Aus­stel­lung zum Tra­jekt­ver­kehr Bodensee.

Die Dampf­schiff­fahrt ist älter als die Eisen­bahn. Als die ers­ten Eisen­bahn­li­nien die gros­sen Seen Mit­tel­eu­ro­pas erreich­ten, war die Dampf­schiff­fahrt bereits eta­bliert. Bis zum Bau zusam­men­hän­gen­der Eisen­bahn­netze dau­erte es noch ein paar Jahr­zehnte, sodass der Gedanke nahe lag, die Eisen­bahn­wa­gen auf Schiffe zu ver­la­den und so zu geeig­ne­ten Orten am See zu trans­por­tie­ren, ohne die Ware umla­den zu müs­sen. Dazu brauchte es spe­zi­elle Schiffe, soge­nannte Tra­jekt­schiffe. Sie waren in der Anfangs­phase meist Kähne, die von Per­so­nen­damp­fern geschleppt wur­den. Spä­ter waren sie Selbst­fah­rer, auf dem Boden­see auch mit Dampf. Der Name Tra­jekt kommt vom latei­ni­schen Wort trai­ec­tus und bedeu­tet „Über­fahrt“.

Den Anfang mit dem Trans­port von Eisen­bahn­wa­gen auf Schif­fen machte Eng­land: 1850 fuhr das erste Tra­jekt, ein Schau­fel­rad­damp­fer, der den Firth of Forth in Schott­land „über­brückte“. 1869 ver­band das erste Tra­jekt­schiff Fried­richs­ha­fen mit Romans­horn auf dem Boden­see, 1873 gab es sol­che Tra­jekt­schiffe auf dem Thu­ner­see, 1885 auf dem Zürich­see und 1890 auf dem Vier­wald­stätter­see. Nir­gends hielt sich hier­zu­lande der Tra­jekt­ver­kehr so lange wie auf dem Boden­see: erst vor 40 Jah­ren 1976 fand er sein Ende. Die­sem Thema ist bis zum 30. April 2016 im Stadt­ar­chiv Fried­richs­ha­fen eine Aus­stel­lung gewid­met unter dem Titel: „Zug um Zug – Tra­jekt­fäh­ren auf dem Bodensee“.

Bereits die Anfahrt nach Fried­richs­ha­fen ist für mich ein Erleb­nis. Anstelle einer Auto­fähre ist MS Sän­tis der SBS im Zwei­stun­den­takt mit AF Eure­gia ein­ge­setzt, dies noch bis zum 12. Februar. Grund dafür ist die gleich­zei­tige Neu­mo­to­ri­sie­rung der Ein­hei­ten Romans­horn auf Schwei­zer Seite (SBS) und Fried­richs­ha­fen der deut­schen Gesell­schaft BSB. Wie sich die Auto­fah­rer über die man­gelnde Koor­di­na­tion ärgern, freut den Schiffs­lieb­ha­ber nun diese Kurs­spe­zia­li­tät. Das gepflegte und gemüt­lich aus­ge­stat­tete Schiff mit dem Jahr­gang 1956 ist bewir­tet. Tipp: die gekaufte ein­fa­che Fahrt von Romans­horn nach Fried­richs­ha­fen kann in der Aus­stel­lung abge­stem­pelt wer­den und gilt dann auch für die Rück­fahrt. Der Zwei­stun­den­auf­ent­halt in Fried­richs­ha­fen reicht gut für den Besuch der Aus­stel­lung, die in gemüt­li­chen 15 Minu­ten Fuss­marsch Rich­tung Nor­den zu errei­chen ist. In einem Raum des Stadt­ar­chivs infor­mie­ren zahl­rei­che Info­ta­feln über die Ent­wick­lung die­ses Tra­jekt­ver­kehrs. Die Aus­stel­lung kommt anschlies­send in die Schweiz, zuerst ins Museum am Hafen in Romans­horn und im Jahr 2017 ins See­mu­seum Kreuzlingen*.

Zurück zur Geschichte, die in der Aus­stel­lung eine zen­trale Rolle ein­nimmt. 1847 erreichte die Bahn das würt­tem­ber­gi­sche See­ufer in Fried­richs­ha­fen, 1853 das baye­ri­sche in Lin­dau, 1855 das schwei­ze­ri­sche in Romans­horn und 1857 in Ror­schach, 1863 das badi­sche in Kon­stanz und 1884 das öster­rei­chi­sche in Bre­genz. An all die­sen Orten endete die Reise mit der Bahn. Dies führte zur Ent­wick­lung der Kursschiff­fahrt auch zwi­schen den bei­den Boden­see­ufern, wäh­rend vor­her aus­schliess­lich die Längs­ufer­ver­bin­dun­gen im Vor­der­grund stan­den. (Die­ses Den­ken stelle ich noch heute fest, das Poten­tial zwi­schen den bei­den Ufern ist nach mei­nem Dafür­hal­ten noch lange nicht aus­ge­schöpft.) Sechs Tra­jekt­li­nien wur­den nun eröff­net: Romans­horn – Fried­richs­ha­fen (1869 bis 1976), Romans­horn – Lin­dau (1869 bis 1939), Lin­dau – Kon­stanz (1873 bis 1899), Bre­genz – Kon­stanz (1884 bis 1917), Romans­horn – Bre­genz (1884 bis 1915) und Bre­genz – Fried­richs­ha­fen (1884 bis 1913). Regel­rechte Tra­jekt­hä­fen ent­stan­den. Mit­tels in der Höhe beweg­li­chen Tra­jekt­brü­cken mit ihren zwei dar­auf mon­tier­ten Bahn­glei­sen wur­den die Güter­wag­gons auf die Tra­jekt­kähne gescho­ben. Dabei wurde mit Hilfe von lee­ren Zwi­schen­wag­gons ver­mie­den, dass die schwere Loko­mo­tive selbst auf die Brü­cke oder den Tra­jekt­kahn rol­len musste. Unter güns­ti­gen Bedin­gun­gen dau­erte das Be- oder Ent­la­den rund 40 Minuten.

Die Wagons waren meist mit Getreide, Obst, Holz oder Stück­gut bela­den. Der Waren­trans­port war auf dem Boden­see ein Teil einer inter­na­tio­na­len Trans­port­kette von Nord- und Ost­deutsch­land, Bay­ern und Öster­reich in Rich­tung Schweiz, Ita­lien und Süd­frank­reich und umge­kehrt. Hans­jörg Tin­ner, ein Ken­ner des Romans­hor­ner Ver­kehrs­we­sens: „Es war die direk­teste Ver­bin­dung von Paris und Milano nach Ber­lin.“ Bereits im ers­ten Betriebs­jahr 1869 konn­ten auf diese Weise 12 220 Güter­wa­gen, 6 432 Per­so­nen, 476 Pferde und 41 374 Vieh über den See trans­por­tiert wer­den; im Jahr 1871 waren es bereits 21 620 Güter­wa­gen. Die Eröff­nung der Gott­hard­bahn 1882 ermög­lichte noch­mals einen Auf­schwung des Tra­jekt­ver­kehrs auf dem Boden­see. Tin­ner: „Im Jahr 1883 wur­den über 48 000 Güter­wa­gen tra­jek­tiert, täg­lich gegen 150. In den 1920-er gab es die ers­ten Motor­k­ähne mit einer 10 Güter­wa­gen-Kapa­zi­tät. Ab 1929 brauchte es die ‚Schus­sen’, die erst­mals poly­va­lent auch Autos beförderte.“

Die wirt­schaft­li­che Bedeu­tung des Tra­jekt­ver­kehrs war also enorm. Der ganze Hafen Romans­horn war die­sem Ver­kehr aus­ge­rich­tet. Hans­jörg Tin­ner: “Der schwei­ze­ri­sche Haupt­ha­fen­platz am Boden­see brachte es mit sich, dass in Romans­horn viele eid­ge­nös­si­sche Insti­tu­tio­nen mit ent­spre­chend gros­sem Per­so­nal­be­stand vor Ort ver­tre­ten waren: SBB mit Hafen und Schiffs‑, resp. Tra­jekt­be­trie­ben, Lager­haus­ver­wal­tun­gen, das eidg. Pflicht­la­ger (als Folge der 1867 ein­ge­führ­ten Getrei­de­börse), das eidg. Grenz­zoll­amt, die Ober­zoll­di­rek­tion von Bern mit Sitz in Romans­horn, die PTT mit Tran­sit­post und Post­zoll­amt, die eidg. Alko­hol­ver­wal­tung mit einem Pflicht­la­ger (1945 lager­ten hier 110 000 hl hoch­pro­zen­ti­ger Sprit, für des­sen An- und Weg­trans­port dem Güter­bahn­hof Romans­horn 12 Kes­sel­wa­gen zuge­teilt wur­den) sowie unzäh­lige Spe­di­ti­ons­fir­men wie Gond­rand, Danzas und Kuoni“.

Täg­lich bis zum 12. Februar 2016 im Ein­satz: Der Motor­schiff­klas­si­ker Sän­tis kommt zu einem unge­wöhn­li­chen Grosseinsatz.

Auf den Decks der Trakt­schiffe (hier MS Schus­sen) lagen zwei Gleise par­al­lel. Beim Be- und Ent­la­den musste man abwechs­lungs­weise vor­ge­hen, um gefähr­li­che Schlag­sei­ten zu vermeiden.

Die im 19. Jahr­hun­dert gebau­ten Güter­käh­nen wur­den um 1930 motorisiert.

Auf den Tra­jekt­schif­fen wur­den in ers­ter Linie Güter­wag­gons ver­la­den, ab und zu auch Per­so­nen­wa­gen, wie die­ses Bild auf der Jung­fern­fahrt der „Ror­schach“ 1966 zeigt (heute MS Friedrichshafen).

1959 kam die Eisen­bahn­fähre „Romans­horn“ in Betrieb (heute noch als Auto­fähre im Einsatz).

In der Hoch­blüte des Tra­jekt­ver­kehrs gab es 1884 für 15 Jahre sechs Linien wie ein Faden­kreuz; dazu kam die spo­ra­di­sche Ver­bin­dung Ror­schach – Lindau.

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Hin­weise

*) Im See­mu­seum Kreuz­lin­gen wird am 31.8.2016 eine neue Aus­stel­lung eröff­net: „Geschich­ten vom See­grund. Das Dampf­schiff Jura“.

Ser­vice­block: Fahr­plan MS Sän­tis (Link) / Lese­tipp: „Eisen­bahn­tra­jekte über Rhein und Boden­see“ Beschrei­bung hier.

Quel­len

Text und Bild 1 H. Amstad,

Bil­der 3, 4 und 6 Repro aus der Aus­stel­lung „Zug um Zug“,

Bil­der 2 und 5 Samm­lung H. Amstad.

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