Leinen los in Mecklenburg: Mit dem Hausboot selber Kapitän sein
Der Schiffsmotor läuft an. Zeit für die Probefahrt. Der Skipper blickt zu den Bäumen hoch und erkennt an den wankenden Ästen leicht ablandigen Wind. Der Vermieter freut sich ab uns Schweizern und scheint in uns das Talent zu erkennen, mit der „Paradise“ (Länge 13.4 m) die kommende Woche gut zu meistern. Freimütig gibt er Tipps für idyllische und abgeschiedene Ankerstellen. Vier Kumpels starten alsbald in Malchow ihre Bootsferien auf der Mecklenburger Seenplatte mitten im geografischen Dreieck der Städte Berlin, Stralsund und Hamburg.
Nach einer gemütlichen Ankernacht in der Bucht der Fischerei Wendorf erreichen wir Plau am See. Schnell stellen wir fest: Beim An- und Ablegen wird gegenseitig geholfen und bei Kreuzungen von Schiff zu Schiff gegrüsst. Für den Hafenmeister spielt es keine Rolle, ob ein Privatbootbesitzer oder ein Hausbootmieter anlegt, die Anforderungen und Erwartungen an die Manöver sind dieselben. Hier in Plau am See zeigt sich der Hafenmeister erst nach dem korrigierten Anlegen zufrieden: „Nun, also zumindest den Berg runter fahren könnt ihr so nicht mehr.“ In der Weite sind alte Plattenbauten aus den Zeiten der damaligen DDR sichtbar. Im Ort säumen Pflastersteine die Gassen, die von Fachwerkhäusern umrahmt sind. Ganz vereinzelt sind Trabbis sichtbar.
Bei bisweilen starkem Wind queren wir verschiedene Seen und erreichen Waren an der Müritz. Gleich bei der Quaimauer legen wir an. Der Anblick zu den vielen Booten im Vordergrund und den Häusern im Hintergrund lässt Meerfeeling aufkommen. Mit dem Hausboot gelangen wir sehr nahe zu den Hauptplätzen in den Städtchen. Dies ermöglicht nicht nur geringe Distanzen zu den Sehenswürdigkeiten und zum Einkaufen, oft ergeben sich dadurch auch faszinierende Zufahrten. Waren: Bereits von Weitem sind die Boote im Hafen sichtbar – ein Durchkommen scheint fast nicht möglich und trotzdem gelingt es, mit Ausnutzen des Windes, an der Quaimauer anzulegen. Plau am See: Ein Leuchtturm dient als Orientierung zur Hafeneinfahrt. Röbel: Die Kirchtürme weisen den Weg und dienen, vor allem bei Abendlicht als interessantes Fotosujet. Trotz der Schiffsromantik bei den Einfahrten – kommt bei Manövern in den Häfen bisweilen auch Hektik auf. Der Raum ist eng, die Ruderwirkung bei geringer Fahrt tief und wenige Meter nebenan liegen Boote, die nicht nur schön, sondern auch teuer aussehen. Eigentlich verständlich, ist der Kaufpreis bei einem etwas besser ausgestatteten Boot doch oft auf weit mehr als 100 000 Franken angesiedelt.
Besonders beeindruckend ist die Fahrt über die Müritz: 29 Kilometer beträgt die Nord-Südausdehnung und gut 110 km² die Fläche. Statt mit Wander- sind wir mit den Seekarten unterwegs. Höhenkurven sind nicht von Bedeutung, jedoch Untiefen sowie rote und grüne Bojen, an deren Markierungen wir uns orientieren. Bei sonnigem Westwindwetter nehmen wir über die Müritz Kurs runter zur Mecklenburgischen Kleinseenplatte. „MeckPom“ wie die Region oft abgekürzt bezeichnet wird, fasziniert uns – ist das Gebiet um den touristischen Hauptort Waren stark bevölkert, zeigt sich im südlichen Teil mehr und mehr die Idylle und Beschaulichkeit der Natur.
Ferien mit dem Hausboot sind mit einer Brise Abenteuer gewürzt. Erfahrung mit dem Führen von Schiffen ist nicht zwingend, gestaltet das Erlebnis jedoch um einiges angenehmer und erholsamer – dies vorwiegend beim Schleusen oder bei Manövern in den Häfen. Definierte Aufgaben vom Skipper bis zum Smutje erleichtern das Leben auf dem Schiff. Das Team wächst zusammen – viele Arbeiten laufen mittlerweile Hand in Hand. Eine Sonderstellung erhält der Skipper. Als Hauptverantwortlicher für das Schiff geniesst er die grosszügigste Kabine. Seine Zusatzfunktion, die mehr Würde als Bürde ist: Der Brötchenservice am Morgen mit dem Fahrrad.
Plau am See, Röbel, Waren an der Müritz, Neustrelitz oder Fürstenberg sind alles Klassiker für Aufenthalte der Hausbootfahrer. Auch sehr beliebt ist Rheinsberg: Mit dem Boot ziehen wir eine Schlaufe und erhalten so einen instruktiven Blick auf das gleich davor liegende gleichnamige Schloss. Der Ort gehört bereits zu Brandenburg, wird geologisch jedoch noch zu den südlichen Ausläufern der Seenplatte zugeordnet. Der Ort hat Berühmtheit durch den Schriftsteller Kurt Tucholsky erhalten. Mit seiner Erzählung „Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte“ gelang ihm ein Stück Weltliteratur. Während einem Austausch mit dem Nachbarboot wird uns der Flecken Zechlin empfohlen. Die Abzweigung sei – so heisst es – nicht ganz leicht zu finden, wir würden jedoch mit einem abgelegenen freundlichen Ort belohnt. Und tatsächlich: Die Einfahrt in den Zechlinersee lässt kaum erahnen, dass am Ende des Sees das gleichnamige Dörfchen mit einer gemütlichen Fischerhütte den perfekten Übernachtungsplatz hergibt.
Ein weiterer intensiver Seetag steht bevor. Nach sieben Stunden erreichen wir Röbel. Der Ort pflegt geschichtlich ein besonderes Dasein: Im Mittelalter begann ein 400-jähriger Rechtsstreit, weil sich Neustädter mit Mauern und Gräben von Altstädtern abtrennten. Von da kommt auch der Spruch, mit dem sich Alt-Röbeler bei Anhörungen oft entschuldigten: „Nehmt’s man nich’oewel, ick kum ut Roewel.“ Fürs Kulinarische und die Schönheit, braucht sich die Bevölkerung von Röbel nicht zu entschuldigen: Das Essen ist einmal mehr norddeutsch grosszügig fein und die Stadt zeigt sich mit der nächtlichen Beleuchtung und ihren Fachwerkhäusern in beinahe kitschigem Ambiente. Mit der Besteigung des 58 Meter hohen St. Marienturmes wird die Weite und Schönheit der Müritz und der Region Mecklenburg Vorpommern nochmals sichtbar. Ein wahrlich schöner Abschlussabend vor der Fahrt retour zum Ausgangshafen in Malchow.
Bereit für das Boarding: Entgegennahme der „Paradise“ in Malchov.
Zwischen den sog. Kleinseen gibt es einige Schleusen.
Der gemütliche Hafen in Zechlin lädt ein zum Verweilen.
Die Überquerung der Müritz ist bei kräftigem Wind und wolkenlosem Himmel das reinste Vergnügen; nautische Karten weisen den Weg und dienen uns Schweizern in den weiten Gewässern als Orientierung.
Vom Marienturm in Roebel hat man schöne Aussichten auf die Müritz …
… und auf die Altstadt.
Text und Bilder: A. von Deschwanden
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Praktische Tipps
- Hausboote können bis zu 15 Meter ohne Boots-Führerschein gechartert werden. Je nach Grösse, Komfort, Anzahl Kabinen und der Saison unterscheiden sich die Preise massiv. In der Nebensaison sind Hausboote bereits ab rund CHF 1000.- für eine Woche mietbar, wobei die Preise während den Sommermonaten am höchsten sind.
- Die Hafengebühren betragen pro Nacht und je nach Komfort und Lage bis zu 20 Euro.
- Die neueren Schiffe sind mit Bug- und zum Teil Heckstrahlruder ausgestattet. Dies erlaubt ein einfacheres und zielgenaueres Manövrieren durch Schleusen und beim An- und Ablegen. Gerade in der Hochsaison empfiehlt sich am frühen Nachmittag in einem Hafen einzulaufen, da die Plätze zum Teil schnell belegt sind. Mit rund fünf Stunden Fahrtzeit am Tag lassen sich bereits schöne Strecken zurücklegen und gleichzeitig bleibt genügend Zeit für Landgänge.
- Verschiedenste Anbieter haben sich auf der Mecklenburgischen Seenplatte für Hausboote spezialisiert. Empfehlenswert sind:www.locaboat.ch, www.marinatravel.ch, www.nautic.ch
- Die besten Reisemonate sind Mai/Juni sowie September/Oktober. Während den Sommermonaten sind zwar die Badetemperaturen ideal, jedoch auch die Wartezeiten an Schleusen zum Teil lang und der Bootsverkehr hoch.
- Literaturhinweis: Du Mont Reise-Taschenbuch, Mecklenburgische Seenplatte 2013, ISN 978−3−7701−7239−9
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