Ikone unter den Rad­damp­fern: „Wai­ma­rie“ in Whan­ganui Neuseeland.

Whan­ganui liegt am süd­li­chen Teil der West­küste auf der Nord­in­sel Neu­see­lands. Wer nicht mit Wohn­wa­gen oder Miet­auto unter­wegs ist kommt ab Auck­land mit dem Flug­zeug oder von ver­schie­de­nen Städ­ten aus per Bus dort­hin. Ich bin viel mit Bus­sen unter­wegs, sie sind in Neu­see­land bequem und schnell, fah­ren aber oft nur wenige Male pro Tag. Als ehe­ma­lige bri­ti­sche Kolo­nie hat das Land im Ver­hält­nis zur klei­nen Bevöl­ke­rungs­dichte ein gutes Eisen­bahn­netz, nur fah­ren oft aus­schliess­lich Güter­züge dar­auf*. Mein Ziel ist, den Fluss Whan­ganui und seine viel beschrie­bene land­schaft­li­che Schön­heit ken­nen zu ler­nen und mit der ebenso umschwärm­ten „Wai­ma­rie“, mit dem ein­zi­gen Rad­damp­fer von ganz Neu­see­land, zu fahren.

In die­sem Jahr star­tete die Sai­son spä­ter als sonst. Der Aus­was­se­rungs­ter­min für die regel­mäs­sig durch­ge­führte Fünf­jah­res­re­vi­sion ver­zö­gerte sich wegen Hoch­was­sers. Der Damp­fer kam dann erst am 27. Sep­tem­ber 2016 aus dem Was­ser, wo nebst einem Gesamt­erneue­rungs­an­strich vor allem die Schale revi­diert und sand­ge­strahlt wurde. Wei­tere ungüns­tige Was­ser- und Wet­ter­ver­hält­nisse zöger­ten dann auch die Ein­was­se­rung über den geplan­ten Ter­min hin­aus und somit fiel auch die Sai­son­er­öff­nung vom 29. Okto­ber dahin. Am Wochen­ende vom 12./13. Novem­ber war es dann soweit: die Sai­son 2016/17 konnte eröff­net wer­den und ich war mit an Bord. Trotz kal­tem Regen­wet­ter waren die bei­den ers­ten 11-Uhr-Fahr­ten gut belegt und es schien, dass die ganze Stadt sich dar­auf freute. Der Rad­damp­fer ist auf alle Fälle stark im Bewusst­sein der Bevöl­ke­rung ver­an­kert. Die Leute ver­stan­den, warum ich mich aus­ge­rech­net für Wan­ganui als Desti­na­tion ent­schied, wenn sie danach frag­ten. Neu­see­län­der sind nicht nur kom­mu­ni­ka­tive Leute, son­dern auch aus­ge­spro­chen freundlich.

Der Stand­platz in Whanganui.

Im offe­nen Steu­er­haus herrscht Andrang. Der „Alte“ (als lie­be­volle Bezeich­nung des Chef­ka­pi­täns gemeint) kommt bloss beim Able­ge­ma­nö­ver zum Zug. Sonst freuen sich jeweils zwei Steu­er­män­ner dar­auf, abwechs­lungs­weise das urige Schiff auf dem nicht ganz ein­fach zu navi­gie­ren­den Fluss Whan­ganui zu len­ken. Ein Ket­ten­zug über­trägt die Bewe­gung des Steu­er­ra­des direkt auf das Ruder­blatt. Der Schiffs­füh­rer gibt mit Zuru­fen die Kom­man­dos in den Maschi­nen­raum, der sich in Sicht­kon­takt direkt hin­ter dem Steu­er­haus im Rumpf des Schif­fes befin­det. Auf der Rück­wand des Steu­er­hau­ses sind die ein­zi­gen elek­tri­schen Aggre­gate zu fin­den: eine Ste­reo­an­lage, die den Kom­men­tar zur Stre­cke zum Bes­ten gibt und eine Funk­sta­tion, um Kon­takt auf­neh­men zu kön­nen zu andern Schif­fen. Von denen gibt es zwei Sor­ten: im Unter­lauf des Flus­ses sind drei his­to­ri­sche Schiffe** unter­wegs, zwei davon heute mit Die­sel­an­trieb, im Mit­tel­vlauf beim Natio­nal­park Jet­boats. Der Whan­ganui-River ist der längste schiff­bare Fluss Neu­see­lands. Der Fluss bringt nach 200 km Länge viel Was­ser aus der Vul­kan­ge­gend des Natio­nal­parks ins Meer, das sei­ner­seits mit der Ebbe und Flut wei­tere Strö­mun­gen ver­ur­sacht, rund zwei Meter Höhen­un­ter­schied in jeweils 12 Stunden.

Der Hei­zer und Maschi­nist tei­len sich den glei­chen Raum. In der Mitte des Schif­fes pro­du­ziert ein Ein­flamm-Rohr­kes­sel den Dampf für je eine links und rechts davon sich befind­li­che Dampf­ma­schine mit hori­zon­tal lie­gen­den, klei­nen Zylin­dern. 250 kg Kohle rei­chen pro Stunde, die „Wai­ma­rie“ im Still­was­ser auf die nor­male Rei­se­ge­schwin­dig­keit von 13 km/​h zu brin­gen. Das Schiff ist über­all frei zugäng­lich; der vor­dere Salon hat eine kleine Kom­büse mit einem Mikro­wel­len­ofen. Im Ach­tern­sa­lon kann nach Bedarf ein Buf­fet ein­ge­rich­tet wer­den. Das obere Frei­deck ach­tern ist über­dacht wegen den Russ­par­ti­keln. Beim Befeu­ern des Kes­sels kommt ganz schön eine roman­ti­sche Stim­mung auf; zum Glück scheint die neu­see­län­di­sche Wohn­be­völ­ke­rung in den Hang­la­gen des Whan­ganui Rivers nicht sen­si­bel zu sein…

Die „Wai­ma­rie“ ist ein neu­see­län­di­sches Mil­le­nium-Pro­jekt und hat eine bewegte Geschichte hin­ter sich. Das Schiff hiess zuerst „Aotea“ und wurde 1899 auf der Werft Yar­row & Co in Pop­lar bei Lon­don erbaut. In Kis­ten ver­packt gelangte das Schiff in Sek­tio­nen per See­fracht nach Neu­see­land und kam fein säu­ber­lich wie Puz­zle­teile zusam­men­ge­baut am 20. Juli 1900 in Betrieb. Tho­mas Cook ver­mark­tete den Fluss Whan­ganui in Eng­land als „Rhein des Mao­ri­lan­des“ und brauchte dazu die­ses Schiff, um eine Kon­kur­renz zur ort­an­säs­si­gen Ree­de­rei von Alex­an­der Hatrick auf­zu­bauen. Nach einem was­ser­ar­men Som­mer musste das Schiff aber 1902 an den dama­li­gen Tou­ris­mus­un­ter­neh­mer, Major und Bür­ger­meis­ter von Whan­ganui Hatrick ver­kauft wer­den. Er taufte das Schiff in Wai­ma­rie um, was in der Mao­ri­s­pra­che so viel heisst wie Gut­glück oder fried­li­ches Was­ser. Seit Ende des 19. Jahr­hun­derts war der Whan­ganui-River inter­na­tio­nal ein Tou­ris­ten­mekka wie die Rigi in der Schweiz; vor allem die Eng­län­der lieb­ten es, die Welt zu ent­de­cken und sie hat­ten in ers­ter Linie auch genug Mit­tel, sich sol­che Rei­sen zu leis­ten. Ihr Reich­tum und vor allem ihre Zah­lungs­kraft ver­dank­ten sie dem Welt­han­del auf allen Mee­ren der Erde.

Alex­an­der Hatrick betrieb nun eine Flotte von 12 Dampf­schif­fen, die haupt­säch­lich zwi­schen den Orten Whan­ganui und Pipi­riki sowie Tau­ma­ru­nui mit Fracht, Post und Pas­sa­gie­ren unter­wegs waren. 1928 über­nahm die Schiff­fahrts­ge­sell­schaft Wan­ganui River Ser­vices Ltd., die dem Sohn von Hatrick gehörte, die Flotte. Als 1935 die Whan­ganui River Road eröff­net wurde liess die Nach­frage auf den Schif­fen nach. 1949 wurde der Damp­fer still gelegt, weil ein neuer Kes­sel ein­ge­baut wer­den sollte. Drei Jahre spä­ter sank das Schiff an ihrem Stand­platz und wurde in den fol­gen­den Jahr­zehnen immer stär­ker unter dem Schlick des Flus­ses „begra­ben“ und damit auch ein Stück weit kon­ser­viert. Nach 41 Jah­ren „Moor­la­ge­rung“ pack­ten pas­sio­nierte Damp­fer­freunde den Plan, das Schiff auf sein 100-Jahr-Jubi­läum zu heben und zu restau­rie­ren. In müh­se­li­ger Klein­ar­beit wurde das Schiff jeweils bei Ebbe zum teil von Hand aus­ge­bud­delt und Stück für Stück ent­we­der reno­viert (wie z.B. die Dampf­ma­schine, Dampf­pfeife und Teile der Schale) oder prä­zise nach­ge­baut wie die Auf­bau­ten, des­sen Holz in der Feuchte ver­mo­derte. Am 20. Dezem­ber 1999 bestand die neu erstrahlte „Wai­ma­rie“ die Pro­be­fahrt mit Erfolg und Wan­ganui konnte am 1. Januar 2000 ein ganz tol­les und nach­hal­ti­ges Mil­le­ni­um­pro­dukt in Betrieb nehmen.

Die „Wai­ma­rie“ ist einer der ori­gi­nells­ten Rad­damp­fer der Welt; das wis­sen auch die Besat­zungs­mit­glie­der, die sich auch die­ses Jahr rie­sig auf die Sai­son­er­öff­nung freuten.

Blick von vorne zum Heck; die begeh­bare Aus­sen­gal­le­rie befin­det sich zwi­schen dem Scha­len- und Ober­deck genau in der Mitte.

Ent­spre­chen­der Blick von hin­ten zum Bug; in den Rad­käs­ten befin­den sich die Toi­let­ten, wobei die Füsse in einer Ver­tie­fung Platz fin­den, damit man noch ste­hen kann.

Ein Besat­zungs­mit­glied berei­tet die Brief­tau­ben vor, die kurz vor dem Wen­de­punkt der Damp­fer­fahrt mit einer „Mes­sage“ aus­ge­stat­tet zurück­flie­gen zum Aus­gangs­ha­fen in Whanganui.

Im vor­de­ren der bei­den Salons hat es ein Buf­fet, wo die drei Ange­stell­ten alle Hände voll zu tun haben.

Der in Weiss geklei­dete Maschi­nist bedient zen­tral die bei­den Dampf­ma­schi­nen; nicht im Bild ist der zweite Mann unter Deck: der in Blau geklei­dete Hei­zer, der am glei­chen Ort den Ein­flamm-Kes­sel (Bau­jahr 1999) bedient.

Im Früh­ling 2016 wurde der Damp­fer stan­des­ge­mäss durch drei Dampf­trak­to­ren aus dem Was­ser gezo­gen, um Revi­si­ons­ar­bei­ten an Land auszuführen.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

*) Im gan­zen Land, das rund 6 Mal so gross ist wie die Schweiz aber nur die Hälfte der Bevöl­ke­rung behei­ma­tet, sind vom noch bestehen­den 4000 km lan­gen Eisen­bahn­netz Neu­see­lands bloss noch drei Linien für Pas­sa­giere nutz­bar: • Der Not­hern Explo­rer zwi­schen Auck­land und Wel­ling­ton (wöchent­lich 3 Züge in jeder Rich­tung mit 7 Zwi­schen­stopps) • Die Linie Coas­tel Paci­fic zwi­schen Pic­ton (Fäh­rean­schluss von und nach Wel­ling­ton) und Christ­church (täg­lich 1 Zug in jeder Rich­tung mit 5 Zwi­schen­stopps, seit dem 13. Novem­ber nach dem Erd­be­ben auf unbe­stimmte Zeit still­ge­legt) • Der Tranz­Al­pine (täg­lich 1 Zug in jeder Rich­tung mit 7 Zwi­schen­stopps). Obwohl die Fahr­ten im Ver­hält­nis zum Bus teu­rer sind sie in jedem Fall emp­feh­len­sert, sie gehö­ren zu den spek­ta­ku­lärs­ten Eisen­bahn­stre­cken der Welt. Die Züge sind schwach belegt; jede Kom­po­si­tion hat einen gross­zü­gig aus­ge­rüs­te­ten Spei­se­wa­gen (10 Plätze an 6 Tischen und 6 Pan­ora­ma­fens­tern), ein Gepäck- und offe­ner Aus­sichts­wa­gen nebst min­des­tens zwei Per­so­nen­wa­gen. Die Pri­va­ti­sie­rung der Eisen­bahn ist kläg­lich geschei­tert; 2008 kaufte der Staat die Linien von den Betrei­bern wie­der zurück. Tipp: eine halbe Stunde frü­her am Bahn­hof erschei­nen, Früh­ab­fahr­ten sind mög­lich und häu­fig. Link

**) Nebst der „Wai­ma­rie“ ste­hen ab Whan­ganui noch fol­gende Schiffe im Ein­satz: MS Wai­rua (ex-DS, 1904 gebaut eben­falls in Lon­don für A. Hatrick) und MS Adven­ture II (ex-DS)

Bemer­kung zur Schreib­weise: Wha­ga­nui schreibt sich der Ort und der Fluss in der Mao­ri­s­pra­che, seit der Zeit der Euro­päer kam auch die Schreib­weise Wan­ganui auf. Ein dies­be­züg­li­cher Spra­chen­streit, was nun gilt, ist bis heute nicht gelöst.

Tech­ni­sche Daten PS Wai­ma­rie: In Betrieb 1900 (Details siehe Text), L 30.54 m, B 6.71 m, T 1.5 m, v 20 km/​h bei 70 u/​min (Rei­se­ge­schwin­dig­keit 13 km/​h bei 42 u/​min), M 2 Ein­fach­zy­lin­der mit Stephenson’sche Steue­rung (Erbauer Yar­row & Co, Pop­lar, Lon­don), 150 pax

Quel­len

Bild 7 Whanganui-Schifffahrt,

Text und übrige Bil­der H. Amstad.

Wei­ter im Text

Dampf­er­zei­tung 4/2012 S. 29ff / PR-Video (Link), Video mit allen drei hist. Schif­fen (Link)

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