Reisebericht: Lauch in Colmar, Amazonas am Oberrhein und Geschichte der Breisacher Fahrgast-Schifffahrt
Viel Abwechslung und überraschend Unbekanntes bietet die diesjährige Dreitagesreise der Schiffs-Agentur. Den Auftakt bildet die Stadt Colmar, 45 Bahnminuten von Basel entfernt. Bereits der Spaziergang zum Quartier Klein Venedig offenbart einen Teil der historischen Substanz der nach Strasbourg und Mühlhausen drittgrössten Elsässer Stadt. Sie ist berühmt für ihr gut erhaltenes architektonisches Erbe aus sechs Jahrhunderten und für ihr Unterlinden Museen mit dem Isenheimer Altar. Uns aber zieht es, wie könnte es anders sein, ans Wasser, besser gesagt an und auf die Lauch. Der Name kommt tatsächlich vom Gemüse, denn die elsässischen Bauern brachten vor Jahrhunderten ihren Lauch per Boot aus der Umgebung in die Stadt. Der 47 km lange «Bach» entspringt in den Vogesen.
Unsere Fahrt mit zwei Booten beginnt bei der Brücke Saint Pierre, führt zuerst durch eine grüne, gartengeprägte Gegend, dann durch einen Teil der Altstadt, Fachwerkhäusern entlang. Die mit Elektromotor angetriebenen, bis 12 Personen fassenden, offenen Holz-Flachboote sind kein nautischer Höhepunkt; dafür aber verbreiten sie eine meditative Stimmung. Es ist sozusagen ein Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Tagen erwartet.
Im Hafen zu Colmar erwartet uns zwei Stunden später die «Napoleon», ein Extraschiff der «Breisacher Fahrgastschiffahrt» der Familie Goedert. Hier mündet die Lauch in das Ende des Canal de Colmar. Wir fahren nun eine kurze Strecke bis zum Wasserstrassenkreuz der Ill im Lauchwasser. Dann nimmt die «Napoleon» den östlichen Kurs Richtung Rhein, während die Ill quer dazu, also parallel zum Rhein, nordwärts fliesst. Kurz nach dem Mittagsbuffet lockt uns die Sonne aufs Oberdeck. Unsere 20-köpfige Reisegruppe kann sich auf dem 180-Personenschiff ausbreiten. Nach 11 km Kanalfahrt manövriert der Kapitän das Schiff auf engstem Raum rechtwinklig in den alten Rhone-Rhein-Kanal. Nach weiteren drei Kilometern erreichen wir Kunheim. Ab hier fahren wir auf dem Canal de Neuf-Brisach (rund 6 km). Die Schleuse Neuf-Brisach bringt uns auf das Niveau des Rheins. Unser Tagesziel Breisach ist nach fünf Stunden Genussfahrt erreicht. Die einen lockt das Breisacher Weinfest, andere geniessen die Zeit im schönen Hotel Stadt Breisach mit Ausblick auf den Rhein.
Zwischen Rhein und Europapark Rust
Ein lokaler Reisebus bringt uns am 2. Tag nach Taubergiessen, wenige Kilometer südlich von Rust gelegen. 1973 entstand hier bei der Rheinbegradigung ein einmaliges Naturschutzgebiet, das wir mit zwei Holzflachschiffen durchfahren. Diese Weidlinge heissen hier «Drübrett», ein elsässisch angehauchter Begriff, der daran erinnert, dass das Schiff früher aus drei Brettern bestand. Die Stehruder-Kapitäne Klaus Kossmann und sein Sohn empfangen uns auf dem Parklatz Weier bei Oberhausen. Nach einem kurzen Spaziergang startet das zweistündige «Abenteuer» durch einen Teil des 1 700 ha grossen Dschungels. Jetzt wissen wir, warum diese Gegend als «Amazonas am Oberrhein» vermarktet wird.
In absoluter Stille gleiten wir im Sog verschiedenster Restwasser-Züge des alten Rheinlaufes hinunter nach Rust. Es wird keinen Moment langweilig: Die Vegetation wechselt ständig, Schwäne kommen entgegen, manchmal gilt es durch eine Schwelle zu sausen, um auf das untere Niveau eines neuen Wassersystems zu gelangen. Vögel hier, Vögel dort, Libellen und Orchideen und einmal hört man das ferne Schreien des Antiprogrammes, denn gegen Ende führt das Naturschutzgebiet wenige hundert Meter am Europa-Park Rust vorbei. Doch die hohen Bäume verdecken Silver-Star und Co. Hingegen sind ein auffälliges Gebäude, eine weisse Kuppel und riesige Parabolspiegel gut sichtbar: Im Ionosphäreninstitut, einer Abhörstation (der Name des Institutes ist eine Tarnung), arbeiten 110 Leute für den Spionagedienst des Bundesnachrichtendienstes und der Nato. Schwerpunkte sind heute die Überwachung von E‑Mails und Internetverkehr in der Terrorbekämpfung.
An den Ufern gut sichtbar sind ab und zu Spuren der 150 hier lebenden Wildschweine. «In der Nähe hat es ganz grosse Maisfelder, wo sie sich ebenfalls wohlfühlen und unentdeckt bleiben», ergänzt Klaus Kossmann. Zum Schiffsbetrieb befragt sagt er: «Wir sind ein Familienbetrieb und haben seit 40 Jahren die Lizenz für 15 Boote.» Es gibt auch weitere Lizenznehmer. Diese Fahrt bleibt lange in Erinnerung und ist für viele der Höhepunkt der Reise. Das Mittagessen ist ganz der Gegend angepasst: Im Anglerheim Kappel-Grafenhausen gibt’s eine Forelle blau aus eigener Zucht. Zurück in Breisgau empfängt uns Thomas Albert mit der grossen «Weinland Baden» zu einer zweistündigen Schleusenfahrt ab Breisgau. Der Abend zieht sich in die Länge, da sich die hiesige Vorstellung, wie man ein Gourmet-Menu zelebriert, nicht deckt mit den zeitlichen Bedürfnissen der Schweizer Kundschaft, die sich nach einem erlebnisreichen Tag aufs Hotelbett freut.
Die Breisacher Personenschiffahrt
Auch an unserem 3. Reisetag begleitet uns Thomas Albert als Kapitän auf der Rheinfahrt von Breisach nach Basel. Er befasst sich auch in der Freizeit intensiv mit der Personenschifffahrt und verfasst im Binnenschifffahrtsforum* regelmässig Beiträge. Für uns erzählt er über die Anfänge der Breisacher Passagierschifffahrt: «Die Geschichte der Breisacher Fahrgastschifffahrt geht auf das Jahr 1976 zurück. Ernst Kurella gründete das Unternehmen mit MS Stadt Breisach (Baujahr 1925, siehe Flottenliste in der Randspalte**). 1980 ersetzte er das Schiff durch den Neubau MS Weinland Baden.»
Hermann Josef Goedert stammt aus St. Goar am Mittelrhein. Er arbeitete am Wasser- und Schifffahrtsamt Koblenz. Als Mitglied der SUK (Schiffsuntersuchungskommission) war er dabei, als 1980 der Neubau Weinland Baden aus dem Hause der Schiffswerft Schmidt in Remagen-Oberwinter abgenommen wurde. Acht Jahre später sah Goedert in einer Fachzeitschrift, dass Kurella dieses Schiff resp. seinen gesamten Betrieb verkaufen wollte. Thomas Albert: «Nachdem Goedert viele Jahre als Matrose, Schiffsführer und Lotse im Tal der Loreley gearbeitet hatte, packte er die Gelegenheit, um sich den Traum vom eigenen Passagierschiff zu erfüllen. Zuvor hatte er bereits das Frachtschiff Schinderhannes erworben.»
Am 1. April 1988 legte der Familienbetrieb mit Sohn Christian und Schwiegertochter Martina mit der «Weinland Baden» los. Christian und Martina arbeiteten vorher im Gastrobereich und konnten fortan hier einen Schwerpunkt setzen. Das Geschäft zog an, das Potenzial der Europastadt Breisach mit seiner Nähe zu Freiburg und Colmar wussten die Goederts zu nutzen; dazu entstand durch den Fall der Mauer ein innerdeutscher Tourismusboom. Neue Schiffe stiessen zur Breisacher Flotte: 1991 kam das Basler Schiff Rheinfelden und erhielt den Namen «Schloss Munzingen» (250 Personen), 1995 dislozierte die «Annemarie» aus Königswinter nach Breisach und hiess hier «Kaiserstuhl» (122 Personen). Ich lernte die «Breisacher Fahrgast-Schifffahrt» BFS zum ersten Mal als stattliche Dreierflotte kennen. Vor allem das Charisma der «Schloss Munzingen» hatte es mir angetan; der Umbau von der «Rheinfelden» – ein historisch höchst interessantes Schiff – zur «Schloss Munzingen» war gelungen. Mit der «Kaiserstuhl» wurde die Colmar-Linie eröffnet, ein wichtiger Geschäftsbereich der BFS.
2006 wurde die «Weinland Baden» von 33 auf 57 Meter verlängert. Damit konnte die BFS auch grössere Gesellschaften fahrend verköstigen. Das gleiche Ziel wollten Goederts auch auf der Colmar-Linie erreichen, was aber nur mit einem Neubau zu erreichen war. Im Hinblick auf das neue Schiff Napoleon, das 2012 von der Werft der Stahlbau Müller in Spessart*** geliefert wurde, mussten sich die Breisacher leider von ihren beiden Oldies verabschieden. Zum Glück fanden sich in beiden Fällen Abnehmer. Die «Kaiserstuhl» kam 2013 auf die Spree nach Grünheide/Köpenick (Schifffahrt MiLa Berlin) und war dort unter dem Namen «Navette» im Einsatz. 2018 übernahm die Nordstern Reederei von Lothar und Kerstin Bischoff dieses historische Schiff; es fährt nun unter gleichem Namen «Navette» in Brandenburg auf der Havel, zusammen mit DS Nordstern und andern Schiffen. Die «Schloss Munzingen» ihrerseits kam auf die Weser nach Bremen zur Reederei Hal Över, die auch unter anderem den Raddampfer Weserstolz (ex-Labe Prag, ex-Wappen von Minden) betreibt. Dort heisst nun die ehemalige «Rheinfelden» Gräfin Emma.
Einen Rückschlag musste die BFS durch eine gesundheitlich bedingte Arbeitsreduktion von Christian Goedert hinnehmen. Einige Jahre später verliess Martina Goedert das Unternehmen und ihre Tochter Anna Goedert führt nun seit diesem Jahr mit Unterstützung des Vaters und des Grossvaters (dem Gründer) das Unternehmen.
Per Holzboot auf der Lauch durch Klein-Venedig, eine empfehlenswerte Art, Colmar zu entdecken.
Auf dem Canal de Colmar bleibt dem Schiff Napoleon wenig Platz in der Fahrrinne. Manchmal reichen die Äste bis aufs Oberdeck. Dörfer, Brücken und Schleusen gleiten vorbei, während unser Schiff zu stehen scheint.
Der Schiffsführer Tobias Bertsch ist am Schottelsteuer trotz gerader Kanalführung ständig am „Werken“, um die Ideallinie zu fahren: „Der Kanal landet langsam zu; eine Ausbaggerung wäre längst fällig.“
Nach der letzten Schleusung haben wir ihn erreicht, den Vater Rhein, auf dem uns um Breisgau herum grad drei Hotelschiffe begegnen.
Schuss-Fahrt im Amazonas des Oberrheins: Für mich eine erlebnisreichere Entdeckungsfahrt als jene im benachbarten Europapark, wo man ähnliche „Spritzfahren“ (allerdings in künstlich angelegten Kanälen) erleben kann…
Auf der Fahrt von Breisach nach Basel gehören die Schleusungen in den 185 m langen Kammern zu den speziellen Erlebnissen; unser Schiff hätte 16 Mal Platz darin.
Ein seltener Gast an der Basler Schifflände: Die sonst für Colmar eingesetzte „Napoleon“ bringt uns in die Schweiz zurück.
Durch den Amazonas des Oberrheins: • blau eingefärbt der Verlauf der Bootsroute, • in der Mitte der natürliche Lauf des Rheins mit der Staatsgrenze DE/FR, • links der Oberrhein-Kanal für die Schiffahrt zwischen Breisach und Basel.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Bemerkungen
*) Link zum Binnenschifffahrtsforum
**) Flottenübersicht Breisacher Fahrgastschifffahrt:
1 Stadt Breisach, von 1976 bis 1979 in Breisach, 1926 in Königswinter gebaut, wahrscheinlich auf der Schiffswerft Jean Stauf, L 27,50 m, B 4,20 m, T 1,10 m, 196 Passagiere, Antrieb: 12-Zyl. Deutz auf einen Festpropeller. Gebaut wurde das Schiff 1926 für Josef Schmitz (Schifffahrt Schmitz in Bonn). Er fuhr damit im Verbund der Bonner Motorschifffahrt Gesellschaft, später Bonner Personen Schifffahrt (BPS). 1965 verkauft an Kehler Personenschifffahrt (E. Koch und A. Friedmann) in Kehl. Neuer Name Stadt Kehl. Ab 1976 «Stadt Bresach» für Ernst Kurella. 1979 nach Frankreich verkauft.
2 Weinland Baden, 1980, Schiffswerft Schmidt Remagen-Oberwinter, L 57,00 m (33,00 m bis 2006), B 8,20 m, T 1,00 m, 250 Passagiere, Antrieb: 2 x Deutz F10L 413 F (10-Zyl.-V-Motor – Diesel) mit je 267 PS (196 kW), bis 2008 2 x 242 PS (178 kW) auf 2 Schottel-Ruder-Propeller (SRP 100), 2008 Neumotorisierung (Baugleich mit gleicher Leistung).
3 Schloss Munzingen, von 1992 bis 2010 in Breisach, (ex-Rheinfelden BPG), 1925, Bauwerft Buss AG in Pratteln (CH), L 41,60 m, B 6,50 m, T 1,10 m, 250 Passagiere, Antrieb: 2 x Detroit-Diesel (GM) 540 PS (397 kW) auf zwei Propeller, ursprünglich war das Schiff 31,4 m lang und 5,3 m breit, 2 x Gebr. Sulzer-Diesel, je 160 PS, 250 Personen. 1947 Umbau bei Boel in Tamise (Belgien), dabei auf 40 m verlängert und nun 450 Personen. 1954 erneut umgebaut bei der Rheinwerft Mainz-Mombach in Mainz (Deutschland), wieder verlängert auf 41,60 m und neue Breite 6,20 m, 600 Personen, sowie Aufbau eines Oberdecks mit Salon auf halber Länge.
4 Kaiserstuhl, von 1997 bis 2013 in Breisach, (ex-Annemarie, Motorschifffahrt Schmitz Königswinter GmbH Königstein), 1960 Schiffswerft Schmidt Oberkassel, L 22,75 m, B 4,90 m, T 0,88 m, 122 Passagiere (ex 195 Passagiere), Antrieb: Deutz F8L 418 (8‑Zyl. V‑Dieselmotor), 164 PS (120 kW) auf einen Schottel-Ruder-Propeller (SRP)
5 Napoleon, 2012, Stahlbau Müller Spessart, L 38,40 m, B 5,05 m, T 1,45 m, 180 Personen, Maschinenleistung: 2 x 200 kW (272 PS) auf 2 x SRP 0320, Maschinen-Hersteller: John Deere
***) Diese Werft baute kürzlich MS Switzerland für die SNG Luzern.
Weiter im Text
Ein weiterer Reisebericht ist im Jahr 2013 erschienen (Link).
Weiter im Text
Text und Bilder H. Amstad, Karte Link, (akt. 3.2021)
Leave A Comment