Der alter­na­tive Boden­see-Flot­tens­tern – Radolfs­zell fei­ert 750 Jahre Stadt­recht und 150 Jahre Dampfschifffahrt.

Der Boden­see teilt sich im Wes­ten auf der Höhe von Meers­burg in ver­schie­dene Arme. Der Über­lin­ger­see im Nor­den führt bis Bod­man. Der See­teil im Süden heisst Unter­see. Die­ser wird bei Kon­stanz durch den See­rhein mit dem Ober­see ver­bun­den. Der Unter­see hat wie­derum vier Teile: der Gna­densee, der Mar­kel­fin­ger Win­kel, der Zel­ler­see und der Rhein­see (siehe Karte Bild 7). Die Insel Rei­chenau, die Halb­in­sel Mett­nau und der Land­sporn Höri bil­den mar­kante Land­schafts­ele­mente. Im Nor­den des Unter­sees liegt die baden-würt­em­ber­gi­sche Stadt Radolf­zell, im Som­mer mit 6 BSB-Schiffs­kur­sen bis Rei­chenau bedient – mit Anschlüs­sen zu den schwei­ze­ri­schen URh-Schif­fen Rich­tung Konstanz/​Kreuzlingen sowie Stein am Rhein/​Schaffhausen. Die Geo­gra­fie ist in die­ser Boden­see­ge­gend nicht ganz ein­fach. Das Glei­che gilt für die Geschichte der Schiff­fahrt in die­ser Ecke des Boden­sees. Ihre voll­stän­dige Schil­de­rung sprengt den Rah­men des (B)Logbuches – einige his­to­ri­sche Remi­nis­zen­zen müs­sen genü­gen. Sie stam­men aus der „Feder“ von Karl F. Fritz, dem ver­sier­ten Nau­tik­his­to­ri­ker vom Boden­see. Zuvor aber zum Gesche­hen der 1. Radolf­zel­ler Stern­fahrt in der Geschichte der Bodenseeschifffahrt.

Radolf­zell ist mit 30 000 Ein­woh­ner die dritt­grösste Stadt am Boden­see und fei­ert heute 750 Jahre Bestehen und zugleich 150 Jahre Dampf­schiff­fahrt. Dazu tref­fen sich im gröss­ten Schiff­wet­ter die kürz­lich neu getaufte „Stadt Radolf­zell“ III (ex-„Königin Katha­rina“) der BSB mit Gäs­ten aus der Jubi­la­ren­stadt, die „Alet“ der Schiff­fahrt Bau­mann mit Pas­sa­gie­ren aus Allens­bach, die „See­stern“ von der Schiff­fahrt Lang mit Fahr­gäs­ten aus Gai­en­ho­fen und „unsere“ MS Are­nen­berg von der URh, das von Kreuz­lin­gen und ande­ren Ufer­sta­tio­nen aus gegen acht Uhr abends zur For­ma­tion zustösst. Was die „Gros­sen“ vor einer Woche vor der Insel Mainau prä­sen­tiert haben, soll auch den Klei­nen (oder sagen wir mal „Klei­ne­ren“) nicht ver­gönnt sein: eine Stern­bil­dung mit anschlies­sen­dem Hand­schlag über die Buge und dem Aus­tausch von Wein­fla­schen. Etwas nach neun erhellt der Radolf­zel­ler Him­mel im Feu­er­werks­licht, bevor dann die Rück­fahrt wie­der ange­tre­ten wird.

Nun zum 150-Jah­res­rück­blick, der viel auch mit der Schwei­zer Schiff­fahrt zu tun hat: Dass die Schaff­hau­ser und Romans­hor­ner in die­sen See­teil gekom­men sind, ist plau­si­bel. Aber was hat der Grei­fen- und Mur­ten­see mit Radolf­zell zu tun? Karl F. Fritz hat für uns recher­chiert: „Im Jahre 1850 war in Schaff­hau­sen eine erste schwei­ze­ri­sche Dampf­boot-Gesell­schaft gegrün­det wor­den, die ab 1851 mit dem Damp­fer Stadt Schaff­hau­sen einen regel­mäs­si­gen Lini­en­dienst auf­nahm, der bis in den Ober­see aus­ge­dehnt wurde. Das junge Unter­neh­men star­tete viel­ver­spre­chend, sodass bis 1855 drei wei­tere Schiffe ange­schafft wer­den konn­ten. Als nach Eröff­nung der Eisen­bahn­stre­cke von Walds­hut nach Kon­stanz 1856 die Schwei­ze­ri­sche Nord­ost­bahn­ge­sell­schaft ihren letz­ten Damp­fer aus dem Unter­see abzog und nach Romans­horn ver­legte, bot der lieb­lichste See­teil des Boden­sees den Anblick einer ver­wais­ten Wasserfläche…“

Ein Fusi­ons­ver­trag zwi­schen der Schaff­hau­ser Gesell­schaft und der Schwei­ze­ri­schen Nord­ost­bahn im Jahr 1857 bringt für den Unter­see keine wesent­li­che Ver­bes­se­rung. Karl F. Fritz: „Vor allem die Anwoh­ner der schwei­ze­ri­schen Unter­see-Gemein­den emp­fan­den die­sen Zustand als untrag­bar und grün­de­ten 1864 in Dies­sen­ho­fen eine neue Dampf­boot-Gesell­schaft.“ Rechts­nach­fol­ge­rin die­ses Unter­neh­mens ist die heu­tige Schiff­fahrts­ge­sell­schaft Unter­see & Rhein (URh), die 2015 also ihr 150-jäh­ri­ges Jubi­läum gefei­ert hat. Die­ses nimmt die Damp­fer Are­nen­berg und Rhein­fall und etwas spä­ter die „Schweiz“ in Betrieb. Letz­te­res ist übri­gens das erste Dampf­schiff aus den Werk­hal­len der Win­ter­thu­rer Maschi­nen­fa­brik Gebrü­der Sul­zer! Mit dem Bestand von drei Dampf­schif­fen ist es nun mög­lich, ab 1867 an Markt­ta­gen den Zel­ler­see zwi­schen der Insel Rei­chenau, Iznang und Radolf­zell zu befah­ren. Seit 1867 also fah­ren Dampf­schiffe Radolf­zell an.

Karl F. Fritz: „Auf Wunsch der badi­schen Höri­ge­mein­den ver­legte ab 1871 die Dampf­schiff­fahrts-Inspek­tion Kon­stanz ihr damals kleins­tes Schiff, den 1864 erbau­ten Damp­fer Mainau (I), in den Unter­see. Zwei­mal am Tag befuhr die­ser eher beschei­dene Schrau­ben­damp­fer die Route von Radolf­zell über die Insel Rei­chenau nach Öhn­in­gen und zurück. Zu die­sem Zweck wur­den in Radolf­zell und in Öhn­in­gen Koh­len­de­pots ange­legt. Bei Bedarf konn­ten hier auch die Dampf­schiffe aus Schaff­hau­sen ihre Bun­ker­vor­räte ergän­zen.“ Doch für die badi­schen Staats­ei­sen­bah­nen ist die­ser „Höri-Dienst“ ein Minus­ge­schäft. Damals gibt es am Zel­ler­see noch kei­nen Frem­den­ver­kehr und die Schiffe wer­den fast aus­schliess­lich für Markt­fahr­ten und Berufs­pend­lern der auf­stre­ben­den Radolf­zel­ler Indus­trie­be­triebe genutzt, so unter ande­rem von der Beleg­schaft der Schies­ser Unter­wä­sche-Fabrik, die seit 1875 bis heute ihren Fort­be­stand hat.

Als die „Mainau“ aus dem Unter­see zurück­ge­zo­gen wird, sind wie­der die Schaff­hau­ser für den Höri-Dienst zustän­dig. Fritz: „Im Jahre 1890 lie­fer­ten die Gebrü­der Sul­zer den klei­nen Dop­pel­schrau­ben-Damp­fer Rhein, der 1891 sei­nen Dienst auf­nahm. Mit einer Länge von 24 Metern, einer Kapa­zi­tät von 90 Per­so­nen oder 5 Ton­nen Fracht­gut war er aber für den ste­tig zuneh­men­den Markt­ver­kehr bald zu klein. Er wurde des­halb 1899 auf den Mur­ten­see ver­kauft, wo er unter dem Namen ‚Morat’ noch bis 1921 ver­kehrte. Als vor­über­ge­hen­den Ersatz mie­tete die Schaff­hau­ser Gesell­schaft den schon zur Aus­mus­te­rung vor­ge­se­he­nen würt­tem­ber­gi­schen Damp­fer Wil­helm (II). Kurz­fris­tig ver­kehrte auch der badi­sche Damp­fer Fried­rich auf die­sem Seeteil.“

Nach der Jahr­hun­dert­wende wer­den die Radolf­zel­ler Stadt­vä­ter die­sem stän­di­gen Wech­sel der Schiff­fahrts-Unter­neh­men über­drüs­sig und beschlies­sen einen eigen­stän­di­gen Betrieb zu grün­den. Im Jahre 1906 wird vom Grei­fen­see das mit Ben­zin­mo­tor ange­trie­bene Schiff Nym­phe ange­kauft. Vier Jahre spä­ter erwirbt die Gesell­schaft aus Bre­genz den Schrau­ben­damp­fer Karo­line. Die­ser kleine Damp­fer ist bis­her auf der loka­len Schiff­fahrts­li­nie zwi­schen Bre­genz und Lochau ein­ge­setzt und erhält nun den Namen „Stadt Radolf­zell“. Fritz: „Wenige Monate nach dem Ende des ers­ten Welt­krie­ges sorgte die ‚Stadt Radolf­zell’ für Auf­se­hen, als das Schiff auf der Insel Rei­chenau mit 119 Zent­nern Früh­kar­tof­feln über­la­den wurde und in Höhe der Halb­in­sel Mett­nau auf eine Tiefe von 17 Metern sank. Die drei­köp­fige Besat­zung und die Fahr­gäste konn­ten von Fischer­boo­ten gebor­gen wer­den. In Radolf­zell erhitz­ten sich die Gemü­ter weni­ger wegen des gesun­ke­nen Damp­fers, als viel mehr wegen sei­ner wert­vol­len, für das städ­ti­sche Ver­sor­gungs­amt bestimm­ten Ladung in einer Zeit, wo Meis­ter Schmal­hans den Küchen­zet­tel diri­gierte. Im Okto­ber 1919 gelang es einer Zür­cher Tau­cher­firma das Schiff zu heben.“

Im Jahre 1921 wech­seln beide Schiffe aber­mals ihren Besit­zer. Die „Stadt Radolf­zell“ I und die „Nym­phe“ wer­den von der Schaff­hau­ser Gesell­schaft über­nom­men, blei­ben aber wei­ter­hin in Radolf­zell sta­tio­niert. Als ab 1924 die Deut­sche Reichs­bahn-Gesell­schaft den badi­schen Unter­see­ver­kehr über­nimmt, wer­den beide Boote bis zur Beschaf­fung eines Neu­bau-Motor­schif­fes von den Schaff­hau­sern ange­mie­tet. Als 1926 auf der Bodan­werft in Kress­bronn eine neue „Stadt Radolf­zell“ II vom Sta­pel läuft, hat der alte Damp­fer aus­ge­dient. Die­ser liegt noch zwei Jahre beschäf­ti­gungs­los in der URh-Werft in Feu­er­tha­len-Lang­wie­sen und ver­ab­schie­det sich im Mai 1928 mit einem drei­tä­gi­gen Aus­flug des Munot­ver­eins Schaff­hau­sen nach Ror­schach und sei­nem eins­ti­gen Hei­mat­ha­fen Bre­genz. Einige Wochen spä­ter wird die als „Kar­tof­fel­damp­fer“ in die Schiff­fahrts­ge­schichte ein­ge­gan­gene „Stadt Radolf­zell“ I in Kon­stanz ver­schrot­tet. Karl F. Fritz erzählt uns in einem spä­te­ren Blog-Text wei­tere Remi­nis­zen­zen über die lokale Schiff­fahrt des Unter­sees ab 1926 bis heute.

Radolf­zell fei­ert ihr 750-Jahr­ju­bi­läum auch nau­tisch: ihre Grün­dung und Bedeu­tung hat sie dem See zu verdanken.

Immer wie­der ein Erleb­nis und nur auf dem Boden­see zele­briert: der Stern.

Viel­leicht ist der Titel des Anlas­ses „1. Radolf­zel­ler Stern­fahrt“ Pro­gramm; es wäre den Orga­ni­sa­to­ren zu gön­nen, bei einer zwei­ten Auf­lage bes­se­res Wet­ter zu haben.

Frau­en­power bei den Pri­va­ten: man wünscht sich alles Gute zur neuen Saison.

Auch sie stan­den im wahrs­ten Sinne des Wor­tes im Regen: der Geschäfts­füh­rer der URh Remo Rey und als „spe­cial-guest“ Andrea Ruf, CEO der Schwei­ze­ri­schen Boden­see Schifffahrt.

Stim­mungs­vol­ler Kon­voi auf dem Zel­ler See von links nach rechts: MS Alet, MS See­stern und MS Stadt Radolfzell.

In den letz­ten Jah­ren hat die „Rei­chenau“ den BSB-Ver­kehr im Zel­ler­see besorgt, ab die­sem Jahr über­nimmt die Linie MS Stadt Radolfzell.

Gna­densee ist ein Teil des Unter­see genann­ten west­li­chen Teils des Boden­sees. Link.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Quel­len

Bild 2 St. Birchmeier,

Karte: siehe Link unter Karte,

Redak­tion und übrige Bil­der H. Amstad.

Bewer­tung abgeben 🙂

[ratings]