Das Dampf­schiff-Denk­mal Wil­helm Tell: 50 Jahre schwim­men­des Restau­rant in Luzern

DS Wil­helm Tell ist ein sym­bol­träch­ti­ges Schiff: Es erin­nert an den Start der Volks­be­we­gung „Ret­tet die Vier­wald­stätter­see-Rad­damp­fer“ von 1970 nach der über­ra­schen­den Aus­ser­dienst­stel­lung des Damp­fers. Die dama­lige regio­nale Zei­tung LNN (Luzer­ner Neuste Nach­rich­ten) brachte innert eines Mona­tes 15 146 Pro­test-Unter­schrif­ten zusam­men, die am 18. Okto­ber, am letz­ten Damp­fer­tag der Sai­son, der SGV über­reicht wur­den1. Auch ich wei­belte im Freun­des- und Bekann­ten­kreis und war in ers­ter Linie begeis­tert, dass end­lich auch die Schiff­fahrt in den Fokus des öffent­li­chen Inter­es­ses gelangte. Die dama­lige SGV-Füh­rung unter ihrem Direk­tor Emil Scha­cher nahm zwar das Unter­schrif­ten­pa­ket ent­ge­gen, war sich aber ihrer eige­nen Argu­men­ta­tion sicher und ver­wei­gerte für län­gere Zeit einen ernst­haf­ten Dia­log2. Gleich­zei­tig leg­ten sie einen wei­te­ren Neu­bau, die „MS 44“, auf Kiel, die wie die „Gott­hard“ (der Ersatz für DS Tell) 1 200 Per­so­nen auf­neh­men soll… Das Signal war klar: Ein wei­te­rer Rad­damp­fer wird daran glau­ben müssen.

Ursprüng­lich ging es der Dampfer­ret­tungs-Bewe­gung darum, expli­zit alle sechs Rad­damp­fer zu erhal­ten. Im April 1971 wurde unter dem Prä­si­den­ten Dr. Her­mann Hel­ler zu die­sem Zweck ein breit abge­stütz­tes Akti­ons­ko­mi­tee gegrün­det3. Anfäng­lich ver­suchte man es mit poli­ti­schen Mit­teln in Form von Motio­nen und Inter­pel­la­tio­nen4. Diese kamen aber für die «Wil­helm Tell» zu spät, denn Ende 1971 hiess es, die­ser Rad­damp­fer werde ein schwim­men­des Restau­rant am Schwei­zer­hof­quai in Luzern. Um die­sen Miss­erfolg etwas abzu­schwä­chen, schrieb die LNN in ihrem Lead: „Beim Umbau sol­len am Schiff sel­ber nur die not­wen­digs­ten Ver­än­de­run­gen vor­ge­nom­men wer­den. Damit wird DS Wil­helm Tell gleich­zei­tig zum Dampf­schiff-Restau­rant und Dampf­schiff-Denk­mal“. Käu­fer war der ehe­ma­lige SGV-Ange­stellte Edu­ard Räber (*1935 – 2014), der bis anhin das Restau­rant Regatta am Rot­see betrieb.

Umso kla­rer war es dann für Her­mann Hel­ler, sich mit „Kopf und Kra­gen“ für den Erhalt des nächs­ten „Todes­kan­di­da­ten“ ein­zu­set­zen. So wurde die „Unter­wal­den“ zum “Kampf­ob­jekt“ der Damp­fer­freunde, denn auch die­ser Rad­damp­fer wurde zwei Jahre spä­ter aus­ran­giert und das MS 44 auf den Namen „Unter­wal­den“ getauft. Die „Wil­helm Tell“ muss­ten die 1972 gegrün­de­ten Damp­fer­freunde also „auf­ge­ge­ben“, doch für den „Rost­hau­fen“ (Zitat Anton Räber, Schiff­fahrts­ken­ner und CVP-Par­tei­gän­ger) Unter­wal­den setzte der dama­lige libe­rale Lokal­po­li­ti­ker Herr­mann Hel­ler alles in die poli­ti­sche, finan­zi­elle und emo­tio­nale Schale. Zwi­schen­zeit­lich sah es 1976 aber schlecht aus: Damp­fer­freunde und SGV einig­ten sich auf den Erhalt von vier Rad­damp­fern. Anhal­tende Pro­teste ermun­ter­ten aber Herr­mann Hel­ler, ein Jahr spä­ter mit einem Husa­ren­stück die Aus­gangs­lage kom­plett zu keh­ren: Eine anste­hende SGV-Akti­en­er­hö­hung zur Finan­zie­rung des Werft­neu­baues wurde mit der Mög­lich­keit gekop­pelt, diese Finanz­be­schaf­fung finan­zi­ell zu über­zie­hen5. Diese Tak­tik wurde von der CVP-domi­nier­ten SGV-Füh­rung6 unter­schätzt. Dem libe­ra­len (heute FDP-) Poli­ti­ker Hel­ler ging es dabei aber nicht nur um die schö­nen Rad­damp­fer, son­dern auch darum, die CVP-Domi­nanz des Unter­neh­mens SGV mit­tel­fris­tig zu stürmen.

Zurück in die Anfän­ger­zeit der Damp­fer­be­we­gung: Als Chef­re­dak­tor des Luzer­ner Tag­blat­tes hatte Hel­ler auch aus­ge­zeich­nete Bezie­hun­gen zu den natio­na­len Medien und setzte nun für das Errei­chen sei­ner Ziele auf die mediale Macht. Am 5. Sep­tem­ber 1972 wird „sein“ Ver­ein der Damp­fer­freunde gegrün­det und bereits wenige Wochen spä­ter ver­zeich­nete er einen wei­te­ren media­len Höhe­punkt: Die beliebte Sams­tag-Abend-Sen­dung des Schwei­zer Fern­se­hen «Grüezi Mit­enand» mit Ros­ma­rie Pfluger und Kurt Felix wurde zum „Stras­sen­fe­ger“ und tags dar­auf am 1. Okto­ber wur­den die Vier­wald­stätter­see-Damp­fer trotz dich­tem Nebel und küh­len Tem­pe­ra­tu­ren rich­tig­ge­hend gestürmt. Spe­zi­ell die „Schil­ler“ war drei Mal mit «der Ladung» (von damals noch 1000 Per­so­nen) ab Küss­nacht losgefahren.

  1. Mai 1972: Eröff­nung des Denk­mal­dampf­schif­fes Wil­helm Tell

Luzern wähnte sich trotz der „bit­te­ren Kröte“, dass nun die «Tell» ohne Kes­sel und mit 40 Ton­nen Beton im Bauch nicht mehr zum Fah­ren kam, in Fest­laune, als der damals erst 64-jäh­rige Rad­damp­fer sich nach 13 800 Umbau-Arbeits­stun­den in ein schwim­men­des Restau­rant ver­wan­delt hatte und am 12. Mai 1972 ein­ge­weiht wurde. Der feder­füh­rende Archi­tekt Hans Buss­mann sagte gegen­über den Medien: „Im Wil­helm Tell haben 500 Gäste Platz, unter­teilt in vier Restau­rants, dar­un­ter eine Dis­ko­thek mit 80 Plät­zen und dem Belle-Épo­que-Salon mit 90 Sitz­plät­zen.“ Und der Inha­ber Edu­ard Räber erwähnt am Eröff­nungs­tag, in Kapi­täns­uni­form geklei­det, nicht ohne Stolz eine damals (noch) nicht selbst­ver­ständ­li­che Errun­gen­schaft: „Sämt­li­che Abwas­ser wer­den direkt dem ARA-Sam­mel­ka­nal zuge­führt.“ Die LNN titelt: „Wil­helm Tell dampft nur noch in der Küche“. Das „Vater­land“ meint unter dem Titel „Luzern hat sei­nen Kote­lett-Damp­fer“, die Spei­se­karte falle „abson­der­li­cher Weise nicht aus dem Rah­men übli­cher Luzer­ner Restau­rants“. Der Kor­re­spon­dent «go» lobt aber, dass „das Hoch­dor­fer Bier nicht teu­rer ist als anderswo“ und dass der Kaf­fee „nicht nach Salz­was­ser schmeckt“. Ob er wusste, dass der Vier­wald­stätter­see ein Süss­was­ser-Gewäs­ser ist?

In den ver­gan­ge­nen 50 Jah­ren hat sich das schwim­mende Restau­rant ste­tig ver­än­dert. Die Dis­ko­thek ist heute ein Fon­due-Stübli, das herr­li­che Vor­deck-Son­nen­deck mit Zeltb­la­chen völ­lig ein­ge­haust und das Schiff wirkt mit den Wer­be­ban­nern (die auf der kürz­lich statt­ge­fun­de­nen Werft-Über­fahrt alle weg waren) etwas ver­un­stal­tet. Dabei hat alles viel ver­spre­chend ange­fan­gen: Im Kauf­ver­trag der SGV an Edu­ard Räber steht die Ver­pflich­tung, dass das Schiff äus­ser­lich mit Aus­nahme einer «gut gestal­te­ten Ober­deck-Ver­gla­sung unver­än­dert» und die Maschine in ihren sicht­ba­ren Tei­len erhal­ten blei­ben soll7 . Der Archi­tekt Hans Buss­mann schrieb in einer Public-Repor­tage anläss­lich des Damp­fer­ta­ges vom 1. Okto­ber 1972: «Herr Räber hofft, mit­tels eines spe­zi­el­len Antrie­bes die Maschine mit ihren Schau­feln und Kol­ben wie­der in Betrieb set­zen zu kön­nen. Das Lau­fen der Maschine in der natür­li­chen alten Funk­tion ist sicher eine Attraktion.»

Ziel: Wie­der eine Augenweide

Wer ist 50 Jahre spä­ter zustän­dig für die denk­mal­pfle­ge­ri­schen Anlie­gen von DS Wil­helm Tell? Wie könn­ten «emo­tio­nal-wir­kende» Inter­ven­tio­nen finan­ziert wer­den? Ich fragte zuerst den Inha­ber des Schif­fes, Edu­ard Räber (jun.). Er ant­wor­tet: «Mit den uns zu Ver­fü­gung ste­hen­den finan­zi­el­len Mit­teln, die ein­zig aus der Gas­tro­no­mie stam­men, sind wir bestrebt, das Schiff so gut wie mög­lich im Schuss zu hal­ten. Wir haben das ganze Jahr eine Voll­zeit­kraft ange­stellt, die nur für den Unter­halt zustän­dig ist.» Er wäre offen für opti­sche Ver­bes­se­run­gen, die extern finan­ziert wür­den. Die Denk­mal­pflege des Kan­tons Luzern sieht sich indes nicht in der Pflicht. Die Denk­mal­pfle­ge­rin Cony Grü­nen­fel­der schreibt dazu: «Auf­grund ihrer beschränk­ten finan­zi­el­len und per­so­nel­len Res­sour­cen ist die kan­to­nale Denk­mal­pflege gefor­dert, Prio­ri­tä­ten zu set­zen. Sie kon­zen­triert sich bei ihrem Enga­ge­ment auf die noch fahr­tüch­tige Dampf­schiff-Flotte der SGV. Die fünf Dampf­schiffe Uri, Unter­wal­den, Schil­ler, Gal­lia und Stadt Luzern sind als Kul­tur­denk­mal von natio­na­ler Bedeu­tung ein­ge­stuft. Das ehe­ma­lige DS Wil­helm Tell hin­ge­gen ist nicht auf­ge­führt, da der Denk­mal­wert (durch die Umbau­ten, Anm. HA) stark redu­ziert ist. Diese Tat­sa­che recht­fer­tigt die Prio­ri­tä­ten­set­zung der kan­to­na­len Denk­mal­pflege auf die fünf noch fahr­tüch­ti­gen Dampfschiffe.»

Ein Blick ins Schwei­ze­ri­sche Kul­tur­gü­ter­schutz­in­ven­tar des Bun­des­amts für Bevöl­ke­rungs­schutz zeigt aller­dings ein ande­res Bild. Dort ist DS Wihelm Tell als B‑Objekt (B = regio­nale Bedeu­tung) auf­ge­führt7 und somit vor­ran­gig einen Schutz­sta­tus besitzt. Müsste nicht auch die Stadt­bau­kom­mis­sion Luzern ein Inter­esse haben, dass an die­ser pro­mi­nen­tes­ten Lage der Stadt auch die äus­ser­li­che Erschei­nung sich har­mo­nisch ins Stadt­bild opti­mal ein­passt? Roman Brun­ner, Team­lei­ter der Denk­mal­pflege und des Kul­tur­gü­ter­schut­zes der Stadt Luzern drückt sich diplo­ma­tisch aus: eine Ver­bes­se­rung des Stadt­bil­des sei nicht nur eine Frage äus­ser­li­cher Ele­mente son­dern der Lage des Schif­fes grundsätzlich.

2023 wie­der auf Fahrt

Am 11. März 2023 erreichte die «Wil­helm Tell» nach ihrem 32-tägi­gen Werft­auf­ent­halt auf dem Schwimm­dock der Shiptec wie­der ihren seit 50 Jah­ren ange­stamm­ten Platz. Aus­ge­rech­net jenes Schiff, das den Rad­damp­fer 1970 aus dem Ver­kehr ver­drängte, ermög­lichte der fahr­un­fä­hi­gen «Tell» die See­über­que­rung – ob dabei das MS Gott­hard allen­falls Schuld­ge­fühle habe, fragte sich beim Betrach­ten des Gesche­hens ein damp­fer­freund­li­cher Zuschauer… Auf der Hin­fahrt nahm MS Wald­stät­ter den Rad­damp­fer an seine «Brust» und manö­vrierte wäh­rend rund ein­ein­halb Stun­den auch diese Fahrt ohne Zwi­schen­fälle. Auch Benj Schacht, heu­ti­ger Betriebs­lei­ter der Schiff­fahrt auf den Zuger Seen, war früh­mor­gens unter den Zuschau­ern und erin­nert sich gut an das letzte sol­che Manö­ver vor 14 Jah­ren, weil er damals als ver­ant­wort­li­cher SGV-Schiffs­füh­rer das Manö­ver leitete.

Dies war die fünfte Revi­sion seit 1972. Schiffs­in­ha­ber Edu­ard Räber zur Schiffs-Agen­tur: «Am Rumpf wer­den im Unter­was­ser-Bereich an gewis­sen Stel­len Ble­che ersetzt, aus­ge­wech­selt und anschlies­send wie­der gestri­chen. Im Innen­be­reich wird nur hin­ter den Kulis­sen reno­viert. Aus­sen gibt es keine sicht­ba­ren Ver­än­de­run­gen.» Wie sieht die Zukunft aus? Die nächste Räber-Gene­ra­tion sei bereits in den „Start-Löchern“, zeigt sich Räber opti­mis­tisch: «Die ältere Toch­ter macht nun eine Aus­bil­dung in der Gas­tro­no­mie.» Etwas Sor­gen macht Edu­ard Räber hin­ge­gen der Bau des Durch­gang­bahn­ho­fes Luzern, wobei das Schiff ver­setzt wer­den müsste. Stand heute wird die Zufahrt zum neuen Bahn­hof im Tag­bau9 erstellt und direkt unter dem Stand­ort des DS Wil­helm Tell (und der SGV-Brü­cke 3 am 350 m gegen­über­lie­gen­den Ufer) zu lie­gen kom­men. Der geplante Bau­start ist frü­hes­tens für das Jahr 2031 vor­ge­se­hen. Räber: «Ein mög­li­cher Ersatz­stand­ort ist die Lan­dungs­steg 10 vor dem Pavil­lon am Natio­nal­quai; die­ser Steg gehört der Stadt.».

Die „Wil­helm Tell“ ist am Vor­abend des Trans­fers bereit für die Über­fahrt ans andere Ufer. So ohne Rekla­me­bän­der und ‑schrif­ten sieht das Schiff hübsch aus; man stelle sich noch die dunk­len Mas­ten in Ori­gi­nal­grösse vor…

Aus eige­ner (Dampf-) Kraft war die „Tell“ bis zum 4. Okto­ber 1970 unterwegs.

Nach dem Umbau in ein Restau­rant ver­lor das Schiff den Dampf­kes­sel; Maschine, Schau­fel­rä­der und dampf­schiff­ty­pi­sche Acces­soires blie­ben erhalten.

Am 8. Februar 2023 schiebt die „Wald­stät­ter“ die „Wil­helm Tell“ von ihrem ange­stamm­ten Platz am Schwei­zer­hof­quai zur Shiptec-Werft der SGV.

Eine güns­tige Foto­gra­fier-Posi­tion ermög­licht eine spe­zi­elle Sicht auf den 6. Rad­damp­fer und erweckt so den Ein­druck, dass die­ser selb­stän­dig über den Vier­wald­stätter­see fahre…

Idyl­lisch glei­tet der Damp­fer im Tan­dem über das Luzer­ner Seebecken.

Für einige Wochen auf dem Schwimm­dock im Tro­cke­nen: Scha­len­kon­trolle, Unter­was­ser­re­vi­sion und behörd­li­che Abnah­men ermög­li­chen im Anschluss wie­der rund 10 Jahre Schwimm­fä­hig­keit des belieb­ten Seerestaurants.

Am 11. März 2023 heisst es für den ex-Damp­fer Wil­helm Tell: «Zurück zum Stand­platz», beglei­tet durch MS Gotthard.

Bil­der im Text­teil: 1. Klass-Salon vom Damp­fer Wil­helm Tell in heu­ti­ger Aus­füh­rung / Die ehe­ma­lige düs­tere Kajüte prä­sen­tiert sich heute als ein­la­den­des Fonduestübli.

Zwei ele­gante Schiffe am 8. Februar 2023 im Luzer­ner See­be­cken unter­wegs, ein­mal backbord‑, ein­mal steu­er­bord­seits betrachtet.

6 Kamine hat das Bild: für kurze Zeit lebt die ursprüng­li­che Absicht der Damp­fer­freunde aus der Grün­der­zeit wie­der auf…

Win­ter­dampf auf dem Vier­wald­stätter­see: Schnee­ge­stö­ber beim Wech­sel vom lin­ken zum rech­ten Ufer des Luzer­ner Seebeckens

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

1) Bereits einen Tag spä­ter ver­mel­dete die LNN den neuen Stand der Unter­schrif­ten: 18 250. Am 24. Okto­ber kam die zwan­zig­tau­sendste Unter­schrift, sie kam aus Hol­land. Bis zum Früh­ling 1971 waren es dann 25 000, danach wurde auf­ge­hört zu zäh­len. Die Presse berich­tete welt­weit über diese Aktion.

2) Im Geschäfts­be­richt der SGV von 1969 ist unter dem Titel „Die Zukunft gehört dem Motor­schiff“ zu lesen, dass bis in 15 Jah­ren fünf wei­tere Motor­schiffe von der Grösse der „Gott­hard“ (Ersatz­schiff für die „Wil­helm Tell“) gebaut wer­den und „die bei­den Vete­ra­nen Gal­lia und Stadt Luzern sol­len als Zeit­zeuge ver­gan­ge­ner Dampf­schif­fro­man­tik auch künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen erhal­ten blei­ben.“ Der Geschäfts­be­richt macht auch einen Blick in die Zukunft, ins Jahr 2000 oder gar 2020: „Wer­den Trag­flü­gel- oder Luft­kis­sen­boote dazu gehö­ren? Oder atom­ge­trie­bene Schiffe?“

3) Als dann 1976 das MS 44 mit dem Namen Unter­wal­den getauft wurde, gab es in der Tak­tik der Dampf­rer­freunde einen Dämp­fer: Der Name wurde in gegen­sei­ti­ger Abspra­che zwi­schen dem Ver­wal­tungs­rat der SGV (Alphons Egli) und der Damp­fer­freunde (Herr­mann Hel­ler) fest­ge­legt, wie ein Zei­tungs­be­richt vom 23. April 1976 offen­legte. Eine zwi­schen­zeit­lich gel­tende Abma­chung zwi­schen den Par­teien war nun, dass die SGV vier (statt zwei) Damp­fer behält und die Damp­fer­freunde im Gegen­zug auf das Dampf­schiff Unter­wal­den ver­zich­ten. Es kam dann anders, wie die Geschichte zeigt.

4) An einer aus­ser­or­dent­li­chen Ses­sion des Luzer­ner Gros­sen Rates stand am 6.6.1971 die Inter­pel­la­tion von Alfred R. Becker (LdU) zu Fra­gen der Damp­fe­rer­hal­tung zur Behand­lung. Dabei sagte er: „Der tou­ris­ti­sche Stel­len­wert der Rad­damp­fer muss bes­ser akti­viert wer­den. Dies stellt natür­lich gewisse Anfor­de­run­gen an die Fan­ta­sie der SGV-Mana­ger und ihrer pro­pa­gan­dis­ti­schen Bera­ter.“ SGV-Direk­tor E. Scha­cher (Volks­par­tei, spä­ter CVP und heute „Die Mitte“ genannt) kon­terte: „Eine Attrak­tion ist umso grös­ser, je sel­te­ner das Objekt ist.“ Wor­auf Migros-Direk­tor Rudolf Weber (LdU) meinte: „Über­ge­ben Sie uns den Laden für ein Pro­be­jahr und gehen Sie in der Zwi­schen­zeit an den Mis­sis­sippi, dort weiss man, was die Damp­fer wert sind.“

Auch die städ­ti­sche Poli­tik beschäf­tigte sich am 21.2.1972 mit der Damp­fe­rer­hal­tungs­frage, wozu die bei­den Sozi­al­de­mo­kra­ten Julius Schmid und Franz Lötscher eine ent­spre­chende Motion ein­reich­ten. Obwohl der dama­lige Stadt­prä­si­dent HRM (Hans Rudolf Meyer) wie Her­mann Hel­ler der libe­ra­len Par­tei ange­hörte, schlug sein Herz für die (CVP-nahe) SGV: „Es ist unbe­streit­bar, dass die Betriebs­kos­ten eines Damp­fers rund dop­pelt so hoch zu ste­hen kom­men wie die­je­ni­gen der Motor­schiffe. Schliess­lich haben sich die SGV bereit erklärt, jedes aus­ran­gierte Dampf­schiff als Restau­rant in die See­ge­mein­den zu ver­äus­sern.“ Mit dem war R. Kopp (inter­es­san­ter­weise von der Volks­par­tei) nicht ein­ver­stan­den: „Wir wer­den in zehn Jah­ren wis­sen, wie wert­voll diese Rad­damp­fer sind.“ Hel­ler ver­stand die Welt nicht mehr und es zeigte sich ein­mal mehr, dass er und HRM Riva­len in der eige­nen Par­tei waren.

5) Der legen­däre Akti­en­damp­fer Schil­ler legte am Sams­tag, 6. Juni 1977 in Flüelen los und sam­melte von Gemeinde zu Gemeinde die gezeich­ne­ten Aktien ein, beglei­tet durch eine media­les Gross­auf­ge­bot, das unter ande­rem darin bestand, dass das dama­lige 1. Pro­gramm des Schwei­zer Radios wäh­rend Stun­den live berich­tete. Als der Damp­fer Schil­ler in Luzern anlegte, waren die Aktien der­mas­sen über­zeich­net, dass die Damp­fer­freunde die Akti­en­mehr­heit beka­men. Ein Schock für die dama­lige SGV-Crew. Bald dar­auf gab die SGV-Füh­rung den Kampf auf und aner­kannte die neuen Machtverhältnisse.

6) Mir haben alt­ge­diente SGV-Ange­stellte in den Sieb­zi­ger­jah­ren erzählt, dass, wer Vier­wald­stätter­see-Kapi­tän wer­den wollte, demons­tra­tiv sonn­täg­li­che Got­tes­dienste in jener Stadt Luzer­ner Kir­che zu besu­chen hat­ten, in der auch der Direk­tor ein- und ausging.

9) Es ist vor­ge­se­hen, die See­que­rung mit­tels Senk­brun­nen­ver­fah­ren (Cais­son) zu rea­li­sie­ren. Dabei wer­den die Tun­nel­ele­mente in Etap­pen inner­halb von Fan­ge­däm­men auf dem tro­cken­ge­leg­ten See­grund erstellt, abge­senkt, nach­träg­lich mit­ein­an­der ver­bun­den und anschlies­send mit einer Innen­schale ver­klei­det. Zwi­schen den Tun­nel­ele­men­ten und der Ver­klei­dung wird eine Abdich­tung ver­legt. Die See­que­rung kommt auf vor­gän­gig erstellte Pfähle zu liegen.

Quel­len

7) J. Meister/​J. Gwer­der, Die Geschichte der Schiff­fahrt auf dem Vier­wald­stätter­see, 2022, S. 333

8) Inven­tar 2021: Link

Wei­ter im Text

Ein paar Zitate aus den Tages­zei­tun­gen von damals: „Tell, mit der ruhigs­ten Maschine des gan­zen Sees, soll ster­ben, wäh­rend die ‘Tit­lis’ und ‘Wald­stät­ter’ den Fahr­gäs­ten Kopf­weh machen?“, Leser­brief von K. St. aus Luzern vom 9.10.1970. „Für die Damp­fer­freunde ist das Dampf­schiff ein Wun­der, das man nicht dem Kugel­schrei­ber des Buch­hal­ters opfern darf.“ h.f vom Bade­ner Tag­blatt vom 18.10.1970

Ein paar Wirte möch­ten das Schiff (gemeint die „Tell“, HA), frei­lich mit her­aus­ge­schweiss­tem Kes­sel und somit kas­triert, am Luzer­ner See­ufer anbin­den und als Restau­rant benüt­zen“ A.R. Wepf im Luzer­ner Tag­blatt vom 30.4.1971

Falls eines Tages doch auch die letz­ten Dampf­schiffe nicht mehr fah­ren soll­ten, bliebe wenigs­tens die ‚Wil­helm Tell‘ als Denk­mal jener Damp­fer­epo­che übrig!“ B. in der LNN vom 23.12.1971

Muss man da noch fra­gen, wieso das Volk sich zu den stim­mungs­vol­len Rad­damp­fern hin­ge­zo­gen fühlt, wenn das Pan­zer­boot Wald­stät­ter ver­schämt neben der stol­zen „Stadt Luzern“ steht?“ Wer­ner P. Wyler LNN vom 2.10.1972

Impres­sum

Text H. Amstad

Bil­der: 1 Ema­nuel Ammon/​AURA, 2 Samm­lung H. Amstad, 3 S. Cat­ta­neo, 4 und 6 M. Fröh­lich, 5 und 7 H. Amstad, 8 H. Eichenberger

Bil­der im Text­teil: 1 und 2 E. Räber, 3 H. Amstad, 4 Y. Schei­wil­ler, 5 H. Eichenberger

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