Carl Utiger geht in Pension: Gastschiff Yellow als Farbtupfer auf dem Zugersee
Das gelbe Schiff im Hafen Siehbach bei der Schützenmatt in Zug ist Nachbar der „Schwan“, gehört seit 1998 der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug (GGZ) und steht im ganzjährigen Einsatz, dies in unterschiedlichen Funktionen. In den Wintermonaten verpflegt die „Yellow“ Armuts- und Suchtbetroffene mit einer warmen Mahlzeit an Bord. Dieses Angebot steht analog des Radschiffes Genève in der Calivinstadt für alle offen; eine soziale Durchmischung der Mittagsgäste ist willkommen und erwünscht. Im Sommerhalbjahr wird die „Yellow“ zum Hotelschiff für Gruppen und Schulklassen umgewandelt. Der als Restaurant dienende Salon wird verkleinert und Kabinen mit Etagenbetten werden jeden Frühling eingebaut.
Der Geschäftsführer von GGZ@work und in dieser Funktion Verantwortlicher des Gastschiffes geht nun nach 26 Jahren „Yellow“-Tätigkeit in Pension. Für mich ist es der Anlass, auf die Geschichte dieses aussergewöhnlichen Projektes zurückzuschauen und die Erfolgsfaktoren zu beleuchten, wie man ein ausrangiertes Passagierschiff einer neuen Nutzung überführen kann.
MS Jura als Vorbild
Die Geschichte 1: Die Zuger sind mit ihren 1977 bestellten Schiffe Zug und Schwyz nach 20 Jahren Einsatz unzufrieden. Nach dem Bau der „Rigi“ III 1992 ist der qualitative Unterschied zu den beiden „Spar-Schiffen“ offenkundig und die Zuger Kantonalbank hat ein offenes Herz (und Portemonnaie) für SGZ, die beiden Schiffe zu ersetzen. 1997 löst die neue „Schwyz“ II die Alte ab, die zum Verkauf ausgeschrieben wird. 2003 dann kommt die neue „Zug“ II anstelle der „Zug“ I, deren Schale zuerst nach Holland kommt und heute seit 2006 als MS Palladium bei der KD auf dem Main in Frankfurt unterwegs ist.
Die Geschichte 2: Im Herbst 1996 organisiere ich zusammen mit meinem Arbeitskollegen Silvan Romer eine Schulverlegungswoche auf das Lager-Schiff Jura mit Heimathafen Erlach. Das ehemalige BSG-Kursschiff hat bereits zwei Jahre zuvor die zweite Jungfernfahrt in der neuen Funktion als Gastschiff erlebt. Dieses von Markus Petrig und seinen damaligen Studierenden (Sozialpädagogik) initiierte Projekt ist das erste dieser Art in der Schweiz. In der erwähnten Lagerwoche 1996 entsteht unter anderem eine von den Schülerinnen und Schülern verfasste Reportage, die dann als Zusammenfassung bebildert in der „Neuen Zuger Zeitung“ erscheint.
Die Geschichte 3: In der ganzen Schweiz entstehen regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV), um die in den Neunzigerjahren hohe Arbeitslosigkeit anzugehen. Ausserdem überlegen sich die Gemeinden, wie man die stark steigenden Sozialhilfequoten angehen kann. Es entsteht in Zug die Jobbörse als niederschwelliges Angebot, dessen erster Leiter 1995 Carl Utiger wird; die Jobbörse wird organisatorisch der Gemeinnützigen Gesellschaft als GGZ@work angegliedert1.
Der Chamer Projektmensch und „Konzepter“ Walter (Wädy) Wyss bringt nun alle drei Geschichten zusammen. Gemeinsam mit Heini Schmid, dem damaligen Präsidenten von Tourismus Zug und Carl Utiger, dem Leiter der Arbeitsprojekte der GGZ gründet er am 11. Juni 1997 eine Initiativgruppe mit dem Ziel, die ausrangierte Schwyz“ I einem sozialen Zweck zu überführen. Die Gruppe wird ergänzt mit der initiativen Marketingfrau der SGZ Cornelia Gisler und Richard Ochsner, dem damaligen Marketing- und Verkaufsleiter der ZVB und Mitbegründer der Schiffs-Agentur. Das griffige Konzeptpapier trägt den Titel: „Nutzung der alten ‚Schwyz‘ als Schullager-Schiff auf dem Zugersee – Ein attraktives Zuger Tourismus-Angebot für Schulen und Gruppen und sinnvolles Beschäftigungsprojekt für Erwachsene.“
Die Erfolgsfaktoren
Carl Utiger erinnert sich gut an diese Anfänge: „Wir alle waren hoch erfreut, dass wir innert 14 Tage jene 200 000 Franken durch Sponsoren zusammen hatten, die die Schifffahrtsgesellschaft Zugersee SGZ verlangt hat.“ Ernst Moos als VR-Präsident der SGZ unterstützt das Projekt ebenso wie Hugo Berchtold, der damalige Firmenleiter der ZVB/SGZ. Die SGZ hat noch weitere drei Kaufinteressenten: ein österreichischer Schiffsbetrieb, ein Luzerner Kleinunternehmer und der Baumgarten-Wirt werden vorstellig und möchten das Schiff auch. Die SGZ entscheidet sich dann für die GGZ. Berchtold: „So bleibt das Schiff auf dem See und die GGZ ist ein sympathischer Imageträger.“
Carl Utiger schreibt einen Wettbewerb aus, um das Schiff design-massig zu positionieren, auch mit dem Ziel, es von der noch verbleibenden SGZ-Flotte abzuheben. Ich frage den Wettbewerbsgewinner Roland Heimgartner, ob ihm das Beatles-Album Yellow Submarine eine Inspiration war? Seine Antwort: „Nein, überhaupt nicht. Ich sah, dass die anderen Schiffe weiss waren und suchte eine Farbe, die zum blauen Wasser des Zugersees komplementär ist, eben gelb – das Gastschiff soll komplementär zu den übrigen Schiffen sein.“ Die gelben Schiffe in Genf kann er nicht kennen, diese nehmen erst nach 2002 die gelbe Farbe als ihr Design auf2.
Nach der Suche nach einem „Projektleiter“, wie das „Mädchen für alles“ damals genannt wird, stösst Carl Utiger auf Guido Simmen. Der gelernte Koch und Musiklehrer mit Zusatzausbildungen in sozialer Arbeit kann alle Funktionen abdecken: den Gastrobereich leiten, mit den Lehrpersonen bei Lagern und Sozialmittelempfängern in der Gassenküche umgehen, das Nautische managen mitsamt der Ausbildung zum Schiffsführer. Obendrein leitet er den Umbau der „Yellow“, die nun seit dem 1. Januar 1998 der GGZ gehört. Guido Simmen: „Der ganze Umbau in ein Gastschiff erfolgte in bloss vier Monaten.“ Und das Schöne daran sei, so Simmen, „dass dieses Konzept bis heute funktioniert.“ Der Umbau kostet weitere 90 000 Franken. Am Tag der Eröffnungsfahrt vom 4. April 1998 sieht man trotz kühlem Regenwetter nur frohe Gesichter: das Zweite Leben der ehemaligen „Schwyz“ kann beginnen.
„Das Projekt hat von Anfang an funktioniert“, stellt auch der gelernte Personalberater und „Projektmensch“ Utiger rückblickend fast etwas erstaunt fest. Denn nicht von allen Arbeitsintegrations-Massnahmen kann er dies behaupten. „Kein anderes Projekt umfasst dermassen viele erfolgreiche Aspekte: MS Yellow ist ein Sozialprogramm (Gassenküche im Winter3), ein Jugendangebot (Schulschiff im Sommer4) und eine Arbeitsintegration (Gastronomie).“ Diese Vielfältigkeit ist vermutlich das Erfolgsrezept, weil damit verschiedene Ressourcen dafür sorgen, das Gastschiff Yellow finanziell über Wasser zu halten.
Schiffsteg von Weltformat
Die „Yellow“ hat im ersten Jahr am Siehbachsteg 1 unten, wo heute MS Schwan steht, ihren Heimathafen. Der Start ist nicht konfliktlos, weil sich die Bedürfnisse und Erwartungen der SGZ, die am gleichen Steg auch die neue „Schwyz“ stationiert hat, und jene der Yellow-Gäste nicht decken. Die Yellow-Benützer wollen baden, die SGZ muss mit ihrem Schiff gefahrenlos ein- und ausfahren, Nachtaktivitäten gehören zur DNA eines Klassenlagers, während die SGZ auf Sonderfahrten ihre Gäste dort ein- und aussteigen lassen. In einem Schriftenwechsel moniert die SGZ: „In letzter Zeit werden Personen angetroffen, die einen ungepflegten Eindruck hinterlassen.“ Die Parteien sind sich einig: es soll für das zweite Betriebsjahr der „Yellow“ ein neuer Steg gebaut werden.
1999 arbeitet der japanische Künstler Tadashi Kawamata auf Einladung des Kunsthauses Zug und der Stadt während längerer Zeit in Zug und gestaltet mit seinen Werken öffentliche Kunst. Sie sind bis heute Anziehungspunkt von Kunstinteressierten aus Nah und Fern, so auch der von ihm geschaffene Schiffsteg zum Schiff Yellow gleich östlich der beiden SGZ-Stege. Möglich wird dies auch durch den damaligen Bauchef des Zuger Stadtrates Eusebius Spescha, der in Personalunion gleichzeitig auch der Präsident der Betriebskommission der „Yellow“ ist. Für Carl Utiger bedeutet der Bau des Kawamata-Steges eines der Highlights im Zusammenhang seines Yellow-Engagements: „Das Militär rammte die Pfähle, die Firma Holzbau Keiser lieferte die Rohmaterialien und Arbeitslose zimmerten zusammen mit Kawamata den Steg hinaus auf den Zugersee.“
Für die nächsten fünf Jahre gesichert
Nach den Herausforderungen befragt nennt Carl Utiger drei Themen: „Die Ansprüche der verschiedenen Benutzergruppen aus dem Umfeld der Politik, Finanzen und der SGZ unter einen Hut zu bringen, war der grösste Challenge. Die Bedürfnisse der Gassenküche im Winter, vom Schulschiff im Sommer sowie Ansprüche der Nautik und der Politik waren Grund für viele konsenssuchende Gespräche. Dann ist die hohe Flexibilität der Crew zu erwähnen, die bedingt durch die Kundschaft immer notwendig war. Und als Drittes stellte der Schiffs-Unterhalt stets Herausforderungen dar, weil die GGZ mit ihren 14 Geschäftsfeldern keine Schifffahrtsgesellschaft ist, sondern ein Sozialunternehmen.“ Für Carl Utiger ist es aber wichtig zu betonen, dass sein Team an diesen Fragestellungen gewachsen sei und unterstreicht die Erfolge von 26 Jahren „Yellow“: „Die Nachfrage war stets sehr gut und wir konnten tolle Anlässe durchführen, die unvergesslich bleiben.“
Nun verlässt Carl Utiger als Geschäftsführer der GGZ@work und somit als verantwortlicher Geschäftsleiter der „Yellow“ das Schiff – aber nicht das sinkende Schiff. Er hat am Schluss noch dafür gesorgt, dass der attraktive und beliebte Treffpunkt für sämtliche Schichten der Zuger Gesellschaft finanziell für die kommenden fünf Jahre über die Runden kommt5. Der Vorstand der GGZ (eine Art Verwaltungsrat der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug) hat dem mittelfristigen Finanzplan zugestimmt, der auch nebst regulären Unterhaltsarbeiten durch die Shiptec Luzern auch ein neuer Stromgenerator für 50 000 Franken vorsieht. Sein Nachfolger Markus Fueter tut gut daran, frühzeitig den Finanzbedarf ab 2026 vorzubereiten, denn ein Selbstläufer ist die „Yellow“ nicht. Utiger aber geht mit guten Gefühlen: „Für mich ist das Gastschiff ein toller Farbtupfer in Zug.“
Carl Utiger hat während 26 Jahren das Gastschiff Yellow von Anfang an begleitet und als Leiter der GGZ@work dafür gesorgt, dass das Projekt finanziell gut über die Runden kam.
Die nachfolgende Bildserie zeigt die Entwicklung des mittlerweilen 45-jährigen Schiffes vom Bau bis zum heutigen Zustand; hier kurz vor der Fertigstellung im Frühjahr 1977.
Als die SGZ vor 1992 noch mit zwei Schiffen auskommen musste, übernahm ab und zu die privat zugemietete „Titan“ der Reederei WAR die Kursfahrten, wenn sowohl die „Schwyz“ wie die „Zug“ für Extrafahrten unterwegs waren. Hier besteigen die Fahrgäste die Kursspezialität auf dem Nachmittagskurs über die „Schwyz“, da der damalige Bahnhofsteg zu hoch war für den niedrig gebauten Grachtenboot-Einstieg. Die „Titan“ wurde in diesen Fällen durch eine SGZ-Mannschaft geführt.
Eine zeitgenössische Ansichtskarte zeigt die “Schwyz“ I in voller Fahrt vor dem Schluss Buonas.
Nach der Inbetriebnahme des Nachfolgeschiffes Schwyz (II) wird 1997 die „alte“ Schwyz gelb.
Hier ein Bild kurz nach der Inbetriebnahme der „Yellow“ 1998: ursprünglich waren die Hauptsponsoren am Schanzkleid mit ihren Logos aufgeführt, ein Bade- und Rettungsboot fehlt noch auf dem Dach und damals durften die Schulkinder noch ohne Schwimmwesten baden gehen…
So präsentiert sich die ehemalige „Schwyz“ I heute mit Spiegelbild im Zugersee, zusammen mit dem Kawamata-Steg, der im kommenden Winter total erneuert werden soll.
Bilder im Textteil: MS Schwyz kurz nach der Taufe im Ursprungszustand oben und wie es sich heute präsentiert unter dem Namen Yellow (mitte) / Nicht die Beatles mit ihrem Album Yellow Submarine standen Pate für den Grafiker Roland Heimgartner bei der Idee, das weisse in ein gelbes Schiff zu verwandeln, sondern die Komplementärfarbe des blauen Sees.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Heute beschäftigt GGZ@work 50 Mitarbeitende. Im Jahr 2020 wurden 135 Personen in den ersten Arbeitsmarkt integriert.
Nebst der erwähnten Jobbörse gehören zur GZZ noch 14 andere Sozialunternehmen wie z.B. die Höhenklinik Adelheid mit einem Rehabilitationsspital, die Sonderschule Horbach, die Freizeitanlage Loreto, die Suchttherapiestelle Sennhütte und das Restaurant Podium 41. Die GGZ ist ein KMU im Sozialbereich mit einem Jahresumsatz von rund 56 Millionen Franken, 60 Millionen Reservekapital und zählt mit den rund 430 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den 100 grössten Arbeitgeber der Zentralschweiz.
2) Der MG-Kenner Roland Kallmann zur Einführung der gelben Farbe bei den Schiffen der Mouettes Genevoises (MG): „Das Umbemalen von weiss auf gelb fand zwischen 2002 und 2004 statt. Die beiden photovoltaisch angetriebenen Schiffe MG 6 („Helios“) und 12 („Solaris“) hatten seit Beginn 2003 gelbe Schalen und Aufbauten. Die Umstellung war im Zusammenhang des 2004 neuen Ganzjahresbetrieb erfolgt.“
3) Ganzjährig zählte die Mittagsbeiz im Jahr 2019 total 6 010 Gäste, was einem Tagesdurchschnitt von 16 Personen gleichkommt. Im Sommer befindet sich die Mittagsbeiz für suchtmittelabhängige, armutsbetroffene und randständige Menschen im Podium 41 an Land.
4) Die „Yellow“ ist jährlich bis zu 20 Wochen mit Klassen- und Ferienlager belegt mit zwischen 1 500 und 1900 Belegungsnächten, durchschnittlich 70 Fahrten mit rund 150 bis 180 Fahrstunden. Ein Aufenthalt von Montag bis Freitag kostet CHF 2 080, die Fahrstunde zusätzlich CHF 160. Zwei Vollzeitstellen (auf drei Personen verteilt) halten den Jahresbetrieb aufrecht (im Sommer plus 1 Praktikumsstelle zu 100 %), dazu kommen bis zu vier Arbeitsplätze für erwerbslose Sozialhilfeempfänger mit dem Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt.
5) Finanziert wird die „Yellow“ durch den Stellenverkauf Arbeitsintegration, die Subventionsvereinbarung für die Mittagsbeiz mit dem Kanton Zug (finanziert über die Gemeinden), durch selbsterwirtschaftete Erträge sowie Sponsoren und Spenden über die GGZ.
Weiter im Text
Operative Leiter und Kapitäne der „Yellow“ waren: 1998 bis 2003 Guido Simmen, 2003 bis Ende März 2005 Mick Baumgartner (ab 2000 Stv-Projektleiter), 2005 bis Ende März 2021 Martin Keller, seither Andy Bahnemann.
Heinz Amstad. „Ein schwimmendes Lager“ – Zwei ausrangierte Passagierschiffe sind als Hotelschiffe unterwegs“ in Dampferzeitung 3/1998 (gedruckt,regulär 2/1998)
Impressum
Text H. Amstad
Bilder 2 und im Textteil 1 Sammlung H. Amstad (Fotos A. Räber), Textteil 3 Google (öffentlich), übrige Bilder H. Amstad
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