Schwan-Apérofahrten 2019: Liedermacher, Kunstfotograf und Literat im schwimmenden Kleintheater
Engagiert und kritisch, liebevoll und auch quer, melancholisch und virtuos, so kommen mir die Lieder vom Troubadour Ueli Stampfli entgegen. Auf unserer ersten Apérofahrt der Saison 2019 vom 9. Mai geht es zuerst Richtung Oberwil, wo der Musiker und Songwriter aufgewachsen ist. Seine Eltern und seine Lebenspartnerin (und Theaterautorin) Liv Huber blicken nebst den anderen Gästen zum schmucken Ort am Zugersee, als Troubadueli, wie sein Künstlername heisst, zur Gitarre greift und uns auf sympathische Art zum Nachdenken, Schmunzeln und Staunen bringt. Hier gibt er Lieder aus seinen musikalischen Anfängen zum Besten. Da werden Hasen gefischt und in Analogie von «Joggeli söll go Birli schüttle» Hasen gejagt. In seinem nunmehr 15-jährigen Schaffen hat er, nach Auffassung der Fachpresse „inspiriert von musikalischen Einflüssen von Bob Dylan oder Mani Matter», einen eigenen Stil entwickelt.
Ueli Stampfli
Kapitän René Simmen steuert nun auf Wunsch von Stampfli die Badi Dersbach an. Der böige Südweststurm, der noch kurz vor der Überfahrt wunderbare Wetterstimmungen herzaubert, legt sich und ein weiterer Stopp eröffnet ein gesangliches Fenster in seine „mittlere“ Schaffensperiode. Diese Melodien sind eher rockig, die Texte frech. Ueli Stampfli: «Ein Troubadour ist ein Geschichtenerzähler, eine Art Wanderprediger, der seine Storys musikalisch begleitet.» Früher hätten die Troubadoure auf den Marktplätzen der Städte und Dörfer gespielt, um den Menschen alte oder aktuelle Geschichten zu erzählen. Heute spielen sie auch auf Schiffen…
Der dritte Stopp auf der Apérofahrt vor der Lorzen-Insel nimmt Bezug auf «Insel»-Songs, ein Wolkenfenster ermöglicht der Sonne, Ueli Stampfli ins Scheinwerferlicht zu rücken – dies zu Recht. Die Zuger Woche schrieb über den heute 35-jährigen Sozialpädagoge und Schreiner: „Für die einen ist er der begnadetste Musiker des Kantons Zug, andere wissen nicht mal, wer er ist.“ Die Schwan-Gäste aber haben nun den begnadeten Musiker hautnah kennen gelernt.
Guido Baselgia
Beim Thema Zugersee kommt Guido Baselgia, unsere Zuger Kulturpersönlichkeit auf der Fahrt vom 6. Juni, ins Schwärmen. Wir stoppen die „Schwan“ vor der Insel Eielen in Oterswil, zwischen Oberwil und Walchwil nahe am Ufer gelegen. „An dieser Stelle teilt sich der Zugersee in zwei Welten.“ Er weist unsere Blicke nach Norden und in der Tat, nichts stört die Sicht hinaus ins flache Mittelland: „Hier zeigt sich die Landschaft als Meer.“ Wir drehen uns um 180 Grad nach Süden. „Und jetzt ist der Zugersee ein Bergsee“. So verwandelt der im Hochtal des Engadin geborene Baselgia etwas Selbstverständliches zu etwas Spektakulärem. Es herrscht faszinierende Ruhe an Bord. „Ich mag den Kanton Zug mit seinen unglaublichen Gegensätzen“. Die Insel Eielen ist das Überbleibsel eines nach der Seeabsenkung von 1591/92 eingesunkenen Landstücks.
„Wir befinden uns direkt über einem UNESCO-Weltkulturerbe, über einer im Seegrund liegenden, gut erhaltenen Pfahlbautensiedlung der Jungsteinzeit, die vor rund 4 700 Jahren entstanden ist.“ Baselgia zeigt Bilder aus seiner fotografischen Entdeckungsreise vom Gniepen, der höchsten Stelle des Zugerberges zur Barentssee im Norden Norwegens. „Ich wollte von hier aus nach Norden reisen, immer der Baumgrenze folgend, die stetig sinkt und schliesslich weit nördlich von Rovaniemi auf Meereshöhe liegt.“ Diese Gegend dort hat eine drei Milliarden Jahre alte Geologie-Geschichte, geformt von Tektonik und Gletschern. Der Zugersee hier entstand auch durch Gletscher. Guido Baselgia lebte 40 Jahre in Zug.
Der Künstler und Fotograf mit Weltformat hat sich intensiv auf diese Schwan-Fahrt vorbereitet. Das zeugt auch der 2. Zwischenstopp, den unser Kapitän Maurus Wilhelm bei Buonas einlegt. Baselgia erzählt von seinem Aufenthalt in Bolivien: „Auf dieser Reise, in 4000 Meter über Meer, beschäftigte ich mich mit der Wahrnehmung und der Wirklichkeit.“ Er ist überzeugt, dass das, was wir sehen, nicht immer die wahre Wirklichkeit ist. Er zeigt Bilder, wo nicht mehr ersichtlich ist, ob das Negativ oder das Positiv einer Realität dargestellt ist. „Abstrakte Bilder in denen erst beim zweiten Blick eine Kulturlandschaft zu erkennen ist, Spuren der Zvilisation.“ Zum Abschluss zeigt der Fotokünstler Bilder, bei denen er den Lauf der Sonne verfolgt: exakt am Äquator («und keinen Meter daneben»), entsteht eine helle Gerade, die das Firmament in zwei Hälften teilt. Mit derselben Technik führt er uns zurück auf den Gniepen, mit einem Bild zur Wintersonnenwende und mit einem zur Sommersonnenwende: einmal mit konvexer Linienführung des Sonnenaufganges, einmal mit konkaver des Sonnenunterganges. Unten glitzert der Zugersee. Wie heute Abend, an Bord des MS Schwan erlebt. Guido Baselgia kehrt zurück nach Malans, wo er seit 2010 lebt. Und wir kehren tief beeindruckt über das Universelle des Künstlers heim.
Max Huwyler
Der dritte Rundfahrten-Abend mit einer Zuger Kulturpersönlichkeit ist der Literatur gewidmet: Max Huwyler, 1931 in Zug geboren und aufgewachsen, liest am 5. September 2019 an Bord des MS Schwan sechs schön ausgewählte Passagen aus seinem neusten Buch «Jakobs Auswanderung – Zuger Geschichten und Idyllen» vor. Das Schiff Schwan folgt in der Hand des Kapitäns René Simmen diesen Geschichten – die ausgewählten Orte sind wie eine lebendige Diaschau, ein Film zum Text oder eine Power Point-Präsentation zum Originalton des Literaten.
Beim ersten Halt vor der Schutzengelkapelle direkt beim Bootshafen donnert aus dem Mund Huwylers der ehemalige Stadtpfarrer Bossard, der am 28. April 1824 die Standrede hält nach der Hinrichtung von Anna Maria Suter. Nächster Halt: Chamer Kirchturm. Max Huwyler: «Der Blick zum Ennetsee – etwas despektierlich eine stadtzugerische Wortschöpfung – gibt von Cham als einziges den Kirchturm preis.» Er liest vor, warum der höchste Kirchturm weit und breit «verquer zur Achse der barocken Kirche steht». Vor Oberwil blicken wir zum Mühlebach, dorthin, wo der Sage nach eine junge Magd ihr lediges Kind in das wilde Tobel warf. Vor der Altstadt Zugs wiederholt sich das Tragische von Liebe und Tod, in dem Huwyler die Altstadtkatastrophe von 1435, bei der die vorderste Häuserzeile in den See rutscht, mit einer Liebesgeschichte Wickarts verwebt. Max Huwyler ist im Burgbachquartier aufgewachsen. Einige Geschichten holen eine andere Zeit ins 21. Jahrhundert. Dann nämlich, wenn er erzählt, wie er sechs Wochen lang – mit Scharlach erkrankt – im Absonderungshaus in Quarantäne Weihnachten verbringt oder wie er als Fünftklässler wegen einer Bagatelle in den Karzer muss, in einen dunklen Käfig im Estrich des Burgbachschulhauses.
Max Huwylers Auswahl an Erzählungen haben am heutigen Abend viel Morbides, Furchterregendes und Dunkles. Trotzdem wirken sie nicht schwer; Humor schimmert durch und das Lachen der anwesenden Gäste wirkt wie eine Erlösung einer Dramaturgie, die eine gesetzte Pointe findet. Wenn Huwyler von Scheisse, Köpfe abschlagen und Beerdigungsskandalen schreibt und spricht, dann ist das keine Anbiederung ans Sensationelle, sondern ein Stilmittel einer spürbaren Radikalität in seiner Sprache, die das Authentische sucht. Oder wie der Verlag der «Edition Bücherlese» auf der letzten Umschlagseite des erwähnten Buches schreibt: «Kenntnisreich und präzise lies Max Huwyler seine Zuger Heimat. Er unternimmt eine poetische Vermessung des Zugerlands, die unerwartete Horizonte und neue Welten öffnet.» Am Schluss des Abends öffnet sich im Westen auch der Himmel für die untergehende Sonne und im Osten die Schleusen für den Regen. Ein Regenbogen über der Stadt Zug symbolisiert den bunten Abend, den Max Huwyler uns an Bord geschenkt hat.
Nachtrag im Februar 2023: Max Huwyler ist am 28. Januar 2023 von uns gegangen.
Troubadueli ist der Künstlername von Ueli Stampfli, der virtuos an Bord der «Schwan» eigene Songs vorträgt und dabei über sich und seinen Bezug zum Zugersee erzählt.
Drei Mal im Jahr ist MS Schwan ein fahrendes Kleintheater – die Kulisse ist stets anders wie hier der Blick auf den Chamer Kirchturm.
Guido Baselgia ist einer der gefragtesten Fotografen unter den Kunstkuratoren und lebt nach vielen Zuger Jahren nun im Bündner Malans.
Strukturen verknüpfen Themen und Gefühle: links auf der Hochebene von Bolivien, rechts im Norden Norwegens.
Max Huwilers Schalk in den Augen sind ein Gegenprogramm zu den teils tiefgründigen Texten.
Die Silhouette von Max Huwyler im Spiegelbild der «Schwan»-Scheibe mit Blick zur Stadt Zug.
Applaus für den Künstler, Applaus auch für das Format «Apérofahrten mit Zuger Kulturpersönlichkeiten».
Bilder 3 bis 7 A. Busslinger, Text und übrige Bilder H. Amstad
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