Ein Bielersee-Oldtimer wird fit gemacht: Lagerschiff Jura braucht finanzielle Unterstützung
MS Jura ist das erste Salonmotorschiff auf dem Bielersee und somit ein verkehrshistorisches Denkmal. Dass es heute noch fährt verdankt es Markus Petrig und seinen Studentinnen der Berufs‑, Fach- und Fortbildungsschule (BFF) Bern. Für den Dozent Petrig war es wichtig, seinen Projektunterricht nicht nur im Theoretischen zu dozieren und im Sandkasten zu modellieren. Nein, der Praxisbezug war ihm jeweils in all seinen Projekten wichtig. Er hörte 1992 von der Ausrangierung der «Jura» und eine Handvoll motovierter Studierender entwickelten daraus das nachhaltigste von all den Projekten. Sie kreierten nicht nur das Konzept für das erste Lagerschiff der Schweiz, sondern legten zusammen mit dem Landschaftswerk Bielersee auch gleich selber Hand an für die komplette Sanierung und Umrüstung in ein fahrendes «Jugendherbergeschiff».
Seit 1995 bietet das Schiff für 60 Personen als Sonderschiff, für 30 Personen für Bankette oder für 26 Personen zum Übernachten (in zwei Räumen) von Ende Mai bis September Seeschulwochen, Kinder- und Jugendlager, Weiterbildungen für Institutionen und Familien eine schwimmende Plattform auf den drei Juraseen und den zwei Kanälen*. MS Jura darf an allen Anlegestellen der BSG- und LNM-Schiffe anlegen; übernachtet wird in der Regel in Erlach, weil dort an Land in naher Distanz die sanitären Einrichtungen vorhanden sind, die auf dem Schiff fehlen (ausser WC). Aber auch Murten, Faoug, La Sauge, Auvernier, Cortaillod, Hauterive (Neuenburg) und St. Petersinsel sind beliebte «Nacht-Häfen». Bis heute haben in 24 Jahren weit über 200 Behindertengruppen und Schulklassen aller Stufen eine «Seeschulwoche» oder Lagerwoche auf dem MS Jura verbracht. Nun stand 2019 eine grosse Landrevision auf dem Programm. Bevor ich am Tag der offenen «Werft» einen Besuch abstattete, warf ich noch einen Blick in die Geschichte des Nostalgieschiffes.
Schiffbau in prominenter Nachbarschaft
Zusammen mit dem Schwesterschiff Seeland wurden die beiden Pionierschiffe in La Neuveville am 18. Oktober 1932 zu Wasser gelassen und ersetzten DS Stadt Biel (1911), das nach Meinung des Verwaltungsrats der Dampfschifffahrtsgesellschaft Union (heute BSG) zu klein und unrentabel war. Als Folge der Weltwirtschaftskrise und der Sättigung des Heimmarkts wurde der industrielle Schweizer Schiffbau von Escher Wyss Zürich und Sulzer Winterthur in der Zwischenkriegszeit (1918 bis 1939) weitgehend aufgegeben**. In Zürich hoffte man auf den Auftrag aus Biel, um den angeschlagenen Schiffbau zu unterstützen. Es war dann eine Überraschung, dass der Bau der beiden Schiffe nach Deutschland vergeben wurde: Die Bodanwerft im baden-württembergischen Kressbronn erhielt den Zuschlag als Kompensationsgeschäft der Bieler Uhrenindustrie mit Deutschland***. Im Flottenprogramm der Bodanwerft waren die beiden Schiffe in prominenter Gesellschaft: ein Jahr zuvor baute die Werft die SBB-Salonschiffe Thurgau und Zürich, ein Jahr danach vertraute die DB ihren Raddampfer Hohentwiel der Werft für einen Umbau an.
60 Jahre später übernahm ein Verein für 50 000 Franken das ausrangierte MS Jura und gleichzeitig einen ständigen Liegeplatz an der inneren Hafenmole von Erlach. Die Studierenden verabschiedeten sich naturgemäss von der BFF und somit auch von ihrem Projekt. Der bisherige Verein wurde in eine Genossenschaft umgewandelt. Markus Petrig übergab das Präsidium der Genossenschaft an Andreas Zahnd, dieser wiederum 2017 an Katrin Mühlemann. Die Präsidentin: «Mit einer Lagerwoche kann den Gruppen ein Erlebnis von unermesslichem Wert geboten werden. Das Lagerleben auf einem Schiff in einer unglaublich attraktiven Umgebung ist eine Erfahrung der Sonderklasse!» Daneben sorgt seit 2008 der Gönnerverein unter Markus Petrig dafür, dass regelmässig Beträge zusammenkommen, sodass der Betrieb der MS Jura gesichert werden kann. Seit 2012 steht auch der Lions Club Büren a.d. Aare finanziell zur Seite, wenn es um Investitionen geht, denn ausserordentliche Renovationen übersteigen die Möglichkeiten des Gönnervereins.
Am 7. April 2019 wurde das 42 Tonnen schwere Schiff in Nidau auf der Slipanlage der BSG beim Barkenhafen an Land gezogen. Gleichzeitig startete die Genossenschaft die Crowdfunding-Aktion auf der Plattform «Lokalhelden» der Raiffeisenbank. Es galt, die zu erwartenden Kosten von 70 000 Franken zu decken; der «Einstiegspreis» lag bei 30 000 Franken, der just am Tag der offenen «Werft» erreicht wurde. Heute fehlen noch 20 000 Franken, die Aktion «Lokalhelden» dauert noch bis zum 24. Mai 2019. Hier der Link für Ihre Unterstützung, Fan zu werden und schliessloch einen Betrag zu sprechen, was ich als regelmässiger Kunde und Mitglied des Gönnervereins wärmstens empfehlen kann.****
Arbeiten im Trockenen
Unter der Federführung des gelernten Rheinschiffers David Weber, seit 15 Jahren Schiffsführer auf der «Jura», haben bis zu acht Leute am Schiff gearbeitet. Vom Ergebnis ist er begeistert: «Die Arbeiten gingen dank Traumwetter flott voran. Einzig das Auswechseln der Schraube machte trotz Unterstützung von Profis einige Probleme, da niemand mehr wusste, wie die Montage-Mechanik aus den Fünfzigerjahren, wo die Schraube letztmals gewechselt wurde, funktionierte. Einige Stellen der Schale mussten ersetzt werden. Glück hatten wir, dass der alte Kupferanstrich sich bereits mit dem Hochdruck-Abspritzen löste. Nach dem Schleifen der Schale konnten wir sie vier Mal grundieren und anschliessend mit einem umweltverträglichen, ebenfalls vierfachen Farbaufbau versehen. Parallel dazu wurde die Ruderanlage neu justiert, der Seekasten und das Seewasserventil, durch die das Wasser zur Motorenkühlung fliesst, erneuert und der ehemalige WC-Überlauf verschweisst.»
Am Montag 29. April gleitete die «Jura» wieder zurück in den Bielersee. Der Motor sprang an und David Weber und Helena Nidecker brachten das Schiff zurück nach Erlach an seinen Stammplatz. Bei stürmischer Bise arbeitete die Crew vergangene Woche im Innern des Schiffs weiter. Ende Mai werden die ersten Jugendlichen und Gäste wiederum aussergewöhnliche Tage auf dem schwimmenden Lagerschiff geniessen können.
Ab dem 7. April war die Slipanlage der BSG frei für den Landgang des MS Jura.
David Weber am Grundieren der Schale mit dem imposanten Ruderblatt.
Noch zwei Tage warten, und die «Jura» darf zurück in ihr gewohntes Element.
David Weber darf stolz sein auf das Erreichte: in bloss drei Wochen musste die gesamte Sanierung über die Bühne.
Frontansicht der «Jura» am Tag der offenen Tür vom 27. April.
Der Vorstand setzt sich mit voller Kraft ein für den Erhalt des Kulturgutes MS Jura: v.l.n.r.: Niklaus Graber, Hans Lüdi, Genossenschaftspräsidentin Katrin Mühlemann, Marlise Baumgartner (von der ersten Stunde an dabei!) und Regina Stucki.
MS Jura ist bereit für weitere Jahre für Lagerwochen auf den Kanälen und Seen des Jurasüdfusses, hier mit einer Lerngruppe der BVS Zug mit Geri Kobelt und Othmar Wüest. Tabelle Textteil: Ausschnitt aus der Originalflottenliste der Bodanwerft von MS Jura, eingebettet in prominenten Nachbarn MS Thurgau und MS Zürich sowie DS Hohentwiel (mit der Bemerkung «Wulstanbau und Umbau Raddampfer»), heute alle noch fahrend!
Bilder 1 und 2 N. Graber, übrige Bilder und Text H. Amstad
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Hinweise
*) Die Tagesfahrt kostet 1 400 Fr., das Weekend 2 300 Fr., die Schulwoche 3 500 Fr. und ein privater 5‑Tages-Törn (inkl. 15 Stunden Fahrt) 5 200 Fr. Mit einem Lagerwochenpreis von Fr. 3 500 fehlen der Genossenschaft pro Woche rund Fr. 1 500 für die Finanzierung des Betriebspersonals, Betriebsstoffe und Schiffsunterhalt. Dafür muss die Genossenschaft aufkommen.
Quellen
**) Charlotte Kunz Bolt «Industrieller Schiffbau» aus: Historisches Lexikon der Schweiz / ***) Heinz Amstad «Ein schwimmendes Lager» aus: Dampferzeitung 2/1998 S. 48ff
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