Der Flussreisepionier Hans Kaufmann übergibt das Familienunternehmen Thurgau Travel an die nächste Generation
Seit Beginn der Flusskreuzfahrt steigen die Beliebtheit, die Frequenzen sowie die Umsatzzahlen und damit verbunden auch die Anzahl der Schiffe. Allein in Westeuropa sind derzeit 350 Fluss-Kreuzfahrer unterwegs; in Deutschland machen zwei Millionen Menschen Urlaub auf solchen Schiffen und 2019 kamen 18 Neubauten auf den Markt*.
Um sich im „Dschungel“ der Schiffe, Reeder und Reiseanbieter etwas Übersicht zu schaffen, lohnt es sich zu fragen, ob es sich bei der Firma um den Eigner (Eigentümer der Schiffe), um den Reeder (Betreiber) oder um den Reiseanbieter (Verkäufer der Schiffsreisen) handelt. Oft sind das drei verschiedene Firmen. Dies erscheint aus der Optik des Binnenlandes Schweiz mit ihren Flotten ungewöhnlich, da bei uns in der Regel alle drei Funktionen aus einer Hand kommen. Erschwerend kommt dazu, dass durchaus auch ein Mix innerhalb der gleichen Firma möglich ist: Die gleichen Eigner treten mit einem Teil ihrer Schiffe als Betreiber und mit andern Schiffen als Reiseanbieter auf.** Zudem gibt es Dutzende von Eignern, so auch die bekannte Schweizer Reederei Scylla Tours mit 31 Schiffen, die ihre Einheiten in ganz Europa verchartert haben, aber mehrheitlich nicht selber als Reiseverkäufer aktiv sind.
Auf dem Markt, in Inseraten und Katalogen treten die Reiseveranstalter – die Schiffe gechartert haben – an potenzielle Kunden heran. Die Veranstalter sind die eigentlichen Botschafter dieser Art von Ferien und werden landläufig (und fälschlicherweise) oft als Reeder und Eigentümer wahrgenommen. Diese Reiseveranstalter sind in der Kette vom Geldanleger bis zum Genuss-Konsumenten das wichtigste Glied. Phoenix Reisen, Nicko Cruise, Feenstra, Plantours und Dutzende andere stehen im harten Wettbewerb zueinander. In der Schweiz heissen die wichtigsten Anbieter Reisebüro Mittelthurgau und Thurgau Travel; vom letzteren soll in diesem (B)Logbucheintrag hauptsächlich die Rede sein.
So fing’s an
Beide Schweizer Anbieter sind von Weinfelden aus tätig, beide haben das Wort „Thurgau“ im Firmennamen, als ob der „Mostkanton“ der Nabel der internationalen Schifffahrt wäre. Zufall? „Nein“, wie Hans Kaufmann mir zu erzählen weiss. Bei beiden Firmen kommt man nicht um den Namen Kaufmann herum. Der Ursprung beider Firmen liegt bei der Mittelthurgau-Bahn in Weinfelden, die 1967 mit einem Reisebüro eine Tochtergesellschaft gründete (95 % Beteiligung MThB, 5 % Frauenfeld-Wil-Bahn).
Nach der Verkehrsschule arbeitet Hans Kaufmann als Stationsbeamter für die SBB in Wallisellen und Effretikon. Mit 23 tritt er schliesslich eine Stelle beim Reisebüro Kuoni in Zürich an. Bereits ein Jahr später (1972) übernimmt er die Geschäftsleitung des Reisebüros Mittelthurgau.
Das Unternehmen startet durch: 1982 kauft das Reisebüro Mittelthurgau fünf ehemalige TEE-Aussichtswagen. Mit diesen bietet Kaufmann zusammen mit Partnern Zugsfahrten in ganz Europa an. So fahren beispielsweise der «Polarexpress» nach Narvik und der «Orientexpress» nach Istanbul. 1982 wird die Intraflug AG samt ihrem Rollmaterial mit 35 Wagen übernommen und auch der damals nicht betriebsfähige «Churchill-Pfeil» kommt in Kaufmanns Flotte und wird reaktiviert. 15 Wagen des «Nostalgie-Istanbul-Orient-Express» werden soweit angepasst, dass sie künftig auf der russischen Spurbreite verkehren können. Ab 1983 werden sie auf der Transsibirischen Eisenbahn erstmals als Hotelzug im Stil der Belle Epoque eingesetzt. Kaufmann ist der Gründer des Orient-Express auf der Linie der transsibirischen Eisenbahn Moskau – Peking.
Hans Kaufmann: «Russland war ein riesiges Thema. Das war das absolute Highlight in meinem Berufsleben.» Seine Affinität zu Russland geht in die frühe Kindheit zurück: Sein Grossvater war in Zollikofen bei Bern Signalwärter. «Er hatte für mich jede Menge Zeit. Er war Kommunist und erzählte mir begeistert über das politische System von Russland», erinnert sich Hans Kaufmann. 1999 steigt Viking River Cruise als Mitinhaber mit 50 % ins Reisebüro der MThB ein. Und so wird Kaufmann sukzessive vom Bahn- zum Schiffs-Spezialisten und er findet grossen Gefallen daran. Denn dieser Geschäftszeig wächst, während immer mehr Regulative auf den europäischen Zugstrecken das Geschäft auf Schienen zusehends erschweren. Im Jahr 2000 gibt er die Geschäftsführung ab und widmet sich fortan innerhalb der Firma der Leitung von Projekten und Entwicklung neuer Ideen sowie der Erschliessung neuer Märkte. Kaufmann: «Ich studiere die ganze Zeit an neuen Projekten herum.»
2001 – ein aufregendes Jahr
Ein Salmonellenfall Ende August 2001 an Bord des Hochsee-Cruisers Switzerland, den das Reisebüro Mittelthurgau in Vollcharter hat, die Terroranschläge am 11. September 2001 in den Staaten (9÷11) und keinen Monat später das Grounding der Swissair brechen dem Reisebüro Mittelthurgau wirtschaftlich das Genick. Ausschlaggebend für den Konkurs war eine Garantiefalle im Russlandgeschäft. Die gesamten Kosten für Flug und Schiff musste das damalige Reisebüro Mittelthurgau im Voraus bezahlen. Das Aus der Swissair bedeutete dann auch das Ende des Reisebüros Mittelthurgau. Während die MThB den Bahnteil aus der Konkursmasse übernimmt, werden die Abteilung Flussschifffahrt und der Markenname «Reisebüro Mittelthurgau» an die Badener Twerenbold Reisen AG verkauft. Twerenbold steigt unter der Leitung von Stephan Frei neu ins Flusskreuzfahrten-Geschäft ein und hat seit 2002 die Marke Mittelthurgau mit einem neuen Profil ausgebaut.
Diese Entwicklung bot Kaufmann seinerseits die Chance, nun als selbständiger Unternehmer tätig zu werden. Das Thema Schiff lässt ihn nicht mehr los. So gründet er noch im Dezember 2001, wieder in Weinfelden, zusammen mit langjährigen Mitarbeitern wie Karl Pauli die «Thurgau Travel»***. Er spezialisiert sich nun ganz auf Flusskreuzfahrten: «Mir sind meine zahlreichen guten Kontakte in der Branche zu Gute gekommen», sagt er rückblickend. «Aber ich hätte nie gedacht, wie dann die Post abging.» Viel Werbung zum Start, gute Produkte, komfortablere Schiffe und vor allem die demografische Entwicklung der Schweizer Bevölkerung liessen Kaufmann zum richtigen Zeitpaukt eine, wie sich herausgestellt hat, gute Entscheidung treffen. Die Ereignisse vom Herbst 2001 führten ihn zum glücklichen Unternehmer.
Die Familien-Saga
Ich lernte die Familie Kaufmann an der Einweihungsfeier von Scylla-Schiff Swiss Diamond (1996) in Basel kennen; die Kinder waren damals im frühen Schulalter (und jünger) und verfolgten mit Papa Hans interessiert den Anlass. Wir sassen im Salon am gleichen Tisch. Heute, über 20 Jahre später, sind zwei von Kaufmanns Kindern im Familienunternehmen direkt tätig, eines indirekt und eines geht andere berufliche Wege. Sohn Peter Kaufmann zeichnet seit sieben Jahren für das Projekt Myanmar (Burma) verantwortlich. Tochter Simone Mikota-Kaufmann hat die Geschicke von Thurgau Travel während 15 Jahren mitgestaltet. Die zweifache Mutter hat sich nun aus dem aktiven Geschehen zurückgezogen, um sich ihrer Familie zu widmen. Sie bleibt aber Miteigentümerin von Thurgau Travel. Ihr tschechischer Mann Jiri Mikota betreut als Kapitän das Schiff MS Thurgau Florentina ab Prag auf der Moldau und Elbe und ist gemäss neuem Firmenorganigramm verantwortlich für die technische Betreuung aller gecharterten Schiffe.
Pia Kaufmann hat vor wenigen Monaten die Höhere Fachschule für Tourismus abgeschlossen. Pia: «Ich habe als Kind in der Ukraine auf dem Schiff Taras Shevchenko laufen gelernt.» Sie ist stellvertretende Geschäftsleiterin und ihr Lebenspartner Daniel Pauli ist seit dem 1. Januar 2019 designierter Nachfolger von Hans Kaufmann (71). Daniel Pauli: «Unsere Väter arbeiteten über 30 Jahre zusammen». Karl Pauli war beim Reisebüro Mittelthurgau Vizedirektor und bei Thurgau Travel stellvertretender Geschäftsführer. Daniel Pauli ist der Adoptivsohn von Karl Pauli und seiner Frau Vreni.
Daniel Pauli absolvierte bei der Gemeindeverwaltung in Bürglen eine KV-Lehre, „allerdings mit wenig Herzblut“, wie er im Rückblick feststellt. Anschliessend war er während 14 Jahren in der IT- und Beraterbranche tätig und viel unterwegs. Seit einem Jahr arbeitet er bei Thurgau Travel und freut sich sehr über den bevorstehenden Wechsel in die Rolle des CEO. Den Change-Prozess nimmt Pauli sehr ernst. „Die grössten Herausforderungen sind der Wissenstransfer von Hans zur neuen Geschäftsleitung, der Wechsel vom Einzelkämpfertum zum Arbeiten im Team auf der Führungsebene und die Vereinbarkeit von Privatem und Geschäft für meine zukünftige Frau Pia und mich.“
Bis anhin arbeiteten die rund 40 Mitarbeitenden**** nach dem „A bis Z‑Prinzip“ (jede Person betreut eine Reise von der Ausschreibung bis zum Kundenfeedback), neu wird die Führungskapazität erhöht und es gibt die Abteilungen: Onboard-Operation, Marketing und HR. Was macht Hans Kaufmann danach? „Nach der Übergabe werde ich dem Unternehmen weiterhin als Verwaltungsratspräsident zur Verfügung stehen und neue Projekte mitentwickeln.“
Hans Kaufmann gilt in der Szene als der Flussreise-Pionier: Er war der erste, der auf dem Po ein Hotelschiff ab Venedig lancierte, befuhr als erster den Elbeseitenkanal. Die von Kaufmann «erfundene» Schiffsreise mit der «Johannes Brahms» von Danzig nach Königsberg ist mir in bester Erinnerung. Er war auch der erste beim Angebot auf dem Rhein-Main-Donau-Kanal und im Fernen Osten der Pionier auf den Flüssen Ganges, Irrawaddy, Mekong und andern. Hans hat immer noch neue Projekte und Ideen im Kopf. Weissrussland ist so eine Geschichte oder weitere Angebote in Sibirien ab Novosibirsk, wo er am Tüfteln ist.
Am Tag der Offenen Schiffe vom 4. März 2017 hat der Flussreiseanbieter Thurgau Travel dem Publikum bereits vier Einheiten präsentiert: Thurgau Silence, Thurgau Ultra, Edelweiss und Charles Dickens.
Im Atrium der „Thurgau Ultra“ erzählt Hans Kaufmann vom Werdegang seiner Familienunternehmung.
Hans Kaufmann und Tochter Pia freuen sich über die Erfolge von Thurgau Travel.
Peter Kaufmann hat sich zum Spezialisten der Flussreisen im Fernen Osten entwickelt.
Jiri und Simone Mikota-Kaufmann haben ihren Lebensmittelpunkt in Tschechien; nebst MS Florentina, wo Jiri Kapitän ist, betreut er technisch auch alle anderen Schiffe der Thurgau Travel in Vollcharter.
Stabsübergabe von Hans Kaufmann an Daniel Pauli am 1.1.2020
Am 22.11.2019 zeigt Thurgau Travel dem Publikum nebst den beiden Twin-Cruiser Thurgau Silence und Thurgau Ultra (ex-Premicon Queen, damals einziges 6*-Schiff in Europa) auch MS Edelweiss und Thurgau Prestige, die kurz darauf in eine Havarie auf dem Rhein verwickelt war.
Bild Textteil: Die ThurgauTravel hat zwei Twin-Cruiser (im Bild MS Thurgau Silence, gut sichtbar die gegrennten Schiffskörper mit Antriebsanlage und Hotelteil) und einige ehemaligen Deilmannschiffe (z.B. Thurgau Casanova, Thurgau Chopin) in Vollcharter.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Die produktivsten Werften 2019 waren: die Neptun Werft in Rostock (6 Neubauten), Vahali Zasavica in Gendt (5), West Sea in Viana do Castelo (3) und Jac. Den Breejan in Hardinxveld) (2), Quelle SUT.
**) In der Minderzahl sind jene Firmen, die (manchmal nur mit einem Teil ihrer Flotte) alles selbst machen, das heisst sie betreiben und verkaufen die Reisen als Eigentümer: A’ROSA Deutschland, Lüftner Österreich, CroisiEurope Frankreich, DouroAzul Portugal und Viking R.C. USA.
***) Die Gefahr der Verwechslung der beiden Fluss-Kreuzfahrtanbieter nehmen beide Firmen locker. Unisono meinen sowohl Stephan Frei, Geschäftsleiter von Mittelthurgau, wie auch Hans Kaufmann: „Einmal profitiert der eine von der Verwechslung, das andere Mal der andere.“ Synergien werten die beiden CEO stärker als Abgrenzungskämpfe. Konkurrenten aber sind sie allemal.
****) Die Kennzahlen sind: 35 Vollzeitstellen, die sich 45 Personen teilen, Angebot an Flussreisen mit 70 Destinationen auf über 45 Flüssen und Gewässern mit 53 Schiffen. Hinzu kommt noch die normale Reisebürotätigkeit. Form der Gesellschaft ist eine Familien-AG.
Quellen
*) SUT Schifffahrt Hafen Bahn und Technik Mai 2019
Impressum
Text und Bilder H. Amstad (redigiert 10.2021)
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