Erich Liechti: Eine Werft in Wimmis – seit 50 Jahren eindrücklicher Schiffs-Modellbau.
Zur Zeit geht der Bau Nummer 128 auf Kiel. Es ist dies bereits das vierte Schiff in diesem Jahr – die Werft ist sehr produktiv und erfolgreich. Sie steht in Wimmis und umfasst zwei Gebäude: ein Produktionshaus und ein umgebauter Stall als Lagerhalle, 1:1. Ein Trockendock, ein Schwimmdock und zwei künstliche Seenanlagen stehen zur Verfügung, im Massstab 1:50. Wie in Hollywood lassen sich hier realistisch erscheinende Landschaftsbilder mit einem der Flottenmitglieder ablichten und in Szene setzen; je nach Blickwinkel befinden wir uns eher auf einem Alpenvorlandsee oder im hügeligen Mittelland der Schweiz.
Baunummer 128 wird MS Dornröschen vom Zugersee. Bilder und ein Blatt mit detaillierten technischen Angaben dienen dem Werftchef und Konstrukteur Erich Liechti als Vorlage. Liechti: „Am liebsten habe ich Pläne. Aber aufgepasst: die stimmen oft nicht. Es war üblich, während dem Bau eines Schiffes auch bedeutende Abweichungen gegenüber den Plänen vorzunehmen.“ Ausserdem stünden solche Unterlagen nicht immer zur Verfügung. Der diplomierte Architekt und Schweizer Meister im Modellbau ist ein Routinier: er braucht bloss ein gutes Bild der „Dornröschen“ und schon „geht ein Film ab“ – seine Vorstellungskraft sieht bereits alle Details in der 3‑D-Durchdringung.
Zuvor war ich in Wimmis noch nie ausgestiegen. Wimmis hat keinen Schiffsanschluss und liegt an keinem schiffbaren Gewässer. Dennoch hat es dort eine Werft. Das Haus an der Oberdorfstrasse ist angeschrieben mit „Schifffahrt in der Schweiz, Erich Liechti“. Das schmucke Dorf im Niedersimmental, hinter Spiez gelegen, wird optisch beherrscht durch turmartige Berge, die etwas exotisch an den Fernen Osten erinnern, wenn da nicht die unter Schutz gestellten Simmentalerhäuser aus dem 18 Jahrhundert wären. Wer hier mit der Bahn weiterfährt, kommt mit der MOB nach Montreux an den Genfersee. Immerhin.
Erich Liechtis Liebe zu Schiffen begann im Dorfladen von Hilterfingen, wo er von 1966 bis 1999 mit seiner Familie lebte. In diesem Lebensmittelladen entdeckte er 1966 eine Ansichtkarte von DS Beatus und war sogleich fasziniert von diesem Bild. Bald darauf, vor genau 50 Jahren, begann bei Erich Liechti die „Sucht“ mit der Bauerei – und wie konnte es auch anders sein: sein erstes Schiff war die „Beatus“. Seither entstehen zwei bis drei Schiffe im Jahresschnitt, in extremen Jahren bis zu sieben. Die Bauzeit sei schwierig zu bestimmen, meint Erich Liecht: „Zählt man die Recherchen dazu oder nicht? Für ein ‚einfaches’ Schiff brauche ich reine Bauzeit rund 100 Stunden, bei komplexeren wie die ‚Stadt Luzern’ II waren es über 300.“
Auch als Zeichner und Maler liegt ihm die Detailtreue sehr am Herzen.
Welches sind seine Vorlieben bei der Wahl der Schiffe? Liechti: „Aus dem Bauchgefühl. Der roten Faden sind Escher-Wyss- und Sulzerschiffe. Dann möchte ich Vertreter aller Schweizer Gewässer in der Flotte haben. Ebenso baue ich ‚Exoten’ wie den Ägerer Holzschueh, die ‚Dornröschen’, DS Helvétie vom Lac des Brenets oder die ‚Caprice’ vom Lac de Joux oder Donau- und Rheinschlepper“. Nach dem Baumaterial gefragt verwendet er oft eine Offsetfolie aus Aluminium zum Bau seiner Schiffe. Bei der Vollschale kommt Balsa- und Lindenholz zum Zuge, bei der Hohlschale 0,88 mm Birkensperrholz und Bristolkarton. „Kunststoff verwende ich sehr selten,“ ergänzt Liechti.
Bauten auf Auftragsbasis führt Erich Liechti selten aus: „Es geht mir bei dieser Tätigkeit nicht ums Geld, sondern um den Ausgleich in meinem Leben.“ Zwei Ausnahmen machte er trotzdem: eine für Jürg Meister mit DS „Molly Aida“ aus dem Film Fitzgeraldo und eine für das Ortsmuseum Vitznau, wo mit den Dampfschiffen Rigi, Germania und Italia im Bau die eindrückliche Dorfsituation rund um die damalige Vitznauer Werft dargestellt ist. Hier baute Liechti in einem andern Massstab: „Mit 1 : 200 kommt man an Grenzen, weil Details verloren gehen“, meint der Modellbauer kritisch.
Der heute 74-jährige geht nicht mehr oft auf Reisen. „Ich war für die Baufirma Frutiger während 14 Jahren im Ausland tätig – das ist nun hinter mir.“ Auch auf den Seen ist er nur noch selten Gast. „Während der Familienphase war ich mit meiner Frau Margreth und Tochter Andrea oft an Sonntagen auf dem Wasser, vornehmlich auf auf dem Thuner- und Brienzersee. Auch die übrigen Schweizer Seen und andere europäische Gewässer kamen nicht zu kurz.“ Heute geniesst er das Leben in seinem von ihm renovierten Elternhaus und sitzt, so oft es geht, über und hinter seinen Modellen, respektive seinen Neubauten.
Modelle, so weit das Auge reicht: ein unerhörter Schatz beherbergt die Werft Liechti an der Oberdorfstrasse in Wimmis. Im Bild der Meister selber mit dem Werftschuppen und dem Zürichseedampfer Lukmanier (Zustand 1910), entstanden 2013.
So hat im Studio Liechti der Modellbauer innerhalb von fünf Minuten eine Vierwaldstättersee-Szene z.B. aus dem Jahr 1931 komponiert. Es ist eine nachgestellte Scharnieraufnahme mit schiffs-historischem Hintergrund – beides waren Pionierschiffe. Die „Delphin“ (1913 als erstes Dieselmotorschiff der Schweiz) wurde 1942 ausser Dienst gestellt und die “Mythen“ 1931 als erstes Aluminium-Personenschiff der Welt in Betrieb genommen.
Diese Ansichtskarte vom Raddampfer Beatus gab 1966/67 den Anstoss für seine Modellbau-Karriere.
Alle Modelle haben einen sicheren Platz in präzise deklarierten Holzkisten, wo bis zu vier Schiffe darin Platz finden. Die Kiste Nr. 4 zum Beispiel beinhaltet die Nr. 87 Morgarten Ägerisee, Nr. 96 Stadt Zug Zugersee, Nr. 61 Helvetia Zugersee und Nr. 36 Lützelau Zürichsee.
90% der Liechti-Schiffe sind Wasserlinienmodelle. Liechti: „Ich will die Schiffe so bauen, wie man sie meistens gesehen hat: auf dem Wasser schwimmend.“ Auf dem Bild das ehemalige Thunerseeschiff Jungfrau, heute auf dem Brienzersee fahrend mit anderer Bemalung. 10% sind Vollschiffe, das heisst mit ganzem Rumpf.
Im Parterre des ehemaligen Quartier-Ladens ist eine Art Ausstellung, wo Erich Liechti an einem Konferenztisch interessierte Gäste empfängt, im Bild der Langenseedampfer Verbano. Auch die Details an Deck sind bemerkens- und sehenswert!
Ein Schiff im Exil: das bald wieder fahrende Spiezerli ist in Spiez als Blickfang eines Architekturbüros ausgestellt. Ausserdem hat Liechti zur Zeit weitere Modelle in Leihgabe: im Schloss Thun und in der Hünegg in Hilterfingen.
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Hinweise
Bauliste
Bauepoche mit Anzahl Schiffen: 1967 – 1976 22 / 1977 – 1986 27 / 1987 – 1996 25 / 1997 – 2006 24 / 2007 – 2016 30
50 Jahre Schiffslieferungen für folgende Gewässer: Thunersee 22, Vierwaldstättesee 18, Bodensee 13, Genfersee 11, Zürichsee 9, Brienzersee 8, Neuenburger- und Murtensee 8, Bielersee und Aare 6, Untersee und Rhein 6, Verschiedene 5, Donau 4, Rhein 4, Zugersee 4, Luganersee 2, Langensee 3, Luganersee 2. Einzelproduktionen: Elbe, Ägerisee, Hallwilersee, Walensee. Lac des Brenets, Lac de Joux.
Quellen
Text und Bilder H. Amstad.
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