Fan­ge­meinde fei­ert 100 Jahre DS Sim­plon auf dem Genfersee

Es gewinnt mit sei­nen Alu­mi­nium-Ober­deck­auf­bau­ten kei­nen Schön­heits­wett­be­werb und die beson­de­ren Merk­male des Rad­damp­fers Sim­plon sind auf den ers­ten Blick quan­ti­ta­tiv eher beschei­den. Auch mit dem Alter, obschon heuer 100-jäh­rig, kann die „Sim­plon“ nicht punk­ten, gehört sie doch zu den jün­ge­ren sei­ner Gat­tung. Die Grösse muss sie mit ihren Schwes­tern Hel­vé­tie und La Suisse tei­len. Bis sie kom­plett wie­der im „alten“ Glanz erstrahlt wer­den min­des­tens noch vier Jahre ver­strei­chen. Bis dahin schip­pert sie mit einem tech­no­kra­ti­schen Steu­er­haus aus den Sech­zi­ger­jah­ren und einer „moder­nen“ Sil­hou­ette herum.

Trotz­dem umhüllt die­sen Damp­fer ein Mys­te­rium* wie bei kei­nem ande­ren. Er hat ähn­lich wie die „Gal­lia“ auf dem Vier­wald­stätter­see eine beacht­li­che Fan­ge­meinde und es kom­men viele ins Schwär­men, wenn sie den Damp­fer­na­men Sim­plon hören. Es gibt Fahr­gäste, die auf dem Gen­fer­see aus­schliess­lich mit DS Sim­plon unter­wegs sind. Ich unter­hielt mich mit drei Exper­ten, was diese Fas­zi­na­tion der „Sim­plon“ aus­macht: mit dem Dampfer­ret­ter und Ver­wal­tungs­rats­prä­si­den­ten (Divi­sion Tou­ris­tik­ver­kehr CGN) Mau­rice Decop­pet, mit der Archi­tek­tin Char­lotte Kunz und dem Dampf­ma­schi­nen­fach­mann Andreas Werner.

Char­lotte Kunz ist über­zeugt, dass der „Sim­plon“ eine Schlüs­sel­rolle in der schweiz­wei­ten Damp­fer-Erhal­tungs­welle zukommt: „Die Haupt­re­vi­sion 1967/68 die­ses impo­san­ten wie ele­gan­ten Damp­fers Sim­plon war weg­wei­send für die Wei­te­r­erhal­tung des Flagg­schif­fes La Suisse der CGN und somit auch wei­te­rer Damp­fer auf ande­ren Schwei­zer­seen.» Für Andreas Wer­ner ist es schlicht der Damp­fer, auf dem «ohne Über­trei­bung man Damp­fer­ge­nuss vom Feins­ten erlebt. DS Sim­plon fas­zi­niert mich durch die ein­drück­li­che Grösse, abso­lut pas­send zum Lac Léman. Als Damp­fer­freund spürt man die Kraft der wuch­ti­gen Dampf­ma­schine bei allen Manö­vern und ebenso geniesst man die Sul­zer-PS wäh­rend den ras­si­gen Längs­fahr­ten an Bord im Salon, an Deck, auf Back- und Steu­er­bord, 1. und 2. Klasse, schlicht auf dem gan­zen Dampfer.»

Die reak­tivste Dampf­ma­schine der Welt

Das Ein­drück­lichste an Bord ist ein Blick in die Maschi­nen­luke. Hier habe ich ins­be­son­dere bei Manö­vern den Ein­druck, auf die stärkste schrä­g­lie­gende Dampf­ma­schine der Welt zu bli­cken. In der Fach­li­te­ra­tur lese ich, die „Sim­plon“ habe die „reak­tivste Dampf­ma­schine der Flotte». Char­lotte Kunz erklärt, was das heisst: «In Europa sind bei der ‘Sim­plon’ und ‘La Suisse’ noch die stärks­ten, schrä­g­lie­gen­den Zwei­zy­lin­der-Heiss­dampf­ma­schi­nen mit je einer Leis­tung von 1400 PSi in Betrieb**. Die­je­nige der ‘Sim­plon’ zeich­net sich durch bes­se­res Beschleu­ni­gungs­ver­mö­gen und rasche­res Reagie­ren bei Manö­vern aus, was mit dem Begriff der reak­tivs­ten Maschine umschrie­ben wer­den kann.» Decop­pet ergänzt: «Weil die Maschine schnell auf Mani­pu­la­tio­nen des Maschi­nis­ten reagiert, wird sie von ihnen ‘geliebt’.»

DS Sim­plon hat genau die glei­chen Dimen­sio­nen wie DS La Suisse (1910) und die „Hel­vé­tie“ (1926). Trotz­dem wird in der Lite­ra­tur nur die „Hel­vé­tie“ als Schwes­ter­schiff bezeich­net. Mau­rice Decop­pet begrün­det: «Die Anord­nung des Kes­sels und der Dampf­ma­schine sind bei DS Sim­plon und DS Hel­vé­tie gleich: die Maschine befin­det sich vorne und “zieht” das Schiff, der Kes­sel ist also hin­ter der Maschine (d.h. heck­wärts) ange­ord­net. Bei der ‚La Suisse‘ ist dies umge­kehrt: der Kes­sel befin­det sich in Fahrt­rich­tung vor der Maschine. Des­halb sind ‚Sim­plon‘ und ‚Hél­ve­tie‘ Schwesterschiffe.“

Der Salon mit dis­kre­ter Schönheit

Zwi­schen dem Beschluss des Ver­wal­tungs­ra­tes und dem Bau­be­ginn dau­erte es zwei Jahre; bis der Damp­fer gelie­fert wurde noch­mals fünf. Mau­rice Decop­pet erklärt die Ursa­che die­ser 7‑jährigen Bau­phase: «Der Bau­be­ginn der ‚Sim­plon‘ war am 28. Juli 1914, doch bereits fünf Tage spä­ter rief auf­grund des 1. Welt­krie­ges die Schwei­zer Armee die Gene­ral­mo­bil­ma­chung aus. Die Arbei­ten wer­den den­noch, aber etwas lang­sa­mer, wei­ter­ge­führt. 1915 wird die Maschine ein­ge­baut und die Schale am 1. April im glei­chen Jahr gewas­sert. 1916/17 ruhen die Arbei­ten wie­der. 1918/19 wird aber der Damp­fer trotz­dem fer­tig gebaut und schliess­lich 1920 in Betrieb genommen.“

In die­sem Zusam­men­hang ist die kunst­his­to­ri­sche Wür­di­gung des Salons auf­zu­grei­fen. Ich nehme den Salon unspek­ta­ku­lär, dis­kret vor­nehm und immens gross wahr. Für Char­lotte Kunz hat die Gestal­tung des Salons ganz beson­dere Qua­li­tä­ten, weil noch sehr viel 100-jäh­rige Ori­gi­nal­sub­stanz vor­han­den ist: «Aus kunst­his­to­ri­scher Sicht ist der im Neo­klas­si­zis­mus gestal­tete Innen­raum des Salons Ers­ter Klasse einer der bemer­kens­wer­tes­ten der CGN-Rad­schif­fen. Hier sind die ursprüng­li­che Salon-Vor­der­wand mit dem zen­tra­len Ein­gang und den bei­den flan­kie­ren­den Buf­fets sowie das Ori­gi­nal­mo­bi­liar weit­ge­hend erhal­ten geblie­ben. Die fein­ge­ar­bei­te­ten, plas­tisch wir­ken­den Intar­sien der Ahorn­pa­neele beim Täfer und kan­ne­lierte Pilas­ter oder Säu­len mit Kom­po­sit­ka­pi­tel­len ver­lei­hen dem Sim­plon-Salon eine vor­nehme Note.»

Nach der „Rhône“ kommt die „Sim­plon“ zu einer Verjüngungskur

Dass die «Sim­plon» noch als letz­tes in ihrem tech­no­kra­ti­schen Sech­zi­ger­jahr-Stil fährt, ver­dankt sie drei kürz­li­chen Teil­re­no­va­tio­nen. Nach dem Brand im Maschi­nen­raum 2004 wur­den die bei­den Kes­sel und die elek­tri­schen Anla­gen revi­diert. Bei der Teil­re­vi­sion von 2010/11 bekam die Maschine eine Total­re­vi­die­rung. Im Win­ter 2017/18 wur­den die bei­den aus dem Jahre 1966 stam­men­den Kes­sel neu ver­rohrt. Wird des­halb bei der Reno­va­tion im Jahr 2024 das Bau­pro­gramm schlan­ker aus­fal­len? Mau­rice Decop­pet winkt ab: «Die Dampf­ma­schine sel­ber muss nicht mehr revi­diert wer­den. Auch der 1.- Kl.-Salon mit sei­nen Ori­gi­nal­tä­fe­run­gen wurde bereits 2004 restau­riert. Aber sonst muss alles erneu­ert wer­den. Die bei­den Kes­sel müs­sen (ver­mut­lich durch einen Ein­zi­gen, wie auf DS La Suisse) ersetzt wer­den. Auch die tra­gende Struk­tur wird ersetzt, teil­weise die Schale, dann die Küche, die sani­täre Anla­gen, zusätz­li­che Schott­wände und vie­les mehr.».

Ziel ist dann, das Schiff für wei­tere 30 bis 50 Jahre im Ein­satz behal­ten zu kön­nen. Für Decop­pet hat der Stil der Sieb­zi­ger-Jahre auch einen gewis­sen Charme, doch will man aber, wie auf den ande­ren voll reno­vier­ten Damp­fern, mög­lichst auf die Ori­gi­nal­sil­hou­ette zurückfinden.

Jubi­lar DS Sim­plon mit Fest­be­flag­gung und Jubi­lä­ums­flagge am Heck­mas­ten in Lau­sanne Ouchy

Blick in die Luke der welt­weit reak­tivs­ten Maschine

Die Wein­berge des UNSECO-Welt­kul­tur­er­bes Lavaux und die euro­pä­isch aus­ge­zeich­ne­ten Rad­damp­fer­flotte vom Gen­fer­see bil­den eine ein­ma­lige Augenweide.

Die Alu­mi­ni­um­auf­bau­ten, die den Damp­fer Ende der Sech­zi­ger­jahre als «modern» erschei­nen las­sen sollte, wer­den im 2024 wie­der ver­schwin­den und einem stil­vol­le­ren Out­fit aus der Grün­der­jahre Platz machen.

Das durch­ge­hende und trans­pa­rente Ober­deck ist ein beson­de­res Merk­mal der «Sim­plon».

Der Salon besticht durch sein Originalmobiliar.

Sicht vom Ober­deck Rich­tung Vevey

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Hin­weise

*) Das grie­chi­sche Wort Mys­te­rium bedeu­tet etwas Geheim­nis­vol­les. Gemeint ist damit ein Sach­ver­halt, wel­cher sich der ein­deu­ti­gen Aus­sag­bar­keit und Erklär­bar­keit ent­zieht mit einer ver­schwie­ge­nen Information.

**) Noch stär­kere Maschi­nen haben dann bereits drei Zylin­der: DS Waver­ley mit ca. 2100 PSi. Mit einer schrä­g­lie­gende Drei­zy­lin­der-Heiss­dampf­ma­schine sowie DS Stadt Luzern (heute gedros­selte Leis­tung) und ehe­mals DS Hel­vé­tie mit je ca. 1600 PSi mit je einer Dreizylinder-Gleichstrom-Dampfmaschine.

***) Bis­her unver­öf­fent­lichte his­to­ri­sche Bil­der über DS Sim­plon sind in einer klei­nen Aus­stel­lung an Bord des Schif­fes aus­ge­stellt. Sie sind auch in der Aus­gabe 201 der Dampf­er­zei­tung abgedruckt.

Impres­sum

Text und Bil­der H. Amstad

Auf­nah­men vom 15. und 16. Juni 2020***

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