Gen­fer Früh­ling: Rad­mo­tor­schiff Ita­lie auf zusätz­li­chen Tou­ren auf dem Genfersee.

Im Novem­ber ver­passte ich das grosse Come­back des die­sel­elek­tri­schen Rad­schif­fes Ita­lie. Bei früh­lings­haf­ten Bedin­gun­gen hole ich das Ken­nen­ler­nen der „Ita­lie“ heute nach. Das Schiff ist wäh­rend die­sem Win­ter in Genf sta­tio­niert und steht bei eini­ger­mas­sen gutem Wet­ter auch aus­ser­halb des Fahr­pla­nes an 12 Tagen im März im öffent­li­chen Ein­satz*. Mit durch­schnitt­lich 60 Pas­sa­gie­ren pro Fahrt ist das heu­tige Fahr­gast­auf­kom­men erfreu­lich; ich geniesse die feu­da­len Platz­ver­hält­nisse an Bord.

Von aus­sen ist aus­ser dem Namen und der Bug­zier kaum ein Unter­schied zum Schwes­ter­schiff Vevey, das vor drei Jah­ren total reno­viert wurde, zu erken­nen. Das bestä­tigt auch der Ver­wal­tungs­rats­prä­si­dent der „Belle Epo­que AG“ der CGN Mau­rice Decop­pet: „Das war bereits ursprüng­lich so, dass dies wirk­lich bau­glei­che Schiffe waren.“ Im Innern des Schif­fes gibt es zwei wesent­li­che Unter­schiede zur „Vevey“: Der Salon als sicht­ba­res Ele­ment und die Antriebs­welle, die dem Fahr­gast ver­bor­gen ist.

Wäh­rend die bei­den Elek­tro-Moto­ren der „Vevey“ unab­hän­gig von­ein­an­der je das Back- und Steu­er­bord­rad antrei­ben, sind bei der „Ita­lie“ die Räder durch eine kar­da­ni­sche Kupp­lung ver­bun­den. Ziel war, die bei der „Vevey“ fest­stell­ba­ren Schwin­gun­gen zu dämp­fen. Nimmt man nun im Salon oder auf dem Ach­tern-Ober­deck der „Ita­lie“ Platz, so scheint die­ses Ziel nicht erreicht zu sein. Bezo­gen auf die Erfah­rung des neuen Sei­ten­rad­schif­fes auf der Loire (RMS Loire Prin­cesse) wür­den die Kon­struk­teure von Saint-Nazaire aller­dings auf eine andere Ursa­che tip­pen. Sie erklär­ten mir bei einem Besuch, dass sie ent­spre­chende Hops­be­we­gun­gen des Sei­ten­rad­schif­fes mit dem Öff­nen der Rad­kas­ten-Lucken begeg­ne­ten. Diese Aktion war dort erfolg­reich, weil dadurch offen­bar das ver­drängte Was­ser nun bes­ser flie­hen kann. Wie dem auch sei, den Rad­kas­ten­kranz bei der „Ita­lie“ nun zu öff­nen wäre natür­lich ein vor­ge­zo­ge­ner Aprilscherz.

Der wun­der­schöne, auf der „Ita­lie“ in gel­ben Far­ben gehal­tene Neo-Empire-Salon, möchte ich spä­ter in einem ande­ren Blog wür­di­gen. Ins­ge­samt macht mir der hohe Stand­art des Umbaus gros­sen Ein­druck: viele archi­tek­to­ni­sche Details wir­ken gepflegt und die 13,6 Mil­lio­nen Fran­ken, die die Reno­va­tion kos­tete, spürt und sieht man. Nebst der Unter­stüt­zung der öffent­li­chen Hand (mit 3 Mil­lio­nen) ist auch dank zahl­rei­chen pri­va­ten Spen­den die not­wen­dige Summe für eine Total­ren­no­va­tion zusam­men­ge­kom­men. Am 10. Novem­ber 2016 fei­erte das Schiff seine 3. Jung­fern­fahrt. 18 Monate und über 60 000 Stun­den waren nötig, um dem Schiff ein neues Leben ein­zu­hau­chen sowie seine ursprüng­li­che Struk­tur und Iden­ti­tät mit der neu­es­ten Tech­no­lo­gie zu ver­bin­den. Der die­sel-elek­tri­sche Antrieb erlaubt es der CGN, auch in der Win­ter­sai­son quasi „auf Abruf“ das Schiff ein­zu­set­zen. Es bleibt zu hof­fen, dass die CGN den zuneh­men­den Trend zur Win­ter­schiff­fahrt ernst nimmt und die bei­den Schiffe ab Lau­sanne und Genf ver­mehrt kurs­mäs­sig einsetzt.

Die „Ita­lie“ gehört zu einer gros­sen Flotte von Schif­fen aus der inten­sivs­ten Bauepo­che in der Schwei­zer Schiff­fahrts­ge­schichte. Es ist der eupho­ri­schen Ent­wick­lung des Tou­ris­mus am Gen­fer­see zu ver­dan­ken, dass die Schiff­fahrts­ge­sell­schaft CGN von 1895 bis zum Aus­bruch des 1. Welt­krie­ges durch­schnitt­lich im Zwei­jah­res­rhyth­mus einen neuen, gros­sen Salon­rad­damp­fer in Betrieb nahm:

- 1895 Genève**, spä­ter mit dies­elek­tri­schem Antrieb, heute in Genf stationiert

- 1900 Lau­sanne, spä­ter mit dies­elek­tri­schem Antrieb, 1978 verschrottet

- 1904 Mon­treux, spä­ter mit dies­elek­tri­schem Antrieb, heute reva­po­ri­siert in Betrieb

- 1905 Gene­ral Dufour, 1977 verschrottet

- 1907 Vevey, spä­ter mit dies­elek­tri­schem Antrieb, 2012/13 total reno­viert heute in Betrieb

- 1908 Ita­lie, spä­ter mit dies­elek­tri­schem Antrieb, heute in Betrieb

- 1910 La Suisse, heute in Betrieb

- 1912 Valais, ab 1962 in Genf sta­tio­niert, 2003 verschrottet

- 1914 Savoie, heute in Betrieb

- 1914 Sim­plon: Bau­ge­binn, nach Aus­bruch des 1. WK Baustopp

Das heisst: in bloss 20 Jah­ren pro­du­zier­ten die Gebr. Sul­zer Dampf­schiffe am „Lauf­me­ter“ für den Genfersee.

Der Bot­schaf­ter Ita­li­ens, „Kom­man­deur Basso“, taufte das Schiff am 26. Mai 1908. Bau­li­che Ver­än­de­run­gen ermög­lich­ten eine Ent­wick­lung, die das Schiff so lange am Leben hielt: Im Win­ter 1910/11 wurde die offene Rück­wand des Steu­er­hau­ses geschlos­sen. 1919 kamen neue Bänke fürs Ober­deck mit Quer­be­stuh­lung anstelle der bis­he­ri­gen Längs­an­ord­nung der Reling ent­lang. Im Win­ter 1923/24 muss­ten die Kes­sel­fun­da­mente ersetzt wer­den, nach­dem Rost­schä­den auf den Trä­gern und Böden ent­deckt wur­den. Ende 1955 kam der Damp­fer zum ers­ten Mal aus­ser Dienst. Die Dampf­ma­schine und der Kes­sel wur­den durch eine die­sel­elek­tri­sche Anlage ersetzt. 1958 fei­erte das Schiff seine 2. Jung­fern­fahrt und bediente dann für die kom­men­den 47 Jahre den täg­li­chen Frühlings‑, Som­mer- und Herbst­kurs Trans­lé­ma­ni­que von Bou­veret nach Genf und zurück. Am 4. Dezem­ber 2005 erfolgte die erneute Aus­ser­dienst­stel­lung mit damals noch unge­wis­ser Zukunft. Zu mei­nem Bedau­ern ver­schwan­den damit die Direkt­ver­bin­dun­gen ohne Umstei­gen vom einen zum andern Ende des Lac Léman.

Von aus­sen betrach­tet unter­schei­det sich die „Ita­lie“ aus­ser mit dem Namen nur wenig von der „Vevey“, was ich schade finde. Schiffe sind indi­vi­du­elle Gefährte und so soll­ten sie auch ohne Able­sen des Namens erkenn­bar sein. Die bei­den Schiffe sind nun aber „ein­ei­ige“ Zwil­linge ähn­lich wie MS Brun­nen und Flüelen auf dem Vier­wald­stätter­see oder gewisse Rad­damp­fer­ty­pen in Dresden.

RMS Ita­lie steht am Quai du Mont-Blanc bereit für vier sams­täg­li­che Extra-Rundfahrten.

Blick aufs Ret­tungs­boot zum DS Rhône, das in die­ser Sai­son vor­nehm­lich als Reser­ve­schiff dient.

Glück­lich, wer an Bord die herr­li­che Rund­fahrt geniesst.

Gute Fern­sicht gibt den Blick zum noch tief ver­schnei­ten Mont­blanc frei.

Mann­schaf­ten und spe­zi­ell Maschi­nis­ten müs­sen bald mehr von Elek­tro­nik ver­ste­hen als von Mecha­nik: das neue Zeit­al­ter hält auch im Maschi­nen­raum Einzug.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

*) Die sog. Gen­eva Tour ver­lässt Genf Mont-Blanc jede Stunde um 13.15 bis 16.15.

**) Mit dem Bau der „Genève“ begann 1895 die Aera Sul­zer, nach­dem vor­her aus­schliess­lich Escher Wyss aus Zürich der Haus­lie­fe­rant der Gen­fer­see Flotte war.

Quelle: Meis­ter, Gwer­der, Liechti „Schif­fahrt auf dem Gen­fer­see“ 1977.

Quel­len

Bild 1: M. Fröhlich,

Text und übrige Bil­der H. Amstad.

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