Sai­son­er­öff­nung 2018 auf dem Zürich­see: ein Tag fürs Schifffahrts-Geschichtsbuch.

Am Kar­frei­tag gab es auf dem Zürich­see gar Son­der­li­ches zu erle­ben. Sai­son­an­fang und erste Damp­fer­fahrt lie­fen noch unter „cou­rant nor­mal“. Doch DS Stadt Zürich hatte eine beson­dere Besat­zung: Kapi­tän Ernst Boss­hard fei­erte auf der Fahrt seine Pen­sion. Er liess es sich nicht neh­men, an den Sta­tio­nen und bei Schiffs­kreu­zun­gen herz­haft zu hor­nen, was jedes Mal mit Applaus quit­tiert wurde*. Und noch etwas pas­sierte: sozu­sa­gen „über Nacht“ wurde der Schiffs­zu­schlag auf dem Zürich­see abge­schafft. Manch einer fragte sich nach einem ver­früh­ten 1. April­scherz, so unver­mit­telt und über­ra­schend kam die­ser Ent­scheid, nach­dem noch wenige Tage zuvor der Regie­rungs­rat den Schiffs­fünf­lie­ber ver­tei­digte. Ernst Boss­hard gab bei sei­ner Begrüs­sungs­an­spra­che nach Abfahrt am Mythen­quai in Zürich sei­ner Freude Aus­druck: „Die Abschaf­fung des Schiffs-Fünf­li­bers ist das grösste Abschieds­ge­schenk, das mir die Poli­tik machen konnte.“

Damit ist der Zür­cher Ver­kehrs­ver­bund (ZVV) resp. der Regie­rungs­rat des Kan­tons Zürich in guter Gesell­schaft mit ande­ren Schiff­fahrt­ge­sell­schaf­ten, die mit pau­scha­len Zuschlä­gen geschei­tert sind. Auf dem Thu­ner- und Gen­fer­see gab es frü­her den Dampf­schiff­zu­schlag, in Dres­den einen Motor­schiff­zu­schlag und in jüngs­ter Zeit in Zürich die­sen gene­rel­len Schiffs­zu­schlag. Alle diese Aktio­nen sind heute wie­der ver­schwun­den, da der Kunde sol­che Pau­scha­len als unge­recht emp­fin­det: Abon­nen­ten und Pas­sa­giere auf kur­zen Stre­cken wer­den mit sol­chen Zuschlä­gen bestraft.**

Der Schiffs­zu­schlag auf dem Zürich­see war seit der Ein­füh­rung am 11. Dezem­ber 2016 immer wie­der in den Medien und in Leser­brie­fen, beim Ombuds­mann, im Zür­cher Kan­tons­par­la­ment, bei einem auf­sichts­recht­li­chen Gesuch des St. Gal­ler Kan­tons­ra­tes beim Bun­des­amt für Ver­kehr, bei Anwäl­ten und Gerich­ten ein Thema. Die Ein­füh­rung des ZSG-Schiffs­zu­schlags oblag immer schon in der Kom­pe­tenz des Zür­cher Regie­rungs­ra­tes, um mit den zusätz­li­chen Ein­nah­men von 2.5 Mil­lio­nen Fran­ken die Sanie­rung des Finanz­haus­hal­tes zu unterstützen.

Gleich­zei­tig gin­gen 2017 die Fahr­gast­zah­len um 30 % zurück. Die Leis­tun­gen der ZSG waren wegen des Zuschlags für Bern nicht mehr abgel­tungs­be­rech­tigt***. Der Schiffs­wirt musste Leute ent­las­sen. Eine tie­fere Aus­schüt­tung aus dem GA-Topf ist in Aus­sicht gestan­den. Auf dem Zuger- und Vier­wald­stätter­see waren augen­fäl­lig mehr Zür­cher und Zür­che­rin­nen anzu­tref­fen. Der Jurist Beat Zum­stein: „Eben­falls bedenk­lich ist der wenig an Grund­sät­zen ori­en­tierte oder mehr auf poli­ti­sche Oppor­tu­ni­tä­ten aus­ge­rich­tete Umgang mit dem direk­ten Ver­kehr, der ein zen­tra­ler Bestand­teil des öffent­li­chen Ver­kehrs in der Schweiz ist“. The­men wie Macht und Gesichts­ver­lust ver­dräng­ten immer mehr eine sach­li­che Auseinandersetzung.

Nach­dem das Zür­cher Par­la­ment ent­spre­chende Pos­tu­late und Motio­nen jeweils ablehnte, blieb nur noch der Weg über die Volks­in­itia­tive. „Zürich stimmt über 5 Fran­ken ab“, war in den Schlag­zei­len zu lesen. Die Dro­hung zeigte nun Wir­kung und die Par­la­ments­wah­len ste­hen in genau einem Jahr auch noch in der Agenda. Am Don­ners­tag, 29. März 2018 war die Über­ra­schung per­fekt – laut Medi­en­be­rich­ten wusste weder der Ver­wal­tungs­rats­prä­si­dent der ZSG noch die ZSG-Füh­rung vor­her etwas von die­sem Coup: seit dem 30. März 2018 ist der Zuschlag weg. Die Begrün­dung: Per 1. Januar 2018 wurde die Mehr­wert­steuer um 0,3% gesenkt. Für den ZVV war eine Sen­kung der Bil­lett­preise für das gesamte Sor­ti­ment nicht umsetz­bar. Der damit zu erwar­tende Mehr­ertrag von 2,5 Mio Fran­ken will man nun der Bevöl­ke­rung wie­der zurück geben…

Ich komme auch zurück, näm­lich zu Ernst Boss­hards Abschieds-Fahrt. Unter den über 300 Gra­tu­lan­ten ent­deckte ich auch Berufs­kol­le­gen von Ernst von andern Gewäs­sern. So Georg Rit­ter von der SGV: „Ich lernte Ernst vor allem an Aus- und Wei­ter­bil­dun­gen ken­nen. Denn die Vor­be­rei­tun­gen für die theo­re­ti­sche Prü­fung des BAV wer­den in Zürich durch­ge­führt. Ernst hat dazu­mal den Lead über­nom­men und die Aus­bil­dun­gen koor­di­niert und dabei viel Hin­ter­grund­ar­beit geleis­tet, die Ord­ner für die Prüf­linge zusam­men­ge­stellt, Probe-Prü­fun­gen geschrie­ben und vie­les mehr. Ich habe ihn als stil­len Schaf­fer schät­zen gelernt. Sein Wis­sen und seine Erfah­rung waren sehr gefragt. Auf dem Schiff war Ernst im posi­ti­ven Sinne der Patron. Er ist sehr beliebt, weil er kom­mu­ni­ka­tiv ist und sein ruhi­ges Wesen hat etwas Beru­hi­gen­des. Er ist ein sehr guter Nautiker.“

Ernst Boss­hard hat 38 Jahre und 2 Monate, wovon gut 20 Jahre in der mecha­ni­schen Werk­stätte, bei der ZSG gear­bei­tet. Vor der ZSG war er in der Maschi­nen­fa­brik Rüti als Tex­til­ma­schi­nen­mon­teur (Bereich Webe­rei) tätig. Boss­hard: „Obwohl ich mit der Schiff­fahrt nichts am Hut hatte wollte ich ursprüng­lich eine Lehre als Rhein­ma­trose begin­nen. Das wurde mir aber aus ver­schie­de­nen Grün­den aus­ge­schwatzt. Etwas hatte ich aber doch in mir: Meine Mut­ter erzählte mir, schon im Kin­der­gar­ten hätte ich immer Schiffe gezeich­net und gemalt. Im Tages-Anzei­ger war dann eine Stelle aus­ge­schrie­ben: ‚Im Som­mer auf den Schif­fen – im Win­ter an den Schif­fen’. Ich dachte nicht, dass ich als Webst­üb­ler den Job bekom­men werde, doch es klappte.“ Ernst fei­erte sei­nen 65. am 1. März 2018. Somit ist er nur wenige Stun­den jün­ger als ich.

Ein ande­res bekann­tes Gesicht an Bord der „Stadt Zürich“ war Lukas Rei­mann, vor­mals BSG und Lei­ter Betrieb der URh. Er erin­nert sich: „2003 grün­de­ten die ZSG, URh, FHM, SGG und SBS die ‚Aus­bil­dungs­ge­mein­schaft Ober­rie­den’.**** Als Grün­dungs­mit­glied und Refe­rent lernte ich Ernst Boss­hard bald als sehr kom­pe­ten­ten Fach­mann ken­nen. Er beherrschte es, den ange­hen­den Schiffs­füh­rern die häu­fig sehr tro­ckene Mate­rie ver­ständ­lich und anhand prak­ti­scher Bei­spiele zu ver­mit­teln. Ich tauschte mich mit Ernst in der Folge auch wäh­rend des Jah­res in fach­li­cher Hin­sicht aus. Es ent­stand eine Freund­schaft aus­ser­halb der Schiff­fahrt, die auch seine Frau Susi mit­ein­schliesst. Es ist für mich immer eine grosse Freude, die Bei­den zu tref­fen und mich mit ihnen auszutauschen.“

An Bord der „Stadt Zürich“ unter­stützte Michael Schä­fer als zwei­ter Kapi­tän den Jubi­lar, damit Ernst ab und zu auch beim „Fuss­volk“ sein konnte. Michi Schä­fer, ursprüng­lich aus Zug (und in den Neun­zi­ger­jah­ren ein dama­li­ger Schü­ler von mir): „Es freute mich, dass ich Ernst zum Abschied beglei­ten durfte. Als Chef­ka­pi­tän war er auch Prü­fungs­experte – ich war sein letz­ter ‚Prüf­ling’. Er war ein grad­li­ni­ger Kapi­tän und ging stets kon­struk­tiv und kol­le­gial mit den Arbeits­kol­le­gen um. Der all­ge­meine gesell­schaft­li­che Wan­del in letz­ter Zeit hat ihm zuneh­mend zuge­setzt, der Schiffs­fünf­lie­ber und die Horn­de­batte gin­gen ihm nahe…“

Die „Stadt Zürich“ star­tete am Kar­frei­tag ohne Schiffs­fünf­lie­ber in die Sai­son 2018.

Das Medi­en­in­ter­esse auf der „Pen­si­ons­fahrt“ von Ernst Boss­hard war enorm.

Der strah­lende Kapi­tän mit sei­ner Frau Susi Bosshard.

Ernst Bieri gra­tu­liert sei­nem Namens­vet­ter und schreibt wie Hun­dert andere die bes­ten Wün­sche ins Gratulationsbuch.

Ernst Boss­hard darf vie­len Gäs­ten zuwin­ken und dabei herz­haft hornen…

… ein auf dem Zürich­see lei­der sel­te­nen gewor­de­nen Ritual.

See­po­li­zei, Ret­tungs­dienste und Oster­ha­sen über­brin­gen die Glückswünsche.

Die Pla­kate hän­gen noch, sind jedoch Geschichte: der Schiffs­zu­schlag fällt ab sofort weg.

Ein Rohr­kre­bie­rer fällt weg.

Pro­test auf dem Des­sert-Tel­ler: die Gas­tro­no­mie kann auf­at­men, der Umsatz wird wie­der steigen!

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Hin­weise

*) Auf dem Zürich­see wird seit einem Jahr die Binnen­schiff­fahrt Ver­ord­nung (BSV) eng aus­ge­legt. Somit ist das tra­di­tio­nelle Zu- und Abhor­nen der Kurs­schiffe an Sta­tio­nen rich­ter­lich nicht mehr erlaubt.

**) Ab 1963 kamen auf der Elbe die 1000-Per­so­nen fas­sen­den Motor­schiffe Fried­rich Engels, Ernst Thäl­mann, Karl Max und Wil­helm Pieck in Betrieb. Im Volks­mund nann­ten die Dresd­ner diese Schiffe kurz „Luxer“ und man musste einen „Luxus­zu­schlag“ bei Mit­fah­ren eines sol­chen Motor­schif­fes bezah­len, wäh­rend die herr­li­chen Rad­damp­fer einen sol­chen Zuschlag nicht kann­ten. Der Gen­fer­see erfand wenig spä­ter den Dampf­schiff­zu­schlag. Von 1992 bis 1997 belegte die BLS das Thu­ner­see-Dampf­schiff Blüm­li­salp eben­falls mit einem Dampf­zu­schlag. Seit dem Fahr­plan­wech­sel am 11. Dezem­ber 2016 muss­ten schliess­lich die Pas­sa­giere für jede Fahrt auf den Kurs­schif­fen der Zürich­see Schiff­fahrts­ge­sell­schaft zusätz­lich zum Fahr­aus­weis fünf Fran­ken „Strafe“ bezahlen.

***) Am 13.12.2016 ant­wor­tete das Bun­des­amt für Ver­kehr an Kan­tons­rat Chan­di­ra­mani: „ … Die Erhe­bung des Zuschlags ver­stösst jedoch gegen eine vom Bund gestellte Bedin­gung für Abgel­tun­gen im regio­na­len Per­so­nen­ver­kehr. Das BAV hat daher dem ZVV bereits mit Schrei­ben vom 3. August 2016 mit­ge­teilt, dass die ZSG-Leis­tun­gen bei Ein­füh­rung des See­zu­schlags ab dem Fahr­plan­jahr 2017 vom Bund nicht mehr mit­be­stellt wür­den und die am 22. März 2016 abge­schlos­sene ZSG-Abgel­tungs­ver­ein­ba­rung ihre Gül­tig­keit ver­liere. Im regio­na­len Per­so­nen­ver­kehr dul­det das BAV grund­sätz­lich keine Zuschläge. Eine Aus­nahme bil­den die Nacht­zu­schläge sowie die Zuschläge beim PubliCar.“

Der Jurist Dr. Beat Zum­stein fand eine Liste von abgel­tungs­be­rech­tig­ten Linien auf dem Stand von 2017, in der die ZSG nicht mehr ent­hal­ten ist. Die Liste führt fol­gende Seen bzw. Ver­bin­dun­gen auf: CGN, 3150: Lau­sanne – Evian-les-Bains; Lau­sanne – Tho­non-les-Bains; Nyon – Yvoire / SGV, 3600: Luzern – Brun­nen (– Flüelen) / SNL, 62.439: (Lugano –) Mel­ide – Cam­pione d’I­ta­lia und 62.490: Lugano – Gan­dria. Zum­stein: „Wenn es ande­ren Kan­to­nen ein­fällt, aus fis­ka­li­schen Grün­den ein kon­zes­sio­nier­tes Ver­kehrs­un­ter­neh­men zur Erhe­bung eines Zuschlags zu ver­an­las­sen, so funk­tio­niert der direkte Ver­kehr am Ende nicht mehr, weil die Fahr­gäste lau­fend mit Zuschlä­gen kon­fron­tiert wer­den. Am Bei­spiel der ZSG zeigt sich zudem, dass diese Mög­lich­keit nur für den Kan­ton besteht, der fak­tisch den ent­spre­chen­den Ein­fluss auf das Unter­neh­men aus­üben kann.“

****) Lukas Rei­mann: „2003 wurde die Theo­rie­prü­fung für ange­hende Schiffs­füh­rer durch das BAV neu struk­tu­riert. Für Kan­di­da­ten wurde es zuneh­mend schwie­rig, alles im Selbst­stu­dium erler­nen zu kön­nen. Des­halb schlos­sen wir uns zu die­ser Aus­bil­dungs­gruppe zusam­men und boten in den Räum­lich­kei­ten der See­po­li­zei in Ober­rie­den (daher der Name Aus­bil­dungs­ge­mein­schaft Ober­rie­den) erst­mals gemein­same Kurse an. Auch die erste BAV-Theo­rie­prü­fung fand in Ober­rie­den statt. Seit etwa 2005 fin­den diese Kurse (und auch die Prü­fun­gen) in den Räum­lich­kei­ten der ZSG in der Werft Wol­lis­ho­fen statt. In der Folge kamen wei­tere Schiff­fahrts­ge­sell­schaf­ten wie SBW, SGH und SGV hinzu, sodass wir uns „Aus­bil­dungs­ge­mein­schaft Fahr­gast­schiff­fahrt (AGF)“ nann­ten. Dar­aus wurde ab etwa 2014 ein VSSU-Ange­bot, das allen Schiff­fahrts­ge­sell­schaf­ten offen steht. Auch die Zahl der Teil­neh­men­den wuchs stän­dig. Waren es in den ers­ten Jah­ren sechs oder acht Kan­di­da­ten und Kan­di­da­tin­nen, sind es mitt­ler­weile meist 20 und mehr.“

Quel­len

Bil­der 2, 5 bis 7 M. Fröhlich,

Text und übrige Bil­der H. Amstad.

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