Fähren in der Schweiz: Die 10 Beiträge aus dem Buch «Uferlos» (Teil 2)
Im ersten Teil des (B)Logbuch-Artikels über die literarische Annäherung von Daniela Schwegler an die Welt der Fährleute in ihrem Buch «Uferlos» haben wir Hintergründe und Motive vernommen. Ihre eigene Beziehung zu Schiffen und zum Wasser umschreibt die Buchautorin wie folgt: „Als Kind sind wir mit dem Gummiböötli den Rhein runter ‘geflösst’. Ich liebe auch lange Überfahrten mit Fähren übers Meer mit den schönen Sonnenuntergängen, dem Weitblick, dem Wasser unter und dem Himmel über mir.»
Im Folgenden fasse ich die zehn Kapitel des Buches aus nautischer Sicht zusammen und ergänze sie mit weiteren Informationen. Im ersten Kapitel besucht die Autorin die Rotseefähre bei Luzern. Auf dem von den Ruderern als „Göttersee“ bezeichneten See verkehrt vom 1. April bis November die „Libelle“; das Boot wurde kürzlich auf Solarbetrieb umgerüstet und transportiert jährlich etwas über 10 000 Passagiere. Die Fähre ist im Eigentum des Quartiervereins Maihof.
Der aus Basel stammende Satz „Verzell das doch am Fährimaa“ ist inzwischen zu einem (deutsch-) schweizerischen Sprichwort geworden. Es suggeriert, dass Fährleute gut zuhören können und keinen Anspruch haben auf eine inhaltliche Überprüfung. Die vier Baslerfähren „Leu“ (Münster-Fähre; im Buch sind die beiden Fährfrauen Barbara und Christine Buser näher beschrieben), „Vogel Gryf“ (Klingentalfähre), „Ueli“ (St. Johann-Fähre) und „Wild Maa“ (St. Alban-Fähre) verkehren auf dem Rhein, oder wie die Basler sagen „auf dem Bach“. Inhaberin der Fähren ist die Stiftung «Basler Fähren»; geöffnet sind sie ganzjährig. Es sind Rollseilfähren, im Buch Standseilfähren genannt.
Der bekannteste „Fährima“ des Buches ist Mich Gerber. Wenn er am Ruder der Gierseilfähre bei Muri (Bern-Kehrsatz) steht, ist unklar, ob die Leute wegen ihm oder wegen einer Übersetzung auf der Aare kommen. Als international gefeierter Bassist gibt er zur Blauen Stunde auch Konzerte auf der (noch) namenlosen Fähre. Dabei setzt er oft das sog. Loopgerät ein, welches ihm ermöglicht, mit überlappenden Melodien ganze Orchester zu simulieren. Das Schiff gehört der Gemeinde Muri und es werden ganzjährig rund 40 000 Personen befördert.
Die Aare kommt im Buch gleich zwei Mal vor: Zwei Frauen betreiben die Reichenbachfähre nördlich von Bern, die bei Normalwasser ebenfalls eine Gierseilfähre ist und bei Niedrigwasser mit einem solarstrombetriebenen Aussenborder auskommt. Der Betrieb gehört der Gemeinde Zollikofen und der Stadt Bern und die Fähre ist von März bis Oktober jeweils von Mittwoch bis Sonntag unterwegs. Jährlich nutzen rund 10 000 Passagiere dieses Angebot. Das Buch macht an dieser Stelle mit Nicole Sacher noch einen Ausflug zur Fähre Navette auf dem Bielersee; die Fährfrau ist nämlich jeweils pro Woche an drei Tagen auf der Aare im Einsatz und an anderen drei Tagen zwischen Erlach und der St. Petersinsel, die entgegen ihrem Namen eigentlich gar keine Insel, sondern eine Halbinsel ist.
Der Kanton Freiburg ist im Bewusstsein der Nautiker keine Schifffahrtsnation. Dies zu Unrecht: Nebst dem Murtensee, der grossmehrheitlich auf Freiburger Territorium liegt, hat der Bilinguekanton auch am Neuenburgersee etliche Uferkilometer (z.B. mit Estavayer-le-Lac) aufzuweisen. Seit Neustem befährt ein Schiff die Sarine (Saane) ab Fribourg und den Schiffenensee. Und schliesslich speist die Saane auch den Greyerzersee, auf dem die drei Fähren Sarcelle, La Sterne, und L’Ondine zwischen Le Bry und der Île d’Ogoz verkehren. Das Buch beschreibt das bunte Treiben des Fährverkehrs zur Ogoz-Insel (Île d’Ogoz). Inhaber der Schiffe ist das Elektrizitätswerk Pont-en-Ogoz. (Der Groupe E gehört auch das Kraftwerk Schiffenensee). In den Monaten Mai bis Oktober werden rund 3000 Passagiere befördert. In den Wintermonaten wird die Insel zum Festland, denn der Pegel des Stausees ist dann so tief, dass man zu Fuss oder motorisiert nach Ogoz gelangen kann. Welcher Kanton kann vier Schifffahrten auf vier unterschiedlichen Gewässern vorweisen?
Die schmucke Solarfähre Gemma von Arth mit Baujahr 2010 verbindet zwischen März und November die Insel Schwanau im Lauerzersee mit dem Festland. Eigentümer des Schiffes wie auch der Staatsinsel ist der Kanton Schwyz. Je nach Jahr befördert die «Gemma» zwischen 6 000 und 10 000 Personen. Autorin Daniela Schwegler schwärmt: «Das Eiland ist schön wie ein Smaragd, sagenumwoben und geheimnisvoll. Schon Wolfgang von Goethe war seinem Reiz verfallen.»
Aus der Vielfalt der Zürichsee-Fähren hat die Autorin wohl die Originellste ausgewählt: Der Nauen transportiert ausschliesslich Vieh und Mönche. Im Frühling und Herbst setzt das Schiff in vier Fahrten insgesamt 25 Rinder für eine sechs Wochen dauernde Weidung auf die Insel Ufenau hinüber. Dazwischen benutzen die Mönche des Klosters Einsiedeln, denen der Nauen und die Insel Ufenau gehören, die «Pfaffendschunke», wie die Einheimischen den Nauen nennen, als Badeschiff. Zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel nach der Notenkonferenz ihres Gymnasiums, gönnen sie sich auf der Insel einen kulinarischen Abend, wobei dann die Mönche zur Insel schwimmen und der Viehnauen ihre Kleider zum Restaurant bringt.
Vom schaffhausischen Paradies nach der deutschen Enklave Büsingen transportiert vom 1. April bis zum 31. Oktober ein Fährbetrieb ein Dutzend bis 300 Passagiere pro Tag über den Rhein, letzteres an schönen Tagen. Die zwei Fährschiffe werden Ende 2022 an die Stiftung Paradies der GF (Georg Fischer AG) übergehen. Der inzwischen in den Ruhestand getretene Fährimann Roland Walter war bislang Inhaber der Fähre und ist in Schifferkreisen kein Unbekannter. 1975 übernahm er mit seiner Frau Jacqueline zusammen die Paradies-Fähre, zuerst zusätzlich zu ihrem Schifffahrtsunternehmen Roland Walter in Schaffhausen. Später gab dieser Fährbetrieb genug zu tun, sodass Walter seine Passagierschiffe verkaufte. In Erinnerung bleiben seine Passagierschiffe, wie die «Attila» (1973 – 1976, heute «Caprice II» auf dem Lac de Joux), «Rapid» (1974 – 1978, später abgerochen), «Albatros» I (1977 – 1980, heute in Holland unterwegs), «Albatros» II (1980 – 1984, heute in Polen, zuvor als «Olagomio» in Murten und als «Napoleon» in Steckborn) sowie «Paradies» (1984 – 1987, heute als Nauen in Weil am Rhein im Einsatz).
Das Buch hat selbst für Schiffsnarren eine Überraschung parat: Auf der Sitter, einem Nebenflüsschen der Thur, hat eine historische Fähre bis heute überlebt. Diese Verbindung zwischen dem Weiler Degenau und dem Hof Gertau in der Gemeinde Hauptwil-Gottshaus besteht ununterbrochen seit dem 12. Jahrhundert1. Die von Hand betriebene Gierseilfähre ist stark vom Wasserstand abhängig, der sich auf diesem unregulierten Gewässer sehr rasch ändern kann. Auf ihr verkehren vor allem Wanderer, Pilgerer auf dem St. Jakobsweg und Velofahrer aus Holland. Die Sitterfähre wird nämlich in einem niederländischen Veloführer Amsterdam – Rom prominent empfohlen.
Rund 80 000 Personen nehmen jährlich das Schiff auf dem Walensee, um von Murg (SBB-Anschluss) nach Quinten (und umgekehrt) zu gelangen. Bekanntlich ist das 70-Seelendof Quinten am Südhang der Churfirsten nur per Schiff oder zu Fuss erreichbar. Beim Gespräch mit Sarina Scherrer, der Tochter des Leiters der Walensee-Schiffsbetriebes, wird deutlich, dass Daniela Schwegler die Fährleute porträtiert und sich nicht auf die Geschichte der Schiffe konzentriert hat. Das Fährschiff Alvier hätte aber eine mindestens so spannende Geschichte zu erzählen: Das Schiff fuhr auf der Spree in Berlin als «Dornröschen», auf dem Zugersee unter dem gleichen Namen, auf dem Zürichsee bei Migros-Begründer Duttweiler als «Seebueb», dann als «Quinten» als erstes «modernes» Rundfahrtenschiff des Schiffsbetriebes Walser auf dem Walensee und nun als «Alvier» als Fährschiff zwischen Murg und Quinten oder als Kursschiff im „Bermudadreieck“ von Murg, Au und Quinten. Wie sagt man doch so schön «Katzen haben sieben Leben» – das Schiff Alvier offenbar auch.
Die «Gamma von Arth» ist auf dem Lauerzersee die schwimmende Brücke zur Insel Schwanau.
Die «Pfaffendschunke» legt in Pfäffikon bei ihrer Schiffshütte (rechts im Bild) ab. Sie ist den Dominikanern des Klosters Einsiedeln…
… und den Rindern des Bauern Josef Häcki vorbehalten.
Die Sitterfähre ist ein Anachronismus; diese Verbindung bei Hauptwil-Gottshaus besteht seit rund 1000 Jahren.
Die Sitter ist manchmal ein reissendes Flüsschen, manchmal ein Bach. Ihr Wasserstand ändert sich extrem schnell.
Sarina Scherrer an Steuer der «Alvier»
MS Alvier verbindet das autofreue Quinten mit dem gegenüberliegenden Walenseeufer und damit mit der SBB-Station Unterterzen ganzjährig.
Daniela Schwegler gelang es mit ihren Geschichten im Buch «Uferlos», dass ich mich mit den Fähren in der Schweiz näher zu befassen begann.
Bilder im Textteil: An Bord Fähre Gemma von Arth, die als Staatsyacht des Kantons Schwyz standesgemäss mit einer gemütlichen Kabine ausgerüstet ist.
Idylle auf dem Zürichsee: Rindertransport zur Insel Ufenau mit der «Pfaffendschunke».
Mit rund fünf Schiffslängen ist die Sitterfähr-Verbindung eine der kürzesten in der Schweiz.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Zurzeit sucht die Inhaberin der Fähre Sponsoren für einen Hafen für die Sitterfähre, siehe Link.
Weiter im Text
Das Westschweizer Fernsehen hat 2019 drei der von Schwegler portraitierten Fähreleute filmisch festgehalten Link
Daniela Schwegler, «Uferlos», 2022 Link
Der erste Teil des (B)Logbucheintrages beschreibt, wie Daniela Schwegler zum Thema «Fähren» gelangte und wie das Buch enstanden ist (Link).
Impressum
Text H. Amstad
Bild 1 Sammlung H. Amstad, Bild 2 Stiftsarchiv Kloster Einsiedeln (Aufnahme um 1980), Bild 3 E. Bieri, Bild 4 Instagramm Fr. Hidber, Bild 5 Instagramm Mellabella, Bild 6 G. Städler, Bilder 7 und 8 H. Amstad
Bilder im Textteil: 1 Sammlung H. Amstad, 2 Bild H. Amstad, 3 Bild R. Oeschger TA vom 22. April 2015
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