Reisebericht: Dampfschiff-Vergnügen an den Küsten Schwedens (Teil 2)
Nach den im ersten Teil des Reiseberichtes1 erwähnten Landerkundigungen in Lysekil bringt uns der Schraubendampfer Bohuslän nach Smögen, dem St. Tropez der schwedischen Westküste. Hier merkt man deutlich, dass anfangs Juni die Sommersaison noch nicht begonnen hat. Von den in der Ferienzeit hundertfach «parkierten», millionenschweren Yachten, vornehmlich mit norwegischen Heckflaggen (Oslo liegt bloss 200 km nördlich von hier), sind erst wenige da. Unser Vorteil: das ansonsten grosse Gedränge auf den Smögen Bryggan (Fussweg am Quai zu den farbigen Fischerhäuschen) bleibt aus und so geht auf dem individuell gestalteten Landgang auch niemand verloren.
Die anschliessende längere Fahrt mit der «Bohuslän» ist in landschaftlicher Hinsicht das «Filetstück» der Westküstenfahrt. So passiert das Schiff den 4,8 km langen und an einigen Stellen bloss 15 Meter breiten Sotenkanal2, der bis Kungshamn führt. Durch den Bau des Kanals wurde nach seiner Eröffnung im Jahr 1935 die westliche Flanke der Halbinsel Sotenäs zur Insel Söö. Bevor wir den zweiten Übernachtungsort Fjällbackä erreichen, macht der Kapitän noch einen Umweg, der durch die besonders eindrückliche Schärengruppen bei Gasön führt. Für unseren «Ozeanriesen» nicht (mehr) eingerichtet ist der Hafen von Fjällbackä. Wie gelangen wir nun zum Festland? Die Improvisationskunst der rührigen Mannschaft – 23 Frauen und Männer, vom Kapitän bis zur Küchenbrigade, sorgen für das Wohl der Gäste – kennt keine Grenzen. Falls die improvisierte, steile Rampe vom Schiff auf den schmalen Holzsteg zur «Rutschbahn» würde (und damit im kühlen Meerwasser enden könnte), wird kurzerhand ein Privatschiff auf die andere Stegseite als «Auffangbecken» manövriert. Wie an allen Tagen besorgt die Crew das Ein- und Entladen sämtlicher Koffer.
Obwohl wir sehr lange aufs Essen warten müssen, schmeckt auch heute Abend die schwedische Fischküche wieder vorzüglich. Ein (freiwilliger) Spätabend-Spaziergang auf den «kleinen Tafelberg von Fjällbackä», Vetteberget genannt, führt durch die 200 Meter lange Felsspalte Kungsklyftan, die öfters als Filmkulisse (so im Film von Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter) diente3. Die traumhafte Aussicht auf den Inselarchipel vor der felsigen Küste der Provinz Bohuslän mit gleichzeitigem Blick auf den gleichnamigen Dampfer und auf die untergehende Sonne berührt jeden.
Skagerrak und Fjällbackä, Orte mit Weltausstrahlung
Der dritte Reisetag beginnt mit einer spannenden Ortsführung durch Jutta Eichenberger. Dabei wird klar: der Ort Fjällbackä (auf der Rückseite «bak» des Berges «Fjäll» liegend) hat eine spezielle kulturelle und historische Bedeutung. Ingrid Bergmann, die dreifache Oscar-Preisträgerin und populärste Schauspielerin der Filmgeschichte, verbrachte hier regelmässig ihre Ferien. Die Krimi-Autorin Camilla Läckberg wurde hier geboren; ihre Geschichten haben oft einen örtlichen Bezug zu Fjällbackä. Und der deutsche Schriftsteller Gorch Fock, nach dem später etliche Schiffe benannt worden sind, ist auf einer Insel vor Fjällbackä begraben. Er war einer von 8 600 getöteten Soldaten in einer der grössten Seeschlachten, jener von Skagerrak im Juli 1916, wo 250 Schiffe aufeinandertrafen. Noch heute ist das Trauma der Einwohner spürbar, wenn sie erzählen, wie die Strömung tagelang unzählige Toten an ihr Ufer spülte.
Auf dem Skagerrak, diesem Meeresteil der Nordsee im Viereck zwischen der Nordküste Jütlands in Dänemark, der Südküste von Norwegen und der nördlichen Westküste von Schweden, geht es heute auf dem Seeweg weiter Richtung norwegische Grenze. In Strömstad, einer unspektakulären Kleinstadt vor dem bekannten Naturreservat Kostenhavets, heisst es Abschied nehmen vom Dampfer, aber auch von liebgewordenen Menschen der Mannschaft.
Wir stehen am Ufer, die «Bohuslän» verlässt den Hafen wieder südwärts. Ein langer, für unsere Reisegruppe letzter Hornstoss aus der Dampfpfeife, ein beherztes Zuwinken von beiden Seiten, Applaus klingt zurück vom Land zum Schiff und zur Crew. Mit Superlativen gehe ich im Allgemeinen vorsichtig um. Aber was da an Bord, als Programm sowie wettermässig und aus landschaftlicher Sicht geboten wurde, werden die Wenigsten unserer Reisegruppe vergessen. Es war ein tolles Erlebnis mit einer ganz grossen (in dieser Qualität nicht erwarteten) Überraschung: die Bordküche. Der angekündigte kleine «Lunch-Snack» entpuppten sich als kulinarisches Vergnügen mit feinster schwedischer Fischküche, obendrein liebevoll zubereitet und täglich frisch.
In 20 Minuten wären wir in Norwegen. Stattdessen wollen wir zurück nach Göteborg. Die Fahrt mit dem Dampfschiff hat drei Tage gedauert und machte das Reisen zu einem Erlebnis, die Busfahrt auf der Autobahn dauert gerade mal drei Stunden. Das erste Mal fällt Regen, sodass der angekündigte Besuch der weltberühmten Felsritzungen von Tanum etwas beeinträchtigt wird. In Göteborg angekommen verabschieden sich die zwei Reisegruppen, da sie morgen unterschiedliche Fortsetzungsprogramme in Angriff nehmen.
Unter der Leitung der Dampferzeitung nimmt die eine Gruppe den Zug nach Stockholm, um noch am gleichen Abend der traditionellen Schiffsparade nach Vaxholm beizuwohnen. Die andere Gruppe erlebt unter der Leitung von Jutta Eichenberger und der Schiffs-Agentur noch einen nautischen Tag in Göteborg, um dann am Abend mit der Nachtfähre Schweden Richtung Kiel zu verlassen.
Dampf in Stockholm
Othmar Egli berichtet über die nachfolgenden vier Tage in Stockholm: „Nebst den Motorschiffen Västan und Östanå sowie dem Dampfer Ejdern und dem Katamaran Syreni waren an der abendlichen Parade die Dampfer Mariefred (1903), Storskär (1908), Norrskär (1910) und Blidösund (1911) beteiligt. All diese Schiffe signalisieren damit die Saisoneröffnung 2022, den sogenannten ‚Skärgårdsbåten Dag‘. Wir benützten den Dampfer Mariefred. In Vaxholm machte man zwei Stunden Pause fürs Flanieren, Essen, Trinken oder um die Schiffe anzuschauen; es war ein richtiges Volksfest für die Vaxholmer.“
Die Gruppe erlebte dann auf den Schraubendampfern Storskär und Norrskär noch zwei weitere Tage an der Ostküste Schwedens. Den Schlusspunkt der Dampferreise setzte man mit einer Charterfahrt. Othmar Egli berichtet: „Gespannt warteten alle auf den kleinen, legendären Dampfer Frithiof (1897). Wir waren begeistert, denn die „Frithiof“ hebt sich von den andern Schärendampfern mit ihrer offenen Maschine, dem heimeligen Salon, dem romantischen, kleinen Aussendeck hinten oder mit ihren Seitenbänken rechts und links der Maschine ab. Nach Ankunft des Schiffes folgte noch eine Überraschung: Der junge Kapitän des DS Frithiof bot uns an, für Interessierte das nebenan liegende DS Motala Express (1895) zu besichtigen. So endeten die Dampferfahrten in Schweden mit einem gelungenen Abschlussabend.“
Ausklang in Göteborg
Die andere Gruppe bleibt noch unter der Ägide der Schiffs-Agentur in Göteborg und entdeckt die zweitgrösste Stadt von Schweden unter dem nautischen Aspekt. Nach einer gemütlichen Stadtführung durch Jutta Eichenberger geht’s wieder ans Wasser zur „Marieholm“, einem seit Neustem wieder zugänglichen Dampfschiff. Der Besuch im Bauch des Schiffes lässt wegen der dreizylindrigen Gleichstrom-Dampfmaschine im Originalzustand die Herzen der anwesenden Dampferfans höherschlagen. „Die 950-PS-Maschine ist ziemlich vergleichbar mit derjenigen der ‚Stadt Luzern‘, nur sind die Zylinder stehend und statt Ventile besorgen hier noch Schieber die Schmierung,“ ergänzt der Teilnehmer Andreas Westphalen, der uns kurzfristig dieses optische Erlebnis ermöglicht.
Die 1934 in Dänemark erbaute „Mariholm“ hat seit kurzem einen neuen Besitzer, der beabsichtigt, das Schiff wieder zum Fahren zu bringen. Erste positive Anzeichen sind vorhanden: Das Restaurant ist seit Jahren wieder zugänglich und wir geniessen das Mittagessen an Bord. Anschliessend steht eine Führung durch Maritinam bevor, dem grössten schwimmenden Schiffsmuseum von Schweden. Die Fahrt vom Hotel zur Fähre der Stenaline nach Kiel geschieht standesgemäss auf dem Wasser, unterbrochen mit einem stündigen Halt im ehemaligen Werftquartier Eriksberg, wo gerade der Dreimaster Götheborg mit 80 Leuten Besatzung für einen einjährigen Törn nach China ausläuft. Acht Kanonenschüsse von der „Götheborg“ verabschieden auch die restlichen Reiseteilnehmerinnen und Teilnehmer von dieser eindrücklichen Reise.
Ortsführung durch Fjällbackä mit dem Ziel SS Bohuslän; der Dampfer wirkt im Hafen wie ein „Ozeanreise“.
Unterwegs treffen wir schmucke, auf Inseln gebaute Ortschaften an.
Die Arbeit des Steuermannes erfordert volle Konzentration, …
…, denn die Passagen durch die Schären sind zum Teil eng und die Fahrroute ist selten gerade aus.
Auch kulinarisch wurden wir an Bord der „Bohuslän“ verwöhnt.
Stillleben mit unseren Koffern, die an Bord mitreisen; die Mannschaft ist gerade daran, sie in Lysekil ab Bord zu laden.
Abschied in Strömstad: der Dampfer tritt noch am gleichen Tag seine Rückreise an und wir winken ihm zu mit den besten Wünschen und einem grossen Dankeschön an seine Besatzung
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Hinweise
2) Es gab zwei Gründe für den Bau dieses Kanals. Der erste Grund waren die gefährlichen und schwer einzuschätzenden Strömungs- und Windverhältnisse im nördlichen Skagerrak. Sie führten zusammen mit den häufig nur knapp unter dem Wasserspiegel liegenden Granitfelsen zu vielen Schiffsunglücken. Der zweite Grund war die massiv ansteigende Arbeitslosigkeit in der für den Steinbau bekannten Region. Während des vierjährigen Kanalbaus wurden rund 200 vormals arbeitslose Steinarbeiter eingesetzt und der Bau war ein Arbeitsbeschäftigungsprogramm von Kronprinz Gustav Adolf von Schweden. Wichtig ist der Kanal heute weniger für die Güterschifffahrt, sondern vielmehr für den schwedischen Tourismus. Er wird von Seglern als einer der Höhepunkte eines Skagerrak-Törns bezeichnet. Dies schlägt sich in der Anzahl der Schiffspassagen nieder: Passierten im Eröffnungsjahr etwa 10 000 Schiffe den Kanal, sind es nunmehr rund 60 000 jährlich.
3) Aufmerksame Zuschauer und Zuschauerinnen der Verfilmung von Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter werden die Kungsklyftan mit ihren eingekeilten Felsblöcken als die Wolfsklamm wiedererkennen, durch die Ronja in den Mattiswald lief.
4) Kurzabriss der Geschichte der «Mariholm»: 1934 – 1940 Zubringerschiff für die schwedisch-amerikanische Linie / 1940 –1976 Frachtschiff bei der schwedischen Marine / 1977 – 1983 ein privater Eigentümer setzt es im Linienverkehr ein / 1984 – 2020 ein zweiter Privateigentümer benutzt sie als stehendes Restaurantschiff (mehrheitlich geschlossen) / Seit 2021 dritter Eigentümer äussert die Absicht, das Schiff zum Fahren zu bringen.
Quellen
Weiter im Text
1) Reisebericht Teil 1 (Link)
Impressum
Text und Bilder H. Amstad
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Archivierung

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