Schwerarbeiter DS La Suisse auf dem Genfersee-Pendlerkurs Schweiz – Frankreich.
Noch bis zum 19. Mai 2017 bietet die Genfersee-Schifffahrt ein ausserordentliches Erlebnis: das Flaggschiff La Suisse besorgt den Grenzgängerverkehr zwischen der Schweiz und Frankreich, zwischen Lausanne und Evian. Dienstantritt für den Maschinisten: 2 Uhr 45. Erste Schiffabfahrt in Lausanne: 4 Uhr 55. Am Mittag Mannschaftswechsel. Heute Freitag macht die „La Suisse“ 10 Kurspaare, letzte Ankunft in Lausanne ist um 21 Uhr 20. Heute und jeden Freitag legt der Dampfer mindestens 320 km zurück, am Montag bis Donnerstag 260 km, das sind im Vergleich immer noch vier Mal Luzern – Flüelen retour. Pro Tag sind es zur Zeit 2 700 Personen, die über den Seeweg von Frankreich kommend auf drei Achsen in der Schweiz der Arbeit nachgehen. Oft nehmen sie in Frankreich vor der Seeüberquerung bis zu einer Stunde Autofahrt auf sich. In Lausanne ankommend haben die aller wenigsten den Arbeitsplatz in Ouchy… Das ist ein immenser Aufwand. Ich frage nach der Motivation. Die hauptsächlichsten Antworten lauten: „In Frankreich finde ich keine Arbeit.“ Und: „In der Schweiz sind für meinen Beruf die Löhne viel besser.“ Die Schweiz hat einen Fachkräftemangel.
Ich übernachte in Evian* und kann vom Hotel aus um 5 Uhr 40 das frühe Treiben an der Schifflände beobachten. Bereits die zweite Abfahrt ab Evian um 7 Uhr muss verstärkt werden: MS Coppet nimmt die ersten 100 Personen an Bord und fährt dann ab. Wer es pressant hat ist frühzeitig an der Schiffstation, denn das Schiff fährt dann, wenn der letzte Sitzplatz eingenommen ist. Der Navibus Coppet „donnert“ dann mit 50 km/h dem Arbeitsplatz Waadt entgegen und verbraucht 7,5 Liter Diesel je Kilometer**. Mit dem Ab- und Anlegemanöver hat er knapp 20 Minuten. Das nun heute bereits zum zweiten Mal einfahrende Dampfschiff fährt rund mit der Hälfte der Geschwindigkeit und braucht knapp 35 Minuten. Er nimmt um 7 Uhr gegen 450 Personen auf und verbraucht auf seiner Fahrt rund 20 Liter Heizöl pro Kilometer. Heute, in der Osterwoche, braucht es wegen zahlreichen Ferienabwesenheiten kein zweites Supplement-Schiff. Sonst entlastet zusätzlich ein weiterer Navibus den Siebenuhr-Kurs.
Um 10 vor sieben halten erst eine Handvoll Grenzgänger im Wartegebäude auf, nämlich jene, die es auf den Navibus nicht mehr geschafft haben. Gerade im Moment, wo die „La Suisse“ anlegt, erlebe ich einen wunderschönen Sonnenaufgang. Es strömen innert Minuten 400 Menschen von überall kommend herbei; der Strassenverkehr steht zeitweise still. Der Pendler beherrscht ein perfektes Timing. Um 10 Sekunden vor 7 Uhr steigt der letzte Grenzgänger ein, um punkt 7 Uhr werden die Treppen gezogen, um 10 Sekunden danach legt das Schiff ab. Pünktlich, wie einst einmal bei der SBB… Junge Sonnenstrahlen erreichen im flachen Winkel die Passagierräume. Die einen geniessen mit einem Lächeln die wärmende Sonne, andere ziehen genervt die Vorhänge im Salon. Die Sitzordnung ist informell gegeben. Wer am Laptop arbeitet „sticht“ in den Salon; jeder Tischplatz ist besetzt. Wer nicht arbeitet und schlafen möchte nimmt auf dem Oberdeck Platz. Dort sind im grossen Innenraum die Tische ausgeräumt und eine Kinobestuhlung eingerichtet. Raucher stehen an den Stehtischen auf dem Oberdeck achtern. Eine routinierte Jassrunde ergattert sich einer der sechs übrig gebliebenen Tische. Archaische oder nautische Pendler nehmen auf den Seitenbänken im Mittelschiff Platz, auf der Treppe zum Oberdeck oder am Boden um die Maschinenöffnung.

Am Buffet auf dem Oberdeck gibt es Kaffee, Brötchen und Gipfeli. Aber auch einen Weissen, alles zu günstigen Pendler-Preisen. Dafür kann man die Fahrt nicht gerade als preiswert bezeichnen. Die rund halbstündige Überfahrt kostet in der 2. Klasse 21 Euro. Zwei Franzosen unterhalten sich verwundert über diesen Umstand. Verwaltungsratspräsidenten Maurice Decoppet bestätigt solche Klagen, gibt aber zu bedenken, dass 95 % der Grenzgänger ein monatliches oder ein Jahres-GA haben, wobei es für sie damit wesentlich billiger kommt: „Für die CGN erschwerend kommt dazu, dass für den Grenzgänger-Verkehr es keine Bundes-Subventionen gibt. Schlimmer noch: der öffentliche Verkehr ist ja sonst von der Mineralölsteuer befreit, d.h. der Liter Heizöl kostet die CGN im Normalfall 92 Rappen (und nicht 1.45 Fr. und darüber). Nun hat die Bundesverwaltung diktiert, dass die in internationalen Gewässern (gilt auch auf dem Bodensee) gefahrenen Kilometer ab 1.1.2017 nicht mehr “steuerfrei” sind. Das bedeutet für die CGN Mehrkosten von über 500 000.- Franken im Jahr!“
Am Buffet auf dem Oberdeck gibt es Kaffee, Brötchen und Gipfeli. Aber auch einen Weissen, alles zu günstigen Pendler-Preisen. Dafür kann man die Fahrt nicht gerade als preiswert bezeichnen. Die rund halbstündige Überfahrt kostet in der 2. Klasse 21 Euro. Zwei Franzosen unterhalten sich verwundert über diesen Umstand. Verwaltungsratspräsidenten Maurice Decoppet bestätigt solche Klagen, gibt aber zu bedenken, dass 95 % der Grenzgänger ein monatliches oder ein Jahres-GA haben, wobei es für sie damit wesentlich billiger kommt: „Für die CGN erschwerend kommt dazu, dass für den Grenzgänger-Verkehr es keine Bundes-Subventionen gibt. Schlimmer noch: der öffentliche Verkehr ist ja sonst von der Mineralölsteuer befreit, d.h. der Liter Heizöl kostet die CGN im Normalfall 92 Rappen (und nicht 1.45 Fr. und darüber). Nun hat die Bundesverwaltung diktiert, dass die in internationalen Gewässern (gilt auch auf dem Bodensee) gefahrenen Kilometer ab 1.1.2017 nicht mehr “steuerfrei” sind. Das bedeutet für die CGN Mehrkosten von über 500 000.- Franken im Jahr!“
Im September 2012 war dieses Erlebnis ebenfalls mit der „La Suisse“ möglich, dazumal zwischen Lausanne und Thonon. Es müsste schon ein aussergewöhnliches Ereignis passieren, wenn man je nochmals einen Raddampfer für diesen harten Berufsverkehr einsetzen würde. Deshalb der Tipp: Pilgert hin und geniesst die Abend- und Morgenfahrten. Denn es sind neue Schiffe geplant, speziell konzipiert für den Grenzverkehr Schweiz – Frankreich. Maurice Decoppet: „Die vier geplanten, modernen Grenzgängerschiffe werden voraussichtlich zwischen 2020 und 2032 in Betrieb genommen. Sie werden dem MS Ville-de-Genève ähnlich sein, nur ein bisschen grösser und mit einer erhöhten Geschwindigkeit mit der Zielgrösse von 35 km/h.“
Das Flaggschiff als „Massentransporter“; glückliche Umstände ermöglichen dem über 100-jährigen Raddampfer einen reizvollen Einsatz, hier fotografiert bei der Abfahrt in Evian in der Abendsonne.
Stilvoll zur Arbeit: Blick in den Oberdeckraum.
Wer am Laptop arbeitet „sticht“ in den Salon; jeder Tischplatz ist besetzt.
Das Stampfen der Maschine beruhigt offenbar beim Surfen mit dem Handy.
Abendstimmung in Evian mit Dampfschiff am Abend zuvor …
… Sonnenaufgang um 6 Uhr 55 am Morgen danach.
Tausende nehmen den Seeweg zur Arbeit täglich in Richtung Schweiz, zum Wohnen und übrigen Leben wieder zurück nach Frankreich.
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
*) Neu eröffnet empfiehlt sich das Hotel Alizé, 20 m von der Schifflände entfernt mit Seeblick, Preis rund EUR 100 pro EZ. Es gibt in unmittelbarer Nähe in der Altstadt auch günstigere, z.B. das “Continental“ für EUR 70.-/EZ. Etwas weiter entfernt, aber das einzige in Evian direkt am See liegend, ist das Hotel Cygnes (EUR 120.-/EZ), 10 Minuten zu Fuss dem See entlang, ausgezeichnete Küche.
**) Quelle: (Link)
***) Für Frankreich-Liebhaber sei noch hingewiesen, dass nachträglich ein Blog fertig erstellt wurde über die Schifffahrt auf der Erdre vom Oktober 16 (Link).
Quellen
Text und Bilder H. Amstad***
Weiter im Text
Blog aus dem 2012: Küstenschifffahrt Lac Léman – Grenzgängerverkehr mit Radampfern (Link). Seit diesem Text hat sich einiges geändert: es sind inzwischen so viele Pendler geworden, dass die inzwischen zu kleinen Navibus zwischen Lausanne und Thonon nicht mehr eingesetzt werden können. Das heisst: auf dieser Strecke musste die CGN den Fahrplan zum Leidwesen der Pendler wieder strecken, damit die grösseren Einheiten Ville-de-Genève und Général Guisan den Fahrpan einhalten können. Die schnelleren Navibus führen nun weniger frequentierte Randkurse und Supplementsfahrten durch. Weiter ist die Verbindung zwischen Nyon und Chens-sur-Léman ersetzt worden durch die neue Streckenführung Nyon – Yvoire, was auch touristisch einen Mehrwert bringt.
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