Apérofahrten MS Schwan 2022: ein nautisches Kulturformat auf Kurs
Die Kombination von Kultur, Apéro und Schifffahrt hat sich einmal mehr auch bei den diesjährigen drei Fahrten als stimmiges Format erwiesen. Das intime Ambiente des kleinen MS Schwan strahlt dabei eine spezielle Atmosphäre aus und ermöglicht den auftretenden Kulturschaffenden einen stimmigen Rahmen. Ausserdem schätzen die Gäste die Möglichkeit einer Abendfahrt auf dem Zugersee, da das letzte Kursschiff bereits um 17.30 Uhr am Steg in Zug anlegt. Guido Simmen, Schulleiter der bekannten Tanzgruppe VoiceSteps und Regisseur, eröffnet am 19. Mai 2022 den diesjährigen Reigen.
Guido Simmen
Ihn einmal an Bord der «Schwan» auf den Apérofahrten zu begrüssen, stand schon lange auf meiner «Wunschliste». Weil der für heute angekündigte Kulturschaffende krankheitshalber kurzfristig absagen musste, bedurfte es aber einer spontanen Zusage des Musicalmanagers Guido Simmen. Ee wünscht den ersten Schiffs-Stopp vor Cham. «Hier hat vieles angefangen, was meine berufliche Tätigkeit der letzten 40 Jahren prägte.» Der ausgebildete Katechet und Jugendarbeiter nahm 1982 eine Stelle bei der Kirchgemeinde Cham an und gründete im Rahmen seiner Anstellung einen Kinderchor, die «Chomer Spatzen». Als ein beruflicher Wechsel nach Steinhausen anstand, sorgten betroffene Eltern dafür, dass der Kinderchor mit Guido Simmen weitergeführt werden konnte.
In diesem Moment des Erzählens taucht wie aus dem Nichts ein Regenguss auf und prasselt auf das Schiff nieder. Der wolkenfreie Himmel im Westen lässt die Sonne trotzdem scheinen und diese Wetterstimmung konkurrenziert optisch wie akustisch Guido Simmens Ausführungen. Ein Unterbruch ist angesagt, zahlreiche Handys klicken und bald darauf erzählt Simmen in kurzen Zügen seinen Weg hin zur wohl bekanntesten Talentschmiede in der Musical-Szene. Als jüngstes Beispiel nennt er Laura Aubert aus Hünenberg, die zurzeit in der MAAG-Halle in Zürich im wieder belebten «Space Dream» die Hauptrolle spielt, tanzt und singt. Guido lässt ein Stück abspielen, in dem Laura als 13-jährige bei VoiceSteps zu hören ist – ihre Stimme lässt uns auf dem Schiff erschaudern. Simmen erklärt auch die Schattenseiten des Traumes vom grossen Star auf der Bühne: «In diesem Business herrscht ein riesiger Kampf und längst nicht alle der grossartigen Talente sind dem Druck, der Missgunst und dem Konkurrenzkampf gewachsen. Laura Aubert sagte bereits nach der erfolgreichen Première zu mir, sie freue sich sehr, nachher wieder ihren Beruf als Klassenassistentin im Sonnenberg in Baar auszuüben.»
Bei VoiceSteps erhalten rund 200 Kinder und Jugendliche Unterricht in Gesang, Tanz und Schauspiel. «Zum Teil kommen sie mehrfach pro Woche von weit her nach Cham – aus St. Gallen bis Fribourg», stellt Simmen bewundernd fest. Über 50 Produktionen sind in den letzten 20 Jahren entstanden, die jeweils vor vollen Zuschauerrängen aufgeführt werden konnten. Guido Simmen auf VoiceSteps zu reduzieren wäre weit gefehlt. Er ist mit den «Schwiizergoofe» auf Tournee, trat am Christmas Tattoo und am ESAF mit dem Christoph Walter Orchester auf. Auch die Arrangements und Aufnahmen von Schweizerliedern für Swissmom, Fernsehproduktionen und zahlreiche CD-Einspielungen zeugen von seinem vielfältigen Schaffen. Unvergessliche Erlebnisse waren für ihn die Durchführung des Europäischen Jugend Musical Festival 2016 in Cham. Bei den Europäischen Jugend Musical Festivals gewann er seit 2010 mit verschiedenen VoiceSteps Produktionen mehrere Awards.
In seinen Ausführungen spricht er viel von «wir» und von «uns» und ganz selten von «ich» und «mich». Am Schluss des Abends, als der Oberwind immer stärker von Arth her zu blasen beginnt, gibt es eine Ausnahme: Er spielt uns eine Eigenkomposition vor – das «Liederland», ein Chorsatz für Kinder mit Bandbegleitung. Über etwas spricht er nicht: Er hat die Schiffsprüfung B1 und könnte somit unser Schiff steuern1. So weit kommt es nicht, denn Sonja Keller, unsere heutige Schiffsführerin bringt uns trotz Wellengang sicher in den Hafen des Siehbachs an der Schützenmatt.
Rémy Frick
Als Schauspieler bekannt, als Texter, Schriftsteller und Autor noch zu entdecken: Ganz Zug kennt Rémy Frick von seinen ausgezeichnet gespielten Rollen in diversen Theaterproduktionen. «Ich spiele seit 45 Jahren, seit ich 15 bin, bei den Zuger Spiillüüt Theater.» Angefangen hat es damit, dass sein Vater Klaus Frick2, ebenfalls ein begnadeter Schauspieler, 1977 als SP-Kantonsrat der Politik den Rücken kehrte und sagte, er habe nun das politische Theater satt, ab jetzt mache er selbst Theater. Seitdem ist auch sein Sohn Rémy dabei: «Mich fasziniert es, Geschichten zu erzählen und auf der Bühne zu stehen». Heute Abend, am 23. Juni 2022, lernen wir ihn von einer mir unbekannten Seite kennen: Frick jun. gibt Kostproben aus seinem schriftstellerischen Schaffen. Er würde von «Texten» sprechen (und nennt sich «Texter»), doch dieser Begriff ist zu bescheiden, was der heutige Abend deutlich aufzeigt.
Schiffsführerin Zanny Zaum steuert zuerst die Zuger Altstadt an, der Blick ist frei auf den Landsgemeindeplatz. Hier wohnt Rémy Frick. «Ganz oben am Platz, mit Blick auf den Baum mit der Rundbank herum.» An seiner Wohnlage findet er die Akustik zauberhaft: «Ich höre jedes Wort, das auf dieser Bank gesprochen wird, nur weiss niemand, dass ich alles höre.» Er sitzt lauschend in der Stube und lässt sich so zu Geschichten des Lebens inspirieren. Er liest eine davon vor. Die Lacher im gut besetzten MS Schwan überschlagen sich. So viel Realsatire, so dicht und pointenreich, überrascht – ein Feuerwerk gleich schon zu Beginn. Als wir dann Richtung Obersee fahren und just nach Arth schielen können, wird’s beim nächsten Text ernster, ja lyrisch. Ein Gedenkstein ausgangs Arth Richtung Immensee erinnert an den Freitod von Dino Sforza, der hier als 24-Jähriger sein Leben im See beendete. Rémy Frick besucht ab und zu den idyllischen Platz, raucht im Gedenken an den Ertrunkenen eine Zigarre und philosophiert über sich und die Welt. «Und manchmal denke ich an gar nichts, das ist so schön, auch wenn es gar nicht unserem Zeitgeist entspricht.»
Auch der nächste Text handelt schwerpunktmässig in Arth und spielt an Bord des MS Zug ab. Frick liest einen Ausschnitt aus seinem Kriminalroman vor, an dem er bereits seit fünf Jahren arbeitet. Spannungsgeladen beschreibt er, wie der Schiffsführer mit unguten Gefühlen von Zug nach Arth fährt – heftige Gewitter sind angesagt. In Arth fährt das Schiff ungebremst in die Mauern des Restaurants Gartenlaube und verkeilt sich vier Meter tief ins Festland. Blut strömt, Schreie ertönen, der Schock sitzt tief. Über die (literarische) Hintertür erfahren wir, dass der Kapitän am Steuer ermordet worden ist. Die bereits fokussierte Stimmung an Bord der «Schwan» wird zusehends gespannter. Für einige Insider und ehemalige SGZ-Schiffsführer an Bord erinnert einiges im Krimi von Frick sehr an Realität: Auf dem Regenradar sind seit einer Stunde heftigste Sturmgewitter zu sehen, die über die Schweiz ziehen, nur hier ist es verdächtig ruhig und nahezu windstill. Den Namen des toten aber an dieser Stelle nicht namentlich genannten Kapitäns gibt es tatsächlich, ohne dass Frick das geahnt hätte. Sogar ein Unfall ist am 18. Dezember 2011 passiert, allerdings mit MS Rigi und unter anderen Umständen und zum Glück ohne tödlichen Ausgang. Darauf angesprochen meint Rémy Frick: «Ich glaube, ich muss das Stück anpassen.»
Der gelernte Kaufmann kann von den Gagen aus den Theaterrollen nicht leben. «Ich kann auswählen, was ich spielen möchte», darin sieht er durchaus Vorteile des Amateurstatus. Heute arbeitet er beim Nahrungsmittelvertreiber Oswald. Früher fuhr er nachts 30 Jahre lang Taxi. An diese Zeit lehnt sich der vierte und letzte Text, eine wortgewaltige Begegnung zwischen einem Bus von Oswald Staub und Fricks Taxi. Wie in einem Zeichentrickfilm beschreibt Rémy an der Grenze zum Erlebten, Gefühlten und seiner Fantasie die fast bedrohliche Kreuzung dieser zwei Fahrzeuge. So kommen wir in den Genuss von vier völlig unterschiedlichen Texten, vorgetragen aus dem Munde des Autors und vor allem des Theatermenschen Rémy Frick.
Judith Wegmann
Unsere Schiffsführerin Sonja Keller legt pünktlich ab und alle angemeldeten Fahrgäste sind an Bord, nur unsere heutige Zuger Kulturpersönlichkeit, die Pianistin Judith Wegmann, fehlt. Das hat seinen Grund. Bei der Vorbereitung des Anlasses wurde nach anfänglichem Zögern schnell klar, dass Judith nur unter der Bedingung zusagt, dass sie einen Einblick in ihr künstlerisches Schaffen auf einem akustischen Instrument geben kann, da ihr die Arbeit mit dem Klang viel bedeutet. Wegmann: «Der Klang auf einem E‑Piano lässt sich nicht formen». Die Möglichkeit, ein Klavier auf das Dach der «Schwan» zu hieven, verwerfe ich aus statischen Gründen. Die Schiffstüre ist zwar breit genug für einen Rollstuhl, nicht aber für einen Flügel. Im Vorgespräch erzählt Wegmann aus ihrer frühen Jugend und von kleineren Proben und Konzerten bei ihrer Freundin. Somit war die Sache klar: Wir wiederholen dies nach vielen Jahren und ermöglichen der Pianistin zu diesen schönen Erinnerungen zurückzukehren und uns ein kleines Livekonzert.
MS Schwan legt nach kurzer Fahrt an und nach einem kleinen Spaziergang begrüssen wir Judith Wegmann, die sich eine Stunde zuvor am Ort des Geschehens eingespielt hat. Sie gesteht später, dass sie aufgeregt gewesen sei, «ich habe mich einen Monat davor mit diesem Auftritt beschäftigt und dafür Zeit investiert». Dies tönt aus dem Munde der international tätigen Pianistin verwunderlich, zeigt aber, wie ernst und mit wieviel Herzblut Wegmann sich jedem Engagement zuwendet und sei es «nur» ein kurzes Konzert im Rahmen eines nautisch-kulturellen Anlasses. Der hellbraune Steinway trägt die Jahrzahl 1872 und erträgt keinen Rachmaninow mehr. Wegmann spielt deshalb Stücke von Philip Glass3 und wählt damit einen Mittelweg zwischen zeitgenössischer und experimenteller Musik, ihrem musikalischen Schwerpunkt, und «Etwas fürs Gemüt». Mit dem ersten Stück «Opening» taucht sie zusammen mit uns Zuhörenden ein in eine Musik, die ich als Pendel zwischen rhythmischem Jazz und expressiver Klassik verstehe. Glass gilt als Begründer der Minimalmusic, die zuerst dem Jazz zugeordnet wurde. Wegmann interpretiert das Repetitive auf wunderbare, neue Weise, sodass ich mich in einem klassischen Konzert fühle. Die dunklen Klangfarben und melancholischen Klangerlebnisse enden mit einem Stück, das bereits in der Mitte mit dem Finale beginnt und somit ein besonderes Konzerterlebnis im wahrsten Sinne des Wortes ausklingen lässt. Langer Applaus hallt von den historischen Wänden, selbst der übergrosse, altehrwürdige Teppich, auf dem die 25 historischen Sessel (unsere Sitzgelegenheit) stehen, vermag die Begeisterung des Publikums nicht zu dämpfen.
Zurück auf dem Schiff hält MS Schwan an und Judith Wegmann beantwortet Fragen aus der Runde, während am Horizont die Sonne an diesem wunderbaren 25. August 2022 rot untergeht. Judith ist in Menzingen in einer kulturaffinen Familie aufgewachsen. Ihre Schwester Rahel studierte an der Kunsthochschule und wird Grafikerin, ihre Mutter ist Journalistin. Die Gemeinde Menzingen stellte der aufstrebenden jungen Klavierspielerin bereits früh den Flügel im Zentrum Schützenmatt, das sich vis-à-vis von ihrem Zuhause befand, zur Verfügung. Judith: «Ein Glücksfall, ich übte dort stundenlang, später auch bis tief in die Nacht hinein.» Die Studienjahre waren für sie zugleich Wanderjahre: Der Besuch von Musikhochschulen in Luzern, Bern, Neuchâtel, und Basel für ihre Ausbildung in Jazz, klassischer und zeitgenössischer Musik führt sie schliesslich nach Biel, wo sie heute seit 13 Jahren lebt.
Zwei Mal in der Woche reist sie nach Oberägeri, wo sie an der Musikschule Klavier unterrichtet. Ansonsten ist ihr Berufsfeld weltumspannend. Sie hat sich einen internationalen Ruf erarbeitet; ihre Einspielungen werden mit internationalen positiven Kritiken ausgezeichnet und sie gewann mehrere Förderpreise. Sie erwähnt auch die Kehrseite der Medaille: «Dieser Weg ist aber auch mit Verzicht verbunden». Und weiter: «Ich gönne mir wenige Tage frei im Jahr und übe täglich mindestens vier bis fünf Stunden, auch oftmals mehr», outet sie ihre Art von Leidenschaft. Mit fünf hat sie begonnen Klavier zu spielen. Darauf ist sie fokussiert und hat das Leben vollkommen der Musik verschrieben. Etwas anderes kann sie sich gar nicht vorstellen und empfindet diesen Weg auch als grosses Glück.
Vom Katecheten und Schiffsführer zum Regisseur und Schulleiter der VoiceSteps: Guido Simmen hat schon vieles in seinem Leben erfolgreich angepackt.
So abwechslungsreich wie die Ausführungen Simmens waren die Wetterstimmungen an diesem Abend: von Sonne bis Regen, von Flaute bis Sturm, von Schwarz-Weiss zum Regenbogen (im Rücken des Fotografen).
Rémy Frick ist als Schauspieler bekannt, als Autor vermag er ebenso zu begeistern.
Frick liest eine Episode aus seinem Roman «Mord an Bord», die schon fast beklemmend reale Vorkommnisse in Erinnerung ruft.
Amüsiertes Publikum: Fricks Pointen landen präzise und provozieren herzhafte Lacher.
Die Pianistin stellt sich im Anschluss an ihr Kurzkonzert an Bord der «Schwan» den Fragen des Publikums.
Die Apérofahrten vom MS Schwan laden bei Abendstimmungen besonders zum Geniessen ein.
Bilder im Textteil: Guido Simmen gewährt einen Einblick in die Musicalwelt und erzählt dabei nicht nur von den «glänzenden» Seiten dieser Art Musik. Schwan-Bühne frei für Rémy Frick für ausgewählte Texte aus seiner Feder. Der Freitod von Dino Sforza ist Anlass für weiteres literarisches Schaffen von Rémy Frick, hier mit der Gedenktafel ausgangs von Arth.
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Hinweise
1) Guido Simmen war der erste Projektleiter des Jugendschiffes Yellow und hat das Schiff nebst der Betreuung der Gäste auch selbst als Käpt’n gefahren.
2) Vater Klaus Frick war am 26. Mai 2011 ebenfalls schon als Zuger Kulturpersönlichkeit an Bord der «Schwan» zu Gast. (Link)
3) Über die Wahl des Komponisten war ich besonders erfreut, da ich Philip Glass in den Achtzigerjahren im Rahmen des Zuger Donnschtig mehrmals live im Theatercasino Zug geniessen und erleben durfte. Der amerikanische Komponist (* 1937) war befreundet mit August P. Villiger, dem damaligen Intendanten des Stadtzuger Kulturhauses. Gusti Villiger war am 19. Mai 2011 ebenfalls Gast auf einer Apérofahrt MS Schwan mit Zuger Kulturpersönlichkeiten.
Impressum
Text H. Amstad
Bilder 3, 4, 6 und 8 A. Busslinger, übrige Bilder H. Amstad
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