Fähren in der Schweiz: literarisch eingefangen in „Uferlos“ (Teil 1)
Fähren verbinden definitionsgemäss zwei Orte miteinander. Sie stehen hierzulande zu Unrecht im Schatten der übrigen Schifffahrt. Fähren haben eine bestimmte Funktion, nämlich den (vergnüglichen) Transport von Menschen und Waren über einen Fluss, zu einer Insel oder zwischen Seeufern, die entweder nur zu Fuss erreichbar sind oder wo der Strassenweg in keinem ökonomischen Verhältnis zur angebotenen Fährverbindung steht. Im „Wasserland“ Schweiz und in den angrenzenden Alpenregionen sind all diese Funktionsarten zu entdecken.
Ruderfähren gehören zu den ältesten Transportmitteln der Menschheit überhaupt. Mit der Industrialisierung lösten Maschinen und Motoren die Muskelkraft ab. Wenige Gierseilfähren und Rollfähren, die ihre Bewegungsenergie aus der Strömung eines Flusses nehmen, sind aber bis heute erhalten geblieben. Die erste Autofähre auf einem europäischen Binnengewässer wird oft dem Bodensee zugeschrieben: 1928 verband die «Konstanz» die Konzilstadt mit Meersburg. Doch bereits 1925 verkehrte die Autofähre Mussolini im Centrolago des Comersees (zwischen Bellagio, Varenna, Cadenabbia). 1929 erlaubten die Bodensee-Trajektschiffe zwischen Friedrichshafen und Romanshorn erstmals den Transport von Autos auf den Eisenbahnfähren; seit 1974 dient diese Verbindung ausschliesslich dem Strassen- und Langsamverkehr. Auch 1929 kam die Autofähre San Cristoforo (I) auf dem Lago Maggiore (zwischen Verbania und Laveno mit Zugsanschluss via Luino ins Tessin) in Betrieb. 1930 verband die erste Autofähre der Schweiz die Gemeinden Beckenried und Gersau am Vierwaldstättersee, wobei der Unternehmer Alois Waser bereits 1927 den Bau dieser Autofähre in Auftrag gab, aber das Eidg. Eisenbahndepartement die Konzession lange nicht geben wollte. Weiter bekannt und bis heute in Betrieb sind die Autofähren auf dem Zürichsee (zwischen Meilen und Horgen, seit 1932).
Dieses Hin und Her mag etwas Monotones an sich haben, strahlt aber seinen eigenen Reiz aus. Gerade dies vermittelt das Buch „Uferlos. Fährleute im Porträt“ der Besteller-Autorin Daniela Schwegler. Aber – „Uferlos“ – das ist ja genau das Gegenteil einer Fährverbindung, bei der die Fährleute und ihre Passagiere in Binnenländern stets das andere Ufer im Blickfeld haben? Daniela Schwegler dazu: „Ich spiele bei den Titeln meiner Bücher stets mit zweiteiligen Wörtern, wie ‚Himmelwärts‘, ‚Landluft‘ oder ‚Bergfieber‘. An einem schönen Sommer-Tag sass ich in einem Restaurant in Stein am Rhein und sinnierte über den Titel des neusten Buches. Das Restaurant hiess ‚Uferlos‘, bei mir machte es Klick, und die Sache war klar.“
Fähren faszinieren
Wie kommt die Autorin nach ihren Büchern über Älplerinnen, Hüttenwartinnen, Bergbäuerinnen und Bergführerinnen auf die Idee, sich aufs Wasser zu begeben? Daniela Schwegler: „Radio SRF hatte einst den Basler Fährmann Jacques Thurneysen von der Münsterfähre zu Gast in der Sendung ‘Persönlich’. Beim Hören fing ich sofort Feuer für das facettenreiche Leben dieses aussergewöhnlichen Fährmanns. Ich wollte ihm ursprünglich gar ein ganzes Buch in Form einer Biografie widmen. Dies lehnte er aber ab – das war zu viel Öffentlichkeit für ihn. So landete ich wieder bei meinem altbewährten Format von mehreren Porträts in einem Buch und lernte so noch weitere spannende Fährmänner und Fährfrauen aus der ganzen Schweiz kennen.» Alle bisherigen Bücher Daniela Schweglers haben etwas gemeinsam: Die porträtierten Menschen folgen ihrer Leidenschaft und Berufung und arbeiten «hautnah» mit der Natur zusammen.
Für dieses Buch wendete die Autorin rund zweieinhalb Jahre auf. Schwegler: „Dabei beansprucht die Kür – nämlich das kreative Schreiben – nur wenige Wochen. Wesentlich aufwändiger ist das Fundraising, denn von den Bucherlösen1 können nur ganz wenige Autorinnen und Autoren leben.“ Schwegler schrieb weit mehr als 300 Stiftungen und Institutionen an. Ebenfalls sehr zeitintensiv sind die Transkriptionen. „Ich besuchte die Fährleute zwei Tage, einmal zusammen mit dem von mir engagierten und bezahlten Fotografen, und einen zweiten für die Interviews, die ich auf Ton aufzeichnete. Allein für das anschliessende Transkribieren der Gespräche benötige ich rund fünf Stunden Arbeit pro Stunde Aufnahme.“ Das ergibt für das vorliegende Buch überschlagsmässig schon mal zirka 500 Stunden, also mehr als vier Monate Arbeit allein für die Herstellung des „Rohmaterials“.
Auswahl der Autorin
Es gibt in der Schweiz zirka 20 kleinere Flussfähren. Weiter bringen auf den Schweizer Seen ganzjährig rund ein Dutzend Passagierschiffe2 Bewohner, Pendler und Ausflügler von A nach B3. Die in oder mit der Schweiz verbundenen drei Autofähren habe ich eingangs bereits erwähnt. Die Schweiz fühlt sich manchmal als Insel (in Europa), selbst hat sie aber wenige davon, die mit Schiffen verbunden sind: Die Inseln von Ufenau im Zürichsee (von Rapperswil und Pfäffikon aus zu erreichen), die Insel Schwanau im Lauerzersee (per Schiff ab Lauerz), die Insel Brissago auf dem Lago Maggiore (von Brissago oder von Ascona/Locarno aus erreichbar) und die Ile d’Ogoz auf dem Greyerzersee (von Le Bry aus) sind die einzigen, die öffentlich per Schiff zu erreichen sind. Wie wählte die Autorin aus dieser Fülle von über 40 Angeboten aus?
„Autofähren waren mir zu gross, ich wollte mich auf kleinere Personenfähren konzentrieren. Die Auswahl erfolgte einerseits geografisch; jede Regionen der Schweiz sollte vertreten sein. Andererseits suchte ich Menschen, die etwas zu erzählen haben. Es gab auch Fährleute, die nicht mit dabei sein wollten.“ Schweglers Texte leben vom Erzählten der Protagonisten. Das Buch liest sich leicht, nicht zuletzt, weil die Autorin eine klare Struktur verfolgt: Nach einer „technischen Einleitung“, die ich im folgenden (B)Logbucheintrag vom nautischen Aspekt her wiedergeben und ergänzen werde, folgt das Kernstück der „Reportage“, nämlich das Porträt der jeweiligen Fährleute. Der Fotograf Ephraim Bieri bereichert den Text mit einer eigenen (und für mich eigenwilligen) Bildsprache. Abschliessend rundet eine kurze Nebengeschichte die Hauptstory ab und ein Ausflugstipp animiert dazu, eine Fährefahrt mit einer Wanderung zu kombinieren. Im nächsten (B)Logbucheintrag gehe ich, begleitet durch die 10 Geschichten von Daniela Schwegler, auf die beschriebenen Fährverbindungen ein.
Nach der Veröffentlichung ihres neusten Buches „Uferlos“ tourt Daniela Schwegler mit Lesungen durch die Schweiz, hier in der Schüür in Baar.
Idylle am Rotsee: Seit bald 600 Jahren verbindet eine Fähre die beiden Ufer des „Göttersees“.
Der Rotsee ist ein beliebtes Naherholungsgebiet der Stadt Luzern und der Gemeinde Ebikon, die beide an den See grenzen.
Beliebt bei Einheimischen wie Touristen: eine Fahrt mit einer der Basler Fähren gehört für die einen zum täglichen Ritual , für andere zum touristischen «Must».
Die vier Basler Fähren gehören zum Stadtbild wie der Eiffelturm zu Paris; im Hintergrund das Basler Münster, das der Fähre Leu den Namen gibt.
Jean-Pierre Grandjean koordiniert die drei Fähren auf dem Lac de Gruyère.
Ile d’Ogoz gilt als eine der schönsten Inseln der Schweiz; ihr Nachteil ist, dass sie im Winter, wenn der Stausee leer ist, keine Insel mehr ist.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Autorinnen und Autoren, die in einem Verlag ihre Bücher herausgeben, werden mit einem Bruchteil des Verkaufspreis entlöhnt, beispielsweise mit 10 Prozent des Verkaufspreises oder mit 15 Prozent des Nettopreises – jeweils minus Mehrwertsteuer. In der Schweiz können nur sehr wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller vom Bücherverkauf allein leben. Während der Buch- und Zwischenhandel 30 – 40 Prozent in Anspruch nehmen, ist der Restbetrag für die Verlage resp. für die Produktion des Buches einzusetzen.
2) Im Wort Passagierschiff und Passagiere steckt der französische Begriff „Passager“ (Fahrgast, Fluggast, Insasse, Mitfahrender, Beifahrer), italienisch passaggiere, Nebenform von: passeggero = Reisender, zu: passare = reisen. Passage bedeutet Durchfahren, Durchfahrt, wobei wir nahe an der Tätigkeit von Fähren sind.
3) Ganzjährig fahrende Schiffe im Sinne von Fährverbindungen von A nach B in der Schweiz sind: auf dem Bodensee zwischen Romanshorn – Friedrichshafen, auf dem Walensee zwischen Unterterzen – Quinten, auf dem Zürichsee zwischen Wädenswil – Männedorf (Stäfa) sowie Thalwil – Küsnacht (Erlenbach), auf dem Greifensee zwischen Maur und Niederuster, auf dem Vierwaldstättersee zwischen Luzern – Kehrsiten-Bürgenstock, Luzern zur Rigi-Südlehne, Rigi-Südlehne – Beckenried sowie Treib – Brunnen, auf dem Luganersee zwischen Morcote und Porto Ceresio, auf dem Lago Maggiore zwischen Locarno und Magadino, auf dem Genfersee zwischen Lausanne und Evian les Bains, von Lausanne nach Thonon sowie von Nyon nach Yvoire. Zwischen Erlach und der St. Petersinsel verkehrt die (Ruf-) Fähre Navette.
4) Daniela Schwegler (*1970) ist Juristin, ging aber schon früh ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, nach. Als Redaktorin arbeitete sie bei der Schweizerischen Depeschenagentur (sda), beim juristischen Fachmagazin plädoyer und bei der Kirchenzeitung reformiert. Als freie Journalistin schrieb sie für verschiedene Medien der Schweiz. Seit 2011 ist sie freischaffend und erreichte mit dem Buch «Traum Alp – Älplerinnen im Porträt» (2013) die Bestsellerlisten. Mit «Bergfieber – Hüttenwartinnen im Porträt» (2015) folgte ihr zweiter erfolgreicher Titel und mit ihrer «Landluft – Bergbäuerinnen im Porträt» (2017) kletterte sie erneut in die Bestsellerlisten. Ihr vierter Bergfrauenband war 2019 «Himmelwärts. Bergführerinnen im Porträt» (2019).
Impressum
Text H. Amstad
Bilder 2 und 3 aus dem Film «Passages» des RTS, übrige Bilder H. Amstad
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