Seit 150 Jahren beliebt: die erste Post­karte begann 1869 ihren Siegeszug

Im 2019 feiert die Post­karte ihr 150-Jahr-Jubiläum. Sied­lungs­for­scher, Ver­kehrs­fach­leute, His­to­riker und Inter­es­sierte für Ver­gan­genes finden heute span­nende Infor­ma­tionen aus diesen Klein­for­mat­bildern. Gross ist die Fas­zi­nation, Post- und Ansichts­karten zu sammeln, obschon die Anzahl der selber geschrie­benen und erhal­tenen Post­karten in den letzten 20 Jahren kleiner geworden ist. Ich freue mich aber sehr über jede ankom­mende Ansichts­karte und selber schreibe ich jährlich einige Dutzend an Freunde und Bekannte. Der Aufwand ist zwar einiges grösser als schnell per WhatsApp, Instagram, Threema & Co., ein Bild zu senden oder zu posten. Doch ich schätze die indi­vi­duelle Note und Ver­lang­samung in unserer hek­ti­schen Welt, min­destens in den Ferien.

Das Schreiben einer Ansichts­karte ist heute ein Symbol der Ent­schleu­nigung. Die Ent­stehung aber war das Gegenteil: Mitte des 19. Jahr­hun­derts ver­langten stärkere Han­dels­be­zie­hungen und auf­kom­mende Märkte nach einem schnellen und effi­zi­enten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mittel. Der Brief als bislang ein­ziges Ver­stän­di­gungs­mittel konnte mit den schnellen Maschinen in den Fabriken und Ver­kehrs­mitteln nicht mehr mit­halten. Die öster­rei­chische Post war weltweit die erste, die im Oktober 1869 die damals genannte «Cor­re­spon­denz­karte»* erlaubte. Der Erfolg war durch­schlagend: im ersten Monat wurden 1,5 Mil­lionen Post­karten ver­kauft. Das neue Medium wurde 1870 auch in der Schweiz zuge­lassen und vier Jahre später in ganz Europa.

In der gleichen Zeit pas­sierten in der Schiff­fahrt vier prä­gnante Ereig­nisse: Am 22. Februar 1869 eröffnete die schwei­ze­rische Nord­ostbahn zusammen mit der würt­tem­ber­gi­schen Staatsbahn den Tra­jekt­verkehr zwi­schen Romanshorn und Fried­richs­hafen**. Im gleichen Jahr wurde mit dem Schrau­ben­dampfer Ida der erste Schiff­fahrts­be­trieb auf dem Attersee gegründet***. Am 20. Dezember des Jahres 1869 explo­dierte der Kessel auf dem Rad­dampfer Rheinfall nach der Abfahrt in Ber­lingen im Untersee. Und mit Wirkung auf den 1. Januar 1870 fusio­nierten die Knörrsche Schiff­fahrts­ge­sell­schaft und die Post­dampf­schiff­ge­sell­schaft zur Ver­ei­nigten Dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft auf dem Vier­wald­stät­tersee, der Vor­läu­fer­ge­sell­schaft der heu­tigen SGV.

Solche Ereig­nisse fanden nun in Form der Post­karten eine schnelle Ver­breitung. Die kurzen Bot­schaften fanden nicht nur im Geschäfts­verkehr beliebte Ver­wendung. Auch privat kamen sie ver­stärkt in den Einsatz: von der Post täglich mehrmals (!) zuge­stellten Karten erlaubten es, private Anlässe und Ver­ab­re­dungen am gleichen Tag zu koor­di­nieren. So liegt eine «Carte Postale» (mit dem Sujet DS Schwyz) vor mir, die in Gersau am 16. August 1903 um 6 Uhr abends los­ge­schickt wurde und am gleichen Tag zwei Stunden später in Weggis aus­ge­tragen wurde (mit Aus­trags­stempel), fran­kiert mit einer Marke von 2 Rappen. Eine andere Post­karte (mit DS Ger­mania und DS Stadt Basel vor Weggis) ver­liess am 29. Juli 1908 abends um 5 Uhr Weggis und kam am andern Morgen um 8 Uhr im nord­fran­zö­si­schen Meuse in Frank­reich an (Aus­trags­stempel), Fran­katur 10 Rappen. Die Post­karte löste auch eine kleinere soziale Revo­lution aus: das schnör­kellose Medium eröffnete auch bil­dungs­fernen Men­schen an der schrift­lichen Kom­mu­ni­kation teil­zu­nehmen. Denn zur gleichen Zeit erlernte auch die breite Bevöl­kerung das Lesen und Schreiben.

Dazu kam eine neue Ent­wicklung, nämlich das Konzept «Freizeit». Anfänglich nur am Sonntag (Schweizer Fabrik­ge­setzt 1877) und später in mehr­tä­gigen «Ferien» schwärmten die Men­schen aus auf Schiffe, Berge oder in Gast­häuser. Es gehörte nun zum Prestige, «sofort» von jedem Erlebnis zu berichten. Zehn Jahre nach der Ein­führung der Post­karte kam aus dieser Ent­wicklung heraus die Ansichts­karte auf: ab 1880 gab es Post­karten mit Bildern. Anfänglich beauf­tragten Ansichts­kar­ten­verlage Künstler und Litho­grafen Ent­würfe für ihre Ansichts­karten zu gestalten. Später kam das Bild­ma­terial übli­cher­weise von Foto­grafen, wie es auch heute noch der Fall ist. Die neue Mög­lichkeit, Reisen zu unter­nehmen, löste einen rie­sigen Ansichts­karten-Boom aus, die Aus­flügler wollten von jedem Erlebnis sofort berichten – schon damals.

Anfänglich war es nur erlaubt, auf der (Bild-) Vor­der­seite eine Mit­teilung zu schreiben; die Rück­seite der «Carte postale» war «nur für die Adresse» bestimmt. Vor mir liegt eine weitere Ansichts­karte mit dem Post­stempel aus dem Jahr 1905, auf der sowohl auf der Vor­der­seite ein breiter weisser Rand für «Cor­re­spondance» zur Ver­fügung steht wie auch auf der linken Hälfte der Rück­seite, wie es noch heute üblich ist. Aber hier durfte nicht für überall etwas geschrieben werden. Unüber­sehbar steht gedruckt: «Zulässig in der Schweiz, Frank­reich, Italien, Por­tugal, Rumänien, Bra­silien und Luxemburg.»

Die Schweizer Post beför­derten im Jahr 1913 112,5 Mil­lionen Ansichts­karten – das waren über 300 000 täglich. Zeit­kri­tiker warnten: Dieser «Ansichts­kar­ten­sport» sei eine Gefahr für die Gesundheit der dau­er­ge­hetzten Brief­träger und des ganzen Volkes. Denn «anstatt das Geld in eine gute Mahlzeit zu inves­tieren, gebe es die ärmste Magd für diesen Ansichts­kar­tenwahn aus…»**** Durch die Ein­führung der Tele­fonie um 1920 verlor die Ansichts­karte Reiz und Schrecken. Die Geschäftswelt griff nun zum Hörer und nicht mehr zum Stift. Privat aber hatte bis zur Ein­führung von SMS und den digi­talen Social­medien eine unge­bro­chene Fas­zi­nation. Das retro­spektive Sammeln von Ansichts­karten wurde erst vor rund 50 Jahren ab dem Ende der 1970er Jahre populär und es ent­stand ein Markt für alte Ansichts­karten. Das Sammeln und Erfor­schen von Post- und Ansichts­karten wird als Phi­lo­kartie bezeichnet.

Die Illus­tra­tionen zum (B)Logbuchbeitrag stammen alle aus Weggis. Der Kurort war zusammen mit Hundert andern in der Schweiz ein grosser tou­ris­ti­scher Hotspot, weshalb auch die Anfänge der Ansichts­karten ent­spre­chend gut doku­men­tiert sind. Sied­lungs­for­scher erkennen auf der ersten Karte den «Obst­garten» Weggis, Schiffs­fach­leute eine der sel­tenen Auf­nahmen des Glatt­deck­dampfers Wilhelm Tell (I) im Bau­zu­stand 1899 – 1908 (Verlag Wehrli AG, Kilchberg, Karte gelaufen am 23. 08.1912). (Bild 1 Archiv R. Knöpfel)

DS Unter­walden im Urzu­stand ver­lässt Weggis (Verlag E. Goetz Luzern, Post­stempel 16.9.1904).

DS Ger­mania und DS Stadt Basel kreuzen sich vor Weggis, im Hin­ter­grund die zahl­reichen, idyl­li­schen Hotel­an­lagen (Verlag Wehrli Kilchberg, gelaufen am 29.7.1908).

DS Stadt Luzern (II) war dazumal ein Schiff der Super­klasse und ent­spre­chend ein viel foto­gra­fiertes Sujet für Ansichts­karten. Als Koh­le­fresser war das Schiff aber der­massen unwirt­schaftlich, dass es nach bloss 30 Jahren dem Schnei­de­brenner geopfert wurde (Verlag W. Zim­mermann-Strässler Luzern 25.5.1908).

DS Ger­mania vor dem Hotel Post und Ter­minus im Son­nen­licht, Verlag Wehrli Zürich 25.7.1916.

DS Schwyz ver­lässt den Kurort im Gegen­licht, Pict. J. Gaberell Thalwil 24.7.1928.

DS Gallia mit dem ersten gemischt geschlecht­lichen Strandbad der Schweiz (Post­stempel 10.7.1933). (Text und übrige Bilder Sammlung H. Amstad).

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Bemer­kungen

*) Bereits am 27. Februar 1861 wurde in den Ver­ei­nigten Staaten erlaubt, gedruckte Karten zu ver­senden, aller­dings aus­schliesslich für pri­vaten Gebrauch. Der Name «Post­karte» wurde durch die deutsche Post 1872 eingeführt.

**) Dieses Jubiläum wird am Wochenende vom 4./5. Mai 2019 aus­führlich gefeiert Link.

***) Geschichte Attersee-Schiff­fahrt in Schiff­pedia der Schiffs-Agentur Link

****) Quelle Claudia Mädler, NZZ vom 25.1.2019

Zu den Verlagen

Um die Jahr­hun­dert­wende ent­stand in Genf, Inter­laken, Luzern, Zürich und anderen Orten ein ren­tables Ansichts­kar­ten­ge­werbe. Bei der unvoll­stän­digen Auf­zählung fol­gender Ver­lags­häuser beschränke ich mich auf Vier­wald­stät­tersee-Sujets bis 1916: Edition Pho­toglob Zürich, Wehrli-Verlag Kilchberg-Zürich (die beiden schlossen sich später zusammen), Edition Gug­genheim Zürich, W. Zim­mermann-Strässler Luzern, Verlag Glo­be­trotter Luzern, Verlag Th. Ritschi Luzern, Edition Illus­trato Luzern, F. Beeler Brunnen, Walter Marty & Co Herisau, Gebr. Wild­haber Wal­len­stadt, Karl Engel­berger und Sohn Stans, J. Gabe­relle Thalwil, R.E. Cha­pallaz fils Lau­sanne, Per­rochet Lau­sanne, Kunst-Anstalt Fro­benius Basel, Louis Glaser Leipzig, Dr. Trenkler Leipzig und andere.

Sehr schöne Schiffs­sujets pro­du­zierten die E. Goetz Kunst­an­stalt Luzern, Edm. Neu­hauser Luzern und Charnaux Frères & Co Genève, die vor allem von Beckenried aus her­vor­ra­gende und authen­tische Schiffs­auf­nahmen der DGV editierten.

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