DS Stadt Luzern wieder in Betrieb – ein Augenschein (Teil 2)
Im ersten Teil der «Stadt-Luzern»-Reportage zum Anlass der Wiederinbetriebnahme des SGV-Flaggschiffes vom 1. Mai 2021 schilderte ich Erinnerungen ans Flaggschiff ab den Sechzigerjahren und liess kurze Episoden der letzten «Stadt»-Kapitäne in Erinnerung rufen. Im zweiten Teil sollen die Ersteindrücke des Umbaus wirken und ich lasse drei Protagonisten des Umbauprojektes ihre Eindrücke rapportieren. Zusammenfassend: am äusseren Erscheinungsbild sind die Veränderungen diskret und machen Sinn.
So ist das Sonnensegel bis zur Lüfter-Konsolen verlängert und die Poller sind neu SUVA-gerecht und rückenschonend auf Arbeitshöhe montiert. An diesen Merkmalen wird man künftig die vierte Bauphase (jene von 2021) anhand der Bilder datieren können. An Deck und in den Innenräumen sind die Veränderungen sichtbarer und für mich auf den ersten Blick nicht alle verständlich. Ein Beispiel: die Eleganz der geschwungenen Rundbank auf dem vorderen Oberdeck entlang des Queensalons wurde durch den Einbau einer massiven Kiste zerstört. Solche zusätzlichen Elemente findet man auf dem Schiff noch einige.
Das Teppich-Schiff
Beim ersten Rundgang auf der «neuen Stadt» fallen mir die Teppiche auf. Natürlich gab es diese auch schon vor der Renovation, sie waren aber, da bereits mit einer Patina versehen, diskret geworden. Offenbar wollte man nun – vielleicht auch in Ermangelung anderer Profilierungsmöglichkeiten, denn vieles war auf der «Stadt» original noch vorhanden – starke Akzente auf die Salonböden setzen. Industriell gefertigte Teppiche waren eine «Errungenschaft» der Jahrtausendwende und kamen zwischen 1900 und 1920 langsam in Mode. Der Rohstoff war damals Papiergarn, ein äusserst robuster Faden, der aus gerissenen Papierstreifen produziert wurde. Nebst Wohnungen staffierte man damals auch die neuen Meerschiffe damit aus und mit dem Bau der «Stadt Luzern» 1928 (Werft Sachsenberg an der Elbe) wollte man ebenso mit dem neusten Trend gehen1.
Der Schiffs-Archivar und frühere Vizewerftchef der SGV, Josef Gwerder, hat konkrete Hinweise, die zur Teppichfabrik Ruckstuhl in Langenthal führen: «Es war vertraglich geregelt, dass die Sachsenberg-Werft einheimische Lieferanten berücksichtigen musste.» Auf Fotos von 1928 ist klar ersichtlich, dass im Hauptdeck-Salon achtern flächendeckend der Boden mit einem Teppich ausstaffiert war, während dies in Aufnahmen des Rauchersalons 1. Klasse nicht eindeutig der Fall ist. Es könnte ursprünglich dort ein Linoleum gewesen sein. Gwerder: «Lineoleum von dazumal hatte einen gewissen Schwund, weshalb sich die Ränder von der Schiffswand lösten und dadurch ein schmales Schmutzband entstand. Ich vermute, dass auch in diesem Salon sehr bald ein Teppich verlegt wurde.» Stefan Howald, Mitglied der Geschäftsleitung der heutigen Teppichfabrik Ruckstuhl aus Langenthal bestätigt, dass «die Firma solche Papier-Teppiche um 1928 herstellte», konnte aber im Firmenarchiv keine näheren Hinweise zur möglichen «Stadt»-Lieferung finden.
Und heute? Bereits beim Treppenaufgang ins Oberdeck überzieht ein starkes, fröhliches Blau den ganzen Boden des ehemaligen Rauchersalons 1. Klasse. Im ehemaligen Nichtrauchersalon (später Queensalon genannt) zieht ein Teppich mit Blumenmuster mit einem etwas unruhig wirkenden Design die Blicke auf sich und nimmt das Rot der Stoffe auf den Stühlen schön auf. Eher klassisch und ohne Experimentier-Charakter erscheint dann der neue Teppich im Achternsalon auf dem Hauptdeck. Auf einem Rundgang mit Kapitän Roger Maurer macht mich dieser aufs Mitteldeck aufmerksam: «Diese Gestaltung finde ich sehr gelungen: grosszügig, neu mit Sitzgelegenheiten und Veloabstellplätzen, Originaltreue und nautisches Feeling auf einen Schlag.»
Etwas Weiteres fällt mir auf: Im Interessenfeld der sechs Stakeholder «Denkmalpflege, Dampferfreunde, BAV (erhöhte Sicherheitsvorgaben), Gastronomie, Schiffsführer/Praxis und Technik/Schiffbau» scheint mir die Gastronomie in der Projektgruppe ein Übergewicht gehabt zu haben. Die diesbezüglichen Um‑, An- und Erweiterungsbauten sind auffällig, aufwändig und wenig diskret. So nimmt das massige Buffet auf dem Oberdeck viel Raum ein, zum Glück mit einer edlen Materialisierung. Auch das neue Buffet im Hecksalon Hauptdeck anstelle des (nun nicht mehr sicht- und spürbaren) Anrichteraumes, der in der Vergangenheit umständlich durch eine Seitentüre zu erreichen war, sind Eingriffe in die Struktur des Schiffes. Hier noch eine (Gastro-) Abstellfläche, da noch ein Schäftchen, die Gastronomie kann sich über mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten nicht beklagen.
Ein Gemeinschaftswerk
Ganz viele Menschen waren daran beteiligt, dass dieses 13,3 Millionen teure Projekt zum erfolgreichen Abschluss geführt werden konnte. Stellvertretend erwähne ich drei, die mir im Verlaufe des Renovationsprozesses durch ihre speziellen Funktionen und ausgewiesenen Kompetenzen aufgefallen sind: der Schiffbauingenieur David Müller als Projektleiter der Shiptec, die Historikerin Cony Grünenfelder als Denkmalpflegerin des Kantons Luzern und der Maschineningenieur Robert Horlacher als Interessensvertreter der Dampferfreunde. Sie würdigen mit treffenden Aussagen den Raddampfer, der als erst zweites Schiff der SGV-Flotte integral unter Denkmalschutz gestellt wurde und in vielen Beziehungen Besonderheiten aufweist. Robert Horlacher: «Auf der ‘Stadt Luzern’ ist für mich die Maschine Weltklasse. Wegen der hydraulischen Steuerung und dem Schmiersystem ist sie vermutlich die modernste Kolbendampfmaschine der Welt. Sehr bemerkenswert sind die Oberdeck-Salons, die es bei einer Vergabe an Sulzer kaum in dieser Form gegeben hätte.»
Cony Grünenfelder: «Der kulturhistorische Wert dieses Raddampfers setzt sich aus architektur‑, technik‑, industrie- und tourismusgeschichtlichen Komponenten zusammen und ist deshalb besonders schützenswert. Gleichzeitig ist es ein Fahrzeug des öffentlichen Verkehrs, das entsprechende Sicherheitsbestimmungen erfüllen muss und einem sehr intensiven Gebrauch ausgesetzt ist. Bauliche Entscheidungen mussten stets in diesem Spannungsfeld gefällt werden, was eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten war.» Darin sieht David Müller die grösste Genugtuung seiner Arbeit: «Ich habe grossen Respekt gegenüber dem guten Prozess und den schönen Ergebnissen und freue mich am meisten, dass es gelungen ist, so verschiedene Interessen und Ansprüche unter einen Hut gebracht zu haben.»
Ist und bleibt eine imposante Erscheinung: DS Stadt Luzern verlässt am 2. Mai 2021 Flüelen.
Der Hecksalon auf dem Hauptdeck wurde mit der Renovation klar aufgewertet und ist einladender geworden. Auffallende Unterschiede zwischen neuen und bisherigen Holzmaserierungen im Buffetbereich werden sich wahrscheinlich mit den Jahren ausgleichen.
Ein freches Blau der Oberdeck-Teppiche unterstreicht das Pappeln-Holz der Wandverkleidungen.
Ein seltenes Bild der für Fachleute geltenden «Weltklasse»-Maschine: Die Drillings-Gleichstrom-Dampfmaschine ohne Plexiglas-Abdeckungen während den Probefahrten aufgenommen.
Die Bauphase 4 unterscheidet sich von der Bauphase 3 (Bild unten) durch folgende Unterschiede: Die Poller sind neu auf Arbeitshöhe montiert. Dadurch wirkt das Schanzkleid ähnlich wie bei der «Neuchâtel» etwas flächig. Zweitens ist das Zelt etwas nach vorne gezogen, was der Silhouette des Schiffes guttut. Drittens ist die Aussentüre hinter dem Radkasten nach vorne versetzt worden.
Die Bauphase 3 (1988) ist ersichtlich durch die Verlängerung des Oberdeck-Salons um eine Fenster-Einheit nach achtern.
Stimmungsvolles Bild der «Stadt» vor dem Bürgenstock mit ihren neuen Hotels.
Bild im Textteil: Im Gegensatz zum «Unterwalden»-Umbau wurden zusätzliche Möblierungen mit wenig Feingefühl umgesetzt, wie hier auf dem Sonnendeck 1. Klasse, wo die charakteristische (und bei Passagieren beliebte) Rundbank geopfert wurde.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Dieser (B)Logbuch-Eintrag entstand im Zusammenhang eines Artikels in der Dampferzeitung Nr. 205 (Juni 2021, S. 49). Der hier veröffentlichte Bericht ist eine erweiterte Fassung.
2) Gemäss Wikipedia wurde 1900 die berühmten Sächsische Kunstweberei Claviez in Leipzig gegründet. Vorher waren Teppiche Einzelstücke, seit 550 v.Chr. von Hand gefertigt. Die Weberei Claviez wurde 1916 in «Textilosewerke und Kunstweberei Claviez AG» umbenannt und fabrizierte nun Teppiche und Möbelstoffe maschinell. Fünf führende deutsche Teppichfabrikanten schlossen sich 1911 in einem Verband zusammen und lancierten so die Verwendung von industriell gefertigten Teppichen, wie sie auch 1928 auf der «Stadt Luzern» Verwendung fanden. War der Faden danzumal aus Papiergarn, der aus zerrissenen Papierstreifen verdreht wurde, sind heute die Teppiche aus synthetischen Fasern wie Polyamid und Nylon, die erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Anwendung kamen.
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DS Stadt Luzern – Vom «Stadt-Muni» zum denkmalgeschützten Raddampfer (Teil 1) Link
Josef Gwerder, Dampfschiff «Stadt Luzern» Bordbuch, Baar 2008
Impressum
Bilder 4 und 7 R. Horlacher, Bild 5 D. Eichenberger, Bild 6 Photoglob
Text und Bilder 1 bis 3 H. Amstad
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