Ein weiteres Leben für DS Rigi (1848): Eine zweite Chance für das Verkehrshaus der Schweiz.
2013 war die «Rigi» optisch noch ein Hingucker. Das Verkehrshaus der Schweiz gab sich damals optimistisch: Bis 2018 sollte das Ziel erreicht sein, „das industriearchäologische Unikat als begehbares Museumsschiff von Weltrang nachhaltig renoviert zu haben.» Ein Blick aufs Schiff zeigt heute, dass es anders kam: sämtliche Aufbauten sind weg und das Schiff sieht desolat aus. Nach einer Begehung sehe ich, dass das im Jahr 2007 von der Schiffstechnik der SGV (heute Shiptec AG) neu verlegte Deck nach bloss 10 Jahren ebenfalls kaputt ist. Die Holzriemen heben sich, die Fugen sind spröde – auch diese Investition ist dahin. Ich habe Ruedi Stadelmann, Leiter der Shiptec, gefragt: „Hat hier die Werft gepfuscht? Auf den andern (Dampf-) Schiffen der SGV passiert ja so was nicht.“ Seine Ausführungen: „Dieses Deck wurde genauso verlegt, wie das früher bei den Dampfschiffen der SGV auch gemacht wurde*. Auch diese alte Methode hat technisch funktioniert, sie verlangte aber eine aufwändige Pflege und Instandhaltung. Durch Temperaturunterschiede, die an Land noch grösser sind als wenn ein Schiff im Wasser liegt, können ansonsten Risse im Holz sowie in den Fugen entstehen. Diese Risse müssen zwingend immer wieder geschlossen werden, ansonsten dringt Regenwasser ins Decksystem ein, welches die Entwicklung von Fäulnispilzen ermöglicht, welches Spannungen in der Holzkonstruktion zulässt und welches im Winter gefriert und die Risse so noch weiter aufspaltet. Der Zerfall des Decksystems geht somit beständig schneller vonstatten.“
Daniel Geissmann, Leiter Ausstellung & Sammlung des VHS und neuer Projektleiter „der Zweiten Chance“, wie er den neuen Anlauf zur Inszenierung des DS Rigi nennt, gibt unumwunden seine Enttäuschung über die jüngste Vergangenheit kund: „Da sind Fehler passiert. Die im Jahr 2007 vom Verkehrshaus selber erstellten Aufbauten waren bessere Theaterkulissen, mehr nicht.“ Als er zum VHS-Team stiess, waren die Schäden – analog zu den horrenden Hochwasserschäden vom 22. August 2005 – bereits irreparabel: der Unterhalt und die Pflege waren mangelhaft, einige nachempfundene Elemente wie die mit Seilen geknöpfte Reling war nicht SUVA-konform, was nicht verfaulte bekam einen Pilzbefall. Zu guter Letzt ging dann noch beim Abmontieren das einzige Schaufelrad in Brüche. Ein bisschen gar viel auf einmal…
Der traurige Anblick des „Rigalis“ macht auch Martin Bütikofer, Direktor des VHS, nachdenklich: „Uns beschäftigt das Projekt enorm. Und im Gegensatz zu allen andern Grossprojekten, wo ich jeweils schnell spüre, in welche Richtung der Prozess geht, bin ich hier etwas ratlos.“ Das VHS investiert sonst schon grosse Summen in die Restauration von Objekten. Daniel Geissmann: „Wir verfolgen zur Zeit sechs Projekte, die Kosten im Umfang von bis zu vier Millionen Franken auslösen. Das Projekt ‚Rigi’ sprengt dabei das alltägliche Business; wir spielen damit sozusagen in der Champignons League“.
Auch der externe Fachblick bestätigt, was das Verkehrshaus weiss. Ruedi Stadelmann: „Eine Komplettsanierung mit gleichzeitigem anschliessenden Instandhaltungskonzept durch schiffbautechnisch versierte Fachleute ist meines Erachtens die einzige Lösung für eine Rettung dieses Schiffes. Dies ist jedoch eine teure Angelegenheit, bezüglich Investition aber auch hinsichtlich dem anschliessenden Unterhalt dieses Objektes.“ Daniel Geissmann hat den Auftrag von der GL gefasst, in zwei Monaten ein Konzept vorzulegen. „Ich warte sehnlichst auf den grossen Ideenblitz.“ Von null an allerdings muss er nicht beginnen. Zahlreiche Dokumente** liegen vor, nur die „härteste Nuss“ muss noch geknackt werden: Wie soll die „Rigi“ künftig inszeniert und für den Besuchenden ein attraktives Objekt werden? Die Chance ist so gross wie das Risiko.
Erfreulich ist, dass die Schale in einem stabilen Zustand ist. Der Einflamm-Kessel steht nach wie vor wie eh denn je im Schiff und die Maschine ist im Trockenen konserviert. Das Potential der „Rigi“ ist einmalig: Das Schiff ist zum einen der älteste noch erhaltene Seitenraddampfer der Welt, zum andern ein Schiff, das in der Schweizer Geschichte eine lebendig gebliebene Vignette darstellt. Die «Rigi» ist so alt wie der letzte Krieg in der Schweiz – der Sonderbundkrieg von 1848. Und stammt somit aus der Zeit der Geburtsstunde der modernen Schweiz mit der ersten Bundesverfassung und dem ersten Bundesrat. Sie hat eine spannende Entstehungsgeschichte, bis das in England erbaute Schiff in Luzern war und ist ein einmaliger Zeitzeuge des Waren- und Personentransports vor 170 Jahren…
Ich verfolge die Odyssee seit Jahrzehnten. Und deshalb bin ich vielleicht mit folgenden Ideen zu stark befangen. Trotzdem folgender Traum: Wir zählen das Jahr 2022. Die Maschine ist vom Dampfzentrum Winterthur renoviert und kann elektrisch betrieben werden. Beide Schaufelräder sind nachgebaut und lassen sich bewegen. Die Unterdeckräume sind stilecht erneuert und erzeigen den „Groof“ von 1848. Im einen ist eine interaktive Ausstellung über die historischen Turbulenzen des Geburtsjahres des Schiffes und über die Entstehung des Bundesstaates Schweiz installiert, im andern eine multimediale Dokumentation über die Entwicklung der Dampfschiff-Intérieurs der SGV von der «Rigi» bis zur „Stadt Luzern». Die Radkastenräume sind original nachgebaut und begehbar, das Deck in etwa so „möbliert“, wie es 1848 war, nämlich leer. Die Deckoberfläche darf ein “Fake“ sein. Stehende Schiffe haben keine Krängung, wo das Wasser automatisch abfliessen kann, da muss eine nachhaltige Abdeckung her, die im Unterhalt effizient ist. Eine mögliche, gehörte Idee stösst bei mir auf grosse Sympathie: im Mittelschiff bei Kessel und Maschine ist das Deck aus Glas – frech und erlebnisreich. Hoch über dem Schiff – so weit weg, dass die Schale nicht konkurrenziert wird, schützen filigrane, durchsichtige Dreiecks-Kunstoffmembrane das Schiff zu 80 % vor Regen, Schnee und Luftverschmutzung. Sie erinnern an Segeln, die vor 1848 den Antrieb der Schiffe besorgten.
Die Dampferfreunde des Vierwaldstättersees spendeten vor Jahren 300 000 Franken an die Renovation, zweckgebunden für die Antriebsanlage. Martin Bütikofer: „Dieses Geld ist noch da und liegt auf einem Sperrkonto.“ Die Aufwändungen der „Zweiten Chance“ werden ein Mehrfaches sein. Muss schlimmstenfalls damit gerechnet werden, dass das Schiff aus finanziellen Überlegungen ganz verschwindet? Geissmann: „DS Rigi und das Verkehrshaus haben eine zweite Chance verdient. Diese muss in jedem Fall der Nachhaltigkeit verpflichtet sein. Ein zweites Mal dürfen uns nicht mehr blamieren.“
Zwei lädierte Objekte auf einem Bild: im Falle des Kinderspielzeuges VBL-Bus sind es Abnutzungserscheinung häufigen Gebrauchs, im Falle der „Rigi“ unter anderem als Folge unsachgemässen Unterhaltes.
Traurige Überreste des 1848 erbauten Glattdeck-Raddampfers, die fast als Mahnmahl wirken und die heutigen Verantwortlichen schier zum Verzweifeln bringen.
Ansicht des Wracks von vorne.
Daniel Geissmann wird den Weg aufzeigen müssen, wie das Verkehrshaus der Schweiz das Desaster in ein Vorzeigeobjekt umwandeln kann.
Die Schale und der Kessel sind in gutem Zustand.
Der vor 20 Jahren (noch) beliebte Bastelbogen des DS Rigi umfasste 57 Teile – nicht gar so simpel dürfte das den Verantwortlichen vorkommen, ein mehrfaches von Teilen zusammen zu setzen für eine geniale Idee, den historischen Raddampfer wieder in ein museales Juwel zu verwandeln.
Die Tabelle zeigt, welche Substanz der «Rigi» aus welchem Jahr stammt.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Heute verwendet die Shiptec aus Rentabilitätsgründen eine andere Methode. Beim DS Rigi wollte das Verkehrshaus explizit eine Sanierung durchführen, die historisch auch zum Alter des Schiffes passte.
**) Folgende Expertisen liegen vor: • Josef Gwerder „Eckdaten DS Rigi“ zu den Bauzuständen des Schiffes, Meggen 2005 • Dr. Jürg Meister „Geschichtliche Analyse Antriebsanlage DS Rigi“ Basel 2005 • Dr. This Oberhänsli „Rückbau – Vorschlag für das DS Rigi“ Luzern 2005 • Eduard Saluz „Der Raddampfer Rigi (1848 – 1952)“ Luzern 1990 • Ruedi Stadelmann „Untersuchung der technischen Machbarkeit einer Inbetriebnahme von DS Rigi“ Luzern 2006 • Mathias Steinmann „Quellenstudum, Wiederinbetriebnahme DS Rigi und denkmalpflegerische Fragestellungen“ Luzern 2005.
Quellen
Text und Bilder H. Amstad.
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