Seit 111 Jahren unterwegs: Publikumsliebling Thalia auf dem Wörthersee (Teil 1)
Um alle Dampfschiffe aufzuzählen, die in ganz Österreich öffentliche Fahrten anbieten, reicht eine Hand aus. Sie heissen Schönbrunn, Hohentwiel, Gisela und Thalia. Sie alle sind bedeutende Raritäten und stellen jeweils die letzten Zeugen einer epochalen Entwicklung der Verkehrsgeschichte dar: die „Gisela“ auf dem Traunsee als Vertreterin der frühen Dampfschifffahrt (Baujahr 1870 – 72), die „Schönbrunn“ auf der Donau (Baujahr 1912/13) als Höhepunkt im österreichischen Fluss-Schiffbau, die „Hohentwiel“ (1913) auf dem Bodensee als zweitletzter für den Bodensee gebauter Raddampfer und die „Thalia“ auf dem Wörthersee als einziger noch erhaltener Schraubendampfer und „ausgereiftes Schiff aus der Blütezeit der Dampfschifffahrt“1.
Seit ich mich aktiv mit Schiffen beschäftige mussten über 50 Jahre vergehen, bis ich erstmals die „Thalia“ fahrend geniessen durfte. Auf Einladung einer ehemaligen Berufskollegin, die als Kärntnerin ihr Feriendomizil in der Nähe des Sees hat, klappt es nun – ausgerechnet im Corona-Sommer. Ich hatte viel Glück: Der 111-jährige Schraubendampfer aus dem Hause der Dresdner Schiffswerft Übigau fuhr vom Freitag 31. Juli bis zum Sonntag 2. August 2020 täglich im Liniendienst. Es waren die ersten Linienfahrten in diesem Jahr.
Irgendwie liegt Kärnten von der Schweiz aus gesehen abgelegen, hinter mehreren Gebirgszügen versteckt. Auch mentalitätsmässig sind die Kärntner für mich schwieriger zu verstehen als andere Völker, obschon auch sie deutsch sprechen. Triest, Ljubljana und Zagreb liegen näher an der Landeshauptstadt Klagenfurt als Innsbruck, Salzburg, Linz oder Wien. Dabei gelangt man von der Schweiz sowohl mit Nacht- wie Tageszügen ganz einfach dorthin. Nach Klagenfurt gibt es per Bahn einen Zweistundentakt ab Zürich mit etwa achteinhalb Stunden Fahrzeit und einmal Umsteigen in Salzburg oder Schwarzach-St.Veit, teilweise sogar mit SBB-Panoramawagen bestückt.
Die Kärntner Landeshauptstadt ist allerdings als Ausgangspunkt für Schiffstouren weniger geeignet, da der Ort rund vier Kilometer vom See entfernt liegt und der sympathische Schiffsverkehr von der Stadt zum See über den bereits im Jahr 1527 erbauten Lendkanal vor drei Jahren leider eingestellt wurde. Bei meinem Besuch in diesem Sommer lagen die zwei für diesen Zweck neu gebauten Kleinmotorschiffe Maria Wörth und Nauti untätig (und wie Mannschaftsmitglieder mir verrieten „defekt“) in der Werft.
DS Thalia aus der Zeit der Schraubendampfer-Hochblüte
Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte touristische Aufbruchstimmung in Europa: Die Engländer waren der Motor des aufkommenden Tourismus auf dem Festland. Thomas Cook lancierte als erster Pauschalreisen in die Alpenländer. Zum einen dank dem Dreieckshandel zwischen England (Waffen, Tücher, Glasperlen), Afrika (Umtausch in Sklaven) und Amerika (Umtausch in Rohrzucker, Rum, Baumwolle), zum andern wegen des britischen Kolonialismus (das British Empire besass 1922 ein Viertel der Erdoberfläche) wurden sie damals zur volkswirtschaftlich reichsten Bevölkerung der Welt. Reisen wurde für viele Engländer zum „Volkssport“, zumal das europäische Festland mit tiefen Preisen auch für die englische Mittelschicht sehr erschwinglich war. Mit der Fertigstellung der österreichischen Südbahn zog es dann auch wohlhabende Wiener Familien aus der Oberschicht in die „Sommerfrische“ an den Wörthersee. Zahlreiche Schlösser, Hotels, Prachtsvillen, Boots- und Badehäuser (die die prägende Wörthersee-Architektur hervorbrachte2) entstanden. Kapitän Julius Czyzek und Druckerei-Direktor Pietz, die Inhaber der Wörther-See-Dampfschiffahrtsgesellschaft, 1887 gegründet, erkannten die Zeichen der Zeit und bestellten in Dresden einen Neubau. Der Wörthersee kam so zu ihrem siebten und zugleich grössten Schiff, das auf den Namen „Thalia“3 getauft wurde.
Die „Thalia“ gilt heute weltweit als Paradestück im Höhepunkt des Schraubendampfschiff-Baus. In der Tat konnte die Dresdner Maschinenfabrik und Schiffswerft Übigau mit dem Bau der „Thalia“ auf eine reiche Erfahrung zählen: das Schiff trägt mit Baujahr 1909 die Baunummer 1036, ihr Kessel die Baunummer 2139. Die „Thalia“ wurde für den Transport zerlegt und auf einem Bauplatz in Pritschitz zusammengebaut4. Über die Gründe des kurzlebigen Namenswechsels in „Klagenfurt“ von 1928 bis 1932 weiss Johannes Lebitsch, Kapitän Nostalgieschifffahrt Wörthersee Näheres: «Im Jahr 1928 beschloss die Klagenfurter Stadtregierung, zwecks Verbesserung des ‘Regionsgeistes’ und einer ‘Einbindung der Orte rund um den See’ die Namen der bestehenden Schiffe auf Orte am See zu ändern. Aus der ‘Thalia’ wurde daher die ‘Klagenfurt’, aus der ‘Neptun’ die ‘Krumpendorf’, aus der ‘Helios’ die ‘Pörtschach’.»
«Die Wirkung dieser Aktion blieb zweifelhaft, da die Bevölkerung sich weigerte, die neuen Namen anzunehmen. Ich fand einen Zeitungsartikel vom September 1932, in dem von der Wiedereinführung der alten Namen berichtet wird, weil es, Zitat: ‘immer wieder zu ärgerlichen Verwechslungen bei Gästen und Einheimischen kam’. Die gutgemeine touristische Massnahme brachte nichts und wurde daher wieder aufgegeben.»
Drei Jahre nach dem Stapellauf wird die ganze Flotte der Herren Czyzek und Pietz mitsamt der „Thalia“ an die Stadtgemeinde Klagenfurt verkauft, die nun für längere Zeit als Betreiberin der Wörthersee-Schifffahrt in Erscheinung tritt. Nach einer Periode schwacher Frequenzen soll 1946 aus der „Thalia“ ein Dieselschiff werden: ein SGP-Motor R8 ist bereits bestellt. Zum Glück liess sich in dieser Zeit wegen der Mangelwirtschaft kein passendes Getriebe finden. Man entschliesst sich, die Motorenbestellung zu stornieren und stattdessen die Maschine 1948 gründlich zu überholen. Im Winter 1964/65 ersetzt ein ölgefeuerter Steambloc-Kessel der Firma Waagner Biro AG Graz den bisherigen kohlegefeuerten Flammrohrkessel. 1966 werden Teile der Aufbauten ersetzt, wie sich später zeigte, „nicht ganz fachmännisch“, wie Prix zu berichten weiss, „es wurden damals Materialien verbaut, die auf einem Schiff dieser Art entweder nichts verloren haben oder technisch nicht den Anforderungen entsprechen.» 1967 erfährt das Schiff einen optisch ungeschickten Umbau, bleibt aber immerhin unter Dampf: Das neue, breite Steuerhaus wurde dem damaligen Zeitgeschmack angepasst. 1970 muss die ursprüngliche dampfgesteuerte Ruderanlage einer elektrohydraulischen Anlage vom Typ Svenborg weichen.
Die europaweite, technokratisch ausgerichtete Modernisierungswelle der Siebzigerjahre – jeder See feiert damals die Inbetriebnahme grosser, rationeller Motorschiffe – erfasst auch den Wörthersee. Mit MS Kärnten nehmen die Stadtbetriebe Klagenfurt am 16. Juni 1974 ein solches Schiff in Betrieb und damit ist eine Einheit zu viel auf dem See… Die Begründungen, der „Thalia“ keinen festen Platz im Fahrplan zu gewähren, klingen auf allen Seen gleich: „Grösserer Aufwand an Personal, Brennstoff und Unterhalt“. Nach einem kleinen Schaden an der Antriebswelle kommt das Schiff am 24. Juli 1974 sofort ausser Betrieb. Der Beschluss steht fest: das Schiff muss weg.
Auch Österreich kennt eine Dampferbewegung
Die Klagenfurter waren mit diesem Beschluss aber nicht einverstanden und wehrten sich – ebenfalls dem Zeitgeist folgend – gegen die geplante Verschrottung. Hansgeorg Prix4: „Es formierten sich eine Unzahl von Bürgerinitiativen und auch Arbeitskreise, die Vorschläge für die Zukunft des Schiffes einbrachten: Pensioniertenheim, Jugendclub, Badefloss beim Strandbad, Bordell, Restaurant usw.“ All die Vorschläge gefielen der Eignerin aber nicht und so rottete das Schiff jahrelang in der Wörther-Ostbucht vor sich hin, bis der Anblick des Rosthaufens unzumutbar wurde. Prix: „Mit einer sonst selten vorzufindenden Einigkeit erklärten sich dann die verantwortlichen Politiker aller drei Parteien, den Verein ‚Wörther-See-Schiff Thalia‘ zu unterstützen. Begünstigt wirkte der Umstand, dass die Direktion der Stadtwerke gleichzeitig neu bestellt wurde.
Das Projekt „Thalia“ nahm Fahrt auf. 1982 war ein gutes Jahr für den Schraubendampfer: Der Klagenfurter Bürgermeister Leopold Guggenberger, sein Vize Kurt Peterle und der engagierte Schiffsliebhaber und Ingenieur Hansjörg Prix brachten es fertig, dass in der Folge verschiedene Gutachten zur Erhaltung des Dampfbetriebes erstellt wurden. Der Schiffsrumpf wurde untersucht, die erhaltungswürdigen Elemente des Schiffes wie die Maschine inventarisiert und konserviert. Gleichzeitig kam die hart umkämpfte „Unterwalden“ auf dem Vierwaldstättersee in die Luzerner Werft zur rettenden Renovation. Der vorher ausgetragene, legendäre Kampf in Luzern hatte die Kärntner ermutigt, eine ebenso umfassende Renovation mit der „Thalia“ zu realisieren. Bürgermeister Guggenberger gelangte zu diesem Zweck an den damaligen Präsidenten der Dampferfreude Luzern, Hermann Heller. So ergab das eine das andere und was man zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnte: nach der „Unterwalden“ soll das „Herz“ des Dampfers Thalia in der gleichen Luzerner Werft bald renoviert werden…
1986 fasste Florian Pausch, heute einer der Kapitäne der „Hohentwiel“, die „Grosswetterlage“ in der Dampferzeitung wie folgt zusammen1: „Durch die grossen Kriegsverluste und die Mangeljahre nach dem Zweiten Weltkrieg setzte das Dampfersterben in Österreich relativ früh ein und erreichte in den späten Sechzigerjahren, also zu einer Zeit, in der man sich des kulturellen und ideellen Wertes eines Dampfschiffes noch nicht bewusst war, seinen Höhepunkt. Da es in Österreich ausser auf der Donau und auf dem Bodensee damals keine wirklich grossen Einheiten gab, waren bald bis auf wenige Einzelstücke alle Dampfschiffe von den Seen und der Donau verschwunden.“ Das heisst: in Klagenfurt erkannten jetzt die Stadtväter, dass ihr Schraubendampfer zu einem weltweit anerkannten Juwel werden könnte.
Seit 1988 fährt die «Thalia» in ihrer vierten Erscheinungsform: Im Gegensatz zum ersten «Kleid» 1909 tritt der Schaubendampfer hell in Erscheinung. Der ursprünglich höhere Kamin und der Verzicht auf die störende Werbung wären noch tolle Optimierungsmöglichkeiten.
Der ehemaliger Salon 1. Klasse befindet sich im Vorschiff. Auf den Kursfahrten ist das kulinarische Angebot bescheiden.
Blick in den gepflegten Maschinenraum der «Thalia» mit ihrer stehenden Zweizylinder-Zwillingsdampfmaschine
Endstation in Klagenfurt/See nach der beliebten Sonnenuntergangsfahrt mit feinem Buffetangebot
Die Stimmung auf dem Dampfer bei der kulinarischen Sonderfahrt Captain’s BBQ ist festlich und gediegen; im Hintergrund Maria Wörth.
Der Dampfer gehört zu einer Flotte von drei grossen Einheiten (im Bild v.l.n.r. MS Klagenfurt, MS Kärnten und DS Thalia) und drei kleineren Schiffen.
Auch wenn er selten fährt: der Schraubendampfer Thalia ist mit Abstand das schönste Schiff auf dem Wörthersee.
Bilder im Textteil: Das Aussehen I der „Thalia“ mit schwarzer Schale um 1910
Das Aussehen II mit weisser Schale und dem Namenzug „Klagenfurt“ um 1930
Aussehen III mit technokratischem Steuerhaus um 1970
Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.
Hinweise
2) Nach Wikipedia ist die Wörthersee-Architektur ein Mix zwischen Jugendstil und Regionalromantik, zwischen Barock und englischer Landhausarchitektur, die ganz typisch nur rund um den Wörthersee eine Einheit bildet, resp. bis vor Kurzem gebildet hat. Spekulationen und ein larger Umgang mit Bauvorschriften (lt. ORF) führten in den letzten Jahren zum fast vollständigen Verlust dieser Baukultur.
3) Der Name Thalia kommt aus der griechischen Mythologie und ist die Göttin der Unterhaltung, der Komödie, des Theaters. Ausserdem dient der Frauenname auch für einen Asteroiden, eine Buchhandelskette, je für eine Pflanzen- und Tiergattung sowie unter anderem zahlreiche Theaterhäuser. Nebst dem Wörthersee-Dampfer gab es noch zwei andere berühmte Schiffe: ein Kreuzfahrtschiff des Österreichischen Lloyd mit Baujahr 1886 und ein französisches Forschungsschiff (1978).
Allgemeiner Hinweis
Der Anfangs Jahr jeweils erschienene Medienbericht über die Änderungen und Neuerungen der Schiffs-Angebote für die kommende Saison entfällt dieses Mal. Die Planungsunsicherheit wegen den behördlichen Massnahmen im Zusammenhang von Covid-19 ist dermassen gross, dass zur Zeit leider keine seriösen Aussagen über die Angebote im 2021 gemacht werden können.
Quellen
1) Florian Pausch, in DZ 1/86 S. 37
4) Hansgeorg Prix „Schiffahrt auf dem Wörthersee“ 1988, Heyn-Verlag
Weiter im Text
DZ 4/2009 S 13ff – Severin Schenner „100 Jahre Dampfschiff Thalia“
„Einmal Velden bitte“ historischer Bildband – Hansgeorg Prix, Heyn-Verlag – Klagenfurt 2016
Impressum
Text und Bilder 1 – 5 H. Amstad
Bilder im Textteil Archiv S. Schenner
Bilder 6 und 7 zvg
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