Loire Prin­cesse: Ers­ter Fluss­kreuz­fah­rer der Welt mit Seitenradantrieb.

Platsch, platsch, platsch, das Geräusch der Schau­fel­rä­der ist echt und stammt von der „Loire Prin­cesse“. Ich geniesse die Fahrt auf der Loire mit opti­schem und akus­ti­schem Ver­gnü­gen. Diese Töne erin­nern mich an die Elbe-Damp­fer Krip­pen und Dies­bar oder an die „Kai­ser Wil­helm“ – sie tönen ein­fach anders als die gros­sen Klas­si­ker der übri­gen Rad­damp­fer­flot­ten Euro­pas. Am Bau­prin­zip der Schau­fel­rä­der kann die­ser Unter­schied nicht lie­gen, denn wie die meis­ten Rad­damp­fer haben auch die erwähn­ten Schiffe eine exzen­tri­sche Rad­kon­struk­tion. Exzen­tri­sche Räder ermög­li­chen, dass die Schau­feln senk­recht ins Was­ser ein- und wie­der aus­tau­chen und gegen­über star­ren Schau­feln damit die Ener­gie-Effi­zi­enz mas­siv gestei­gert wird. Die Bau­werft aus Saint-Nazaire wählte nun zu mei­nem Erstau­nen für ihren Neu­bau eine Bau­art aus den Anfän­gen der Dampf­schiff­fahrt, näm­lich mit star­ren Schau­feln. Der Kapi­tän Armand Benoit erklärt: „Es war eine bewusste Ent­schei­dung, auf eine exzen­tri­sche Kon­struk­tion zu ver­zich­ten. Man musste kon­se­quent Gewicht spa­ren. Und die Mehr­kos­ten sowie der zu erwar­tende erhöhte Betriebs­auf­wand der Mecha­nik lies­sen sich gegen­über Erspar­nis­sen im Die­sel­ver­brauch nicht rech­nen.“ Nach sei­nen Aus­sa­gen braucht das Schiff bei Voll­fahrt (15 km/​h) 140 Liter Die­sel pro Stunde, bei Nor­mal­fahrt (10 km/​h) 70 Liter. „Der Ver­brauch für die Elek­tri­zi­tät mit Küche, Kli­ma­an­lage und Lüf­tung liegt deut­lich höher…“, gibt der Kapi­tän zu beden­ken. Die Schau­fel­rä­der bewe­gen 700 Ton­nen Masse vorwärts.

Der heu­tige Rad­kas­ten ist bereits der dritte; ursprüng­lich waren die Räder bis zur Was­ser­ober­flä­che abge­deckt. Das ver­drängte Was­ser konnte nicht flie­hen, so ent­stan­den grosse Vibra­tio­nen, die vor allem im Heck­be­reich, wo sich die Bar befin­det, zu Pro­ble­men führ­ten. Nach dem fast voll­stän­di­gen Öff­nen der Rad­käs­ten sind diese Schwing­be­we­gun­gen auf das Mass der übri­gen Rad­damp­fer redu­ziert wor­den; auch im Heck­sa­lon ande­rer Rad­schiffe ist die­ses Wip­pen spür­bar. Hin­ter der sim­pel erschei­nen­den Mecha­nik eines Schau­fel­an­trie­bes steckt hohe Phy­sik, die von den Häu­sern Escher & Wyss und Sul­zer anfangs des 20. Jahr­hun­derts zur Per­fek­tion ange­wen­det wurde. Das grösste Pro­blem, das auf die Rad­damp­fer zukommt, sind nicht alters­schwa­che Teile, die es zu erset­zen gilt, son­dern das schwin­dende Wis­sen und Know-How von Inge­nieu­ren, von denen es mit die­sen Kennt­nis­sen alters­be­dingt immer weni­ger gibt und die heu­tige Tech­nik nicht danach verlangt.

Die „Loire Prin­cesse“ ist das erste und bis­lang ein­zige Kreuz­fahrt­schiff der Welt mit Sei­ten­rad­an­rieb. Der Fluss Loire hat grosse Was­ser­stand­schwan­kun­gen, ihr gröss­tes Pro­blem für Schiffe ist aber meist das Nied­rig­was­ser. Im weit­ge­hend unter Natur­schutz gestell­ten Fluss darf nicht aus­ge­bag­gert wer­den. Die Sedi­mente und der Sand lagern sich nach 1000 km Was­ser­ero­sion über­all ab, stel­len­weise sehe ich mehr Sand­bänke als Was­ser. Dank den Sei­ten­rä­dern hat unser 90-Meter­schiff mit besag­ten 700 t Ver­drän­gung bloss einen Tief­gang von 70 cm. Aber dies reicht auf unse­rer Fahrt nicht ein­mal aus, um nach Bou­ch­emaine zu fah­ren, wie es im Pro­gramm vor­ge­se­hen ist. Bereits in Ancenis bleibt das Schiff ste­hen. Der schöne Herbst zollt sei­nen Tri­but: zu wenig Was­ser. In die­sem Jahr konnte die „Loire Prin­cesse“ nur vom März bis Mitte Juli die geplante Stre­cke befah­ren. Aus rein nau­ti­scher Sicht kommt der Viel­fah­rer­typ auf der Loire nicht auf seine Rech­nung: an den ange­bo­te­nen sechs Rei­se­ta­gen legen wir ins­ge­samt bloss 176 km zurück. Dafür bie­tet die Gegend mit Hun­dert Schlös­sern und (auch) schiff­fahrts­ge­schicht­lich inter­es­san­ten Städ­ten eine Alter­na­tive: in Nan­tes stan­den viele Schiffs­werf­ten, des­sen Spu­ren noch deut­lich zu sehen sind und des­sen Indus­trie­bra­chen sich zu span­nen­den Kul­tur- und Natur­flä­chen ent­wi­ckeln. In Saint-Nazaire befin­det sich nebst der heu­ti­gen Gross­werft auch der erhal­ten geblie­bene U‑Bootbunker aus dem Zwei­ten Welt­krieg, der nun Museen zu nau­ti­schen The­men beherbergt.

Eines der High­lights ist die mor­gend­li­che Abfahrt in Saint-Nazaire: um sechs Uhr schie­ben die Pump­jets, je einer am Bug und am Heck mon­tiert, unse­ren illu­mi­nier­ten „Damp­fer“ seit­lich im vor dem Tiden­hub geschütz­ten „Bas­sin de Saint-Nazaire“ vor die Aus­gleichs­schleuse der Pont Levant. Der Über­nach­tungs­ha­fen befin­det sich gleich bei der Base Sous Marine. Die Klapp­brü­cke öff­net sich und ein paar Schläge der Schau­fel­rä­der brin­gen das Schiff in die Schleu­sen­kam­mer. Nach der Aus­fahrt Pont Tour­nant fährt die „Loire Prin­cesse“ für kurze Zeit auf den Atlan­tik, tief­druck­be­stimmte Grund­wel­len brin­gen das Schiff sanft ins Schlin­gern. Armand Benoit: „Ab 80 cm Wel­len­gang blei­ben wir im Hafen.“ Dazu feh­len heute noch einige Zen­ti­me­ter. Nach der Hafen­aus­fahrt führt uns ein gros­ser Bogen in das Mün­dungs­ge­biet der Loire. Kurz vor der Unter­que­rung der 3,3 km lan­gen und 130 m hohen Brü­cke von Saint-Nazaire sieht man back­bord­seits auf die gigan­ti­sche Werft, wo zur Zeit das MSC-Schiff Mera­vi­glia im Finish-Becken liegt, wäh­rend dane­ben emsig und im Schicht­be­trieb das grösste je erbaute Kreuz­fahrt­schiff der Welt MSC Bel­lis­sima mit über 6000 Bet­ten im „Lego­sys­tem“ ent­steht. Der Besuch der Werft stand ges­tern auf dem Exkur­si­ons­pro­gramm der „Loire Prin­cesse“. Die Werft gehört einem süd­ko­rea­ni­schen Kon­sor­tium und beschäf­tigt 2300 Leute.

Die „Lore Prin­cesse“ gehört der Redee­rei Croisi Europe, die heuer als Fami­li­en­un­ter­neh­men ihr 40-jäh­ri­ges Jubi­läum fei­ert. Sie ist in Stras­bourg behei­ma­tet und macht alle Geschäfts­zweige wie die „A¨Rosa“-Gruppe alles aus einer Hand: sie ist Inha­be­rin, Betrei­be­rin und Ver­käu­fe­rin mit Dut­zen­den von Rei­se­ver­an­stal­tern in halb Europa, die Schwei­zer Agen­tur ist in Lau­sanne vis-à-vis vom Bahn­hof. Das Publi­kum auf unse­rer Fahrt ist sehr hete­ro­gen, was für die Besat­zung eine Her­aus­for­de­rung ist (die sie mit Pro­fes­sio­na­li­tät bes­tens löst). Öster­rei­cher und Neu­see­län­der, Ame­ri­ka­ner und Por­tu­gie­sen, Schwei­zer und Schot­ten, Deut­sche und Aus­tra­lier sowie eine Hand voll Fran­zo­sen kom­men mehr oder weni­ger an Bord in Kon­takt. Die Bord­spra­che ist fran­zö­sisch, eng­lisch und deutsch (in die­ser Rei­hen­folge). Die­ser Mix scheint eine Spe­zia­li­tät zu sein von Croisi Europe – andere Ree­de­reien tren­nen die Märkte deut­li­cher. Eine andere ist das „all inclusive“-Angebot der Getränke, was den Grund­preis nach oben treibt.

Gérard Schmit­ter grün­dete 1976 das Unter­neh­men mit Tages­aus­flugs­schif­fen, es hiess damals Croisi d’Alsace. 1982 kam das erste Hotel­schiff in Betrieb, die „Alsace“ mit 25 Dop­pel­ka­bi­nen, umge­baut aus einem alten Fracht­kahn. 1991 kam als „Liberté“ der erste eigene Neu­bau dazu. 1997 gescha­hen der Namens­wech­sel und damit der Expan­si­ons­kurs auf ganz Europa, spä­ter auch Fern­ost. Zwi­schen 1991 und 1999 kamen 10 Schiffe in Fahrt, vier Jahre spä­ter 12 wei­tere. 1999 über­gab Gérard Schmit­ter das Unter­neh­men an seine vier Kin­der Chris­tian, Patrick. Phil­ippe und Anne-Marie*. Zwi­schen 2000 und 2013 ver­dop­pel­ten sich die Pas­sa­gier­zah­len auf über 200 000 pro Jahr, der Umsatz lag 2015 bei 155 Mil­lio­nen Euro. 55 % der Pas­sa­giere sind Fran­zo­sen. Ins­ge­samt sind 50 % wie­der­keh­rende Fahrgäste.

Für mich ist die Loire-Fahrt die erste mit Croisi Europe, dar­aus las­sen sich keine gene­rel­len Schlüsse ablei­ten. Auf­fal­lend sind die sehr kun­den­freund­li­che Crew und eine ange­nehme Gelas­sen­heit (keine Land­gangs­kar­ten, unkom­pli­zier­tes Che­ckin und ‑out als Bei­spiele). Von aus­sen betrach­tet gab sich Croisi Europa bis­lang eher kon­ser­va­tiv; erst durch die Erobe­rung der Loire 2015 und seit 2016 mit der „Elbe Prin­cesse“, einem Fluss­kreuz­fahrt­schiff mit Heck­rad­an­trieb, kata­pul­tiert sich die Ree­de­rei in die Neu­zeit. Diese bei­den Schiffe sind unter ihren zur Zeit 36 umfas­sen­den Ein­hei­ten die ers­ten mit Bal­ko­nen und einem kon­se­quent moder­nen Design in Gestal­tung und Mate­ria­li­sie­rung. Gibt es bald einen zwei­ten Seitenrad-„Dampfer“ auf der Loire? Der Kapi­tän: „Solange keine Kon­kur­renz auf­tritt wird die ‚Loire Prin­cesse’ eine Exklu­si­vi­tät bleiben.“

Die Lage der „Loire Pri­ne­sse“ in Nan­tes ist per­fekt gele­gen: zen­tral mit Tra­m­an­schluss und Mög­lich­kei­ten zu Fuss das urbane Gebiet der ehe­ma­li­gen Werf­ten zu erkun­den, inkl. einer Fahrt mit dem Navi­bus nach Trentemoult.

Das Rad­schiff ist trotz engen Platz­ver­hält­nis­sen luf­tig und trans­pa­rent gebaut; man fühlt sich wohl an Bord und hat dank dem prä­gnan­ten Mit­tel­schiff immer eine gute Ori­en­tie­rung. Man beachte die 10 m hohen Pfähle: die Unter­schiede des Was­ser­stan­des sind gewaltig.

Mit vier Metern Durch­mes­ser und 12 Schau­feln ist die Rad­kon­struk­tion ein Hin­gu­cker für alle Passanten.

Blick ins hell und über­sicht­lich gestal­tete Steu­er­haus der „Loire Prin­cesse“ mit Steu­er­mann Jean Pap­tiste, Rei­se­lei­te­rin Shana und rechts Kapi­tän Armand Benoit.

Das Innen­de­sign ist in war­men Farb­tö­nen gehal­ten, hier mit Blick auf die Bar im Heck­be­reich des Schiffes.

Die Moto­ren­an­lage ist sehr kom­pakt: auf jeder Seite treibt ein Volvo-Motor (rechts ange­schnit­ten) nach einem Getriebe (weiss) und einer Über­set­zung (rot) je ein Schau­fel­rad an (Achse ist die rote Kreis­trom­mel); der Maschi­nist: „reduc­tion et inver­sion“ (vor- und rückwärts).

Im herbst­li­chen West­frank­reich ist es um 7 Uhr mor­gens noch fins­tere Nacht, hier beim Unter­fah­ren der Brü­cke von Saint-Nazaire, im Hin­ter­grund die hier ansäs­sige Schiffswerft.

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Hin­weise

Wie gelangt man hin: Easy-Jet ab Genf nach Nan­tes in 5/4 Stun­den, Flug­ha­fen­bus alle 20 Minu­ten direkt in die Innen­stadt, Umstei­gen Sta­tion Com­merce in Tram 1 Rich­tung Place Fran­cois Mit­te­rand (inkl. im Ein­zel­ti­cket, 1 Stunde gül­tig) bis Sta­tion Chan­tier naval direkt vors Schiff (total 40 Minuten).

Wis­sens­wer­tes zum MS Loire Prin­cesse: Taufe: 2. April 2015, 40. Schiff von Croisi Europe / Bau­werft Chan­tier naval STX Saint-Nazaire, 2014 / 96 Bet­ten­plätze (auf unse­ren Fahrt sind 80 belegt) und 26 Bord­be­sat­zung (wovon 6 nau­ti­sches Per­so­nal), 88.80 m L, 15.30 m B, 0.7 m T, 96+26 Per­so­nen Fasungsvermögen.

Ener­gie: 6 Die­sel-Moto­ren Volvo Penta: 2 für die Räder zu je 500 PS, unab­hän­gig ansteu­er­bar für Vor- und Rück­wärts­fahrt, 2 für die Pump­jets, Bug und Heck für Manö­ver zu je 400 PS, 2 als Gene­ra­to­ren zu je 350 PS für die Strom­erzeu­gung, wobei immer nur einer läuft, alle 600 Betriebs­stun­den alter­nie­rend. Das Rad hat 12 Schau­feln, Rad­durch­mes­ser 400 cm, Schau­fel­länge 180 cm, Moto­ren­um­dre­hung 1400 pro Minu­ten, Rad­um­dre­hung 43 pro Minute bei Voll­fahrt (15 km/​h im Still­was­ser), 2 Ruderblätter.

Wis­sens­wer­tes über die Loire: Der 1005 km lange Fluss ent­wäs­sert 1/5 von Frank­reich. Die vie­len Schlös­ser haben ihren Ursprung dem Han­del zu ver­dan­ken: der längste Fluss Frank­reichs wurde bis vor weni­gen Jahr­zehn­ten als belieb­ter Han­dels­weg benutzt, unab­hän­gig von sei­nen gefürch­te­ten Wasserstandschwankungen.

Quel­len

*) Hader&Hader 2016 (Link)

Text und Bil­der: H. Amstad.

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