MS Printsesa Dnipra – ein Monsterschiff mit viel Charme
Im vorherigen Blog habe ich von meinen Erlebnisse über die intensive Erkundung des Naturparadieses Donaudelta berichtet1. Meine Motivation für dieses Fahrt war aber das Schiff Dnieper Princess (ich verwende in der Folge den ukrainischen Namen des Schiffes Printsesa Dnipra) und ausserdem der attraktive Preis für Einzelkabinen. Schon immer wollte ich mal eines dieser in Massen produzierten Monsterfluss-Schiffe kennenlernen. Erstmals Kenntnis davon bekam ich in den Siebziger-Jahren beim Besuch des Raddampfer Kaiser Wilhelm in Lauenburg, wo der damalige Betriebsleiter Ernst Schmidt uns von diesen „Giganten“ erzählte.
Trotz Geheimhaltung und unüberwindlicher Stacheldrahltgrenze zur DDR wusste man im westdeutschen, benachbarten Lauenburg ziemlich viel über die immense Schiffbautätigkeit in Boizenburg, kaum 10 km von Lauenburg entfernt. Sämtliche Teile, Kaskos und zum Teil ganze Schiffe mussten die Elbe hinunter via Hamburg aufs offene Meer transportiert werden, um dann den Weg gegen Osten anzutreten. Die DDR hatte rund zwei Dutzend Schiffswerften. Einige davon lagen an der Elbe, so ausser in Boizenburg auch in Rosslau (ex-Sachsenberg). Sie produzierten für sämtliche kommunistische Bruderstaaten. Der Schiffbau war der zweitwichtigste Industriezweig der DDR: 4000 Fracht- und Passagierschiffe wurden gebaut und in 50 Ländern überstellt.
Unser Schiff Printsesa Dnipra wurde 1974 in Boizenburg unter dem Projekttitel Bifa 301 mit Baunummer 328 gebaut2. Der Transport nach Kiew brauchte ein ganzes Jahr und führte via Hamburg und verschiedensten Meeren nach 18 800 km zur damaligen russischen Stadt Kiew, wo es dann im Juni 1976 in Betrieb kam. Seine „Heimstrecke“ war bis 2014 der Fluss Dnieper bis ins Schwarze Meer und dort zum Teil bis Konstanza. Die kommunistischen Regimes hatten in ihrer Hochblüte einen Hang zum Gigantismus3: Nirgends auf der Welt waren in den Siebzigerjahren die Fluss-Schiffe so gross: 5 Nutzungsetagen, 125,0 m lang, 16,7 m breit, 13,2 m Höhe ab der Wasserlinie und eine Wasserverdrängung von 3 570 t (= 13-fache der «Stadt Zürich») sind doch ganz beachtliche Dimensionen für ein Fluss-Schiff. In Boizenburg wurden 22 von diesen und weitere 27 unter dem Projekt Bifa 302 erbaut.
Insgesamt zählte die russische und ukrainischen Flotte 330 Hotelschiffe. Darauf verbrachten Hunderttausende der Ostblock-Bevölkerung den Urlaub in ihrer Heimat – Auslandferien waren selten und wenn, dann nur in sog. „Bruderländern“. Viele von diesen Megalinern stehen heute still. Diese Schiffe dürfen nebst auf Flüssen auch bis 40 km Distanz zum Ufer auf dem Meer fahren. Drei Motoren zu je 1000 PS (350 U/min) brauchen 330 Liter Diesel pro Stunde; der Dieselvorrat an Bord reicht für 20 Fahrtage. Vier von fünf Generatoren sind ständig in Betrieb, um die elektrische Energie zu liefern, vor allem für die Klimaanlagen.
Einen Teil des DDR-Schiffbaugroofs erhalten
Einen Teil des DDR-Schiffbaugroofs erhalten
Die Einrichtung der „Printsesa Dnipra“ hat nur noch partiell den nostalgischen DDR-Groof; am ehesten ist er noch in den Kabinen und im Esssaal zu spüren (und sogar zu riechen). Auch an der Architektur der Treppenhäuser, die von der Steilheit her an SAC-Hütten erinnern, merkt man den Zeitgeist von dazumal. Gehbehinderte Menschen sind da vor echten Herausforderungen gestellt. Ein Einbau eines Liftes könnte da Abhilfe leisten. Die übrigen Räume wurden 2003/04 umfassend renoviert und einige, wie die Rezeption, die Lounge und die Bar erhielten einen warmen Innenbausbau aus Holz und Stofftapeten im ukrainischen Stil. Im kommenden Winter soll das Schiff in Ismail nochmals umgebaut werden. „Auf Deck 4 werden aus drei Kabinen zwei gemacht und auf Deck 3 werden die zur Zeit munzigen Einzelkabinen zu Doppelkabinen zusammen gelegt“, weiss die Hotelmanagerin Gala Aleksandrova zu berichten. Sie ist die gute Seele auf dem Schiff und hat, wie Alexander Todorov es lobend ausdrückt: „ein westeuropäisches Kundenverständnis“. Sie arbeitet bereits über 20 Jahre bei der ukrainischen Reederei Chervona Ruta.
Zum Glück bleiben nun beim kommenden Umbau die grosszügigen Galerien erhalten; der Fehler anderer Reedereien, die Kabinen auf Kosten der öffentlich zugänglichen Galerie bis nach „aussen“ zu vergrössern, wird hier nicht gemacht. Der Charme des Schiffes lebt nämlich von dieser Grosszügigkeit des öffentlichen Raumes. Auch hier ist der damalige politische „Spirit“ durchaus spürbar: die besten Plätze haben nicht Luxuskabinen und Juniorsuiten, sondern die Bar, die Bibliothek, der Speisesaal und ein Teil der Mannschaftsräume. Die „Werktätigen“ sind nicht wie üblich zwischen den Schoten im Rumpf unten untergebracht, sondern haben entweder normale Kabinen neben den Gästen oder bei höheren Graden im Kapitänsabteil, das ein schönes Stück des 5. Decks ausmacht. Diese Abtrennung stören aber nicht, weil es genügend öffentlichen Raum hat.
Das Schiff hätte Platz für 320 Leute. Auf unserer Fahrt waren genau 100 Fahrgäste an Bord (94 Deutschschweizer und 6 rumänische Gäste, die durch Karpaten-Tourism vermittelt wurden) plus 76 Crew-Mitglieder, die ausschliesslich aus der Ukraine kommen. Ziel von ThurgauTravel ist, jeweils 150 Gäste an Bord zu haben. Erwähnenswert ist der professionelle Reiseleiter Alexander Todorov, den ich bereits vor vier Jahren auf der “Mozart“ kennen lernen durfte. Sein Wissen ist auch nautisch sattelfest und mit seinen sieben Sprachen ist er jederzeit im Bild, was läuft.
Die Nachfrage ist erfreulich gross, das Nadelöhr heisst aber Swiss. Hans Kaufmann bekommt in diesem Jahr jeweils nur rund 50 Plätze in den Flügen von Zürich nach Bukarest und zurück. Deshalb gibt es zwei Reisevarianten, wo die eine Hälfte vorher eine Übernachtung in der rumänischen Hauptstadt verbringt, die andere Hälfte am Schluss der achttägigen Kreuzfahrt. Er versucht nun, im kommenden Jahr entweder das Kontingent zu erhöhen oder die Fahrgäste auf drei Flüge zu verteilen, womit das Vor‑, resp. Nachprogramm einen Tag länger dauern wird. Toll ist auf alle Fälle, dass diese aussergewöhnliche Fahrt im kommenden Jahr wiederholt wird4.
Unser „Grandhotel“ liegt am Pier von St. Georg an der Mündung des gleichnamigen Armes ins Schwarze Meer.
Dieser Teil des Intérieurs wurde 2003/04 vollständig erneuert.
Blick auf eines der zwei Treppenhäuser mit Tina, die nicht nur im Service einen guten Job machte sondern auch an der Crewshow als Tänzerin brillierte.
Die meditative Abendstimmung auf der Donau nach der Abfahrt in Fetesti steht im Kontrast zu spektakulären Bildern …
… zum Beispiel in einem Seitenarm in Wilkowo, dem „ukrainischen Venedig“, wo jede Familie mit einem Holzboot ausgerüstet ist.
Am 3. August 2015 übernachten wir beim ehemaligen Hauptstz der internationalen Donaukonferenz in Sulina. Im Ort ist dieses internationale Flair noch spürbar. Im Hintergrund erkennen wir das Kursschiff nach Tulcea, der Ort selbst ist nur über den Wasserweg erreichbar.
Die ukranische Flagge am Heck zeigt, dass die «Printsesa Dnipra» in Wilkowo in einheimischem Gewässer angelegt hat (5. Aug. 2015).
Jeden Abend ein Sonnenuntergang vom Feinsten – jeden Morgen beim Aufgehen der feurigen Kugel ein Erlebnis.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
1) Nebst den drei Delta-Wasserstrassen wird am Schlusstag der Reise mit dem Bus einen Abstecher gemacht nach Konstanza, wo der Cernavoda-Kanal südlich vom Delta ins Schwarze Meer fliesst. Diese Wasserstrasse ist die kürzeste und somit wirtschaftlichste Verbindung für die Frachtschifffahrt. Dass wir die 65 km lange Strecke nicht per Schiff zurücklegen hat sowohl mit der Reisezeit einen Zusammenhang wie auch mit den Kanalkosten. Dieser erst 1984 fertig erstellte Kanal unterliegt nicht dem internationalen Donau-Abkommen von 1939, das die freie Benützung festlegt.
2) Näheres zum Typ Bifa 301: Link; weitere Infos zum Typ Bifa 302: Link. Bemerkung: Auf unserem Schiff befindet sich eine Tafel mit der Längenangabe 129,2 m. Diese Zahl bezieht sich aber auf das andere Schiff der Reederei Chernova Ruta, das aus der Serie Bifa 302 stammt.
3) Grosse Leninstatuen „zierten“ die Städte. Die grössten Regierungsgebäude waren Ausdruck von Macht (so besuchten wir Nicolae Ceausescus Palast in Bukarest mit 1000 Räumen). Von den überbreiten Strassenzügen können die Städte heute noch profitieren. So spazierte ich auf der Suworow-Avenue in Ismail am 7. Reisetag herunter zum Hafen in einem Park, wo links und rechts die Fahrbahnen kaum mehr wahrnehmbar waren.
4) Über die Hintergründe dieses speziellen Reiseangebotes erfahren Sie mehr im letzten (B)Logbucheintrag (Link).
Impressum
Text und Bilder H. Amstad (aktualisiert 3.2022)
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