DS Eric Nordevall: so funktioniert die weltweit einzige Niederdruck-Seitenbalanciermaschine auf Fahrt
Den (B)Logbuchtext über eine Fahrt mit dem „Ungetüm“ Eric Nordevall konnten Sie im vorherigen Beitrag lesen. Die folgenden Betrachtungen sind der heute einzigartigen Dampfmaschine gewidmet, die anfangs des 21. Jahrhunderts von der gleichen Werft nachgebaut wurde wie im Jahr 1836 das Original. Auch diesmal waren die Herausforderungen gewaltig. Eric-Nordevall-Spezialist Andreas Hübner: „Die Maschinenanlage ist absolut original, mit allen Schwächen wie Leistung und Bedienbarkeit, die mit der Technik der damaligen Zeit verbunden sind. Als weitere Herausforderung kommt hinzu, dass sich heute niemand mehr in der Praxis der damals geläufigen Dampftechnik auskennt. Alles musste neu erlernt werden, auch das Nieten des Kofferkessels, wozu bei Kockums Marinewerft in Karlskrona extra Nieter ausgebildet wurden.“
Der Maschinist an Bord erzählt mir, dass die Maschine mit einem Druck von 1 (einem) Atü* fährt. Das entspricht etwa dem Druck, der entsteht, wenn ich einen Ballon aufblase. Wie kann man damit ein 150 Tonnen schweres Schiff in Fahrt bringen? Der bei der Nordevall-Fahrt ebenfalls anwesende Maschineningenieur Daniel Seilkopf erläutert dazu: “Das mit dem niedrigen Druck hat einen Zusammenhang mit der Bauform des Kessels. Der Kesseltyp ist ein Kofferkessel, der nur für einen niedrigen Druck ausgelegt ist. Die Kesselwände sind gerade, respektive flach und würden einem höheren Druck gar nicht standhalten. Die zylindrischen Kessel wurden erst später entwickelt. James Watt hat mit seinem Patent auf die Niederdruckmaschine, das bis 1800 gültig war, die Verwendung höherer Drücke verhindert. Er war der Ansicht, dass die Verwendung höherer Drücke gefährlich und verantwortungslos sei. Erst nach 1800 wurde durch Richard Trevithick der Hochdruckdampf zuerst bei kleinen stationären Maschinen und später bei Dampfwagen und Dampflokomotiven eingeführt.“
Doch die Leistung der „Nordevall“ lässt sich für einen Dampfer aus den Anfangszeiten dieser Technik durchaus sehen. Daniel Seilkopf: „Die Leistung der frühen Schiffsmaschinen wurde mit Nominal Horse Power (NHP) oder mit PSnom angegeben. Bei der ‚Eric Nordevall’ mit 2 mal 17 PSnom entspricht dies ungefähr einer Leistung von 2 mal 50 PS indiziert, also total 100 PS.“ Das Schiff erreicht dadurch eine Geschwindigkeit von 13 km/h.
So exotisch mir heute die Nordevall-Maschine vorkommt, zwischen 1814 und 1840 war dies die vorherrschende Bauweise bei Dampfmaschinen. Seilkopf: „Die Niederdruck Seitenbalanciermaschine wurde 1814 von der Firma Boulton & Watt entwickelt. Sie war der erste allgemein etablierte Schiffsmaschinentyp. Alle vorherigen Maschinen können als experimentelle Konstruktionen angesehen werden. Die ersten Seitenbalanciermaschinen wurden für zwei kleine Dampfer auf dem Fluss Clyde gebaut. Diese Maschinenbauart war bis 1837 die fast einzige Bauart der europäischen Schiffsmaschinen. Ab den 1850-er Jahren wurde sie durch modernere Konstruktionen verdrängt.“ Auch in der Schweiz waren solche Balancier-Maschinen in den frühen Dampfschiffen im Einsatz, so zum Beispiel bei der „Stadt Luzern“ I auf dem Vierwaldstättersee, der „Bellevue“ auf dem Thunersee oder der „Minerva“ auf dem Zürichsee.
Nun wird’s kurz technisch: Eine solche Maschine hat einen stehenden Zylinder, bei dem die Kolbenstange über ein Querhaupt und ein Lenkerstangensystem (Wattsches Parallogramm) mit dem Balancier (dem Balken) verbunden ist. Dieser Balken übernimmt die Rolle des zentralen Hebels der Maschine. Der Balancier wird durch den Kolben auf und ab bewegt. Auf der anderen Seite des Balanciers ist die Schubstange beweglich daran befestigt und überträgt die auf- und niedergehende Bewegung auf die darüber liegende Kurbelwelle der Schaufelräder von DS Nordevall.**
Vorteil der Balanciermaschine ist der tiefe Schwerpunkt der Anlage, was der Stabilität des Schiffes zugutekommt. Daniel Seilkopf: „Sie hatten einen guten Massenausgleich und liefen leicht an. Nachteilig war das Gewicht der Maschine, welches bis zu 2,5‑mal grösser war im Vergleich zu späteren Konstruktionen mit gleicher Leistung. Zur Verstellung der Schieber war ein grosser Kraftaufwand nötig. Die Maschinisten hatten 12 Handhebel zu bedienen, je sechs pro Maschine, was die Maschinen in der Manövrierung träge werden liess.“ Im Anhang sind weitere technische Erläuterungen für die Fachleute nachzulesen. Der Besuch der „Nordevall» gab mir also Gelegenheit, die Geschichte der Dampfkraft lebendig zu machen und mich mit der Technik aus den Anfängen der technischen Revolution – nach der Erfindung des Rades bereits die 2. in der Menschheitsgeschichte – zu befassen.
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Die „Nordevall“ I liegt seit 1857 in 46 Meter Tiefe auf dem Grund des Vätternsees bei der Jungfrau-Insel; hier eine Rekonstruktion aufgrund von Bildern der Taucher.
Die von der Schifffahrtsbehörde vorgeschrieben nautischen Instrumente sind im Heckbereich der heutigen „Nordevall“ diskret untergebracht.
Im Maschinenraum werden meterlange Birkenscheitern verfeuert, links im Bild der Kondensator (der Zylinder wäre noch weiter links, ist nicht mehr auf dem Bild).
Ein Blick auf die Kurbelwelle von oben.
Daniel Seilkopf zeigt anschaulich die Funktionsweise des Balanciers anhand einer atmosphärischen Dampfmaschine, die für den Bergbau oder für den Antrieb von Fontänen diente.
Die erste Zeichnung zeigt eine Balanciermaschine in der Perspektive, die zweite Zeichnung im Querschnitt und die dritte in der Aufsicht. Die 1830 gefertigten Kupferstiche entsprechen ziemlich der Maschine der „Nordevall“.
Von rechts nach links: Zylinder und der Kondensator, ganz unten der Balancier, die Luftpumpe und links oben die Kurbelwelle, die die Schaufelräder antreibt.
Bildnachweis: Bild 1 R. Grosch, Bild 4 D. Seilkopf, Zeichnungen aus Johann Joseph von Prechtl, Technologische Encyklopädie (Link), übrige Bilder und Redaktion H. Amstad
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Bemerkungen
*) Atü ist eine alte Bezeichnung für den Druck und war die Abkürzung für „Technische Atmosphären über Bezugsniveau“. Der durchschnittliche Luftdruck war dabei die Bezugnorm; 1 atü war also der doppelte Luftdruck. Heute gilt die SI-Einheit Pascal, üblicherweise in hPa (Hektopascal) gemessen. Der durchschnittliche Druck unserer Atmosphäre beträgt bei uns rund 1000 hPa. Beim Wetter spricht man von Tiefdruck, wenn man unter 1000 hPa misst, darüber von Hochdruck. Der Kessel des DS Nordevall hat also 2000 hPA. Zum Vergleich: Die Maschine von DS Skibladner (Norwegen) braucht 12 000 hPa, jene der „Uri“ (Vierwaldstättersee) 9 000 hPa.
**) Die folgende Animation zeigt die Funktionsweise einer Balancier-Dampfmaschine (Link). Im Gegensatz zu diesem Schema wird die Kraft bei der „Nordevall“ nicht auf ein Schwungrad, sondern auf die oberhalb des Balanciers befindliche Kurbelwelle der Schaufelräder übertragen.
Anhang 1: Zur Funktionsweise der Maschine
Daniel Seilkopf: „Der Maschinenrahmen besteht aus zwei Gussteilen mit kannelierten Säulen. Die Formensprache ist gemäss dem damaligen Zeitgeschmack dorisch ausgeführt. Es gab aber auch Maschinen in gotischen Formen. An den Längsseiten parallel zum Maschinenrahmen sind unten beidseitig die Seitenbalanciers angeordnet. Auf der einen Seite steht zwischen den Balanciers der Dampfzylinder, auf der anderen Seite ist zwischen den Balanciers die Schub- oder Pleuelstange angeordnet. Die Kraft wird vom Kolben im Zylinder über die Kolbenstange auf das Querhaupt übertragen und von dort über je eine Stange zu den beidseitigen Balanciers geleitet. Die Balanciers bewegen sich zusammen mit dem Kolben auf und nieder. Auf der anderen Seite der Balanciers ist die Schubstange beweglich befestigt und überträgt die auf- und niedergehende Bewegung auf die darüber liegende Kurbelwelle. Vereinzelt gab es Schiffe mit nur einer Einzylindermaschine.
Die meisten waren jedoch mit zwei Maschinen, die mit 90° Kurbelversetzung auf die gleiche Kurbelwelle wirkten, versehen. So war immer ein sicheres Anlaufen gewährleistet. Die beiden Maschinen waren spiegelbildlich ausgeführt, so dass der Maschinist in der Mitte zwischen den beiden Maschinen stand. Die Geradführung der Kolbenstange mit dem darüber liegenden Querhaupt wird durch Lenkerstangen, ähnlich dem Wattschen Parallelogramm, sichergestellt. Direkt an den Zylinder ist der stehende Schieberkasten angegossen. In der Mitte der Maschine, zwischen dem Zylinder mit Schieberkasten und der Schubstange, befinden sich der Kondensator und die Nassluftpumpe. Der Kondensator beim Dampfer Eric Nordevall ist als Einspritzkondensator ausgeführt, da die „Eric Nordevall“ immer im Süsswasser betrieben wurde. Bei Schiffen im Salzwasser wäre der Kondensator als Hallscher Oberflächenkondensator ausgeführt worden. Mittig zum Einspritzkondensator liegt die Nassluftpumpe sowie die beiden Speisepumpen links und rechts davon. Diese werden über die Balanciers mit einem Querhaupt angetrieben.“
Anhang 2: Steuerung der Maschine
Daniel Seilkopf: „Gesteuert wird die Maschine mit nur einem Steuerexzenter, der mit Excenterstange (Excenter oder exzenter – einheitliche Schreibweise wählen) und Winkelhebel auf den Dampfschieber wirkt. Umgesteuert wird die Maschine, indem die Excenterstange ausgerückt (abgekoppelt) wird und der Dampfschieber von Hand so verstellt wird, dass auf der gegenüberliegenden Kolbenseite der Dampf einströmt. Dann beginnt die Maschine im umgekehrten Drehsinn zu laufen, je nachdem zurück oder vorwärts. Der Excenter ist als Rutschexcenter ausgeführt, das heisst er wird mit Anschlägen, die ca. 60° vor und 60° nach der Kurbel auf der Welle befestigt sind, mitgenommen. Läuft die Maschine vorwärts wirkt der Anschlag 60° vor der Kurbel als Mitnehmer und umgekehrt. Nach dem Umsteuern wird die Excenterstange wieder eingeklinkt und die Steuerung wirkt selbsttätig.“
Anhang 3: Zum Niederdruck-Kofferkessel
Daniel Seilkopf: „Bezogen auf die Maschine der „Eric Nordevall“ ist das Entscheidende der Kondensator. Ohne ihn würde das Niederdruckprinzip nicht richtig funktionieren und die Maschinenleistung wäre bedeutungslos. Wenn auf der einen Kolbenseite der Frischdampf mit dem Kesseldruck einströmt, wirkt auf der anderen Kolbenseite nämlich der Unterdruck des Vakuums vom Kondensator her. Der Abdampf wird praktisch aus dem Zylinder abgesogen. Die Differenz aus Frischdampf auf der einen Kolbenseite und Vakuum auf der anderen Kolbenseite ist das Entscheidende bei der Niederdruckmaschine. Wichtig war auch damals, dass der Kondensator keine Leckage hatte. Strömte Luft ein oder brach das Vakuum zusammen, hatte man ein Problem. Vor der Inbetriebnahme konnte über ein kleines Ventil Dampf in den Kondensator geleitet werden, um die Luft und das Wasser auszutreiben. Durch das eingespritzte Wasser wurde dieser kondensiert und das Vakuum war hergestellt.“
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