Reisebericht: Rundreise-Klassiker auf dem Comer- und Luganersee „in stile italiano“.
Die Rundreise von Lugano nach Como, dann mit dem Schiff über den Comersee nach Menaggio, per Bus nach Porlezza und anschliessend mit dem Schiff zurück nach Lugano gehört zu den Klassikern, die – vergleichbar mit einer abwechslungsreichen Schulreise – viele Erlebnisse und landschaftliche Reize bietet. Bis vor wenigen Jahrzehnten ist diese Rundreise auch Bestandteil des Luganersee-Fahrplanes gewesen. Während sich im Inland Tarifstrukturen und Billettwesen vereinfachen, sind gleichzeitig die bürokratischen Hürden im Grenzverkehr mindestens im Süden der Schweiz gestiegen. So war es für die Schiffs-Agentur, die die Reise organisierte, eine besondere Herausforderung, die schliesslich sechs verschiedenen Gruppenfahrausweise zu besorgen. Auch die Schiffseinsätze waren eine Lotterie, bei welcher nicht der Kunde sondern betriebliche Abläufe Könige sind…
Für die meisten der Reiseteilnehmenden waren solche Ungereimtheiten kein Hindernis, die atemberaubend schöne Gegend zu geniessen. Als ich nach der Reise einige Hintergrundinformationen für diesen Blog-Bericht recherchieren wollte, kam das nächste Schmunzeln. Krampfhaft suchte ich im Internet nach dem Schiff Cione (siehe Bild 1), appellierte an Nautico-Kenner und lancierte Mails in Richtung Italien. Auch sie waren etwas ratlos. Des Rätsels Lösung fand ich dann im Buch von Francesco Ogliari, wo das Schiff Alcione beschrieben ist. Ein übermalter Rostschaden führt nun zum neuen Namen Cione, ohne A und L…
Die „Rennleitung“ der Navigazione Lago di Como schickte zu unserer Freude für uns das älteste und urtümlichste Motoscafo* auf den von uns benutzten Schiffskurs um 11.45 Uhr. Dieses Schiff ist mit Jahrgang 1950 nebst der „Concordia“ (1926) und „Milano“ (1904) die drittälteste Einheit der Flotte. Trotz der „Ladung“ von 105 Personen an Bord war es ein spezielles Erlebnis, mit „Garacho“ (Schweizer Deutsch, span. Carajo, grosses Tempo) über den See zu gleiten. Von dieser einst fünf Einheiten umfassenden Schiffsklasse sind zur Zeit ausser der „Alcione“ noch die „Rondine“ (sie gibt dieser Schiffsklasse den Namen) und die „Falco“ im Einsatz. Es ist ein besonderes Erlebnis, vorne in der offenen Schiffsschale zu sitzen, so nah am Wasser, den Fahrwind und das Spritzwasser im Gesicht.
Nach dem Umstieg in Moltrasio auf die modernste (aber nicht unbedingt schönste) Einheit der NLC-Flotte, die „Orione“ mit drei Decks und 700 Personen Fassungsvermögen, werden wir im Salon freundlich und speditiv kulinarisch bedient. Der einfache Dreigänger schmeckt köstlich – die neue Wirtegeneration unter Linda Vitali, der ältesten Tochter des Seniorchefs Renato Vitali, bringt viel Flexibilität und Kundenfreundlichkeit an den Tag. Das Familienunternehmen heisst „styl GmbH“ und führt an mehreren Orten in Oberitalien Gastrobetriebe, so auch eine Kantine in der Werft Como Tavernola fürs NLC-Personal. Styl war eine kurze Zeit auch für die Restauration der auf dem Luganersee-Schiffe verantwortlich. Renato Vitali hatte sogar ein Büro in den Räumen der SNL. Auch auf dem Lago Maggiore betreibt die Familie Vitali den Gastrobetrieb. Spannend ist auch, dass viele, vorab ältere Schifffahrts-Mitarbeitende früherer bei Vitali’s gearbeitet haben bzw. teilweise in Doppelfunktion heute noch tätig sind. Nautischer Italo-Kenner Mario Gavazzi: „Die Vitali’s stellen sich regelmässig neuen Herausforderungen. Was den Lago di Como betrifft, so erfreut sich die Navigazione steigender Frequenzen, was sich auch auf die Gastronomie auswirkt. Linda Vitali hat einen neuen Schwung ins Geschäft gebracht; mehrere Mitglieder der Familie arbeiten mit.“
Toll auch die Einladung des Kapitäns Roberto Porro, das Steuerhaus zu besichtigen. Es ist der schönste Raum auf diesem Schiff. Porro ist Schiffsführer in der dritten Generation und auch sein Sohn, Alessandro Porro, führt auf dem Comersee die grossen Schiffe. In Menaggio verlassen wir den Kahn. Der Bus der Linie C12 der ASF Autolinee fährt uns bequem von der Via Lusardi (5 Gehminuten vom Comerseeschiff entfernt bei der Kirche) nach Porlezza (Piazza Matteotti, direkt bei der Luganersee-Schiffstation) und männiglich staunt, welche Serpentinen der Bus zu Beginn zu überwinden hat. Kein Wunder: das Niveau des Luganersees ist fast 80 m höher gegenüber dem Comersee. Die beiden Seen liegen zwar in einer ähnlichen Topografie, unterscheiden sich nebst der Meereshöhe auch sonst: der Comersee ist mit 146 km² ziemlich genau drei Mal so gross wie der Nachbarsee. Mit 414 m ist er fast doppelt so tief wie der Luganersee und reicht somit rund 220 m unter den Meeresspiegel.
In Porlezza besteigen wir das Grachtenboot Airone (Reiher), mit dem noch niemand von der dreissigköpfigen Reisegruppe gefahren ist. Denn dieses Schiff gehört laut Auskunft des Schiffsführers offenbar erst seit kurzer Zeit der Luganersee-Schifffahrt SNL. Eine diesbezügliche Anfrage beantwortete die Luganersee-Schifffahrt nicht.
Die Fahrt nach Lugano führte uns vor die Station Santa Margherita, wo bis 1977 eine Standseilbahn nach Belvedere di Lanzo fuhr. Die 1907 durch Josef Durrer erbaute Anlage besteht noch, ist aber nach 40 Jahren in einem erbärmlichen Zustand; Bestrebungen, sie zu retten gibt es immer wieder. Lassen wir zum Schluss dieses Reiseberichtes die Beschreibung aus der Homepage der „Airone“ sprechen, die erfrischend ehrlich ist: „Der Boden ist mit einem weichen Spannteppich ausgestattet, der regelmässig gereinigt wird und somit auch … barfuss begangen werden kann. Weiter ist das Schiff mit … Lichtern ausgestattet, die jedoch dank den hellen Sternen über dem Luganersee kaum gebraucht werden. Die Fenster können geöffnet werden, um die Düfte … schätzen zu können. Wenn Sie die einfachen Werte … sowie Gelassenheit suchen, dann ist dieses Schiff genau das Richtige.“
Seit 68 Jahren unterwegs: Motoscafo Alcione nimmt uns in Como für erste halbe Stunde mit an Bord. Trotz über 100 Fahrgästen an Bord ist die Stimmung unter den Schiffs-Agentur-Gästen gut.
Im Hintergrund das andere Ende der Grösse: die „Orione“, auf der wir später dann das Mittagessen einnehmen werden.
Mit 25 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit brettert das Schiff Moltrasio entgegen.
Auf der „Orione“ empfängt uns der Kapitän Roberto Porro im Steuerhaus zu einer interessanten Führung.
Das Dreideckschiff steuert Bellagio an.
Dank speditivem Mittagess-Service reicht die Zeit für Blicke auf das reizvolle Ufer des Comersees.
Auf dem Luganersee bringt uns das Grachtenboot Airone nach Lugano.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Ein „Motoscafo“ ist ein Schnellboot/Motorboot. Im italienischen Sprachgebrauch wird bei den oberitalienischen Seen folgende Schiffstypen unterschieden: P.fo = Piroscafo (Dampfschiff), M/n = Motonave (Motorschiff), T/r Traghetto (Autofähre), A.fo Aliscafo (Tragflügelboote), Cat = Catamarano (Katamaran). Bei der NLC (Navigazione del Lago di Como) verkehren sämtliche Schiffstypen (Link).
Quellen
Text und Bilder H. Amstad.
Leave A Comment