Reisebericht: Dampfschiff-Vergnügen an den Küsten Schwedens (Teil 1)
Nahezu 50 reiselustige Schiffsfreunde lassen sich dieses Angebot nicht entgehen: Der legendäre und formschöne Schraubendampfer Boshuslän fährt mit uns als Charterschiff der Westküste Schwedens entlang und macht Halt an hübschen Orten, die kaum einer von uns kennt. Der internationale Tourismus wirbt für die Schären bei Stockholms Ostküste; der „Schärengarten“, wie er in Göteborg im Westen genannt wird, aber scheint der schwedischen Bevölkerung vorbehalten zu sein. Die Koffer reisen mit, übernachtet wird an Land in Lysekyl und Fjällbacka. Möglich macht dieses nautische Erlebnis eine Zusammenarbeit der beiden Anbieter Dampferzeitung und Schiffs-Agentur; letztere war bereits 2018 in dieser Gegend mit einer Reisegruppe unterwegs, damals allerdings mit dem nostalgischen MS Ellen af Bohuslän1.
Am ersten Reisetag gibt es am Abend ein „Warm-up“ für das, was uns kulinarisch und nautisch in den nächsten Tagen erwartet: Schifffahrten durch eine betörend schöne Landschaft mit einer schwedischen Küche vom Feinsten. Der 1914/15 erbaute ehemalige Schraubendampfer Göteborg der Reederei Strömma nimmt uns in Göteborg auf zu einer Garnelenfahrt. Vor sich hat jeder ein Körbchen, gefüllt mit diesen Krebsen. Jutta Eichenberger, unsere schwedisch-schweizerische Reisebegleiterin für die nächsten Tage, muss uns erklären, wie man diese Viecher isst, denn sowas sind sich die meisten von uns nicht gewohnt. Die Frische und Qualität sind 1A, nur wenige verzichten und sind froh, dass die Küchencrew in der Kombüse noch ein paar Stücklein Käse und Aufschnitt gefunden hat.
Die „Göteborg“ hat für mich (und für einige andere Reisegäste an Bord) eine spezielle Bedeutung, denn auf der letzten Schwedenreise der Schiffs-Agentur stand dieses Schiff am 28. Juli 2018 mit einer Maschinenhavarie im Hafen von Strömstad, was im Nachhinein die Insolvenz der Reederei Kulturbatanen bedeutete. Unser damaliges Schiff Ellen af Bohüslan gehörte zum gleichen Schiffsbetrieb und so wurden wir Zeugen, wie unser Kapitän Filip von einem Tag auf den andern „auf der Strasse“ stand. Strömma hat dann das Schiff aus der Konkursmasse gelöst. Das heute unter dem Namen „Göteborg“ fahrende Schiff wurde in der Schiffswerft in Motola (am Götekanal) als letztes Schiff der bekannten Werft Motola Verkstad ursprünglich als Passagierdampfer erbaut. Zwischenzeitlich war es auch als Kies- und Kriegsschiff im Einsatz und wurde insgesamt neun Mal umgetauft2.
Unser Hotel in Göteborg liegt direkt beim Heimathafen des Schraubendampfers Bohuslän, Sehnsuchtsziel für uns und, wie sich im Gespräch mit der Mannschaft später herausstellt, auch eines für schwedische Schifffahrtsfreunde. Bereits kurz nach acht Uhr in der Früh besteigen wir am zweiten Reisetag erwartungsvoll den für 280 Personen zugelassenen Dampfer, der nun für die folgenden drei Tage unser „Zuhause“ sein wird. Die Koffer sind bereits im Unterdeck verstaut und festgezurrt, falls bei den offenen Meeresstellen doch noch Wellengang zu erwarten wäre. Zu 90 % aber fahren wir während der ganzen Zeit zwischen den Felsinseln durch, manchmal sogar das Festland in unmittelbarer Sichtweite. Leinen los und die ersten zweieinhalb Genussstunden ermöglichen ein Kennenlernen des ganzen Schiffes inklusive erstem Besuch im Bauch des Schiffes, bei der dreizylindrigen Expansionsdampfmaschine.
Weiteren Museumsschiffen begegnet
Erster Stopp: Marstrand. Nach dem spektakulären Wendemanöver der „Bohüslan“ im engen Becken der vom Wasser geteilten Kleinstadt gibt es zum Mittagessen drei verschiedene Heringssalate mit je einem lokalen Schnaps dazu. Geduldig wartet die Küchencrew zuerst das Anlegemanöver ab, bevor sie uns ihre Leckereien serviert. Nachher bietet sich eine erste Gelegenheit zum Landgang, um den historischen Teil von Marstrand kennen zu lernen und mit dem Museumsschiff eines Spårvagnen (übersetzt schwimmendes Tram) aus dem Jahr 1848 zu fahren. Nach einer weiteren zweieinhalb-stündigen Dampferfahrt mit der «Bohüslan» steuern wir den nächsten Halt in Gullholmen an.
Isabelle Sahli, eine Teilnehmerin der Reise, meint treffend zu diesem Ort: «Traumhafte verwinkelte Gässchen, einfach ein schwedisches Klischee an unübertrefflicher Idylle.» Autofrei, Häuschen an Häuschen «gepflanzt», wir bewegen uns wie in einem Miniaturland einer Modellanlage. Ungewohnt suchen wir die Wege, dabei ist hier alles öffentlich und privat zugleich. «Dort wo man auf die Bewohner trifft, hat der Besuchende eine gesunde Distanz zu wahren; an allen anderen Orten darf man durch Gärten spazieren und in Häuser schielen», gibt uns Jutta Eichenberger den entsprechenden Verhaltenstipp. Ein Besuch des Fischerei- und Ortsmuseums von Sune Johansson rundet den kurzen Inselbesuch ab. Hinter dem Gullholmen-Stopp steckt gemäss Drehbuch dieser Reise aber noch die Idee, hier ein weiteres Museumsschiff zu besteigen und mit diesem in Formations- und Fotofahrt mit der «Bohüslan» zum heutigen Etappenziel Lysekil zu fahren.
Ein Dutzend Teilnehmer der Reisegruppe wartet nun auf das Anlegemanöver der «Harry», einem speziellen Bugsierer aus dem Jahr 1887, während die andern mit der «Bohuslän» weiterreisen und so die Fotosujets mit beleben. Der ehemalige Schraubendampfer Harry wurde 1950 mit einem Glühkopf-Dieselmotor der Marke Skandia nachgerüstet. Nur noch wenige Schiffe fahren weltweit mit diesem Dieselmotor-Typ aus der Anfangszeit des Dieselmotors. Die Schiffs- und Maschinenfabrik Skandia war im nördlichen Teil der Stadt Lysekil beheimatet. Dort ist seit ihrer Schliessung im Jahr 1987 ein kleines Maschinenmuseum eingerichtet, welches wir am nächsten Tag besuchen werden. Vorher aber gilt es nun, im Wechsel mit einem Besuch im (lauten) Maschinenraum der «stampfenden» Harry-Maschine im Unterdeck und zahlreichen Fotografier-Gelegenheiten, die letzten nautischen Kostbarkeiten des heutigen Tages zu geniessen: Parallelfahrten, inszenierte Insel-Passagen, Vor- und Nachpositionen zur «Bohüslan» – einmal im «Scheinwerferlicht» der Abendsonne, ein anderes Mal scherenschnitthaft im Gegenlicht. Bloss das vereinbarte Horn- und Pfeifkonzert bleibt aus, weil die «Harry» just «heute Abend» (Zitat des Schiffführers) infolge eines technischen Defekts nichts von dem zu bieten hat.
Nach rund 12 Stunden Dampfervergnügen legen wir in Lysekil an. Bei den Unterkünften stossen die örtlichen Hotelbetriebe trotz minutiöser Planung der Reiseleitung an ihre logistischen Grenzen. Wann schon «überrumpeln» fast 50 Gäste auf einmal die Idylle ländlicher Hotels, das keines so gross ist, dass alle in einem Haus untergebracht werden können? Die Lage beruhigt sich rasch und nur noch wenige Gäste trauen sich nach der köstlichen Fischsuppe im Strandflickorna-Hotel noch einen mitternächtlichen Spaziergang durch das Örtchen zu. Die Meisten «rüsten» sich schlaftechnisch auf für den morgigen Dampfertag.
Zweiter «Bohuslän»-Tag
Morgenerwachen in Lysekil. Wahlweise geniesst eine erste Gruppe einen geführten Felsen-Spaziergang zum Naturreservat Stanehuvud, wo das einsame «Lighthouse» (schwedisch Stångehuvuds fyr) ein beliebtes Fotosujet von Lysekil bietet. Diese Teilnehmenden kommen begeistert zurück, wie Alexandra Uhlig uns schildert: «Die 1,5‑stündige Wanderung über die roten Granitfelsen, die für diesen Küstenabschnitt der Bohuslän typisch sind, war ein besonderes Erlebnis. Während der letzten grossen Eiszeit wurde das Gestein von einem Gletscher geschliffen und erhielt so die abgerundeten Konturen, die der Landschaft eine sanfte und beruhigende Ausstrahlung verleihen4.»
Eine zweite Reisegruppe begibt sich auf einen kurzen Spaziergang durch den Ort zum ehemaligen Fabrikationsareal der Skandia, wo zwei Führer uns auf englisch in die Geschichte der Produktionsstätte der Dieselmotoren und ganzer Schiffe einführen und verschiedenste Motorentypen aus der Fabrikation zeigen. Die restlichen Gäste entdecken den Ferienort auf eigene Faust oder haben endlich Zeit, in den abgegebenen Unterlagen die Geschichte der «Bohüslan» zu studieren, die das folgende Kapitel zusammenfassend beschreibt.
1914 durch die Werft Eriksbergh in Göteborg erbaut, stand der 43,13 m lange Schraubendampfer zuerst im Dienst der Reederei Marstrand Nya Angfartygs AB. Er verband im strengen Liniendienst die Küstenorte Göteborg, Lysekil, Smögen und Gravarne (heute Kungshamn). Genau diese Strecke erleben wir nun 108 Jahre später mit dem nahezu original-ausgestatteten Schiff. Die «Bohuslän» fuhr während mehr als 40 Jahren auf dieser Route. Im Herbst 1963 wurde sie stillgelegt und zwei Jahre später an den Schrotthändler Torsten Johannisson verkauft. Eine Volksbewegung, vergleichbar mit jener in Luzern anfangs der Siebzigerjahre, führte zur Gründung zur Sällskapet Ångbåten. Der Verein rettete das Schiff, indem er 600 Anteilscheine zu 100 SEK verkaufte, was die notwendige Kaufsumme von 60 000 SEK ergab. Nach aufwändigen Revisionsetappen wurde das Schmuckstück restauriert und präsentiert sich nun nahezu im Zustand von 1914. Mit dem Schiff gibt es jetzt jeden Sommer an mehreren Tagen öffentliche Rundfahrten ab Göteborg und an einzelnen Terminen auch Tagestouren bis nach Marstrand.
Über die Fortsetzung der Reise berichten wir im nächsten (B)Logbuch-Eintrag, was auch Gelegenheit bietet, mit weiteren Bildern die Reise zu dokumentieren.
Ein 107- jähriger, ehemaliger Dampfer eröffnet unsere Reise an die Schärenküsten Schwedens: die „Göteborg“ ist seit 2018 im Eigentum von Strömma.
Von Beginn an steht die schwedische Meeresfrüchte-Küche im kulinarischen Fokus; hier erklärt Jutta Eichenberger die „Kunst“ des Garnelen-Essens.
Während drei Tagen für uns im Charter unterwegs: der schmucke Dampfer Bohuslän in Gullholmen, wo die Möglichkeit bestand, ihn fahrend zu fotografieren.
Die 20-köpfige Crew, alles ehrenamtliche Mitglieder des Vereins Ångaren Bohuslän, bot stets einen zuvokommenden Service, wie hier am Ausschenken eines lokalen Schnapses, der zu Heringssalat getrunken wird.
Der Kapitän verlässt sich bei den anspruchsvollen Passagen durch die zum Teil engen Stellen im Schärengarten der Westküste auf die Seekarten und seine grosse Erfahrung.
Die «Bohuslän» passt zur Schärenlandschaft und umgekehrt, hier auf der Fahrt zwischen Goldhelmen und Lysekil.
Wetterglück tat das seine dazu für ein unvergessliches Reiseerlebnis, hier mit Blick gegen Westen in Lysekil.
Bilder im Textteil: Hier sind auch unwirtlich aussehende Felsinseln mit Ferienhäuschen bewohnt. Ein Teil der Reisegruppe bestieg nach den Abendessen noch den Vetteberget bei Fjällbackä, wo sich die Anstrengung über Treppen und einer Schlucht lohnte.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
2) Das MS Göteborg hat eine bewegte Geschichte hinter sich: 1915 Das Passagier-Dampfschiff kommt in Betrieb und heisst Torsbyfjärden / 1919 Umbenennung auf «Tor II» / 1945 Der Dampfer heisst nun Tynningö und steht als Marineschiff der Küstenartillerie im Einsatz / 1958 Als Frachtschiff für Sandtransporte auf dem Mälarsee umgebaut heisst es nun «Linda II» / 1966 Umbau auf Dieselantrieb (MS Linda II) / 1982 Umbenennung auf Vagabond / 1985 Neuer Name Reparatören av Tynningö / 1988 Erneute Umbenennung auf Linda av Tynningö / 1994 Übernahme durch die Reederei AB Kind in Motola, Rückbau zum Passagierschiff, neuer Name «Nya Skärgården» Einsatz ab 1996 im südlichen Vätternsee ab Jöngköping / 2015 Die Reederei Kulturbatanen kauft das Schiff und setzt es neu an der Westküste als Schärendampfer ein / 2018 Die Reederei Strömma übernimmt das Schiff und tauft es in «Göteborg» um.
4) Alexandra Uhlig hat für uns recherchiert: «Im Zusammenhang mit dem Naturpark Stangehuvud muss man den Namen Calla Curman unbedingt erwähnen. Als jährlich wiederkehrender Feriengast in Lysekil beobachtete sie Anfang des 20. Jahrhunderts die fortschreitende Veränderung der Küstenlandschaft, welche durch massiven Abbau des Granits stattfand. Damals war der Bohus-Granit ein beliebtes Baumaterial über die Grenzen Schwedens hinaus. Stück für Stück kaufte Calla Curman ein 18 ha grosses Gebiet auf und schloss alle Steinbrüche. 1925 erfolgte die Schenkung an die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften. Die Carl und Calla Curman Stiftung wurde zur Pflege der Küstenlandschaft ebenfalls zu dieser Zeit ins Leben gerufen. Schweden und somit auch alle Besucher des Naturparks Stangehuvud sind Calla Curman zu grösstem Dank verpflichtet.»
Impressum
Text und Bilder H. Amstad
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