Ein­blicke in 170 Jahre Schiff­fahrts­ge­schichte der Zuger Seen – eine Aus­stellung im Staats­archiv Zug

Im Lesesaal des Staats­ar­chivs vom Kanton Zug findet zwi­schen dem 20. Sep­tember und 11. November eine Kabi­nett­aus­stellung zum Thema «Zuger Schiff­fahrt im Wandel der Zeit» statt. Stand die Schiff­fahrt ursprünglich im Dienst des Trans­ports von Men­schen und Waren, so ent­wi­ckelte sie sich vor rund 150 Jahren auch zu tou­ris­ti­schen Dienst­leistern. Schiffe auf Seen, Flüssen und Meeren stehen heute für emo­tionale Erlebniswerte.

Diese Ent­wicklung ist auch auf dem Zuger- und Äge­risee erkennbar. Die Aus­stellung widmet sich erst­malig der gesamten Ent­wicklung der Per­so­nen­schiff­fahrt auf den beiden Zuger Seen. Auf einen Blick sind die ver­schie­denen Betriebe und ihre Flotten in der Zeit­achse ab 1850 dar­ge­stellt. Das Jubiläum 100 Jahre MS Schwan gibt Gele­genheit, die Ent­wicklung der Schiff­fahrt exem­pla­risch nach­zu­voll­ziehen. Sechs ein­drück­liche Modelle der drei Rad­dampfer und anderen his­to­ri­schen Schiffen auf den Zuger Seen ermög­lichen einen Blick in die Anfänge der hie­sigen Schifffahrt.

Wie es dazu kam

Am Anfang der Idee dieser kleinen (aber feinen) Aus­stellung stand mein Besuch beim Modell­bauer Erich Liechti in Wimmis/​BE im Jahr 20161. Erstaunt über die von Liechti erbauten Schiffs­mo­delle – 141 an der Zahl quer durch die alpen­län­dische Seen­land­schaft – sah ich auch wun­der­schöne Modelle aus der Anfän­gerzeit der Dampf­schiff­fahrt auf dem Zuger- und Äge­risee. „Diese Modelle gehören in Zug einer breiten Öffent­lichkeit gezeigt“, war für mich schnell klar und ich fand wenig später «Gehör» beim dama­ligen Leiter des Staats­ar­chivs, Ignaz Civelli. Aus­stel­lungs­tech­nische Gründe (Ver­län­gerung der Bun­desrat Etter-Aus­stellung), Per­so­nal­wechsel im Staats­archiv und schliesslich Covid ver­zö­gerten dann das Vor­haben um Jahre. Aber Mitte Sep­tember war es so weit: 20 Gäste aus Politik, Schiff­fahrt und den Medien tauchten an der Ver­nissage ein in 170 Jahre Schiff­fahrts­ge­schichte, in einen Teil der 170 Jahre Ver­kehrs­ge­schichte des Kantons Zug.

Der anwe­sende «Ver­kehrs­mi­nister» Regie­rungsrat Florian Weber (Bauchef) defi­nierte für sich und uns alle den Begriff Kabi­nett­aus­stellung als «kleinere, befristete, the­ma­tisch enger begrenzte und besonders wert­volle, museale Schau» und zeigte sich in Kom­bi­nation des Gebo­tenen durchaus zufrieden. Er war the­ma­tisch noch ganz im Thema drin, hatte er doch den ganzen Nach­mittag eine Sitzung der kan­tons­rät­lichen Ver­kehrs­kom­mission, wo es aus­schliesslich um die Zukunft der beiden Schiff­fahrten auf dem Zuger- und Äge­risee ging…

«Zukunft braucht Herkunft»

Der Leiter Markt und Frei­zeit­be­triebe der ZVB, Philipp Hofmann, hob indes mit enga­gierten Worten die Bedeutung der Schiff­fahrt für die Zuger Bevöl­kerung den Tou­rismus hervor und meinte unter anderem: «In Anbe­tracht dieser wun­der­schön gestal­teten Modelle kommt eine grosse Demut bei mir auf. Unsere Vor­fahren haben vor 170 bzw. 131 Jahren das geschaffen, wovon wir auch heute pro­fi­tieren können: eine Schiff­fahrt für unsere lokale Bevöl­kerung sowie den zahl­reichen Gästen auf den Zuger Seen zu ermög­lichen. Zukunft braucht Her­kunft, und so sind wir heute tag­täglich mit hohem Enga­gement unterwegs, um dieses Erbe der Ver­gan­genheit in eine pro­spe­rie­rende Zukunft zu führen. Unser grosses Ziel ist es, dass man in einigen Jahr­zehnten auch unsere Spuren von heute in einem posi­tiven Licht betrachten kann.»

Fachlich begleitet wurde ich durch Jürg Meister, ehe­ma­liger Dozent für Mobi­li­täts­öko­nomie und Ver­kehrs­po­litik an der Uni St. Gallen, und Autor zahl­reicher Schiff­fahrts­bücher, der mir manch’ wert­vollen Tipp gab und ein­ge­schli­chene Irri­ta­tionen auf­deckte. Das Staats­archiv und die Aus­stel­lungs­macher erhoffen sich auch, dass durch diese Aus­stellung weitere Quellen, schlum­mernd auf Dach­böden, in Foto­alben und Samm­lungen, erschlossen werden können.2

Drei Epochen der Zugersee-Schifffahrt

Auf der einen der drei grossen Info-Tafeln werden in der Aus­stellung sämt­liche Schiffe mit ihren Gesell­schaften dar­ge­stellt. Daraus ist abzu­leiten, dass auf dem Zugersee drei Epochen der Schiff­fahrts­ge­schichte aus­zu­machen sind: In der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts ver­banden bis zu drei Rad­dampfer mit bis zu sieben Ver­bin­dungen pro Tag die Orte Zug und Arth. Tau­sende von Rei­se­lus­tigen aus ganz Europa wollten die Rigi besteigen und ab 1875 mit der Zahn­radbahn erklimmen. Nach der Eröffnung der recht­suf­rigen Eisenbahn über Oberwil und Walchwil 1897 brach der Schiffs­verkehr zusammen.

Die zweite Epoche war während rund 75 Jahren geprägt durch die zwei Schiffe Rigi (II) und Schwan (I), die im Som­mer­halbjahr ein Grund­an­gebot vor allem für den Lokal­tou­rismus abdeckten. Eine Fahrt von A nach B stand im Zentrum, ent­spre­chend wurden bis zu 10 Sta­tionen ange­fahren. Mit den Sieb­zi­ger­jahren des 20. Jahr­hun­derts ver­än­derten sich die Kun­den­be­dürf­nisse. Neue Schiffe ermög­lichten nun kuli­na­rische Angebote an Bord. Private Anbieter ergänzen die erleb­nis­ori­en­tierte Char­ter­schiff­fahrt. Bis zu sieben Schiffen ver­kehren in der dritten Epoche der Schiff­fahrts­ge­schichte auf dem Zugersee.

Die Schiff­fahrt Äge­risee auf einem Blick

Wie auf dem benach­barten Zugersee sind auch auf dem Äge­risee drei Phasen der Schiff­fahrts­ent­wicklung erkennbar, wie aus der Info­grafik von Lena Estermann (Prak­ti­kantin der visu­ellen Gestaltung Christen) her­vorgeht. Ab 1890 wollte man das Schiff benutzen, um den öffent­lichen Verkehr zum Sattel zu fördern. Denn dort gab seit 1891 einen Bahn­an­schluss in Richtung Arth-Goldau und Richtung Ein­siedeln und Zürichsee, was für die Ägerer Bevöl­kerung wesentlich kürzer war als der Post­kut­schenweg nach Zug. So war DS Mor­garten (I) das erste maschi­nen­be­triebene Fahrzeug im Ägerital über­haupt und wurde eupho­risch gefeiert. Mit der Ein­führung des ersten Omni­bus­be­triebes durch den legendäre Orion-Bus3 1905 war dann das Ägerital mit Zug gut ange­schlossen. Der Bus brachte zwar die Idee mit der öV-Linie zum Sattel zu Fall, dafür kamen die «Fremden» (dama­liger Begriff für die Tou­risten) in Scharen ins Ägerital, bedingt auch durch das 1908 erbaute Mor­gar­ten­denkmal und durch den Bauboom von Kinderholungsheimen.

In der zweiten Phase der Äge­risee-Schiff­fahrts­ge­schichte prägte von 1928 bis 1972 die Boots­bau­er­fa­milie Nuss­baumer aus Oberägeri die Äge­risee-Schiff­fahrt, nachdem die Pio­nier­ge­sell­schaft in Konkurs ging. In der dritten Phase übernahm die öffent­liche Hand die Aufgabe, das Nah­erho­lungs­gebiet des herr­lichen Äger­itales mit seiner Schiff­fahrt zu bewirt­schaften. Bis 2003 war dies die Ein­woh­ner­ge­meinde Oberägeri, seither die «Äge­risee Schiff­fahrts AG» mit den Haupt­ak­tio­nären der Gemeinden Ober- und Unterägeri. Für die öffent­liche Kurs-Schiff­fahrt fahren die zwei Schiffe Äge­risee und Ägeri. Das dritte Schiff gehört seit 2016 dem Verein MS Mor­garten III. In der Aus­stellung widmet sich eine Vitrine der Ägersee-Schiff­fahrt aus den Beständen des Staatsarchivs.

Die Modelle von Erich Liechti

Im Zentrum der Kabi­nett­aus­stellung stehen zwei­fellos die sechs Schiffs­mo­delle4 von Erich Liechti. Minutiös anhand von Plänen – manchmal bloss aus Bildern – zeichnet Liechti mit Off­set­folie aus Alu­minium jedes Detail im Massstab 1 : 50 nach5. «Wenn ich ein Bild eines Schiffes sehe, geht in der Vor­stellung ein drei­di­men­sio­naler ‘Film’ ab, wo ich aus jeder Per­spektive das Objekt sehen kann», verrät Liechti sein geniales, räum­liches Vor­stel­lungs­ver­mögen, das dann mit hoch­ka­rä­tigen Fer­tig­keiten eines fein­mo­to­ri­schen Hand­ge­schickes ergänzt wird.

Gesund­heits­halber konnte der Schöpfer dieser wun­der­baren Modelle nicht per­sönlich in Zug bei der Eröffnung der Aus­stellung dabei sein; seine per­ma­nenten Schwindel schränken seine Mobi­lität stark ein. Als ich die Modelle bei Erich im Sim­mental abholte, traf ich nichts­des­to­trotz einen fröh­lichen Mann vor. „Mein Lebenswerk ist gerettet,“ verrät mir der bald 80-Jährige, „morgen findet die Grün­dungs­ver­sammlung eines Vereins statt, der dafür sorgen wird, dass sämt­liche 141 Modelle mitsamt den Werft­an­lagen integral erhalten bleibt.“ Das Schloss Hünegg bei Hil­ter­fingen räumt dafür ein ganzes Stockwerk, um diese Trou­vaillen künftig der Öffent­lichkeit zeigen zu können. Seine Tochter Andrea, selber als Innen­ar­chi­tektin auch vom Fach, sitzt im Stif­tungsrat und ver­tritt die Inter­essen ihres Vaters. „Es ist ein Glücksfall, dass der heutige Stif­tungs­prä­sident des Schlosses Hünegg in Hil­ter­fingen, Ueli Schneider – früher mein Nachbar – oft bei mir vor­beikam und sah, wie die Modelle ent­standen sind.“

Die Freude ist gross, vor allem wenn man weiss, dass Liechti seit 20 Jahren sich erfolglos um eine Lösung bemüht hat. Ein Mul­ti­mil­lionär inter­es­sierte sich dafür, andere sahen Lösungen in einem still­ge­legten Bunker des Militärs und er selber sah manchmal nur noch die Mulde oder „eine fah­rende Walze“ als Lösung, gestand Erich Liechti mir seine Alb­träume. Bis nun sein Lebenswerk in zwei Jahren im Schloss Hünegg gezeigt werden kann, gibt es nun für einige Wochen Gele­genheit, sechs besonders schöne Schiffs­mo­delle in Zug zu bewundern.6

An der Eröff­nungs­feier der kleinen, aber feinen Aus­stellung „Zuger Schiff­fahrt im Wandel der Zeit“ fand sich eine illustre Schar von Fach­leuten aus Politik und Schiff­fahrt ein.

Die Kabi­nett­aus­stellung zeigt im Lesesaal des Staats­ar­chivs des Kantons Zug die Ent­wicklung der Schiff­fahrt auf dem Zuger- und Äge­risee auf.

Erich Liechti aus Wimmis/​BE schuf unter seinen 141 Schiffs­mo­dellen auch sechs vom Zuger- und Ägerisee.

Jürg Meister: „Die zwei ältesten Rad­dampfer auf dem Zugersee, die ‚Rigi‘ I und die ‚Stadt Zug‘, waren Ver­treter einer typi­schen Bau­weise von Flach­deck­dampfern, wie sie auf fast allen alpen­län­di­schen Seen vor­ge­kommen sind, die ‹Rigi› als besonders kleine Ausführung.“

Wie Jürg Meister in seiner Prä­sen­tation erwähnte, hatte DS «Hel­vetia» noch zwei Schwestern: die «Lecco» und «Como» auf dem Comersee mit genau der gleichen Maschine und fast iden­ti­schen Aufbauten.

Lena Estermann vom Atelier visuelle Gestaltung Christen schuf von allen 17 Zugersee- und 7 Äge­ri­see­schiffen Comics-Abbil­dungen, die einen hohen Wie­der­erken­nungsgrad auf­weisen (Bild­aus­schnitt).

Eine von drei Tafeln zeigt sämt­liche Per­so­nen­schiffe, die seit 1852 auf dem Zugersee gefahren sind.

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

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Hin­weise

2) Wert­volle Unter­lagen erhielt ich auch von Beat Zum­stein und von der Stadt­bi­bliothek Zug sowie Bilder von der Denk­mal­pflege des Kantons Zug.

3) Ein Exemplar dieses Bus-Typs ist der Nachwelt erhalten geblieben, fahrbar und im Zuger Depot Tech­nik­ge­schichte in Neuheim behei­matet. Der Orion-Bus ist weltweit der älteste, noch fahrbare Autobus der Welt.

4) Die aus­ge­stellten sechs Was­ser­li­ni­en­mo­delle im Massstab 1 : 50 sind: DS Rigi (I), Zugersee, 1852 – 1882, Bau­zu­stand Modell: 1852, Baujahr Modell: 2020 (Nr. 139)

DS Stadt Zug, Zugersee, 1864 – 1905, Bau­zu­stand Modell: 1905, Baujahr Modell: 2006 (Nr. 96)

DS Hel­vetia, Zugersee, 1876 – 1896, Bau­zu­stand Modell: 1876, Baujahr Modell: 1990 (Nr. 61), 1898 –1954 auf dem Vier­wald­stät­tersee «Win­kelried»

DS Mor­garten (I), Äge­risee, 1890 – 1920, Bau­zu­stand Modell: 1920, Baujahr Modell: 2004 (Nr. 87)

DS Rigi (II), Zugersee, 1904 – 1978, Bau­zu­stand Modell: 1910, Baujahr Modell: 1996 (Nr. 72), bis 1959 Dampf­schiff (Modell) ab 1960 Motorschiff

MS Dorn­röschen, Zugersee, 1921 – 1943, Bau­zu­stand Modell: 1921, Baujahr Modell: 2020 (Nr. 128), 1909 – 1920 auf dem Wannsee in Berlin, 1944 –1953 auf dem Zürichsee „Seebueb“, 1954 –1986 auf dem Walensee „Quinten“ I, 1991– heute „Alvier“

5) Bei einer Hohl­schale ver­wendet Liechti 0,88 mm Bir­ken­sperrholz und Bristolkarton.

6) Die Aus­stellung ist jeweils während den Öff­nungs­zeiten des Lese­saals beim Staats­archiv des Kantons Zug offen, Aabachstr. 5, Ver­wal­tungs­ge­bäude 1, Par­terre, 7 Geh­mi­nuten vom Bahnhof ent­fernt. Der Ein­tritt ist kos­tenfrei, ein Covid-Zer­ti­fikat ist vor­zu­weisen. Geöffnet von Montag bis Don­nerstag, jeweils von 08.00 bis 12.00 und von 13.30 bis 17.00 Uhr.

Für ange­meldete Gruppen sind Füh­rungen möglich: Montag bis Freitag jeweils zwi­schen 09.00 und 17.00 Uhr; Anmeldung unter info@​schiffs-​agentur.​ch.

Öffent­liche Füh­rungen: Mittwoch, 29. Sep­tember 13.00 Uhr, Samstag, 16. Oktober 14.00 Uhr, Don­nerstag, 4. November 17.00 Uhr

Weiter im Text

1) (B)Logbucheintrag vom 4. Juli 2016: „Erich Liechti: Eine Werft in Wimmis – seit 50 Jahren ein­drück­licher Schiffs-Modellbau» Link

Impressum

Gra­fiken L. Estermann, Text und Bilder H. Amstad

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