Rei­se­be­richt: Zwei Schiffs­be­triebe ver­mindern Genfer Ver­kehrs­pro­bleme auf dem Gen­fersee und der Rhone.

Ein buntes Pro­gramm erwartete die Teil­nehmer an der Exkursion „Nau­tische Genfer Spe­zia­li­täten“ der Schiffs-Agentur. Es war ein heisser Tag, an dem man gerne den Schatten auf­suchte: sei es auf dem Ach­terndeck unter dem Dach des Rad­mo­tor­schiffes Genève beim Mit­tag­essen, im gekühlten Steu­erhaus des Schub­schiffes Tre­ville auf der Rhone oder unter den Büschen im Foto­be­gleitboot, als wir zeitlich das Manöver des Abfall­schiffes über­brückten. Am Schluss des anstren­genden aber erleb­nis­reichen Tages hatten dann die meisten nur noch ein Ziel: ein kühles Bier… Zuvor rettete zumindest für einen Teil der Gruppe ein Was­ser­hahnen bei der immer noch länd­lichen SBB-Hal­te­stelle Russin die durstige Situation; dieser wird vielen noch lange angenehm in Erin­nerung bleiben.

Am Morgen lernten wir die jubi­lie­rende, 120 Jahre alte „Société des Mou­ettes gene­voises navi­gation SA“ SMGN kennen. Als Ersatz für ein geplantes, aber nicht zu Stande gekom­menes Referat vom Eigen­tümer und Betreiber der „Genfer Möven“ Joël Cha­rièrre sprang Schiffs­bau­in­ge­nieur Andreas Kind­limann ein, der uns in der ehe­ma­ligen 2.-Klassrondelle der „Genève“ einen Blick in die Zukunft der SMG gewährte. Das BAV wird ab 2020 die Fahr­fä­higkeit der drei kleinen Holz­boote aberkennen, weshalb die Vor­be­reitung für den Ersatz auf Hoch­touren laufen. „Die Her­aus­for­derung besteht darin, mit dem Schiff für die Molard-Linie die Pont du Mont Blanc mit einer Lichthöhe von bloss 1,7 m zu unter­fahren“, erklärte Kind­limann. «Dazu wird eine Son­der­kon­struktion not­wendig sein, damit Fahr­gäste im Roll­stuhl ohne Hin­der­nisse ein- und aus­rollen können». Die neuen Boote lehnen sich sowohl von der Scha­lenform wie vom Design her stark an die beiden bestehenden Solar­boote an. „Ziel ist, mit Solar­zellen eine grosse Auto­nomie zu erlangen, wozu unter Umständen sogar die Sei­ten­wände der Schiffe mit Solar­panel bestückt werden müssen.“

Ein Teil der Teil­nehmer befuhr die Linien M1 (MG 11 Le Pâquisard) und M2 (MG 1 La Perle-du-Lac), der andere Teil genoss eine Fahrt mit dem Arbeitsboot der Firma Gau­derey Yves Sàrl (tous travaux lacustres et sous-lacustres) als Foto­schiff. Zur Unter­querung der Mont-Blanc-Brücke brauchten wir eine Poli­zei­be­wil­ligung, die uns wie auch die Begleit­boote in ver­dan­kens­werter Weise Roland Kallmann besorgte. Ent­spre­chend mit sel­tenen Per­spek­tiven prä­sen­tierten sich für die Foto­grafen die gelben Schiffchen. Unser Begleitboot GE 17366 war früher ein Über­setzboot der Schweizer Armee mit Baujahr 1965 und wurde gesteuert durch Jérémie Monnet.

Die Leis­tungs­fä­higkeit der SMGN ist beachtlich. Mit einer beschei­denen Netz­länge von bloss 4,3 km legen die sechs Schiffe* auf vier Linien im Jahr über 7 000 000 km zurück. Der See-öV kostet dem Kanton Genf, dem Besteller für die öV-Leis­tungen, rund 2 Mil­lionen Franken pro Jahr. Die sechs Schiffe auf den vier Linien trans­por­tierten 1,36 Mil­lionen Men­schen im 2016. Es sind 26 Ange­stellte beschäftigt, seit 2004 läuft der Betrieb ganzjährig.

An Bord des ehe­ma­ligen die­sel­elek­tri­schen und ältesten Gen­fersee-Rad­schiffes Genève (1896), welches heute durch einen Sozi­al­verein als Gast­stätte und Kul­turort betrieben wird, essen wir zu Mittag. Von (sehr) langer Hand vor­be­reitet klappte es in diesem Jahr: Nun erwartet uns in Les Che­ne­viers das Schub­schiff Tre­ville auf der Rhone. Den Fron­leichnam-Don­nerstag haben wir gewählt, weil dann in Genf kein Fei­ertag ist und deshalb das „Güsel­schiff“ im Einsatz steht. Wir können mit der dritten Güselfuhr am spä­teren Nach­mittag mit­fahren. Vorher gewährt uns der Schiffs­führer Jan Van Gilst einen Blick in das Maschi­nenhaus einer spe­zi­ellen Stand­seilbahn: wenn nämlich der Genfer Abfall in der Ver­bren­nungs­anlage ankommt, werden die Schub­leichter auf Rollen als Stand­seilbahn ähnlich wie auf dem Oberland-Kanal in Polen** in die Höhe gefahren, um sie dann mit Greif­baggern zu ent­leeren. Anschliessend geht es rho­ne­auf­wärts nach Genf, das wir nach einer Stunde Fahrt in La Jon­ction erreichen. Dort depo­niert die „Tre­ville“ den mit­ge­brachten, leeren Schub­leichter auf der Seite der Mole und koppelt dann einen mit Abfall gefüllten Kahn aus der Umschlags­halle für den Abtransport Richtung Ver­bren­nungs­anlage an.

Das Bild zeigt die Berg­station; rechts im Bild ver­schwindet das Zugseil in den Maschinenraum.

Das Schub­schiff Tre­ville* und die vier Schub­leichter* gehören zum Ser­vices Indus­triels de Genève (SIG), ein dem Kanton Genf, der Stadt Genf und den Genfer Gemeinden gehö­rende Infra­struk­tur­un­ter­nehmen mit Sitz in Le Lignon, Vernier. Während es in den Bereichen Trink­wasser, Abwasser, Abfall­be­sei­tigung und Strom­ver­teilung ein Monopol hat, steht es in den Bereichen Erdgas- und Wär­me­ver­sorgung, Strom­erzeugung und anderen Dienst­leis­tungen (z. B. Glas­fa­sernetz) im Wett­bewerb mit anderen Unter­nehmen. Die SIG wurde 1896 gegründet. Seit 1931 steht sie unter kan­to­naler Auf­sicht. Einer der acht Direk­toren ist Yves de Sie­benthal, seines Zei­chens Vize­prä­sident der Damp­fer­freunde Gen­fersee ABVL. Das Müll­ver­wer­tungwerk Les Che­ne­viers ver­brennt rund 220 000 Tonnen Müll pro Jahr. Als ein­ziger Kanton hat Genf nebst dem Tessin trotz einem ver­pflich­tenden Bun­des­ge­richts­ent­scheid von 2011 die Sack­gebühr noch nicht ein­ge­führt, weil der Kanton sich das Ziel gesetzt hat, das Müll­sor­tierziel der Eige­nos­sen­schaft durch Anreiz­mass­nahmen zu erreichen. Die Müll­ver­brennung erzeugt Elek­tri­zität, die laut eigenen Angaben 80 000 Men­schen in Genf bedient, und Wärme, die 60 % des Bedarfs des Fern­wär­menetz des Kantons deckt. Die Keh­richs­ver­bren­nungs­anlage Les Che­ne­viers kam 1966 in Betrieb, und gleich­zeitig wurde der Keh­richts­transport auf der Rhone ein­ge­führt****. 2022 wird die neue Keh­richt­ver­bren­nungs­anlage eben­falls in Les Che­ne­viers in Betrieb gehen und der Schiffs­transport wird weitergeführt.

Auf der Rück­fahrt in die Ver­bren­nungs­anlage steht ein wei­teres Foto­schiff zur Ver­fügung, um den Konvoi des Schub­schiffes Tre­ville und dem bela­denen Schub­leichter zu begleiten. Es handelt sich um ein Über­setzboot 82 der Schweizer Armee (M 5968). Es ist vom Sport­verein „Section de Genève de la Société des pon­ton­niers“ zur Ver­fügung gestellt worden. Die Fahrt auf der Rhône ist wie­derum sehr abwechs­lungs­reich: Hier eine Wildnis wie im Dschungel, da das ver­lot­terte Betriebs­ge­bäude einer ehe­ma­ligen Klär­anlage in in Aïre, bald die impo­sante, zwei­stö­ckige Brücke Pont Butin, dann das ein­drück­liche Ende des längsten Gebäudes der Schweiz: Lignon, 1963 bis 1971 erbaut, ein ein­ziges, fast 1 km langes Gebäude, in dem rund 6 000 Ein­wohner wohnen.

David und Goliath: die Mou­ettes gene­voises trans­por­tieren mit kleinsten Ein­heiten im letzten Jahr 1,36 Mil­lionen Pas­sa­giere; die CGN mit den grössten Schiffen der Schweiz 2,18 Mil­lionen. Mit den Genfer Möven unterwegs: „La Perle du Lac“ auf der Linie M2.

Schiffs­bau­in­ge­nieur Andreas Kind­limann gewährt an Bord des ältesten Rad­schiffes der Schweiz (Genève) einen Ein­blick in die weitere Ent­wicklung der Mou­ettes Gene­voises (Bild im Textteil oben). So werden die zukünf­tigen Schiffe auf den Linien M1 und M2 aus­sehen und dabei stark den Stil der neueren Schiffe auf der Linie M3 und M4 aufnehmen.

Das nächste Bild zeigt den Umschla­ge­platz für den Genfer Abfall in La Jon­ction in Genf beim Eisen­bahn­viadukt, wo die Arve in die Rhone mündet; rechts die Ver­la­de­halle, wo die Güsel-LKW ihre Ware direkt in den Schub­leichter kippen.

Das Schubboot Tre­ville fährt mit einem mit Abfall gefüllten Schub­leichter rho­ne­ab­wärts. Der Konvoi hat soeben die Pont Butin unterfahren.

Natur fast wie im Dschungel und gross­städ­tische Impres­sionen wechseln auf unserer stün­digen Fahrt nach Verbois ab: Passage der Satel­li­ten­stadt Lignon, dem längsten Gebäu­de­komplex der Schweiz.

Vom Begleitboot aus gesehen ist die „Tre­ville“ mit voller Kraft voraus unterwegs Richtung Les Cheneviers.

End­station des Genfer Abfalles: in Aire-la-Ville wird der Leichter in den Hafen der Ver­bren­nungs­anlage geschoben. Dieser kommt auf eine Rol­len­kon­struktion, die dann als Stand­seilbahn in die Ver­bren­nungs­anlage gezogen werden.

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Hin­weise

*) Roland Kallmann beschreibt die Flotte der SMGN wie folgt:

Mit Holz­rumpf: MG 1 La Perle-du-Lac (1952, Name seit 1997, Werft Oester, Rolle (VD) / Buck, 50 Pl), Titu­lar­schiff für die Linie M2 (Hafen­querung) // MG 5 L’Eau Vive (1956, Name seit 1997, Werft Amiguet, Saint-Gin­golph (VS) / Buck, 50 Pl), Reserve-Schiff für die Linien M2 (Hafen­querung), M3 (Pâquis – Port-Noir) und M4 (Port-Noir – de Cha­teau­briand)., fährt gegen­wärtig auf der M3 und M4, als Ersatz für die MG 12 // MG 8 Rouss’Eau (1966, Name seit 1997, Werft Ravay Morges (VD) / Buck, 30 Pl), Reserve-Schiff für die Linien M1 (Molard), und M2 (Hafen­querung).

Mit Eisen­rumpf: MG 11 Le Pâquisard (1984, Name seit 1997, Werft Jean-Claude Durig, Les Brenets (NE) / Buck, 50 Pl), Titu­lar­schiff für die Linie M1 (Molard)

Mit Rumpf aus Ver­bund­ma­te­rialien (Kom­posit): MG 6 Helios (2004, Werft Décision, Ecu­blens (VD) / Autos&Energies, Vernier (GE) 60 Pl) // MG 12 Solaris (2005, Werft Décision, Ecu­blens (VD) / Autos&Energies, Vernier (GE), 60 Pl); gegen­wärtig im Umbau; MG 6 und MG 12 Titu­lar­schiffe für die Linien M3 und M4, elek­tri­scher Antrieb, Bat­terien, pho­to­vol­ta­ische Zellen auf dem Dach für die Teil­ladung der Batterien.

**) Baujahr 1966, Rhein­werft Mayence-Mombach, L 12 m, B 5,50 m, T 1,50 m, Ver­drängng 60 t, 330 PS, Schottel. 4 Schub­leichter: L 45 m, B 8,60 m, Ver­drängng leer 120 t, Ver­drängung gelden 350 t

***) Siehe Blogtext Link

****) Roland Kallmann recher­chierte inter­es­sante Zahlen: «Berechnung zeigten, dass der Transport auf dem Was­serweg zwar eine grössere Inves­tition bedurfte, dass aber die jähr­lichen Betriebs­kosten geringer als ein Transport per Last­wagen waren. Bereits nach 9 Jahren Betrieb waren die Mehr­in­ves­tionen wieder amortisier!

Um 1997 wurden jährlich etwas 100 000 t Keh­richt jährlich auf der Rhone trans­por­tiert, und es fanden wöchentlich – von Montag bis Freitag ver­teilt – 18 bis 20 Fahten statt. Im Rahmen der geför­derten Trennung der Abfälle (auch die brenn­baren wie Papier und Karton) zur Wie­der­ver­wertung, hat die tran­por­tierte Menge abge­nommen: 2015 wurden in 348 Fahrten 40 000 t (aller­dings war in diese Jahr die Schifffaht wegen Hoch­wasser längere Zeit nicht in Betrieb); 2014 waren es 57 423 t (539 Trans­porte) und 2013 71 761 t (539 Trans­porte). Der gegen­wärtige Fahrplan sieht 11 wöchent­liche Fahrten vor: jeweils drei am Momzag und Dienstag, eine am Mittwoch und jeweils zwei am Don­nerstag und Freitag.

Die vier Schub­leichter sind: GE 4736 No. 1 Aramis / GE 4737 No. 2 Athos / GE 4738 No. 3 Dar­tagnau / GE 4739 No. 4 portos»

Quellen

Bild im Textteil oben R. Kallmann,

Text und übrige Bilder H. Amstad.

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