Reisebericht: Rhein in Flammen in Koblenz nautisch umrahmt
Die Verkehrslage auf den deutschen Autobahnen zwingt uns auf der Fahrt nach Rüdesheim zu einem wie sich herausstellt attraktiven Umweg über Bingen am Rhein. Die Autofährverbindung hinüber nach Rüdesheim ist effizient und eng getaktet, so dass wir trotz mehreren Staus mit dem Bus bloss 10 Minuten Rückstand haben auf unsern Plan. Bis das Radmotorschiff Goethe die 25 Reiseteilnehmerinnen und Teilnehmer der Schiffs-Agenturreise «Rhein Flammen» auf eine vierstündige Fahrt an Bord aufnimmt, bleibt ein angenehmes Zeitfenster, entweder mit dem Sessellift zum Niederwalddenkmal zu fahren oder der Drosselgasse einen «durstigen» Besuch abzustatten. Nur ganz wenige wählen den Sessellift, der unter dem Motto «Über den Reben schweben» hinauf zum rechtsufrigen Aussichtspunkt führt.
Ein erstes, leichtes Gewitter verzieht sich, noch bevor wir das Radschiff Goethe besteigen und uns auf die Fahrt durch den romantischen Mittelrhein mit seinen 25 Schlössern und Burgen freuen. Dank schlechtem Wetterbericht haben wir das Schiff, das 1913 von der Werft der Gebr. Sachsenberg erbaut worden ist, fast für uns allein und wir sitzen bei einem Zwischenfront-Sonnenschein gerne draussen, was auf diesem Schiff mit den wenigen Aussenlätzen ein geglückter Start der Dreitagesreise bedeutet. Wehmütig denke an die Zeit zurück, wo ich in den Achtzigerjahren an einem einzigen Tag mit den Raddampfern Goethe, Rüdesheim und Mainz fahren konnte. Durch die Übernahme der KD durch ein Bankenkonsortium ist es dann 2008 auch dem letzten echten Reindampfer an den (Dampf-) Kragen gegangen, obwohl Ueli Colombi die in Auftrag gegebenen Renovationspläne für einen Dampfbetrieb fixfertig ausgearbeitet hatte. Dazu kam es nicht. Nach dem unglücklichen Umbau in ein Dieselschiff wird die «Goethe» auf die luxemburgische Unternehmenstochter KD Europe S.à r.l. übertragen und nach Malta ausgeflaggt. So wirkt der Heimathafen Valetta zum Namen des Schiffes und zur wunderschönen Rheinstrecke hinunter zum Deutschen Eck in Koblenz wie eine Faust aufs Auge.
An Bord werden wir wunderbar betreut durch Kapitän Andreas Warz und seiner Mannschaft sowie durch den ehemaligen Chefmaschinisten Alois Mohr, der mit seiner Gattin Barbara uns die Ehre erweist. Die Bordgastronomie serviert im für uns reservierten, vorderen Hauptdecksalon einen Dreigänger zum Abendessen. Das Timing ist perfekt: als wir drinnen Platz nehmen, sind die Loreley-Felsen passiert und es beginnt ein Gewitter, dessen Ende wir in Koblenz grad noch mit voller Nässe erwischen.
Ehrenbreitstein oder Moselprinz
Am zweiten Tag sind wir mit Schiffen der Reederei Gilles aus Vallendar unterwegs. Um halb zehn beginnt der grosse Festtag mit einer Transferfahrt von Vallendar nach Koblenz mit MS Königsbacher. Bei der Abfahrt entdecken wir das ehemalige Hallwilersee-Schiff Fortuna, das hier bis 1969 (Baujahr vor 1920) bereits schon mal gefahren ist und nun seit letztem Jahr seinen Lebensabend hier verbringen darf. Das Schiff dient heute als Büroräumlichkeit für die Reederei. Für den Charter- und Liniendienst umfasst die Gilles-Flotte sechs Schiffe: der am Mittelrhein einzigartige Oldtimer Cäcilia (1931), die «Schängel Fähre» (1951, täglich in Betrieb zwischen den beiden Rheinufern in Koblenz), die «Fortuna» (1969, Nachfolgerin der oben erwähnten Fortuna), die «Namedy» (1991), die «Königsbacher» (1994) und MS Stadt Vallendar (2000).
In Koblenz angekommen, fährt eine kleinere Gruppe von uns mit Taxi und Bahn nach Cochem, um mit der ehemaligen «Lällekönig» der Basler Personenschifffahrt eine Runde zu drehen und dabei das nun in «Moselprinz» umgetaufte Schiff der KD zu begutachten. Die meisten ziehen es aber vor, mit der Luftseilbahn der Firma Garaventa/Doppelmayr auf die Festung Ehrenbreitstein zu gondeln und von da aus einen wunderbaren Ausblick auf das Rheintal zu geniessen. Seit der Bundesgartenschau 2011 wirkt die Festungsanlage wie verwandelt: war es vorher ein trister Ort verirrter Wanderer ist es heute dank millionenschweren Investitionen eine touristische Perle, die ich bei jedem Koblenz-Aufenthalt besuche. Diese erste Dreiseilumlaufbahn Deutschlands hat mit 7 600 Personen Kapazität pro Stunde weltweit die grösste Kapazität. Im Jahr 2029 wird die BUGA, Deutschlands grösster Event (vergleichbar mit dem ESAF in der Schweiz) wieder in dieser Gegend stattfinden, nämlich dezentral genau auf jener Strecke, die wir gestern mit der «Goethe» befahren haben.
Zum grössten Schiffskorso Europas
Nach einem kurzen Abstecher in unser Hotel Hüttenmühle in Hillerscheid, zehn Buskilometer von Vallendar entfernt, geht es zurück ins «Getümmel», wo gegen 1 000 Leute darauf warten, gegen 18.00 Uhr auf eines der drei «Flammen»-Schiffe der Flotte Gilles Einlass zu bekommen. Unsere Gruppe wird durch den Inhaber, Chefkapitän und Betriebsleiter in Personalunion Werner Gilles persönlich begrüsst. Er hat heute Abend mit MS Stadt Vallendar einen besonders anspruchsvollen Job: als zweites Schiff der 1. Schiffsgruppe muss Timing und Positionen besonders präzise stimmen, damit die Choreografie mit den sieben Grossfeuerwerken entlang des Rheinabschnittes zwischen Spay und Koblenz stimmen. Unser Reiseleiter Andreas von Deschwanden hat recherchiert: «Am einmalig imposanten Schiffskorso nehmen 53 Passagierschiffe teil mit insgesamt gegen 20 000 Fahrgästen». Werner Gilles ergänzt: «Vor zehn Jahren waren es noch über 80 Schiffe; das Interesse der Reedereien an überlangen An- und Rückfahrten hat nachgelassen.»
Nicht nachgelassen hat die Faszination «Rhein in Flammen», 120 000 Zuschauer säumen die Rheinufer auf der rund 12 km langen Strecke und sämtliche Orte an dieser Strecke legen ihre jährlichen Volksfeste auf dieses Datum. Je zwei Schiffen nebeneinander fahren in vier Konvois zu je einem Dutzend Einheiten vorbei an bengalisch erleuchteten Rheinburgen und Strassenzeilen. Mit dem vordersten Schiff starten entlang der Route sieben Grossfeuerwerke in die Luft, mit dem letzten ist die Show zu Ende. Wer nicht die Feuerwerke, sondern die Schiffe sehen will, muss dies vom Land aus geniessen. Wir an Bord der «Stadt Vallendar» stehen im optischen Kontakt mit dem Konvoi Nummer 1. Zum Abschluss treffen sich sämtliche Schiffe in Koblenz und das Höhenfeuerwerk von der Festung Ehrenbreitstein bildet das Finale.
Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Chauffeuren-Ruhezeit startet Wendelin Murer, Gründer und früherer Inhaber der Carfirma Murer-Reisen in Baar, unser fahrendes „Zuhause“ am dritten Reisetag in Richtung Bernkastel. Das schmucke Mittelalterstädtchen verdient es, einen Besuch mit Führung abzustatten. Vom Moseltal geht’s dann nach weiteren anderthalb Stunden Fahrt ins Saarland, wo uns Kapitän Günter Emmer und seine Frau Christa Gassmann auf ihrem MS Stadt Saarbrücken erwarten. Auf der offiziellen Schleusenfahrt saaraufwärts gibt es ein leckeres Mittagessen, das die Saarbrücker Personenschiffahrt GmbH* extra für uns von einem Caterer „heran zauberte“.
Die Saar auf der Heimreise
Der politisch engagierte und versierte Kapitän setzt sich in seinen Streckenerklärungen vehement für die Anliegen der Binnenschifffahrt ein und ist stolz, dass er der erste Reeder Deutschlands ist, dessen Schiffe vollständig mit Abgaspartikelfilter ausgerüstet sind. Weiter erzählt er, dass es ihm gelungen ist, nach intensiven Verhandlungen mit den Behörden, die Schleusen oberhalb von Saarbrücken vor der geplanten Schliessung zu retten. Heute werden sie bis zur französischen Grenze renoviert und stehen somit künftig dem touristischen Verkehr zur Verfügung. Günter Emmer fragt rhetorisch: „Die Kohle ist weg, der Stahl wird bald verschwinden – was bleibt dem Saarland noch ausser dem Tourismus?“ **
In der Tat: das Saarland hat zurzeit eine der tiefsten Übernachtungszahlen aller deutschen Regionen. Das Potential ist nicht ausgeschöpft, die Infrastruktur in dieser deutsch-französischen Grenzregion und vor allem die positive Einstellung des Saarländers zum Tourismus fehlen (noch). Gassmann: „Wir bekommen von den Franzosen mehr Unterstützung als von der Stadt und vom Land Saarbrücken.“ Er wie seine Lebenspartnerin sind über 60 und suchen nun seit Längerem nach einer Nachfolgerlösung der Saar-Personenschifffahrt. Sollten die Verhandlungen mit einem potentiellen Interessierten in diesem Herbst scheitern, droht das „Aus“ einer langen Tradition. Der Plan B sieht dann so aus, dass die „Stadt Saarbrücken“ nach Berlin verkauft wird und das zweite Schiff Frohsina in eine schwimmende Eisdiele an der Berliner Promenade in Saarbrücken umgebaut wird. Dann wären wir mit unserer Reisegruppe an einer der letzten Fahrten dabei gewesen.
Nautischer Start durch den romantischen Mittelrhein mit der „Goethe“ von Rüdesheim bis Koblenz, am Schluss mit intensivem Gewitterregen.
Alois Mohr (rechts) und Kapitän Andreas Warz sind mit der «Goethe» eng verbunden.
Am zweiten Reisetag dient MS Königsbacher als Pendelschiff von Vallendar nach Koblenz und zurück, im Hintergrund die Seilbahn zur Festung Ehrenbreitstein.
Fröhliche Stimmung an Bord der «Königsbacher» von einem Teil unserer 25-köpfigen Reisegruppe.
Vom Flaggschiff Stadt Vallendar aus bestaunen wir das Spektakel „Rhein in Flammen“ und (einen kleinen) Teil der 53 Begleitschiffe.
Bernkastel bietet nicht nur eine intakte, mittelalterliche Altstadt sondern auch viel Geschichte und viele Geschichten, die die originelle Führerin zum Besten gibt.
MS Stadt Saarbrücken empfängt uns zur Schleusenfahrt durch die gleichnamige Stadt.
Der kommunikative Kapitän Günter Emmer: „Es gibt Schiffe und diese Schleuse hier, die seit 1863 funktionieren, so nachhaltig ist die Schifffahrt“.
Text und Bilder H. Amstad
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Hinweise
*) Die Saarbrücker Personenschiffahrt GmbH (Inhaber Günter Emmer) befährt seit 2002 die Strecke zwischen dem französischen Wittring und der Saarschleife. Der Zu- und Ausstieg befindet sich im Zentrum von Saarbrücken rechtsufrig bei der Alten Brücke unterhalb des Saarbrücker Schlosses.
**) Mit einer Länge von 227 km und einem Wassereinzugsgebiet von 7 431 km2 ist die Saar der grösste Nebenfluss der Mosel und mündet rechtsseitig bei Konz (Mosel-km 200.800) darin. Die Quelle liegt in den Nordvogesen (Frankreich). Ab Saargemünd wird die Saar als Bundeswasserstrasse genutzt. Zwischen Konz und Saarbrücken überwinden acht Staustufen eine Höhe von insgesamt 55 m. Der Ausbau der Saar zur Wasserstrasse verdankt der Fluss der früheren Kohleförderung. Im Saarland gelangten damals jährlich zwei Millionen Tonnen Kohle auf dem Wasserweg hinunter zur Mosel und dann zum Rhein.
Technische Daten MS Stadt Saarbrücken: 1989 Werft Oberwinter, speziell angefertigt für die Saarschleusen (40 x 5.20 m), oberhalb Saarbrücken, Besteller Schiffsberrien Hauck, L 38.10 m, B 5.05 cm, T 0.90 m, 2 x 89 kW (Iveco), 250 pax
Technische Daten MS Frohsina: 1907 (U 1964, 1991), L 36,64 m, B 4,62 cm, T 0,99 m, 1 x 89 kW, 160 pax
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