Fahrt auf dem ukrai­ni­schen Dnipro: von der Lebensader zur Kampfzone (Teil 2)

In Memoriam an den ersten Jah­restag des ter­ri­to­rialen Angriffes von Russland auf die Ukraine habe ich im ersten Teil des (B)Logbucheintrages die wirt­schaft­liche und tou­ris­tische Bedeutung des Flusses Dnipro und des Schwarzen Meeres andeu­tungs­weise beschrieben. Kurz zusam­men­ge­fasst: 1823 fuhr im Gebiet von Kre­menchuk ein erstes Dampf­schiff im Lokal­verkehr. Erst ab 1932 war der Dnipro-Strom regu­liert und damit schiffbar. 1978 wurde die letzte der sechs Stau­stufen mit Schleusen fer­tig­ge­stellt und ab dann auch für grosse Pas­sa­gier­schiffe von Kiew zum Schwarzen Meer (Krim, Odessa, Donau­delta, Istanbul) befahrbar. Auf die Schiff­fahrt hatten die Auf­lösung der Sowjet­union und die Gründung der Ukraine im Jahr 1991 einen gewal­tigen Ein­fluss; die anschlies­sende Pri­va­ti­sierung zer­schlug die nau­tische Logistik im Bereich des Waren- und Per­so­nen­trans­portes auf dem Dnipro und die Flotten wurden mehr­heitlich in alle Him­mels­rich­tungen verscherbelt.

2014, 2018, 2022: Der 24. Februar 2022 geht ins kol­lektive Gedächtnis von uns Euro­päern ein, weil das geschieht, was wir vorher ver­drängten. Eigentlich hat der Krieg aber schon im Jahr 2014 mit der Annexion der Halb­insel Krim durch Russland und mit der Sta­tio­nierung pro­rus­si­scher Sepa­ra­tisten im Donbas begonnen. 2018 besuchte ich während drei Wochen das Land, im gleichen Jahr eröff­neten die Russen die Brücke zwi­schen der Krim und ihrer Region Kras­nodar im Osten der Krim. Im zweiten Teil des (B)Logbuch-Beitrages beschreibe ich die Schiff­fahrt von Kiew nach Ochakiv (Beginn des Schwarzes Meeres, 921 km nach Kiew), übers Schwarze Meer (weitere 229 km) bis nach Vylkove (Wilkowa, Chilia-Arm der Donau) und ver­binde die dama­ligen Beob­ach­tungen mit Gescheh­nissen von heute.

Fahrt süd­wärts

3. August 2018: Nach den ersten 148 km erreicht unser Hotel­schiff in Kaniv die erste Schleuse. Unterhalb dieser Stau­mauer ist der Dnipro für einige Kilo­meter natur­be­lassen, d.h. er ist weder regu­liert noch in einen Stausee inte­griert. 200 km nach Kiew ver­bindet eine erste Brücke bei Cherkasy (Tscher­kassy) die beiden Flussufer. Unser zweiter Schiffs-Rei­setag ist ein Flusstag. Was ich im Nor­malfall liebe, ist heute mühsam: Die «Printsesa Dnipra» fährt mit dem Wind, sodass die schwüle, 32 Grad warme Luft mit uns fährt und den ganzen Tag keinen küh­lenden Effekt erzeugt.

Umso mehr geniesse ich am dritten Tag bei einem län­geren Halt im Zapo­rizhzhia (Sapo­rischschja) ein küh­lendes Bad am herr­lichen Sand­strand des Dnipros. Der sie­ben­stündige Auf­enthalt reicht auch für einen Stadt­bummel: Uralte Trol­ley­busse, breite Bou­le­vards, sowje­tisch-ori­en­tierte Archi­tektur fallen ins Auge. Ange­sprochen auf die ver­lot­terte Infra­struktur und den grossen Unter­schied zur Haupt­stadt erklärt mir die Rei­se­lei­terin Gala: «Die Städte- und Regio­nal­re­gie­rungen haben eine grosse Auto­nomie. Es gibt durchaus Geld von der Zen­tral­re­gierung aus Kiew, aber oft ver­si­ckert dieses im Sumpf der Kor­ruption und Vet­tern­wirt­schaft.» Sie ermuntert mich, weitere Städte auf unserer Route zu beob­achten. «Sie werden sehen, dass es auch andere Bei­spiele gibt». Spä­testens auf der Rück­fahrt kann ich dies bestä­tigen: Kre­menchuk zum Bei­spiel ist eine lebens­frohe und gut funk­tio­nie­rende Stadt, dazu später mehr.

Mir kommt am 6. August 2018, Tag 4 der Schiff­fahrt, eine von andern Gästen mit­ge­brachte NZZ in die Hände, in der sich der ukrai­ni­scher Schrift­steller Serhij Zhadan ernst­hafte Gedanken macht zu seinem Land, während kurz davor in Russland die Fussball-WM mit einer Ignoranz der übrigen Welt über die Bühne lief, die mich heute erschaudert: «Der Krieg zwi­schen der Ukraine und Russland, der jetzt schon vier Jahre dauert, ist längst kein Kon­flikt mehr, der sich auf den post­so­wje­ti­schen Raum beschränkt. Er hat das Gleich­ge­wicht in Europa bereits zer­stört. … Die Welt wird in diesen Krieg hin­ein­ge­zogen, und sei es nur dadurch, dass sie ihn igno­riert. Der Preis für eine der­artige Ignoranz ist, dem Bösen das Recht ein­zu­räumen, zu schalten, zu walten und zu wachsen.»1

Am Tag 4 fahren wir in Cherson ab, gleiten während 19 Stunden zuerst noch über das Dnipro-Mün­dungs­gebiet und dann bei Ochakiv über das Schwarze Meer, linker Hand in 180 km Distanz die Krim. Die Brücke zu Russland ist im Osten der Halb­insel am 15. Mai 2014 eröffnet worden. Es macht sich eine gewisse Schwer­mü­tigkeit auf dem Schiff breit, als nach der Abfahrt die His­to­ri­kerin Vera in der Sky-Bar einen viel beach­teten Vortrag über «Die Krim gestern und heute» hält. Die ukrai­nische Bevöl­kerung ist poli­tisch hellwach: «Wir sind alle poli­ti­siert. Daran gibt es keinen Zweifel. Manche von uns sehen in der Politik eine Lot­terie und hoffen, dass ein glück­licher Wurf im Hand­um­drehen all unsere Pro­bleme löst.»

Fünf Jahre später: Heute ver­läuft auf den untersten 360 Fluss­ki­lo­metern des Dnipros die Front zwi­schen der rus­si­schen Besatzung und der rest­lichen Ukraine; wie einst die Elbe (auf 94 km) zwi­schen Ost- und West­deutschland bildet erneut ein Fluss eine unüber­windbare Grenze, es sei denn, die Russen können weiter nach Westen vor­stossen, oder die Ukrainer drängen sie zurück.

Eine öde Insel im Fokus der West-/Ost-Politik

Nur wenige Kilo­meter, bevor die «Printsesa Dnipra» das Schwarze Meer ver­lässt und bald in einen Donau-Sei­tenarm des Kilija-Zuflusses ein­fährt, pas­sieren wir die Schlan­gen­insel. Um das Eiland, welches 10-mal kleiner ist als Hel­goland, wird seit 1948 inter­na­tional gestritten. Nach dem Zerfall der Sowjet­union wird die Insel nach jah­re­langen Ver­hand­lungen 2009 der Ukraine zuge­sprochen. Schnitt 2022: Hier beginnt die neue Offensive der Russen; sie nehmen am 24. Februar 2022 als Erstes mit dem Kreuzer Moskwa und dem Patrouil­lenboot Was­silij Bykow diese stra­te­gische Insel in Beschlag2. Nachdem die Ver­bindung zu den ukrai­ni­schen Grenz­schutz- und Mili­tär­kräften auf der Insel abge­brochen war, wurde am Abend ihre Eroberung durch Russland gemeldet. Ende Juni 2022 gelang es dem ukrai­ni­schen Militär, die Insel wieder zurückzuerobern.

Sze­nen­wechsel 6. August 2018: Pira­ten­schmaus im Restaurant mit ver­klei­deten Pas­sa­gieren, Nep­tunfest in der Sky-Bar mit Pro­duk­tionen des Publikums. Wider­sprüche gehören zum Leben, man muss sie aus­halten können, besonders auf dieser Reise, wo so viel Schönes auf viel Leid, Prunk (Odessa) auf grosse Armut (Wilkowa), unbe­rührte Natur auf tech­ni­schen Gigan­tismus, mensch­liche Wärme auf Men­schen­handel3 und starke ukrai­nische Frei­heits­liebe auf brutale rus­sische Macht­an­sprüche trifft. Trotz diesem emo­tio­nalen Schlin­gerkurs gelingt es den elf anwe­senden Schwei­ze­rinnen und Schweizern sogar, eine Pro­duktion für das Nep­tunfest ein­zu­stu­dieren. An zwei Abenden wird (unter­stützt mit je einer Flasche Wodka, spen­diert vom Italo-Wal­liser Moreno Sp.) auf dem Heck-Aus­sendeck das «Buure­büebli» ein­stu­diert. Obwohl wir uns vorher nicht kannten, gelang nicht nur eine unschwei­ze­risch-spontane Grup­pen­bildung, sondern auch die Auf­führung, sodass wir anschliessend gefragt wurden, ob wir auf dem Dnipro einen Chor-Ausflug machen würden…

Nun erreichen wir auf der Rück­fahrt die berühmte Mil­lio­nen­stadt Odessa4. Ihr Image wird geprägt durch ihr kul­tu­relles Erbe (mit ent­spre­chenden, wun­der­schönen Bauten) und durch endlos schei­nende Besat­zungen, Kriege und Gefan­ge­nen­lager. 2014 gab es hier blutige Stras­sen­kämpfe zwi­schen pro­rus­si­schen Anhängern und der ukrai­ni­schen Armee. Über die fast 200 Stufen der monu­men­talen potem­kin­schen Treppe gelangt man vom Hafen in die Stadt. Wegen Feri­en­ab­we­senheit des Bähnlers fährt die daneben füh­rende Stand­seilbahn heute nicht. Von Odessa aus liefen vor allem zur sowje­ti­schen Zeit sehr viele Urlaubs­schiffe aus. 2022: Wie kaum eine andere Stadt war Odessa vor dem Krieg pro­rus­sisch geprägt. Seit Putins Angriff ist alles anders: In der Stadt am Schwarzen Meer wenden sich auch die Rus­sisch­stäm­migen von Russland ab.

Blick hinter die Kulisse

Der Schiffstag 8 ist ein Flusstag mit Kom­man­do­brücken- und Moto­renraum-Besich­tigung; Musse und Zeit, um in die Geschichte unseres Schiffes ein­zu­tauchen. Schiff und Maschinen wurden in Boi­zenburg (vormals DDR), im Unterlauf der Elbe, gleich an der Grenze zu Lau­enburg gebaut. 2000 Arbeiter waren in der dor­tigen Werft beschäftigt, solche gigan­ti­schen Schiffe für alle «Bru­der­staaten» der DDR zu bauen und zu liefern, vorab für die UdSSR. Die Trans­porte mussten jeweils über BRD-Gebiet erfolgen; dies geschah jeweils nachts Richtung Hamburg und Cux­haven. Es konnte gut und gerne zwei Jahre dauern, bis jeweils ein Hotel­schiff sein Ziel­ge­wässer erreicht hatte, vor allem, wenn die Reise über den Hohen Norden erfolgte und jeweils nur das eis­freie Som­mer­halbjahr zur Ver­fügung stand. Die Ziele waren die Flüsse Wolga, Kama, Don, Amur und Dnipro.4

Der Chef­ma­schinist erklärt sein weit­räu­miges und lautes Reich, in dem rund um die Uhr drei Mann für das Bedienen und für den Unterhalt der ins­gesamt 7 Die­sel­ma­schinen beschäftigt sind. «Jeder von uns ist 4 Stunden im Dienst, gefolgt von 8 Stunden Pause.» Das ergibt auf den Tag aus­ge­rechnet 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden «Ausgang» und 8 Stunden Schlaf bei einem Mann­schafts­be­stand von 9 Mann plus Chef­ma­schinist. «Jeder der drei 1000-PS-Haupt­mo­toren braucht bei 16 km/​h5 Fahr­ge­schwin­digkeit 110 l Diesel in der Stunde.» Deshalb ist es nicht ver­wun­derlich, dass das Schiff einen Kraft­stoff-Tank von 250 000 Litern braucht. Dazu kommt noch ein Trink­was­sertank von 200 000 Litern, wobei der Tages­ver­brauch bis zu 40 000 Litern betragen kann. So erstaunt es nicht, dass die Masse des Schiffes rund 5 000 Tonnen beträgt (Dépla­cement 5 000 m3, im Ver­gleich DS Stadt Luzern 400 m3)

Hoffen auf bessere Zeiten

Am 9. Rei­setag erreicht die «Printsesa Dnipra» die Stadt Kre­menchuk (deutsch Kre­ment­schuk). Ich erinnere mich an die Aussage der Rei­se­lei­terin, die Augen offen zu halten und die gewal­tigen Unter­schiede der Orte zu erkennen. Hier in Kre­menchuk fliessen offenbar die Steu­er­gelder nicht in irgend­welche Pri­vat­ta­schen, sondern dorthin, wo sie hin­ge­hören. Moderne Trol­ley­busse bringen mich zum Bahnhof. Ich fla­niere in der ein­la­denden Lenin­strasse zur byzan­ti­ni­schen Kirche und zurück durch sehr gepflegte Grün­an­lagen und die gross­zügig ange­legten, zehn Meter breiten, kilo­me­ter­langen Quai-Anlagen am Fluss über­ra­schen mich. Eine Stunde nach der Abfahrt beginnt nach der Schleuse Kre­menchuk der gleich­namige Stausee, der grösste seiner Art am Dnipro. 150 km lang sowie bis 30 km breit ist der See und mit 2 200 km2 fast viermal so gross wie der Gen­fersee. Der See wird für eine gewaltige Strom­erzeugung genutzt, ist reich an Fischen und aus­serdem ein enormer Was­ser­speicher für die weiten Dür­re­ge­biete im Süden des Landes.

Beim letzten Stopp in Kaniv, 148 km vor Kiew, führen 365 Stufen hinauf zur Gedenk­stätte des ukrai­ni­schen Schrift­stellers Taras Schewtschenko. Das dortige Museum mit mehr als 2 500 Kunst­werken ist ein schöner Aus­flugs­hügel mit Sicht auf den Dnipro. Noch am gleichen Abend erreichen wir am 11. Rei­setag die ukrai­nische Haupt­stadt und es gibt Gele­genheit, Rück­schau zu halten: Wir waren 2 326 km mit der «Printsesa Dnipra» unterwegs, wofür wir 140 Fahr­stunden brauchten. Die Rei­se­ge­schwin­digkeit von 16,6 km/​h ent­spricht ziemlich dem mir vom Maschi­nisten erklärten Ziel. Weit ein­drück­licher als diese Zahlen sind die blei­benden Erin­ne­rungen an Erleb­nisse und an ein Land, das sich nach Frieden sehnt und in dieser Zeit seine Iden­tität findet. Hoffen wir, es möge gelingen. Ich möchte es diesem fas­zi­nie­renden Land von Herzen gönnen.

MS Printsesa Dnipro im Hafen von Cherson

Der in der Archi­tektur defi­nierte Post­mo­der­nismus der 70er-Jahre prägte auch den Bau dieser Schiffe. Dabei verband die prmäre Funk­tio­na­lität eine inter­es­santen Ästhetik, auf dem Bild eines der drei Trep­pen­häuser auf dem Vierdeckschiff.

Diese Form­sprache zieht sich auch in den Gesell­schafts­räumen durch: das Karge wird durch Herz­lichkeit der Besatzung mehr als nur kompensiert.

Die Chef­köchin (Mitte) schart ein junges Team um sich. Wer von ihnen ist heute im Krieg, geflüchtet, ist arbeitslos oder bereits tot? Eine andere Mög­lichkeit sieht die ukrai­nische Jugend zurzeit nicht.

Die Dnipro-Land­schaft ist geprägt durch breite Was­ser­flächen, fruchtbare Ufer­böden und einer medi­ta­tiven Weite.

Umso leben­diger und abwechs­lungs­reicher sind die Städte, die am Wasser liegen. Heute aller­dings sind auch diese oft ent­völkert, durch Bomben beschädigt oder blutig umkämpft. Das Sailor’s wife Monument im Hafen von Odessa vom Bild­hauer Olek­sandr Tokarev erinnert an alle gefal­lenen See­leute, die nie mehr zurückkehren.

DDR-Tech­no­logie der Sieb­zi­ger­jahre wirkt optisch museal, funk­tio­niert aber tadellos und ist wegen der 100%-iger Mechanik reparaturfähig.

Drei solcher manns­hohen Lang­sam­läufer leisten 1000 PS pro Maschine, was einen Die­sel­ver­brauch von 110 l pro Stunde und Maschine nach sich zieht. Ab 20 km/​h über­tragen sich die Vibra­tionen aufs ganze Schiff.

Bilder im Textteil: Im Sommer herrscht hier kon­ti­nen­tales Klima, weshalb die Abend- und Mor­gen­stim­mungen zu den impo­santen Bor­d­er­leb­nissen gehören.

Das berühmte Opernhaus von Odessa ist ein opti­sches wie akus­ti­sches High­light der Reise und bietet Platz für 1633 Per­sonen. Nebst dem noch heute funk­tio­nie­renden Kul­tur­be­trieb flüchten bei Bom­ben­alarm Schutz­be­dürftige ins Kulturhaus.

Die tech­ni­schen Daten der sechs Dnipro-Schleusen nach Wikipedia

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

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Hin­weise

1) Darf man, soll man in Kriegs­länder reisen? Diese Frage musste ich mir auch stellen und die Antwort muss primär unter mora­li­schen Gesichts­punkten betrachtet werden und weniger aus dem Sicher­heits­aspekt. Wie dazumal im Jugo­sla­wi­en­krieg in den 1990er Jahren konnte man aus reinen Sicher­heits­gründen nicht überall hin­fahren, aber doch die meisten Bal­kan­länder bereisen. Ähnlich ver­hielt es sich 2018, als es nicht emp­feh­lenswert war, die Krim und den Donbas zu besuchen, das übrige Land aber sicher­heits­mässig ohne Pro­bleme zu bereisen war. Ethisch hin­gegen könnte die Antwort etwas kom­plexer aus­fallen, ausser man ist, wie ich, prag­ma­tisch unterwegs. So schrieb ich mir ins Rei­se­ta­gebuch: «Es ist für mich gut, ein Land zu bereisen, das meine und unsere Soli­da­rität braucht und auf Devisen dringend ange­wiesen ist. Täglich wird man mit dem Thema Krieg kon­fron­tiert und das ist gut so: Reflexion hilft, Zusam­men­hänge zu erkennen, sie macht sen­sibel und schafft Ver­ständnis für ein Land und ein Volk, das immer wieder hart gebeutelt wurde, wie z.B. als 1932 bei einer Hun­gersnot, eine Folge von Miss­wirt­schaft und Lenins Bru­ta­lität, 6 Mil­lionen Ukrainer starben.»

3) Das ukrai­nische Volk weiss Bescheid und macht sich Sorgen: Es ver­schwinden lt. offi­zi­ellen Angaben 100 000 Men­schen pro Jahr, unter ihnen viele Kinder. Pro­sti­tution, Organ­handel und Adoption von Kindern für kin­derlose Paare im Westen sind die Gründe für diesen Men­schen­handel. Rei­se­lei­terin Gala: «Seit 20 Jahren müssen Eltern oder legi­ti­mierte Erwachsene ihre Kinder bis zum Alter von neun Jahren auf dem Schulweg begleiten.»

4) Am 6. Rei­setag geniesse ich einen Bal­lett­abend im Opernhaus von Odessa (Bilder im Textteil). Der erste Teil mit «Les Syl­phides» vom rus­sisch-ame­ri­ka­ni­schen Cho­reo­grafen Michel Fokine (1880 – 1942), der als Musik Kla­vier­stücke von Fré­déric Chopin aus­wählte, hat zwar viele gängige Melodien, mag mich aber nicht zu über­zeugen. Die Carmen-Suite nach der Pause ist dann umso gran­dioser: exo­tisch inter­pre­tiert, mit sehr viel Haut und sicht­baren Muskeln, schönem Büh­nenbild und Welt­klasse-Tän­zer/innen. Die Wiener Archi­tekten Fellner und Helmer bauten 1884 bis 1887 diesen Prachtbau wie auch schon die Mai­länder Skala. Der Saal bietet 1633 Plätze und ist berühmt für seine gute Akustik. Bei Bom­ben­alarm flüchten nun viele in dieses Opernhaus, in der Hoffnung, der Angreifer habe ein kul­tu­relles Gewissen…

5) Unsere «Printsesa Dnipra» wurde 1976 für die Wolga erbaut und hiess ursprünglich «Yevgeny Vuch­etich». Die Orthodox Cruise Company ver­legte das Schiff 1991 auf den Dnipro, Hei­mat­hafen Cherson, wo es bis 1998 im Einsatz stand. Dann stand das Schiff zwei Jahre still. Im Jahr 2000 wurde die heutige Ree­derei Chervona Ruta gegründet und das Schiff noch unter dem Ori­gi­nal­namen Yevgeny Vuch­etich wieder in Betrieb genommen. 2003 kam eine erste grosse Reno­vation und das Schiff wurde in «Printsesa Dnipro» umge­tauft. Mit dem Kriegs­beginn und der Krim­krise 2014 blieben die Gäste aus, das Schiff wurde auf die Donau gebracht und das Enga­gement von Hans Kaufmann (Thurgau­Travel) rettete die Ree­derei vor dem Konkurs. Seit 2017 wird der Dnipro wieder ganz befahren, ohne jedoch die Krim anzu­fahren. Ab 2022 geht gar nichts mehr. Die «Printsesa Dnipro» liegt in Kiew und wartet auf bessere Zeiten.

6) Die drei Die­sel­mo­toren treiben bei 350 Umdrehungen/​Minute je eine Schiffs­schraube von 1,5 m Durch­messer an. Es kann bis 25 km/​h7 gefahren werden, doch die Rei­se­ge­schwin­digkeit setzt man auf 16 km/​h, um den Ener­gie­ver­brauch eini­ger­massen im Griff zu haben. Andere techn. Daten: Baujahr 1976 als Bau-Nr. 328, 125 m L, 16,70 m B, 2,70 m T, 260 pax Tragkraft

7) Nachts fährt der Kapitän in vollen Touren, was er ver­mutlich nicht dürfte, aber er meint, nachts sehe und merke es niemand. Dann beginnt das Schiff so zu vibrieren, dass man aus dem Schlaf gerüttelt wird. Die tür­kische Rei­se­gruppe ist an Bord der­massen dominant, laut und schwierig, dass es die übrigen Fahr­gäste irri­tiert. Zum Glück steigen sie am 6. Rei­setag aus und es kehrt erholsame Ruhe ein. Die schönste Schleuse, jene von Nowaja Kachowka, pas­sieren wir leider auf beiden Routen nachts. Mir fallen die über­durch­schnittlich guten Infor­ma­tionen auf dem Tages­pro­gramm auf. Das Schiff ist sehr sauber, es wird auf­fällig viel gereinigt.

Quellen

2) https://​de​.wiki​pedia​.org/​w​i​k​i​/​S​c​h​l​a​n​g​e​n​i​n​sel

Weiter im Text

Bericht aus dem Jahr 2015 über eine andere Fahrt mit der «Printsesa Dnipra»: Eine Woche Schiff­fahrts- und Natur­genuss am Donau-Delta (Link)

Bericht über das Schiff «Printsesa Dnipra» (2015): MS Printsesa Dnipra – ein Mons­ter­schiff mit viel Charme (Link)

1. Teil des Rei­se­be­richtes 2018: Link

Impressum

Text und Bilder H. Amstad

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