Reisebericht: Sihlsee – Schifffahrt auf dem grössten Stausee der Schweiz
Grosses Wetterglück zwischen einer speziellen Föhnlage am Nachmittag und einer Kaltfront vor Mitternacht begleitete die Teilnehmenden an der sommerlichen Abendrundfahrt der Schiffs-Agentur auf dem Sihlsee. Kurz vor Sonnenuntergang riss der Himmel auf und bescherte uns eine einmalig schöne Stimmung. Teilnehmer Peter Gast aus Spiez: «Das Kulinarische kam dabei auch nicht zu kurz. Es wurde ein Schüblig mit Kartoffelsalat oder Penne mit einer Gemüsesauce serviert. Zum Dessert gab es einen Lebkuchen mit Schlagrahm. Es war ein ganz toller Anlass, welchen ich sehr genossen habe.» Die 21 Teilnehmenden fanden auf MS Angelika bequem Platz, auf einem Schiff, das für 50 Personen zugelassen ist. Kapitän und Eigner Sepp Marty und seine Partnerin begrüssten uns in Willerzell. Auf der gut zweistündigen Fahrt sahen wir den ganzen See, fuhren zuerst zur Staumauer und erkannten unterwegs die einzige Insel Bruderhöfli, wo vor der Flutung ein Waldbruder hauste. Heute ragen nur noch ein paar Steine aus dem Wasser.
Marty übernahm 2007 das Schiff von Paul Schönbächler. Begonnen hat die Personenschifffahrt auf dem Sihlsee aber bereits im Jahr 1982. Sepp Marty erzählt aus der Geschichte: «Paul Schönbächler, Wirt vom Restaurant Schlüssel, sah im Jahr 1980 auf dem Silvretta-See ein solches Schiff, das carweise Touristen auf dem österreichischen Stausee herumführte. Angetan von dieser Idee reiste dann Schönbächler nach Holland und bestellte bei der Werft Mollenar in Zaandam die ‹Angelika› vom genau gleichen Typ*, nachdem er sich eine Betriebsbewilligung erkämpft hatte.»
Das Schiff ist seither das erste und einzige auf dem Sihlsee. Marty: «Ein Längeres mit Aussenplätzen wäre nicht schlecht, ein Neues kommt aber auf Grund des zu geringen Umsatzes nicht in Frage. Ein Ähnliches müsste es auch sein – nur schon wegen dem geringen Tiefgang.» An seiner tiefsten Stelle misst das Echolot bloss 23 Meter, die durchschnittliche Seetiefe beträgt nicht einmal neun Meter. MS Angelika kann an fünf Stationen anlegen: Willerzell, Gross, Staumauer, Steinbach und Segelplatz. Öffentliche Fahrten macht Marty keine mehr: „Das war mühsam: bei schlechtem Wetter kam niemand und sonst mal ein Handvoll – leider musste ich diese Sonntagsangebote aufgeben“. In der Tat: Obschon sehr nahe an den Zürcher Ballungszentren gelegen ist der Weg in Richtung Unteriberg mit öffentlichen Verkehrsmitteln machbar, aber etwas umständlich. Er führt von Wädenswil mit der SOB nach Einsiedeln, dann mit dem Postauto nach Willerzell.
Unter der Seeoberfläche liegen Siedlungen und Schicksale
Über respektive unter der Oberfläche des Sihlsees liegen viele Emotionen. Der Bau des Stausees löste von der ersten Idee im Jahr 1919 bis zur Vollendung im Jahr 1937 grosse Konterversen aus. Die Befürworter aus den Reihen der SBB und der Regierungen der Kantone Zürich, Schwyz und Zug obsiegten wegen den Folgen des 1. Weltkrieges. Die Arbeitslosigkeit war hoch und man erhoffte sich durch den Bau der Staumauer Arbeit und Verdienst. Eine 29 km lange Ringstrasse rund um den See musste gebaut werden, zwei Brücken von 1115 und 412 m Länge und die 32 m hohe und 124 m lange Staumauer entstanden.
Aus heutiger Sicht käme dieses Projekt auch aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in Frage. Mit 32 Millionen kWh Leistung liegt der grösste Stausee** der Schweiz bloss an 15. Stelle in der Stromproduktion. Der Grund liegt zum einen am geringen Durchlauf der Flüsschen Minster und Sihl und zum andern am relativ geringen Wasservorrat, den der See mit 93 Millionen Kubikmeter hat. Vorgeschriebene Restwassermengen der Sihl unterhalb der Staumauer von 0,3 m3 pro Sekunde gehen von der Stromproduktion weg. Der Preis des Baues war hoch: nebst dem finanziellen Aufwand mussten 107 Familien zum Teil enteignet werden. Einige Bauern blieben auf dem Hof bis zur Flutung. Betroffen waren 1762 Leute, die umgesiedelt werden mussten. Die Bauern entschädigte das Kraftwerk mit 20 Rappen pro Quadratmeter für Torkland und 40 Rappen für Wiesland. Vor der Flutung wurde an zwei Bauernhöfen die Wirkung von neuen Fliegerbomben der Armee erprobt. Eine letzte Randbemerkung, die mich erstaunt: Bei einer Zerstörung der Talsperren des Sihlsees könnten Teile der Stadt Zürich bis zu acht Meter unter Wasser gesetzt werden. Die Flutwelle würde die Stadtgrenze in Leimbach in eineinhalb Stunden, das Stadtzentrum in knapp zwei und die entfernte Stadtgrenze bei Altstetten in knapp drei Stunden erreichen…
Aber lassen wir diese Gedanken. Die Reiseteilnehmerinnen und Teilnehmer genossen den wunderschönen Abend auf einem See mit seiner idyllischen Landschaft, mit den pittoresken Schwyzer Voralpen im Hintergrund sowie den Zürcher Hügeln im Nordwesten des Sees und die herzliche Gastfreundschaft von Sepp Marty.
MS Angelika kam als Neubau vor 32 Jahren anno 1982 auf den 888 m ü. M. liegenden Sihlsee.
Sepp Marty führt nebst der Schifffahrt das vor allem im Winter beliebte Bergrestaurant Laucheren auf Hoch-Ybrig.
Ein Bild, das nur im Sommer 2014 möglich ist: die neue Steinbach-Brücke ist fertig gebaut, die alte noch nicht abgebrochen.
Auf der Karte sichtbar das Einzugsgebiet des Sihlsee-Wassers und der Druckstollen zum Turbinenhaus bei Altendorf (oberer Zürichsee).
Die stolze «Angelika» posiert vor den Bergen Fluebrig, Gantspitz und Fläschenspitz.
Der Name des Schiffes ist nach der jüngsten Tochter des Schifffahrtsbegründers Paul Schönbächler benannt, mit gleichem Jahrgang wie das Schiff.
Die Idee von Paul Schönbächler, dem Begründer der Sihlsee-Schifffahrt, holte er von MS Silvretta.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Technische Daten: Länge 14,5 m, Breite 3,6 m, Tiefgang 1,00 m, Motor Volvo-Penta 75 PS, 16 km/h
**) Liste der Schweizer Stauseen siehe Link
Weiter im Text
Literaturhinweis: Dampferzeitung Nr. 3/85 S. 12ff
Impressum
Bild 4 Etzel-Werke, Bild 7 A. Riedmiller
Text und übrige Bilder H. Amstad
Bewertung abgeben 🙂
Archivierung

Zum Archivieren oder Ausdrucken dieses Medienberichtes aktivieren Sie das Icon. Bevor Sie das PDF sichern, drucken oder ablegen empfehlen wir, zur optimalen Darstellung, die Ausrichtung Querformat in der Grösse 80 %. Geeignete Browser sind Firefox, Mozilla, Google Chrome. (Bei anderen Browsern könnten die Bilder zerschnitten werden.)
Leave A Comment