Rei­se­be­richt: mit Tra­di­ti­ons­schif­fen unter­wegs und Hel­go­land bei Wind­stärke 6.

«Schiet Wed­der» sagen die Ham­bur­ger die­ser Wit­te­rung, die sie gut ken­nen. Sie beglei­tete uns wäh­rend der Reise über weite Stre­cken hart­nä­ckig. Und der meist gehörte Spruch lau­tete: «Es soll bes­ser wer­den.» Am ers­ten Rei­se­tag des Ange­bo­tes «Nord­see­brise» der Schiffs-Agen­tur stand ein «Muss» auf dem Pro­gramm: die «Kirch­dorf» (1962) lud – als noch ein­zig übrig geblie­bene Hadag-Fähre der alten Gene­ra­tion auf Lini­en­fahrt – die Rei­se­gruppe zur Hafen­rund­fahrt ein. Obwohl die Sprü­che und Witze des Kom­men­ta­tors von Jahr zu Jahr ähn­lich tönen ist die stün­dige Runde immer ein Erleb­nis. Das Hafen­mu­seum am Bre­mer Kai des Han­sa­ha­fens auf dem Klei­nen Gras­brook hin­ge­gen ist weni­ger bekannt. Teil­neh­me­rin Moni Ehris­mann: «Eine höchst inter­es­sante Sache, nur schade hat­ten wir in zwei Stun­den zu wenig Zeit». Dann näm­lich holte die Bar­kasse Ball­in­stadt die Gruppe wie­der ab und kurvte durch die andere Seite des Hafens in Rich­tung Hafen-City und Spei­cher­stadt Hamburg.

Die Vor­freude auf sie­ben Stun­den DS Schaar­hörn war gross. Der ein­set­zende Dau­er­re­gen dämpfte zwar etwas die Stim­mung, doch ein Auf­ent­halt in der uri­gen Schiffs­bar machte alle wie­der mun­ter. Alle Betriebs­räume des Peil- und Berei­sungs­damp­fers stan­den wäh­rend der Fahrt offen und einige unse­rer Gruppe haben mit Kohle-Schau­feln aktiv zum Gelin­gen der Elbe­fahrt bei­getra­gen. Der 1908 erbaute „weisse Schwan“, wie das Schiff auch genannt wird, stand zu Beginn sei­ner Geschichte im Kreuz­feuer der Kri­tik: anstatt des vom Senat bewil­lig­ten Arbeits­schif­fes baute man einen Edel­damp­fer mit einem mit Perl­mut­ter bestück­ten Salon in dun­keln Eichen­holz. Ein Dampf­ge­ne­ra­tor pro­du­zierte Strom für elek­tri­sches Licht zu einer Zeit, als in gan­zen Ham­bur­ger Stadt­vier­teln davon noch keine Rede war. Mes­sing-Pan­ora­ma­fens­ter, Schnit­ze­reien, ein bemal­tes Ober­licht sowie Leder­ses­sel und Sofa soll­ten auf den deut­schen Kai­ser ein­la­dend wir­ken. Doch der kam nie. Dafür erfreuen sich noch heute Tau­sende von Fahr­gäs­ten, wenn das Muse­ums­schiff Schaar­hörn, nach einer vor Cux­ha­ven vor­ge­la­ger­ten Insel benannt, zu sei­nen öffent­li­chen Rund­fahr­ten ablegt.

Der dritte Rei­se­tag war Bre­mer­ha­ven gewid­met, sei­nem eben­falls inter­es­san­ten Hafen (inklu­sive Rund­fahrt) mit dem gröss­ten Auto­um­schlag­platz von Deutsch­lands Häfen und sei­nen zahl­rei­chen Museen, die zur Aus­wahl stan­den. Bre­mer­ha­ven sucht als eine ärms­ten deut­schen Städte über­haupt einen Aus­weg aus der Krise mit muti­gen Bau­ten wie z.B. dem Atlan­tic-Hotel (im Volks­mund Neu-Dubai genannt) oder dem Kli­ma­haus. Mich zog es ins Deut­sche Schif­fahrts­fahrts­mu­seum (mit zwei „f“ geschrie­ben…), das sich im Umbau befand. Das zen­trale Objekt des Muse­ums – das 600 Jahre alte Schiffs­wrack einer Kogge – war nicht zu sehen. Die Wie­der­eröff­nung wird der erste Schritt zur Neu­ge­stal­tung des Muse­ums sein, die bis 2020 umge­setzt sein soll.

Am vier­ten Rei­se­tag heisst das Motto: „Das ist See­fahrt!“ Früh­mor­gens geht es am Sams­tag mit dem Feu­er­schiff Elbe 1 (Bau­jahr 1943) los. Auf der Über­fahrt von Cux­ha­ven nach Hel­go­land fühlte ich mich wie in einem his­to­ri­schen Film, wo das authen­ti­sche See­fah­rer­fee­ling von alten Zei­ten ver­mit­telt wer­den soll. Fins­tere Wol­ken am Hori­zont, dunkle Stim­mung über Cux­ha­ven, win­dige Plätze auf dem Schiff, ein dröh­nen­der Die­sel­mo­tor, eine rau­bat­zige Mann­schaft, nach zwei Stun­den Fahrt regen­ge­peitsch­ter Sturm, Wind­stärke 6, zwei Meter hohe Wel­len, Fahr­gäste, die see­krank wer­den. Nach fünf Stun­den Fahrt errei­chen wir die ein­zige, immer bewohnte Insel Deutsch­lands der Nord­see: Hel­go­land. Was tun wir uns da an, denkt sich manch einer. Dann lockert sich der Him­mel, der Regen zieht von dan­nen, der stün­dige Spa­zier­gang rund um die ein Qua­drat­ki­lo­me­ter flä­chige Insel hin zu den ein­zig­ar­ti­gen Vogel­ko­lo­nien von 432 nach­ge­wie­se­nen Arten ist sehr loh­nend und ein Erleb­nis. Rei­se­lei­ter Andreas West­pha­len: «Auch für uns Ham­bur­ger ist dies eine kom­plett andere Welt.» Seine ein­ge­pack­ten Bade­ho­sen braucht er heute aller­dings nicht. Obwohl auf der benach­bar­ten Insel Düne der weisse Sand­strand uns her­über­lacht, ist an Bade­spass heute nicht zu den­ken. Hel­go­land hat noch andere Spe­zia­li­tä­ten: Die Gemeinde ist zwar Teil des deut­schen Wirt­schafts­ge­biets, zählt aber weder zum Zoll­ge­biet der EU noch wer­den irgend­wel­che Steu­ern auf Waren erho­ben. Ent­spre­chend sind die Läden zahl­reich und das Ange­bot an Alko­ho­li­cas, Ziga­ret­ten und elek­tro­ni­schen Gerä­ten ist breit und spezialisiert.

Der letzte Rest der einst gros­sen Blüte deut­scher But­ter­schiffe* lebt hier im klei­nen Rah­men wei­ter, im Fall von MS Hel­go­land (Bau­jahr 2015) der Ree­de­rei Cas­sen Eils sogar mit neus­ter Tech­no­lo­gie (Gas­an­trieb) und tol­lem Aus­sen­de­sign (ab Cux­ha­ven). MS Halun­der Jet kreuzt als Kata­ma­ran ab Ham­burg auf, MS Fair Lady ab Bre­mer­ha­ven und MS Funny Girl ab Büsum. Aus­ser­dem steu­ern etwa 30 Mal im Jahr das Tra­di­ti­ons­schiff Elbe 1 sowie ver­ein­zelt auch DS Wal und DS Stet­tin die Frei­zoll­in­sel an. Da es auf Hel­go­land zu wenig Schiffs­an­le­ge­stel­len gibt wer­den die Fahr­gäste „aus­ge­boo­tet“ (von dort her kommt die­ser Begriff im über­tra­gen­den Sinne): Dies ist eine in Deutsch­land ein­ma­lige Tou­ris­ten­at­trak­tion. Die Pas­sa­giere der auf Reede (offe­nem Was­ser) lie­gen­den See­bä­der­schiffe wer­den mit offe­nen, kräf­tig gebau­ten sog. Bör­te­boo­ten ans Ufer gebracht. Im Bör­te­boot fin­den 40 bis 50 Pas­sa­giere wäh­rend der kur­zen Fahrt vom See­bä­der­schiff zur Insel Platz und sind wie eh und je Wind und Wet­ter aus­ge­setzt. Die Bört­boote sind inzwi­schen in der Szene zum Kult­boot geworden.

Das Feu­er­schiff Elbe 1 brachte uns am Abend zurück nach Cux­ha­ven; die Kom­büse zau­berte ein fei­nes Grill­buf­fet (mit Pom­mes und Sala­ten) aufs Ober­deck, das mit Bla­chen geschützt den ein­zi­gen „geschlos­se­nen“ Raum auf dem Schiff bil­det. Bei ver­ein­zel­ten Son­nen­strah­len und vor allem tro­cke­ner Wit­te­rung „roll­ten“ wir einem Wel­len­rei­ter gleich mit Rücken­wind gegen Osten dem Abend und dem Fest­land zu – ein erleb­nis­vol­ler 15-Stun­den-Tag mit „Action“ lies­sen alle sehr gut schla­fen… Zur Geschichte des Schif­fes: Nach dem Sta­pel­lauf 1943 kam der „schwim­mende Leucht­turm“ 1948 unter dem Namen Bür­ger­meis­ter O’Swald II auf die Posi­tion der Elb­mün­dung und wurde dem­nach mit gros­sen Let­tern mit „Elbe 1“ ange­schrie­ben. 40 Jahre war er stän­dig vor Anker und diente, wie Sie­gried Lenz in sei­nem Buch „Das Feu­er­schiff“ beschrieb, als Weg­wei­ser für die Schiff­fahrt Tag und Nacht zu Diens­ten: „Die andern kön­nen nur unter­wegs sein, weil wir an der Kette lie­gen und sie sich ver­las­sen kön­nen auf unsere Ken­nung.“ Die „Bür­ger­meis­ter O’Swald II“ wurde in den 40 Dienst­jah­ren von ins­ge­samt 50 Schif­fen meis­tens bei Nebel gerammt, doch unter­ge­gan­gen ist sie nie. Die „Elbe 1“ ist so gross wie ein Schwei­zer Rad­damp­fer, aber mit 1000 t rund drei­mal so schwer. Ich wün­sche dem schö­nen Feu­er­schiff einen gross­zü­gi­gen Spon­sor, der einen his­to­ri­schen Schiffs­mo­tor spen­diert. Das heu­tige Loko­mo­tiv-Die­sel­ag­gre­gat ist weder eine Augen- noch Ohrenweide.

Abschluss­abend der Schiffs-Agen­tur-Rei­se­gruppe auf dem eng­li­schen Feu­er­schiff LV13 in Hamburg.

Am andern Tag geht die Reise in ers­ter Linie auf dem Stras­sen­weg wie­der zurück nach Ham­burg – mit diver­sen Abste­chern wie mit einer Füh­rung in die Hal­len der berühm­ten Hapag-Lloyd, dem Geburts­ort der Kreuz­fahrt­schiff­fahrt durch deren Grün­der Albert Bal­lin. Eine der welt­weit letz­ten acht Schwe­be­fäh­ren der Welt stand in Osten auf dem Pro­gramm. Mit 0,75 km/​h Geschwin­dig­keit über­quert dort eine hän­gende Seil­fähre seit 1909 den Fluss Oste zum Ort Hem­moor; sie diente bis 1974 noch als Auto­fähre. Der Fähr­mann: «Acht Käfer hat­ten da drauf Platz.» End­punkt der Tages­rei­se­war die „Cap San Diego“, das letzte noch erhal­tene Schiff einer Serie von sechs Stück­gut­frach­tern aus dem Jahr 1961 der ehe­ma­li­gen Ree­de­rei Ham­burg-Süd. Seit 1986 liegt das ele­gante Fracht­schiff in Ham­burg an der Über­see­brü­cke und ist heute mit 160 m Länge der grösste noch fahr­tüch­tige Muse­ums­frach­ter der Welt. Hier ver­bringt unsere Reu­se­gruppe die letzte Nacht. Uns über­ra­schen die gross­zü­gi­gen Kajü­ten ange­nehm. Die Ein­zel- und Dop­pel­ka­bi­nen sind mit Ori­gi­nal­mö­beln bestückt und „ver­bin­den authe­ni­sches Flair mit zeit­ge­mäs­sen Kom­fort“, wie der Flyer tref­fend beschreibt. Am andern Mor­gen führt uns Nor­bert Glän­zer als ehe­ma­li­ger Maschi­nist durch alle Win­kel des Schif­fes – ein wür­di­ger Abschluss einer erleb­nis­rei­chen Reise.

Rei­se­teil­neh­mer Aure­lio Bal­bis fasste am Schluss tref­fend zusam­men: „Die ganze Reise war ein beson­de­res Erleb­nis. Höhe­punkte waren sicher die Fahrt mit der ‚Schaar­hörn’ mit dem Koh­le­schau­feln und die rauhe See mit Wind­stärke bis 6 auf der Hin­fahrt nach Hel­go­land mit der ‚Elbe 1’. Spe­zi­ell bleibt mir die Abend­stim­mung bei der Rück­fahrt von die­ser Insel in Erin­ne­rung, die einen spe­zi­el­len Charme ausübte.“

Ana­chro­nis­mus bei der Abfahrt in Ham­burg: Der Peil- und Berei­sungs­damp­fer Schaar­hörn umraucht die Elb­phil­har­mo­nie, die am 11. Januar 2017 eröff­net wird.

Gute Geis­ter“ berei­ten in der Kom­büse der „Schaar­hörn“ einen lecke­ren Ein­topf vor.

In Cux­ha­ven tref­fen sich drei Tra­di­ti­ons­schiffe; auf dem Bild der rote Bug des Feu­er­schif­fes Elbe 1 und im Hin­ter­grund links jener des Lot­sen­scho­ners Elbe 5.

Auf der abend­li­chen Rück­fahrt von Hel­go­land zau­bern ver­ein­zelte Son­nen­strah­len die Nord­see in eine feu­rige Stimmung.

Als tech­ni­sches Bau­denk­mal geschützt trägt die 38 m hohe Kon­struk­tion der Schwe­be­fähre Osten aus dem Jahr 1909 den Titel „His­to­ri­sches Wahr­zei­chen der Inge­nieur­bau­kunst in Deutschland“.

Nor­bert Glän­zer (1944) zeigt uns auf der „Cap San Diego“ den Ket­ten­kas­ten und ver­mit­telt eine Ein­druck von der Ankerkette.

Die Schiffs-Agen­tur-Rei­se­gruppe auf dem eng­li­schen Feu­er­schiff LV13 in Ham­burg. Drei früh­zei­tig Abge­reiste feh­len auf dem Bild.

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Hin­weise

*) Als But­ter­fahrt wurde von etwa 1953 bis 1999 eine Ein­kaufs­fahrt auf einem Aus­flugs­schiff bezeich­net, die über das Meer gele­gene Zoll­grenze von Deutsch­land hin­aus­führte. Der kurze Auf­ent­halt im Aus­land ermög­lichte es, Arti­kel bil­li­ger ein­zu­kau­fen und abga­ben­frei nach Deutsch­land ein­zu­füh­ren. Dazu gehörte vor allem die in Däne­mark damals weit preis­wer­tere But­ter, von der diese Unter­neh­mun­gen den Namen erhiel­ten. Zudem wur­den Tabak, Schnaps und Par­füms gekauft.

Quel­len

Text und Bil­der H. Amstad.

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