MS Engel­berg: Wie das Obwald­ner Klos­ter­dorf zu einem Bie­ler­see­schiff kommt

Biel, 26. Mai 2018

Schiffs­gotte Bar­bara Egger liess es nicht zu, dass der spe­zi­ell für die Taufe des Schif­fes her­bei geru­derte Mee­res­gott Nep­tun die Cham­pa­gner­fla­sche am Bug der noch namens­lo­sen „MS60“ sel­ber zer­schel­len wollte. „Nei, das mach ich…“, sagte die an die­sem Tag noch-Regie­rungs­rä­tin des Kan­tons Bern zum Hohen Besuch. „Diese Taufe ist mein letz­ter Auf­tritt als Bau‑, Ver­kehrs- und Ener­gie­mi­nis­te­rin – am kom­men­den Frei­tag räume ich nach 16 Jah­ren mei­nen Platz.“ Sie schaute in ihrer Tau­fan­spra­che kurz zurück auf den poli­ti­schen Pro­zess, der im finanz­ar­men Kan­ton Bern bei Tou­ris­mus­aus­ga­ben stets auf eine breite poli­ti­sche Unter­stüt­zung zäh­len darf. „2016 gab der Ber­ner Grosse Rat mit 128 ja zu 14 nein ein Ver­spre­chen ab, mit einem neuen Schiff eine nach­hal­tige Ver­bes­se­rung des Schiffs­ver­kehrs zu erzie­len.“ So erin­nert sie die Bie­ler­see Schiff­fahrts­ge­sell­schafft BSG daran, im Win­ter und am Abend ver­mehrt Schiffe fah­ren zu las­sen, so wie es in der Vor­lage zur Beschaf­fung des 60-plät­zi­gen Schif­fes stand. „Der Kan­ton Bern hat in den letz­ten 15 Jah­ren 17 Mil­lio­nen in die BLS- und 15 Mil­lio­nen in die BSG-Flotte inves­tiert“. Dafür zahlt er 2009 keine Bei­träge mehr an die lau­fen­den Betriebs­kos­ten der Schiff­fahrts­ge­sell­schaf­ten. Zum guten Glück haben aber alle drei Ber­ner Seen starke Part­ner im Rücken: der Thu­ner- und Bri­enz­er­see die BLS und der Bie­ler­see die asm* (Aare See­land Mobil).

Erich Fehr, Ver­wal­tungs­rats­prä­si­dent der BSG und Stadt­prä­si­dent von Biel, bekräf­tigte, eine Wachs­tumsstra­gie umzu­set­zen unter dem Motto „Mehr-Schiff denn je“. „Der Anfang ist gemacht mit der Schaf­fung von drei neuen Stel­len“, hob Fehr her­vor. Fredy Mil­ler, als Geschäfts­lei­ter der asm auto­ma­tisch auch Direk­tor der BSG, über­brachte dann den ein­ge­la­de­nen Gäs­ten und zahl­rei­chen Zuschau­en­den eine gute und eine schlechte Nach­richt mit. „Durch die bau­li­che Ver­zö­ge­rung der ÖSWAG konnte das Bun­des­amt für Ver­kehr das Schiff noch nicht abneh­men. Des­halb kön­nen wir nun auf der Jung­fern­fahrt nicht mit­fah­ren.“ Die Gäste ver­teil­ten sich somit auf die Ein­hei­ten Stadt Biel und Rous­seau, wäh­rend die „St. Peter­s­in­sel“ für das zah­lende Fuss­volk zur Ver­fü­gung stand. Das neue Schiff nahm zwar am Korso ohne Pas­sa­giere teil, schwamm aber deut­lich über der vor­ge­se­he­nen Was­ser­li­nie; Mobi­liar und Innen­ein­rich­tun­gen wer­den dem Schiff in den kom­men­den Wochen den berech­ne­ten Schwer­punkt noch ermög­li­chen. Und die gute Nach­richt? „2019 ist ein mas­siv ver­bes­ser­ter Fahr­plan in Pla­nung.“ So soll die Sai­son im Herbst ver­län­gert wer­den, an Sonn­ta­gen fährt nebst den Neu­en­bur­gern auch ein BSG-Schiff nach Neu­châ­tel und die St. Peter­s­in­sel wird von Biel aus ver­mehrt angefahren.

Als die anwe­sen­den Bene­dik­ti­ner­brü­der Abt Chris­tian Meyer und Pater Patrick Leder­ger­ber, der Pfar­rer von Engel­berg, beim Tauf­akt kei­nen Segen der christ­li­chen See­fahrt über­brin­gen durf­ten, fragte ich mich, was denn die Geist­li­chen unter den in Sonn­tags­klei­dern her­aus­ge­putz­ten Gäs­te­schar suchen woll­ten. Das Rät­sel wurde gelöst: Als die Tauf­fla­sche am Fen­der zer­schellte und die Hülle vom Namen fiel, strahl­ten über­di­men­sio­nierte Buch­sta­ben dem Applaus des Publi­kums ent­ge­gen: ENGEL­BERG. Für den Abt des gleich­na­mi­gen Klos­ters war die Namens­ge­bung eine freu­dige Über­ra­schung. Chris­tian Meyer: „Für unsere Klos­ter­ge­mein­schaft ist es eine Ehre, dass die Bie­ler­see-Schiff­fahrts-Gesell­schaft dem neus­ten Flot­ten­zu­wachs die­sen Namen gege­ben hat.“

Das Klos­ter Engel­berg** ist eine Bene­dik­ti­ner­ab­tei seit 1120 und war von 1235 bis 1433 Eigen­tü­me­rin eines aus heu­ti­ger Sicht statt­li­chen Reb­guts am Bie­ler­see. Patrick Leder­ger­ber: „Heute tra­gen neben der Schiffs­an­le­ge­stelle auch ein Restau­rant sowie ein Reb­haus den Namen Engel­berg und hal­ten so die Erin­ne­rung an den ehe­ma­li­gen Klos­ter­be­sitz wach.“ Vor einem Jahr konnte die Engel­ber­ger Klos­ter­ge­mein­schaft einen rund drei Hektaren gros­sen Teil des eins­ti­gen Reb­gu­tes zurück erwer­ben. Am 24. Juni 2018 wurde offi­zi­ell der erste klos­ter­ei­gene Wein von der ehren­wer­ten Trüeler­zunft zu Twann vom Bie­ler­see ins Obwald­ner Klos­ter­dorf geliefert.

Biel, 18. August 2018

Ich erlebte heute meine erste Fahrt mit der „Engel­berg“, dies auf dem Kurs 171 Biel ab 15.45 Uhr. Nach der Abfahrt war der Hafen der Uhren­stadt leer. Sämt­li­che BSG-Schiffe waren heute Sams­tag unter­wegs: die „Mobicat“ und „Stadt Biel“ auf Extrafahrt, die „Berna“ und „Chas­se­ral“ auf den Haupt- und eben die „Engel­berg“ auf den Zusatz­kur­sen des Bie­ler­sees, die „Rous­seau“ machte die Drei­seen­fahrt nach Mur­ten und die Ein­hei­ten Stadt Solo­thurn und Siesta die Aare­fahr­ten nach Solo­thurn. Das Schiff St. Peter­s­in­sel war mit­ten in der Hoch­sai­son an Land auf­ge­dockt. Das Schiff erlitt Ende Juli eine Hava­rie, die eine sofor­tige Still­le­gung erfor­der­lich machte. Der BSG-Geschäfts­lei­ter Tho­mas Müh­le­tha­ler zum Vor­fall: „Der Scha­den lag an der Wel­len­ab­dich­tung steu­er­bord im Ste­ven­rohr, womit Was­ser ein­drang. Das Schiff ist seit dem 17. August an Land zur Reperatur.“

Ange­nehm über­rascht werde ich mit dem Gas­tro­an­ge­bot, das nebst dem gesam­ten Geträn­ke­sor­ti­ment immer­hin je drei warme und drei kalte Spei­sen auf der Karte hat, dies zu mode­ra­ten Prei­sen. Der Salon bie­tet 48 geräu­mige Plätze. Aus­sen­plätze hin­ge­gen sind rar: die Bug­par­tie darf nicht began­gen wer­den und im Heck hat es kaum für ein Dut­zend Fähr­gäste völ­lig gedeckte und lär­mige Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Obwohl die Die­sel­ag­gre­gate kaum hör­bar und der elek­tri­sche Antrieb sehr leise sind, macht das Schiff in der Heck­par­tie einen Lärm, bei dem man das eigene Wort nicht ver­steht. Tho­mas Müh­le­tha­ler zu die­sem Phä­no­men: „Dies wird zur Zeit über­prüft und anschlies­send beho­ben. Die Ursa­che ist in Abklärung.“

Tho­mas Müh­le­tha­ler ist seit anfangs 2017 der Nach­fol­ger von Tho­mas Erne, der den Bau der „Engel­berg“ vor drei Jah­ren in die Wege lei­tete. „Baut man heut­zu­tage noch Schiffe für bloss 60 Per­so­nen?“ wollte ich vom Geschäfts­füh­rer wis­sen. Müh­le­tha­ler: „Doch, das macht für uns Sinn. Es geht zum einen um eine gezielte Ange­bots­er­wei­te­rung im Bereich der Extrafahr­ten für Klein­grup­pen und zum andern um fle­xi­ble Ein­satz­mög­lich­kei­ten auf weni­ger fre­quen­tier­ten Kurs­fahr­ten. Aus­ser­dem set­zen wir auf den Aus­bau des Fahr­plans und der Stei­ge­rung des Umsat­zes im Extra- und The­men­fahr­ten­be­reich. Das MS Engel­berg ermög­licht dies.“

Die Cham­pa­gner­fla­sche zer­schellt, die Hülle des Namens fällt und Neptun.

Regie­rungs­rä­tin Bar­bara Egger sowie Ver­wal­tungs­rats­prä­si­dent Erich Fehr wün­schen dem Schiff viel Glück.

Die erste Aus­fahrt der „Engel­berg“ nach der Tauf­akt vom 26. Mai im gleis­sen­den Abend­licht aus dem Bie­ler Hafen.

Das 60-Per­so­nen­schiff auf der Jung­fern­fahrt noch ohne Gäste vor der Traum­ku­lisse der Bielersee-Rebberge.

Das Steu­er­haus dient auf sei­ner Rück­wand auch als Kasse.

Blick auf den Bug.

Blick ins Buf­fet Rich­tung Salon/​Heckpartie.

Ein schö­nes Gestal­tungs­ele­ment ist das ovale Ober­licht in eine fens­ter­lose Par­tie des Schiffes.

Bild 4 R. Lutz, Text und übrige Bil­der: H. Amstad (red 10.19)

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Bemer­kun­gen

*) Am 5. April 1984 wurde eine Betriebs­ge­mein­schaft unter dem Namen Ober­aar­gau-Solo­thurn-See­land-Trans­port (OSST) zwi­schen den Bah­nen OJB, SNB, BTI und den Ober­aar­gaui­schen Auto­mo­bil­kur­sen (OAK) sowie der Stand­seil­bahn Ligerz-Tes­sen­berg-Bahn (LTB) und der Bie­ler­see-Schiff­fahrts-Gesell­schaft (BSG) gegrün­det. 1999 kam dann der gesell­schafts­recht­li­che Schritt, der die Unter­neh­mun­gen fusio­nierte, neu unter dem Namen Aare See­land mobil AG (asm) mit Sitz in Lan­gen­thal. Die BSG ist dabei eine Koope­ra­ti­ons­part­ne­rin der asm und damit recht­lich wei­ter­hin ein selb­stän­di­ges Unternehmen.
**) Seit der Grün­dung im Jahre 1120 prägt das Bene­dik­ti­ner­klos­ter Engel­berg die Geschichte der gan­zen Region. Die heu­ti­gen Tätig­kei­ten der Mön­che erwuch­sen weit­ge­hend aus den Bedürf­nis­sen des Ortes: Seel­sorge in der Pfar­rei, Bil­dungs­ar­beit an der Stifts- und Sport­schule (Gym­na­sium), Hand­werks- und Dienst­leis­tungs­be­triebe sowie Kul­tur- und Land­schafts­pflege sind Berei­che, in denen sich die Mön­che und die zuneh­mende Zahl welt­li­cher Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter des Klos­ters enga­gie­ren. Das Bene­dik­ti­ner­klos­ter Engel­berg ist nach den Berg­bah­nen Engel­berg-Trüb­see-Tit­lis AG der zweit­grösste Arbeit­ge­ber in der Region.

Tech­ni­sche Daten

MS Engel­berg, Werft Öswag Linz, 2018, L 30.00 m, B 5.30 m, T 1.25 m, m 92 t, 2 Sca­nia Gene­ra­to­ren mit je 200 kW, 2 Elek­tro­mo­to­ren mit je 160 kW, 2 Schot­tel Ruder­pro­pel­ler, vmax 23 km/​h, 60 pax, Besat­zung 1.

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