntschaften des Programmverantwortlichen ab. Es kommt auch vor, dass auf vielseitigem Wunsch von Stamm(fahr)gästen jemand ins Programmheft des MS Schwan kommt. So geschehen beim Vollblut-Musiker und Saxophonisten Linus Amstad, der am 3. September bereits 300 Meter nach der Abfahrt am Schützenmattsteg in Zug den Kapitän zum Stopp der Maschinen anhält. Denn von hier aus ist der Blick frei auf die Chamerstrasse 34, die Linus mit «Zu-Hause» und «Üben» verbindet. «Jeweils schon vor der Schule griff ich vor 15 Jahren zum Instrument, um zu üben – zu dieser Tageszeit allerdings im Keller», erzählt der heute 33-Jährige. «Ansonsten hatte ich mein Zimmer unter dem Dach mit schallabsorbierenden Wänden». Das Stück «Song for my Father» von Horace Silver ist eine Homage an seinen Vater, «welcher mich zu dieser wunderbaren Fahrt auf dem Zugersee eingeladen hat.»
Bachelor-Studium bei Jean-Georges Koeper in Zürich, Masterstudien in Wien bei Lars Mlekusch (Klassik) und in Bern bei Lutz Häfner (Jazz und Lehramt) bilden die Basis für sein Handwerk, welches zurzeit aus den drei Standbeinen Musiklehrer an der Musikschule Zug, professionelle Engagements in verschiedenen Formationen und eigene Projekte, die auch das Komponieren zum Inhalt haben. Nach der Schiffs-Überquerung des Zugersees führt die heitere Gesellschaft dieser Apérofahrt zur Badi Zweiern. «Ich geniesse mein heutiges Zuhause in Risch-Rotkreuz und spaziere von dort aus an diesen Platz des Sees, der zum Sinnieren einlädt,» wobei Linus mit einem verschmitzten Lachen beifügt, dass er das erst einmal gemacht habe. Es gelingt ihm, sowohl am heutigen Abend wie in seinem Schaffen das Ernsthafte, Tiefgreifende und Komplexe des Jazz mit dem Lockeren, Humorvollen und Verspielten zu verbinden. Er spielt unter anderem in den Formationen Pfistermen’s Friends aus Bern und Woodoism mit dem Zürcher Bandleader Florian Weiss.
Mit Woodoism nach Ostsibirien
Der in der Schweiz bedeutendste branchenspezifische Jazzpreis, jener der ZKB Zürich, von 2018 für «seine» Formation Woodoism öffnete Türen und Tourneen bis ins abgelegene aber kulturell bedeutsame Ost-Sibirien. Das vorgetragene Stück «Eisblau» von Bandleader Florian Weiss gefällt dem heute im Dienst stehenden Kapitän Marco Bisegger am besten. Die Anekdoten von Linus entlocken dem Publikum manch’ Lacher. Seine Entertainer-Qualitäten halten der Musikqualität und seiner professionellen Haltung zu Musik die Waage. Wieder zurück am rechten Seeufer peilt MS Schwan Oberwil an. Von Süden her erblicken wir das Feuerwehrdepot, das gelbe Haus mit dem runden Loch unter dem Dach, wo Linus aufgebwachsen ist. Seine nun vorgetragene Eigenkomposition «Ines in Afrika»*** führt ihn thematisch zurück zur Familie. Der Name der Musik bringt ein Stück Bewunderung zum Ausdruck gegenüber seiner jüngsten von vier Geschwistern – mit einer wiederum augenzwinkernden Anspielung auf seinen Vater, der, so die Vermutung von Linus, seine Afrikareise-Dias deshalb vorbehalte, weil dieser vielleicht gar nie dort gewesen sei…
Am Schluss spannt Linus einen Bogen zu seiner aktuellsten Produktion, die ihn und seinen Musikerkollegen Jonas Inglin auf musikalisch-kreative «Wanderschaft» führt. Die ähnlichen Kompositions-Vorlieben und ihre Hintergründe in Jazz und Klassik führen die beiden zu musikalischen Höhenflügen, die sie – ausschliesslich mit Eigenkompositionen bestückt – auf ungewöhnliche Bühnen im Kanton Zug führen. Einmal führt die Wanderung von einer Autobahnunterführung zum Chollerdelta am Zugersee, das andere Mal von der Burg Zug zur Höllgrotte Baar. Vor der Einfahrt der «Schwan» in den Hafen und just beim Sonnenuntergang stimmt der heutige Gast ein Stück von Jonas Inglin an: «Alles ist vergänglich.» – so wie der heutige, unterhaltsame Anlass und die (dieses Jahr kurze) Saison der Schwanfahrten mit Zuger Kulturpersönlichkeiten.
Caroline Flueler versteht es, Farben spannend und auf den ersten Blick ungewohnt zu kombinieren. «Der Aspekt der Reduktion und Zeitlosigkeit ist mir bei meinen Designs wichtig.»
Auch CI-Produkte stammen aus ihrer Hand, wie diese besonders Gelungene für die Basler Kantonalbank**. «Ich liebe geometrische Muster.»
«Liegt der Spitz der Halbinsel Chiemen direkt unter dem Rigi-Kulm, dann sind wir genau in der Mitte des Zugersees.»
Seine Musik sind an Bord der «Schwan» eine der seltenen Gelegenheiten, Linus Amstad Solo zu hören; fast immer tritt er als Teamplayer und Solist vom Duo bis zum Orchester auf.
Nahe am Künstler an Bord von MS Schwan
Herbstfarben begleiten die optischen Erlebnisse der Apérofahrten mit MS Schwan
Bilder 4 – 6 A. Busslinger, Text und Bilder 1 – 3 H. Amstad
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Seit dem Umbau der «Unterwalden» (2008 – 2011) geschah bei der SGV in Luzern ein Paradigmenwechsel: seither wird die Denkmalpflege beim Umbau der Raddampfer miteinbezogen, dies mit erfreulichen Ergebnissen.
**) Daneben setzen weitere Auftraggeber wie das Hallenstation Zürich, Lucerne Festival, V‑Zug oder das Schweizer Fernsehen SRF auf die Produkte von Caroline Flueler.
***) Das Stück «Ines in Afrika» ist eine rhythmische Safari im Wechselspiel von 6÷8− und 5/8‑Takt und spielt melodisch mit dem Afrikaklischee der Pentatonik. Harmonisch inspiriert vom Miles Davis‘ Jazzhit «So What» wirkt das Stück jazzig-verfremdet zum sonst gewohnten afrikanischen Rhythmus.
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