„Elias Lönnrot“ auf dem Keurusselkä-See – einziges Seitenradschiff Finnlands.
Aufmerksam auf diesen dieselelektrischen „Raddampfer“ wurde ich 2010 im englischen Dampfermagazin Paddle Wheels. Da ich auf jeder Finnland-Reise eine neue Region auf dem Programm habe, war nun ein Besuch auf dem See Keurusselkä dieses Mal überfällig. Auswahl an Fahrtagen hatte ich keine grosse; getreu dem finnischen Tourismus-Motto, dass sich die Gäste nach dem Angebot zu richten haben und nicht umgekehrt wie sonst in touristisch orientierten Ländern, fährt dieses höchst interessante Schiff nur im Juli – und dies auch nur noch am Donnerstag. Will heissen: vier Mal im Jahr. Das war 2010 bei der eingangs erwähnten Berichterstattung von Myra Allen noch anders: vom 4. Juni bis 10. August war das Radschiff jeweils vom Mittwoch bis Sonntag täglich im Einsatz, am Samstag jeweils mit einer Tour bis ans südliche Ende des Sees nach Mänttä und zurück (6 Stunden). Dies war auch noch im 2015 möglich. Nicht nur hier, sondern auch an andern Orten auf den Seen Finnlands hat man den „Rückwärtsgang“ eingelegt; die wirtschaftliche Baisse begegnet man mancherorts mit Abbau und Resignation und lässt die finnischen Eigenschaften der Neunzigerjahre, nämlich Innovation und Investition, vergessen.
Das Schiff heisst Elias Lönnrot. Die heutige „Elias Lönnrot“ ist eine Nachbildung eines gleichnamigen Raddampfers aus dem Jahr 1865. 1864 beauftragte Adolf Törngren den Bau eines Raddampfers, der auf dem Pyhäjärvi-See Tampere (Rativan suvanto-Hafen) mit Lempäälä verbinden sollte*. Er war 100 Fuss lang (30.5 m) und 27,5 Fuss breit (8,4 m). Die Dampfmaschine leistete 80 PS. Beides wurde nach den Plänen des deutschen Ingenieurs Hermann Kauffmann in Tampere gebaut. Der Name des Schiffes kommt vom Dichter Elias Lönnrot. Zum einen schrieb dieser das für die finnische Sprache wichtigste Epos Kalevala und zum andern war er auch der „Hauslehrer“ des Flotteneigentümers. Bildung war für den Adolf Törngren ebenso wichtig wie für Elias Lönnrot der Nebenverdienst…
Beim Bau des Raddampfers war das Gebiet des heutigen Finnlands von 1809 bis 1916 russisch; vorher gehörte das Gebiet seit dem 12. Jahrhundert zu Schweden. Finnland selbst feierte in diesem Jahr erst seinen 100. Unabhängigkeitstag. Unter den Russen entwickelte sich Finnland zu einem Nationalstaat; Dichter wie Elias Lönnrot spielten dabei eine grosse, kulturelle Rolle. Ebenfalls in dieser Zeit begann der Bau zahlreicher Kanäle und Schleusen, die nun die zahllosen Seen im wasserreichen Gebiet des heutigen Finnlands bis heute miteinander verbinden. Die Dampfkraft verhalf diesem Gebiet zu wirtschaftlichen Perspektiven und vor allem erstmalig zu einer Infrastruktur, die ein Austausch von Menschen und Waren ermöglichte. Mit rund 5,5 Millionen Einwohnern und einer Grösse, die Deutschland entspricht, gehört Finnland zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas.
Der Bau der Kanäle war der Hauptgrund, weshalb sich Raddampfer in Finnland nicht etablieren konnten. Die Radkästen brauchten in den Kanälen seitlich zu viel Platz, den man produktiver nutzen konnte. So entstand der Typ des finnischen Schraubendampfers, von denen glücklicherweise noch ein paar Dutzend überlebt haben. Bedauerlich ist hingegen, dass Finnland wegen der Übernahme des EU-Rechtes seine Sicherheitsbestimmungen auf 2017 verschärfte und somit befürchtet werden muss, dass nun noch mehr öffentliche Schraubendampfer (wie zB. die neu stillgelegte SS Laitilia in Lahti) an private Besitzer übergehen.

Der Sonntagsdampfer bringt die Gläubigen von Mänttä nach Keuruu; im Vordergrund liegt Holz für den Abtransport bereit in Richtung der Papierfabriken von Mänttä.
Der ursprüngliche Raddampfer Elias Lönnrot stand 11 Jahre im Einsatz, als 1876 die Bahnstrecke zwischen Hämeenlinna und Tampere eröffnet wurde. Der Verkehr auf dem See brach zusammen und die „Elias Lönnrot“ kam 1878 auf den See Näsijärvi nördlich von Tampere, wo der Bau einer Eisenbahnlinie noch kein Thema war. Dort fuhr der Raddampfer weitere 14 Jahre lang von Tampere nach Kuru und Teisko. 1890 wurde das Schiff auf den Keurusselkä See verkauft, wo es Mänttä und Keuruu verband (siehe Karte). Hier war die Aufgabe der „Elias Lönnrot“ das Schleppen von Holzflössen zu den Papierfabriken in Mänttä. 1897 kam schliesslich auch hier die Eisenbahn ins Land, worauf die tägliche Verbindung zwischen Mänttä und Keuruu eingestellt wurde. Da es aber in Mänttä keine Kirche gab und in Keuruu gleich zwei (die heute noch wunderbare Besichtigungsorte darstellen) bedeute dies den Fortbestand des Raddampfers in Form von sonntäglichen “Pilgerfahrten“. Auch diese Herrlichkeit war bald zu Ende: 1923 baute man die erste Strasse nach Keuruu, wodurch die Karriere der „Elias Lönnrot“ beendet wurde. Das Schiff wurde 1926 in Mänttä verschrottet.

Keuruu liegt in der Mitte von zwei Dampferstädten: in Virrat endet heute die Linie der „Tarijanne“ von Tampere kommend und in Jyväskylä beginnt die Linie des Dampfers Saimaa.
Der Dampfer blieb aber in kollektiver Erinnerung: Über Generationen wurden Geschichten über diesen einzigen Raddampfer auf dem 117 km² grossen See (etwas grösser als der Vierwaldstättersee) erzählt, sodass die Idee, den Dampfer nachzubauen, auf Begeisterung stiess. „Eine Schifffahrt entlang dem Keurusselkä-See macht die Menschen durch seine Pracht in Keuruu und Mänttä stolz“, berichteten Zeitungen, als die Replika 1986 in Turku auf der Laivateolliusuus Valmet Oy-Werft von Stapel lief und danach auf der Strasse nach Keuruu transportiert wurde. Mit 31,3 m Länge und 9 m Breite ist die neue „Elias Lönnrot“ II leicht grösser ausgefallen als der ursprüngliche Dampfer. 88 m³ beträgt die Wasserverdrängung, das Schiff ist für 150 Passagiere zugelassen, 2 Mann beträgt die Besatzung. Die 300 PS Maschinenleistung bringen bis zu 14 km/h Geschwindigkeit aufs Wasser. Der Antrieb ist nicht mehr Dampf. Die Dieselaggregate befinden sich links und rechts auf dem offenen Hauptdeck, der Antrieb erfolgt elektrisch gleich darunter. Drei Fahrgasträume bieten im Unterdeck 90 Essensplätze. Eine Fahrt lohnt sich, besonders schön sind die vielen Konstruktionsdetails, die dem Vorbild nachgebaut und manchmal nachempfunden sind.
Im ersten Augenblick erscheint die heutige „Elias Lönnrot“ etwas unförmig, die Kompromisse zwischen Vorbild und heutigen Vorschriften und Bedürfnisse der Kundschaft reiben sich optisch etwas.
Kapitän Mauri Koskela bedient beim Aussennock die beiden Maschinen, mit denen er unabhängig voneinander via den Schaufelrädern das Schiff manöverieren kann.
Spannender Blick vom Salon auf die Schaufelräder und die Landschaft des Keurusselkä-Sees.
Blick in den Hecksalon …
… und aufs Mitteldeck.
Viele bauliche Details sind dem alten Raddampfer nachempfunden.
Ankunft der „Elias Lönnrot“ in Keuruu.
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Hinweise
*) Zu jener Zeit gab es noch einen zweiten Raddampfer: die „Vanaja“ kam 1866 in Betrieb und bediente die Strecke von Tampere nach Hämeenlinna.
Quellen
Text und Bilder H. Amstad (Bilder Textteil pd).
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