Mit dem Nauen Stauf­fa­cher den Vier­wald­stätter­see mit ande­ren Augen entdecken

Die Natur­for­schende Gesell­schaft Luzern zeigte mir und 40 ande­ren inter­es­sier­ten Per­so­nen den Vier­wald­stätter­see von ganz beson­de­ren Sei­ten. Am Gestade die­ses Sees vor über 60 Jah­ren auf­ge­wach­sen, meinte ich, den Vier­wald­stätter­see bes­tens zu ken­nen. Doch, was der Geo­loge und Exkur­si­ons­lei­ter Franz Schen­ker alles zu berich­ten wusste, ver­setzte viele der Ein­hei­mi­schen, Fach­leute und See­ken­ner ins Erstau­nen. Der sechs­ein­halb Stun­den dau­ernde Anlass an Bord des Nau­ens Stauf­fa­cher ver­ging im Nu, trotz des kal­ten Som­mer­ta­ges mit Bise und Hoch­ne­bel wie im Oktober.

Lukas Käp­peli, Geschäfts­füh­rer der Käp­peli Stras­sen- und Tief­bau AG aus See­wen SZ ‑als gelern­ter Bau­in­ge­nieur am Thema Geo­lo­gie inter­es­siert – liess es sich nicht neh­men, mit dabei zu sein und sei­nen seit 2017 auf Per­so­nen­trans­port umge­bau­ten Nauen Stauf­fa­cher per­sön­lich zu fah­ren. Der Nauen wurde 1924 bei der Waser-Werft Stansstad/​Rotzloch ursprüng­lich aus Holz erbaut, hatte eine Nutz­last von 65 Ton­nen und trans­por­tierte als Last­schiff Hart­schot­ter vom Stein­bruch Fal­len­bach bei Brun­nen. 1968 bekam die „Stauf­fa­cher“ den heu­ti­gen MWM-Motor (aus einem gesun­ke­nen Zürich­see-Ledi­schiff, 4‑Takt 2‑Zylinder 58 PS), nach­dem sie ein Jahr vor­her in der Has­ler Werft im Rotz­loch eine Stahl­schale bekom­men hatte. Ab 1972 führte Ernst Käp­peli, Lukas’ Vater, Per­so­nen­fahr­ten mit dem Nauen Stauf­fa­cher durch. Käp­peli Junior liess ihn dann als Fahr­gast­schiff für 100 Per­so­nen umbauen, kan­to­nal imma­tri­ku­liert mit der Nr. SZ 6. Das Schiff wird im Jahr zwi­schen 20 und 30 Mal gebucht.

Kaum legte die „Stauf­fa­cher“ beim KKL ab, zeigte Franz Schen­ker auf, dass der See vor rund 12 000 Jah­ren sie­ben Meter tie­fer lag und dann lang­sam anstieg. Im frü­hen Mit­tel­al­ter leg­ten die Han­dels­schiffe bei Salz­fass (heu­tige Her­mi­tage) und bei Alt­statt (Nähe Meg­gen­horn) an und die Waren wur­den dort auf Kar­ren oder klei­nere Boote umge­la­den. Damals war die heu­tige Insel vor Meg­gen­horn mit dem Burg­stall des alten Habs­bur­ger­schlos­ses noch mit dem Land ver­bun­den und bil­dete so einen natür­lich geschütz­ten Föhn­ha­fen. Das heute noch gut erkenn­bare gelbe Haus direkt am See war ein Wirts­haus für Han­dels- und Schiffs­leute. Um Müh­len an der Reuss bauen zu kön­nen, lies­sen die Stadt­lu­zer­ner Ende des 16. Jahr­hun­derts ein Wehr bauen, das dann den See­spie­gel wie­der um rund drei Meter stei­gen liess. Das löste inne­reid­ge­nös­sisch gewal­tige Kri­sen aus, denn beson­ders in Brun­nen und in Stans­stad wurde den Bau­ern dadurch viel Weid­land für immer unter Was­ser gesetzt. Die Bau­ern­höfe selbst waren inter­es­san­ter­weise nicht betrof­fen, denn sol­che Gebäude waren alle min­des­tens 20 Meter über dem See­spie­gel gebaut, was heute noch rings um den See gut zu erken­nen ist. Franz Schen­ker: „Die Bau­ern wuss­ten wohl Bescheid über die Gefahr von Tsu­na­mis. Immer wie­der don­ner­ten Fels- und Land­mas­sen in den Vier­wald­stätter­see. Die Flut­wel­len hät­ten sonst Haus und Hof zer­stört. Diese Gefahr besteht latent noch heute, nur inter­es­siert dies zur­zeit jene nicht gross, die eine Par­zelle direkt am See bebauen.“

Der Bas­ler-Taigg am Gestade

Zwi­schen dem Ver­kehrs­haus und der Jesus­sta­tue vor dem Meg­gen­horn legte der Nauen zum ers­ten Mal an. Als Bug­la­der braucht das Schiff bloss 20 cm Was­ser­stand, um bei der Villa Rip­pert­schwand anlan­den zu kön­nen. Die gross­zü­gige Anlage gehört heute einer Stif­tung für psy­chisch Kranke. Hier blickt ein fünf Ton­nen schwe­rer furcht­erre­gen­der Basi­lisk aus Metall hin­aus auf den Vier­wald­stätter­see. Das mythi­sche Tier, bestehend aus Ele­men­ten sämt­li­cher Tier­gat­tun­gen, stammt von der Wett­stein­brü­cke in Basel. Die Bas­ler woll­ten sich von die­sen unglücks­brin­gen­den Sym­bo­len tren­nen; die acht über­di­men­sio­nier­ten Brü­cken­pfei­ler­ver­zie­run­gen wur­den 1936 demon­tiert, einer davon blickt nun böse von der Rip­pert­schwand auf den See. Warum gerade hier? Beat Muggli, Mit­glied des Stif­tungs­ra­tes Rip­pert­schwand, weiss Bescheid: „Land­eigen­tü­mer aus Meg­gen ver­kauf­ten Ende des 19. Jahr­hun­derts ab der Stadt­grenze zu Luzern Par­zel­len am See­ufer. Dies lockte Gross­in­dus­tri­elle aus ganz Europa nach Meg­gen, der Grund­stein zum heute noch exis­tie­ren­den Steu­er­pa­ra­dies war damit gelegt. Einen Drit­tel kaufte der ‚Daigg‘ von Basel, ein Drit­tel kam in fran­zö­si­sche Hände und der Rest an diverse Käu­fer.“ Dank Herr Merian kam die­ses Basi­lisk-Mons­ter an den Vierwaldstättersee.

Nächste Sta­tion, pro­chain arrêt, next stop – Her­ten­stein“, so tönt es jeweils aus den Laut­spre­chern der SGV-Schiffe. Franz Schen­ker zeigte uns in der stil­len Bucht von Her­ten­stein, woher der Name kommt und weist auf einen Stein­bruch hin, der heute hin­ter Bäu­men ziem­lich ver­steckt ist. Schen­ker: „Der Stein vom Tan­zen­berg war beson­ders hart und des­halb frost­be­stän­di­ger als der Sand­stein von Luzern. Eine Ver­ord­nung der Stadt Luzern schrieb vor, wich­tige Gebäude wie das Rat­haus oder den Was­ser­turm nur mit Mate­rial von Her­ten­stein zu bauen. Noch heute gehört der Wald von Her­ten­stein der Stadt, ebenso ein gehö­ri­ges Stück am nid­wald­ne­ri­schen Bür­gen­stock. Das war purer Kolo­nia­lis­mus, was die Stadt Luzern betrieb: Wald bedeu­tete Energievorrat.“

Erste Off­shore Trink­was­ser­an­lage der Schweiz

Vor Ger­sau ging es ums Trink­was­ser und um eine Vor­ah­nung des­sen, was uns auch in der Schweiz bevor­steht: der poli­ti­sche Kampf um sau­be­res Was­ser. Da die Bau­ern weder auf inten­sive Dün­gung noch auf Her­bi­zide ver­zich­ten wol­len (und müs­sen), poli­tisch eine Macht sind und gleich­zei­tig die Gemeinde wei­tere Bau­par­zel­len ober­halb des Dor­fes ein­zonte, hat Ger­sau ein Pro­blem mit dem Trink­was­ser. Ger­sau liegt, wie viele andere Orte an den Seen, auf einem Bach­ke­gel, der nach dem See­ufer unter dem Was­ser wei­ter abfällt. In die­ser Unter­was­ser-Zone brin­gen Bäche, wie sie dies auch ober­ir­disch tun, ihr Abfluss­was­ser in den See. Die Geo­lo­gen erhiel­ten nun den Auf­trag abzu­klä­ren, ob die Qua­li­tät die­ses Was­sers den höchs­ten Ansprü­chen bezüg­lich des Trink­was­sers genüge. Zu die­sem Zweck wurde vor Ger­sau 53 m unter der Was­ser­ober­flä­che eine 47 m tiefe Boh­rung abge­teuft, um wäh­rend eines Jah­res die Was­ser­qua­li­tät zu unter­su­chen. Die Ergeb­nisse sind zwar ein­wand­frei, weil das Was­ser aber nicht mit Sau­er­stoff in Berüh­rung kommt, ist das darin ent­hal­tene Eisen auf­ge­löst und das Was­ser erscheint rot. Nun wird die­ses Was­ser belüf­tet und damit fällt das Eisen aus. Franz Schen­ker stimmt das nach­denk­lich: „Damit geht die erste Off-Shore-Anlage zur Gewin­nung von Trink­was­ser in der Schweiz in die­sem Som­mer in Betrieb. Bau­land, Land­wirt­schaft und Stras­sen­bau haben poli­tisch mehr Gewicht als der Schutz des Trinkwassers.“

Auf der Höhe des Schwy­bo­gens sind „vom Schiff aus“ drei Stein­brü­che sicht­bar. Obschon alle heute still­ge­legt und rena­tu­riert sind, unter­schei­det sich der Fal­len­bach-Stein­bruch zwi­schen Ger­sau und Brun­nen deut­lich von den zwei ehe­ma­li­gen Stein­brü­chen auf der ande­ren Seite des Sees. Schen­ker: „Beim Fal­len­bach wurde der für Schot­ter beliebte Kie­sel­kalk abge­tra­gen, wäh­rend bei den andern der Schrat­ten­kalk für die Zement­fa­bri­ka­tion bei Brun­nen gebraucht wurde. Wie der Kie­sel­kalk, bestehend aus 20 – 40 % Quarz und 80 – 60 % Kalk, ent­steht, ist für die Geo­lo­gen bis heute ein anre­gen­des unge­klär­tes Geheim­nis.“ Wir steu­er­ten nun den Stein­bruch bei der Ris­le­ten­schlucht öst­lich von Becken­ried an. Rund 100 m über dem See­grund liegt eine grosse Platte aus Schrat­ten­kalk frei. Im Som­mer 2000 ent­deckte ein Geo­loge hier beim Schwim­men drei voll­stän­dig sicht­bare Spu­ren von Dinosauriern.

Die jüngs­ten Dino­sau­rier weltweit

Die Nagra unter­stützte die auf­wän­dige Erfor­schung, die eini­ges an Poten­tial für neue Erkennt­nisse mit sich brachte. Zum Bei­spiel sind Dino­sau­rier bis­lang ins Zeit­al­ter von Trias (vor 250 Mio Jah­ren) und Jura (vor 200 Mio Jah­ren) datiert wor­den. Die Spu­ren von Becken­ried sind aber aus der Krei­de­zeit (vor rund 100 Mio Jah­ren) nach­ge­wie­sen und gehö­ren somit zu den jüngs­ten welt­weit. Der extra für uns „ein­ge­flo­gene“ Dino­sau­ri­er­spe­zia­list Oscar Wüest: „Die Fuss­spu­ren stam­men von drei Igu­a­n­odons. Das waren sechs Meter lange Pflan­zen­fres­ser mit dicken Schwän­zen, lan­gen Häl­sen und nur drei Zehen. Damals lag die Vier­wald­stätter­see-Gegend an einem tro­pi­schen Meer und hier schlen­der­ten drei Dino­sau­rier durch eine Schlamm­pfütze. Diese Fuss­ab­drü­cke ver­stei­ner­ten sich im Ver­laufe von Jahr­mil­lio­nen. Die Alpen­fal­tung brachte dann diese Par­tie an die fast senk­rech­ten, durch den Abbau frei­ge­leg­ten Fel­sen der Ris­le­ten­schlucht.“ Die drei ein­zi­gen Abdrü­cke eines Ori­gi­nal­aus­schnit­tes befin­den sich heute im Natur­his­to­ri­schen Museum in Basel, im Glet­scher­gar­ten Luzern und in Pri­vat­be­sitz von Oscar Wüest.

Der neu gestri­chene Nauen Stauf­fa­cher (1924) legt bei der Villa Rip­pert­schwand an, im Hin­ter­grund die vom Kurs­schiff aus gut sicht­bare Jesus­sta­tue, die Gerüch­ten zufolge Modell gestan­den haben soll für jene in Rio de Janeiro.

Eine der Lieb­lings­be­schäf­ti­gun­gen in der Frei­zeit von Lukas Käp­peli, Geschäfts­füh­rer einer Bau­un­ter­neh­mung, ist das Steu­ern sei­nes Nauens.

Furcht­erre­gend thront der ein­zige übrig­ge­blie­bene Basi­lisk der Bas­ler Wett­stein­brü­cke über dem Vierwaldstättersee.

Franz Schen­ker erläu­tert das Tie­fen­pro­fil des Vierwaldstättersees.

In Ger­sau ent­steht zur­zeit die erste Off-Shore-Trink­was­ser­fas­sung der Schweiz; im Quer­pro­fil gut sicht­bar das Auf­schüt­tungs­delta, auf dem Ger­sau gebaut ist, und die Unter­was­ser-Fas­sung des Trink­was­sers im Schuttkegel.

Der Nauen steu­ert die Ris­le­ten­schlucht bei Becken­ried an, die nebst einem spek­ta­ku­lä­ren Was­ser­fall auch Dino­sau­rier-Fuss­ab­drü­cke auf einer Platte des still­ge­leg­ten Stein­bru­ches offen­legt (auf dem Bild oben links).

Der Spe­zia­list Oscar Wüest schleppt einen 1:1‑Abdruck eines Fels­aus­schnit­tes in die Schlucht, um uns auf bequeme Art die Situa­tion, wie sie sich 100 Meter über unse­ren Köp­fen prä­sen­tiert, aufzuzeigen.
Text und Bil­der H. Amstad

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