SS Rot­ter­dam als schwim­men­des Hotel im Stil der 50-er-Jahre.

Kreuz­fahr­ten auf Meer­schiffe begeis­tern mich nor­ma­ler­weise weni­ger. Es gibt aller­dings Aus­nah­men: die Hur­tig­ru­ten in Nor­we­gen haben es mir ange­tan, aber auch die Fahrt durch den Suez­ka­nal mit der „C. Colum­bus“ ist mir in guter Erin­ne­rung. Eine wei­tere Aus­nahme ent­de­cke ich bei mei­nem Besuch am dies­jäh­ri­gen Dordt in Stoom. Ich über­nachte wäh­rend mei­nes mehr­tä­gi­gen Auf­ent­hal­tes auf dem legen­dä­ren Luxus­li­ner Rotterdam*.

1955 wurde mit dem Bau von SS Rot­ter­dam begon­nen, zu einer Zeit, wo das Ende der Oze­an­rie­sen als Trans­port­mit­tel bereits vor­aus­seh­bar war. So soll­ten ver­schie­dene bau­li­che Vor­keh­run­gen einen spä­te­ren Umbau in ein Kreuz­fahrt­schiff ohne gros­sen Auf­wand ermög­li­chen. Die Werft Rot­ter­dam­sche Droog­dok Maats­ch­ap­pij (RDM) befand sich in Sicht­weite des heu­ti­gen Stand­plat­zes der «Rot­ter­dam» – aber nach dem Ende der tra­di­ti­ons­rei­chen Werft in den Neun­zi­ger­jah­ren ist an die­ser Stelle 2009 eine For­schungs­ab­tei­lung der Hoch­schule ent­stan­den. Diese Werft baute mit der Bau­num­mer 300 das in Hol­land grösste Schiff. Die Länge spüre ich täg­lich: meine Kabine ist die letzte am Heck – zum im Mit­tel­schiff gele­ge­nen Trep­pen­haus wandle ich jeweils über 100 Meter durch Gänge.

Am 13. Sep­tem­ber 1958 wurde SS Rot­ter­dam mit einem Beil­schlag auf das Sta­pel­lauf­seil durch die nie­der­län­di­sche Köni­gin Juliana zu Was­ser gelas­sen**. Alles, was in Hol­land an Fach­kräf­ten Rang und Namen hatte, baute am Schiff mit: vom Inge­nieur über den Archi­tek­ten bis zur künst­le­ri­schen Aus­ge­stal­tung. Der damals auf Schif­fen oft ver­wen­dete Zweitakt-Die­sel­mo­tor erach­tete man als ver­al­tete Tech­no­lo­gie – so setz­ten die Tech­ni­ker auf Dampf­tur­bi­nen. Ich besu­che in Beglei­tung eines pen­sio­nier­ten Maschi­nis­ten sein ehe­ma­li­ges Impe­rium. Der Rund­gang dau­ert über eine Stunde – fas­zi­niert bin ich, dass auch die vier Strom­ge­ne­ra­to­ren mit einer Leis­tungs­ka­pa­zi­tät von je 1350 kW aus­schliess­lich mit Dampf ange­trie­ben wur­den. Der rüs­tige Pen­sio­när Jim Luteyn kennt hier jede Schraube – er macht nun als Volon­tär Füh­run­gen und ergänzt: «Aus­ser­dem tref­fen sich jeden Mitt­woch Ehe­ma­lige und Freunde von SS Rot­ter­dam, um ehren­amt­lich das Schiff in den nicht kom­mer­zi­el­len Berei­chen in Stand zu hal­ten.» Sie betrei­ben an Bord auch ein klei­nes Museum, das auf der Füh­rung eben­falls zu besich­ti­gen ist.

Am 3. Sep­tem­ber 1959 war die Jung­fern­fahrt auf ihrem zukünf­ti­gen Stamm­kurs Rot­ter­dam – New York. Zehn­tau­sende von Emi­gran­ten aus Ost- und Mit­tel­eu­ropa kehr­ten mit die­sem und andern Schif­fen aus wirt­schaft­li­chen Grün­den der Hei­mat den Rücken zu, um in der Neuen Welt ihre Exis­tenz auf­zu­bauen. Auch aus der Schweiz war die Aus­wan­de­rung, wie der Begriff des Wirt­schafts­flücht­lings damals hiess, für viele der letzte Aus­weg aus der Armut. Umweit von SS Rot­ter­dam besu­che ich jedes Mal, wenn ich in die­ser Stadt bin, das heu­tige Hotel New York. Es war der ehe­ma­lige Haupt­sitz der «Hol­land Ame­rika Lijn», also der Ree­de­rei von ihrem Flagg­schiff Rot­ter­dam. Ein geschichts- und emo­ti­ons­träch­ti­ger Ort, der viele Men­schen in sei­nen Bann zieht. Ohne Tisch-Reser­va­tion fin­det man kei­nen Platz zum Essen im Restau­rant. In unmit­tel­ba­rer Nähe ragen in statt­li­cher Anzahl 140 Meter hohe Wol­ken­krat­zer in den Him­mel, dadurch erscheint die­ses statt­li­che Gebäude heute niedlich.

Die Sech­zi­ger­jahre brach­ten den Wohl­stand nach Europa. Die Aus­wan­de­rung war kein Thema mehr, das Flagg­schiff der Ree­de­rei wurde 1969 vom Trans­port­schiff in ein Kreuz­fahrt­schiff umge­baut. 1997 war das Schiff für die Ree­de­rei ver­al­tet und die Kund­schaft hatte ver­mehrt andere Bedürf­nisse. SS Rot­ter­dam wurde an die ame­ri­ka­ni­sche Ree­de­rei Pre­mier Crui­ses ver­kauft und in «Rem­brandt» umge­tauft. Nach bloss drei Jah­ren geriet die Gesell­schaft in finan­zi­elle Schief­lage. 2003 kauft die nie­der­län­di­sche Dampf­schiff­fahrt Rot­ter­dam BV das Schiff und tauft es wie­der auf den Namen Rot­ter­dam. Noch im glei­chen Jahr geht es in das Eigen­tum des Unter­neh­mers Joep van den Nieu­wen­huy­zen über, dies mit Unter­stüt­zung des Hafen­be­trie­bes Rot­ter­dam. Eine geplante Asbest­sa­nie­rung erweist sich als zu teuer. Dar­auf­hin kauft die Rot­ter­da­mer Haus- und Inves­ti­ti­ons­firma Woon­bron das Schiff. Es kam dann in Cadiz 2005/06 auf Dock, um es trans­port­fä­hig zu machen in Rich­tung Polen. Dort sollte diese Asbest­sa­nie­rung statt­fin­den, was aber die pol­ni­sche Regie­rung nach Ankunft des Schif­fes ver­bo­ten hat.

So kam die „Rot­ter­dam“ nach Wil­helms­ha­ven, wo über 5 000 t Asbest mit gros­sem Auf­wand ent­fernt wur­den. Seit dem 4. August 2008 liegt nun der Damp­fer in sei­ner alten Schön­heit wie­der in Rot­ter­dam. Bis zur Eröff­nung am 15. Februar 2010 muss das Schiff noch viele „Stürme“ und Rück­schläge über­ste­hen. Anfäng­lich betrieb Woon­bron das Hotel, was sich aber nicht bewährte: 250 Mil­lio­nen Euro ver­schlan­gen Umbau sowie Fehl­wirt­schaft und bra­chen der Wohn­bau­ge­sell­schaft fast das Genick. Offen­bar war das Betrei­ben eines schwim­men­den Hotels anspruchs­vol­ler als das Ver­mie­ten von Woh­nun­gen. Der Maschi­nist Luteyn bestä­tigt es mit Nach­druck: «Ohne Woon­bron gäbe es kein SS Rot­ter­dam mehr!» Am 2. Novem­ber 2012 über­nimmt die Hotel­kette West-Cord das Schiff und bringt es in kur­zer Zeit auf Erfolgs­kurs. An „mei­nem“ Rot­ter­da­mer Weekend sind die 254 Kabi­nen ausgebucht.

Der Auf­ent­halt an Bord ist für mich ein Erleb­nis, ich bin sozu­sa­gen sel­ber ein «Kind» der Fünf­zi­ger­jahre. Meine Eltern fuh­ren damals in Grün­der­stim­mung einer Fami­lie zu Vic­to­ria-Möbel Baar und rich­te­ten die Woh­nung dem Zeit­geist ent­spre­chend ein. 20 und mehr Jahre spä­ter waren die For­men, Far­ben und Mate­ria­li­sie­rung bereits wie­der «out». Dass SS Rot­ter­dam nie umge­baut wurde ist aus heu­ti­ger Sicht ein gros­ser Glücks­fall. Den älte­ren Besu­chen­den geht es wie mir: sie erle­ben ein «Déjà vue» und das macht ein­fach nur Freude. Jün­gere «flip­pen aus» über ein Stück Innen­ar­chi­tek­tur in Rein­kul­tur. Es lohnt sich, das Schiff im Detail zu stu­die­ren und zu wür­di­gen, auch wenn es Stun­den und meh­rere Durch­gänge braucht.

SS Rot­ter­dam liegt an der Katen­d­rechtse Hoofd süd­lich des Euro­mas­tes und Süd­west­lich vom Bahn­hof gelegen.

An Bord geniesst man eine schöne Sicht auf die Nieuwe Maas.

Das Schiff kann in Fest­sä­len und Restau­rants bis zu 4000 Leute aufnehmen.

Die Füh­run­gen mit dem Audio­ge­rät und frü­he­ren Ange­stell­ten wie hier mit dem Maschi­nis­ten Jim Luteyn sind sehr infor­ma­tiv und empfehlenswert.

Sie kön­nen auch gebucht wer­den ohne Über­nach­tung und Kon­su­ma­tion und kos­ten rund 16 Euro.

Hun­derte von Kunst­werke und eine fein restau­rierte Innen­ge­stal­tung machen den Auf­ent­halt zum Erlebnis.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Hin­weise

*) SS Rot­ter­dam ist vom Bahn­hof aus auf zwei Wegen gut erreich­bar. Ent­we­der mit der U‑Bahn Rich­tung Slinge resp. De Akkers bis zur Sta­tion Rijn­ha­ven. Dort steigt man in den Bus 77 um Rich­tung SS Rot­ter­dam (End­sta­tion) – der Bus fährt häu­fig. Oder: man läuft bis zum Mari­tim-Museum (15 Minu­ten) und nimmt dort für fünf Euro das Was­sertaxi direkt zum SS Rot­ter­dam – Bestell­num­mer +31 104 03 03 03.

**) Dazu gibt es einen sehens­wer­ten Kurz­vi­deo: Link

Videos: Es gibt zahl­rei­che Film­bei­träge über SS Rot­ter­dam. Hier eine emp­feh­lens­werte Aus­wahl: Bau des Schif­fes Teil 1 Link, Teil 2 Link, Asbest­sa­nie­rung In Wil­helms­ha­ven Link, Kunst an Bord Link

Quel­len

Text und Bil­der H. Amstad.

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