Swiss Radar in Hünenberg: bedeu­tender Fabri­ka­ti­ons­standort für Schiffs­radare der Bin­nen­schiff­fahrt in Europa

Kommt in Gesprächen mit Schiffs­führern das Thema Radar* aufs Tapet, dann gibt’s nur eines: Swiss-Radar. Kommen Fragen auf, welches neue Radar­gerät auf ein Schiff zu mon­tieren ist, bekomme ich von überall her nur eine Antwort zu Gehör: Swiss-Radar. Sind Schiffler alles Patrioten oder steckt mehr dahinter als bloss «Hei­mat­schutz»? Lange habe ich das nicht ver­standen, gibt es doch auch noch andere Fabrikate und vor allem güns­tigere Pro­dukte auf dem Markt zu kaufen. Zusammen mit acht Schiffs­führern der Schiffs-Agentur konnte ich nun die Fabri­kation der Swiss-Radar kennen lernen. Und am Schluss der zwei­stün­digen und kom­pe­tenten Führung begreife ich nun, warum diese Geräte bei allen Schiffs­führern und Schiffs­be­trieben so hoch «im Kurs» sind, notabene auch bei Kapi­tänen aus ganz Europa.

Werner Risi und Peter Mühlherr – sie bilden zusammen mit Elmar Sta­delmann die Geschäfts­leitung der Firma JFS Elec­tronic Sturtzel + Co – emp­fangen uns in ihrem Pro­duk­ti­ons­standort im Indus­trie­quartier Bösch in Hünenberg, Kanton Zug. Zumindest von der Dach­ter­rasse aus hat man Blick auf den Zugersee. Peter Mühlherr: «Gegründet wurde die Firma im Jahr 1965. Das Haupt­tä­tig­keits­gebiet war von Beginn an die Ent­wicklung und Pro­duktion von Navi­ga­ti­ons­ge­räten für die Schiff­fahrt. Fir­men­gründer Jorg F. Sturtzel**, dessen Initialen der Firma den Namen geben, ent­wi­ckelt und pro­du­ziert 1966 in einer kleinen Fabri­ka­ti­ons­halle neben seinem Wohnhaus in Buonas das erste eigene Schiffsradargerät.»

Die Geräte unter dem Label Swiss Radar erlangen auf Grund ihrer Prä­zision und Lang­le­bigkeit schnell einen guten Ruf. Die Firma JFS Elec­tronic hat mit viel Erfin­der­geist und Taten­drang tech­nische Neue­rungen im Bereich der Schiffs­na­vi­gation vor­an­ge­trieben. Mühlherr: «Im Schnitt alle 10 Jahre haben wir ein neues und ver­bes­sertes Produkt auf den Markt bringen können, ohne den Service ver­gan­gener Geräte zu ver­nach­läs­sigen. Noch heute haben wir im Keller Ersatz­teile für 30-jährige Geräte. Obwohl das von der tech­ni­schen Ent­wicklung her kaum mehr Sinn macht, solche Geräte noch zu repa­rieren, ist uns das Thema Nach­hal­tigkeit enorm wichtig.» Im Jahre 2005 übergibt Jorg F. Sturtzel die Firma seinen lang­jäh­rigen Mit­ar­beitern Werner Risi, Peter Mühlherr und Elmar Sta­delmann, welche die Firma seither in seinem Sinne wei­ter­führen. Seit 2010 pro­du­ziert und ent­wi­ckelt die Firma am neuen Pro­duk­ti­ons­standort in Hünenberg.

Eine der wenigen Radar­her­steller in Europa

In dieser Zeit­spanne ist eine Her­stel­ler­firma für Radar­geräte nach der anderen ver­schwunden, sodass heute neben JFS nur noch wenige in Europa solche Geräte für Bin­nen­schiffe her­stellen. Werner Risi: «Viele, der andern, in Europa käuf­lichen Geräte, stammen aus Japan und China.» Wie erwähnt punkten die Zuger mit Nach­hal­tigkeit und Qua­lität. Aber auch ein guter, euro­pa­weiter Service und die Mög­lichkeit, indi­vi­duell auf spe­zielle Kun­den­wünsche ein­zu­gehen, kom­pen­sieren den höheren Preis gegenüber den Fernost-Pro­dukten. Wir betreten den Raum, wo die elek­tro­ni­schen Kom­po­nenten her­ge­stellt und ver­lötet werden, die dann im Rechner ein­gebaut werden. Über 20 Gehäuse stehen bereit. Peter Mühlherr: «Das Auf­trags­vo­lumen ist gut. Mit ins­gesamt 10 Leuten pro­du­zieren wir im Jahr rund 120 Geräte. Da wir weg­weisend sind für die Wei­ter­ent­wicklung der Navi­ga­ti­ons­technik in der Bin­nen­schiff­fahrt blicke ich mit Opti­mismus in die Zukunft.» Ein Ausbau der Firma schliesst er nicht aus.

Zu den USP gehören unter anderem, dass die JFS alle Software selber ent­wi­ckelt, auch die Gewäs­ser­karten selber her­stellt und auf ihr Navi­ga­ti­ons­system umrechnet. Auf der mecha­ni­schen Seite ent­steht rund 2/3 eines Gerätes vor Ort. Dazu besich­tigen wir die mecha­nische Werk­stätte, die Malerei und die Motoren-Werk­statt. Auch das Herz­stück des Radar­ge­rätes, der Schlitz­strahler, der im Inneren des sicht­baren Rotors geschützt vor Wind und Wetter die elek­tro­ma­gne­ti­schen Wellen aus­sendet und nach der Reflexion des Hin­der­nisses auch wieder emp­fängt, wird hier vor Ort mecha­nisch her­ge­stellt. Der mit unter­schiedlich-abge­win­kelten Ritzen ver­sehene Stab sieht auf den ersten Blick ent­täu­schend simpel aus, dahinter stecken aber phy­si­ka­lische Raf­fi­nessen. Damit die Strahlen stö­rungsfrei gesendet und emp­fangen werden, ist der Alu­minium-Stab fein­säu­berlich geschliffen und poliert – kein Fremd­körper darf den Transport zum Emp­fänger und Sender stören. Mühlherr: «Die zurück­ge­wor­fenen Strahlen sind der­massen schwach, dass wir da an der Grenze der Physik arbeiten. Hoch­sen­sible Emp­fänger über­setzen in einem kom­plexen System die Fre­quenzen in ein Bild, das dann auf dem Radar­schirm erscheint.»

Strah­len­schutz gewährleistet

Zu einem Radar­gerät gehören haupt­sächlich vier Kom­po­nenten: Für den Fahrgast das offen­sicht­liche Teil ist die rotie­rende Antenne, die sich in einem geschützten Alu­kasten befindet (1). Im dar­unter lie­genden Antriebs­motor hat es zugleich den Sender und Emp­fänger der elek­tro­ma­gne­ti­schen Wellen (2). Schliesslich werden die reflek­tierten Strahlen in einem Com­puter (3), der meist im Steu­erhaus steht, ver­ar­beitet, um sie dann auf dem Bild­schirm (4) dar­zu­stellen. Der Sender gibt 3000 Impulse pro Sekunde ab. In der y‑Achse (also in der Höhe) gehen die Impulse in einem 20° Winkel raus, in der x‑Achse (also in der Breite) in einem Winkel von bloss 0,9°. Werner Risi: «Mehr braucht es nicht, da ja der Sender und Emp­fänger rotiert und somit 360° erfasst.»

Wer unmit­telbar vor einem ein­ge­schal­teten und nicht rotie­renden Sender steht, bekommt da, wie bei jeder anderen Sen­de­anlage, schon eine Portion Strahlung ab. «Die Strah­len­dosis nimmt aber mit der Distanz enorm ab, mathe­ma­tisch gerechnet um die 4. Wurzel. Ab 50 cm Distanz ist die Strah­len­be­lastung kleiner als beim Tele­fo­nieren am Ohr, in Distanz der Pas­sa­giere und Ange­stellten sind die Wellen gesund­heitlich beden­kenlos, ver­gleichbar mit den mitt­leren Radio­wellen», räumt Peter Mühlherr ein. Den vom Objekt zurück gewor­fenen Wellen können mit Hilfe der von JFS ent­wi­ckelten Software fol­gende Infor­ma­tionen ent­nommen werden: der Winkel und damit die Richtung zum Objekt, die Ent­fernung zum Objekt (aus der Zeit­ver­schiebung zwi­schen Senden und Emp­fangen) und die relative Bewegung zwi­schen Sender und Objekt. Das Anein­an­der­reihen ein­zelner Mes­sungen liefert die Weg­strecke und die absolute Geschwin­digkeit des Objektes. Diese Infor­ma­tionen können dann auf dem Bild­schirm dar­ge­stellt und mit geo­gra­fi­schen Karten über­lagert werden.

Die Ent­wicklung des Radars geht auf Heinrich Hertz zurück, der 1886 expe­ri­mentell elek­tro­ma­gne­tische Wellen nach­weisen konnte. 1904 pro­du­zierten deutsche Tech­niker den ersten Radar. Zur wesent­lichen Nutzung hat dann das Militär in Deutschland, England und Russland im 2. Welt­krieg bei­getragen. Für die zivile Schiff­fahrt ent­wi­ckelte Tele­funken zwi­schen 1955 und 1957 Radar­geräte. Vorher fuhren die Schiffe nachts und bei schlechter Sicht aus­schliesslich mit Hilfe des Kom­passes (Richtung), der Uhrzeit (Dauer der Fahrt zur Richtung x) und dessen Angaben im Logbuch (inkl. Tou­renzahl des Motors). An Land halfen Leucht­feuer und Glocken.

Bevor der Radar Einzug hielt: Jede ein­zelne Weg­strecke war im Kom­passbuch ein­ge­tragen und bei schönem Wetter regel­mässig kon­trol­liert (hier am 31.10.2001 durch Leo Camenzind auf MS Titlis).***

Bekannt ist die phy­si­ka­lische Erscheinung der Reflektion auch aus der Akustik. Fle­der­mäuse sehen nahezu nichts. Sie sind aus­schliesslich nacht­aktiv. Sie senden akus­tische Signale im Ultra­schall­be­reich aus. Die reflek­tierten Töne ermög­lichen ihnen blitz­artig, ihr Fliegen zu steuern und auch flie­gende Insekten für ihre Nahrung mil­li­me­ter­genau zu orten. In der Schiff­fahrt gibt es noch eine weitere Anwendung der Distanz­messung durch Reflektion: das Echolot. Hier sind es akus­tische Wellen, die zur Messung von Was­ser­tiefen dienen. Gemessen wird die Zeit, die zwi­schen der Aus­sendung eines Was­ser­schalles und der Ankunft der vom Gewäs­ser­boden reflek­tierten Schall­wellen verstreicht. ****

Der Swiss-Radar steht euro­paweit im Einsatz, hier auf MS Austria des Schiff­fahrts­un­ter­nehmens BRANDNER auf der öster­rei­chi­schen Donau. Doch die Kon­kurrenz aus Japan und China ist gross.

Auf der Dach­ter­rasse des JFS-Pro­duk­ti­ons­ge­bäudes in Hünenberg steht ein impro­vi­sierter Tower. Hier wird jede aus­zu­lie­fernde Gerät­schaft nochmals einem Natural-Test unter­zogen und bereits erste Werk­ein­stel­lungen für den Kunden vor­ge­nommen. Auf dem Bild im Hin­ter­grund der Zugersee, vorne das aktuelle Standard-Angebot mit zwei Bild­schirmen, damit ver­schiedene Dar­stel­lungs­weisen gleich­zeitig betrachtet werden können.

Die zwei Geschäfts­leiter Peter Mühlherr (l) und Werner Risi (der dritte Elmar Sta­delmann fehlt auf dem Bild) leben eine gepflegte Fir­men­kultur vor: flache Hier­ar­chien, Freude an der Arbeit und ver­liebt ins Gelingen. Im Hin­ter­grund oben die fer­tigen Rotoren für die neuen Mili­tär­boote P‑16 der Schweizer Armee.

Das Militär war Treiber der Radar-Ent­wicklung. Auf dem Bild ein Swiss Radar-Gerät im Einsatz auf dem Patrouil­lenboot P‑80/98 (M+1016 Orion) der Schweizer Armee, auf­ge­nommen am Steg bei der Ein­fahrt in den Boots­hafen Hauetli bei Nie­derstad (Alpnach­ersee).

Zwei der vier Haupt­ele­mente sind auf dem Steu­erhaus der «Win­kelried» gut sichtbar: Der rotie­rende Sender und Emp­fänger, dar­unter in einer Art Schüssel der Motor mit den Sende- und Emp­fangsrein­rich­tungen. Im Steu­erhaus befinden sich der Rechner (Com­puter) und die Bildschirme.

Auf den alten Dampfern (wie hier bei DS Simplon) wirken die Dinger eher als Fremd­körper. Nach denk­mal­pfle­ge­risch gestützten Reno­va­tionen sind die Geräte etwas ele­ganter plat­ziert, manchmal auch umklappbar und zum Absenken, so dass sie nur bei Bedarf optisch in Erscheinung treten.

Bloss ungefähr ein Drittel der Ein­zel­teile wird ein­ge­kauft, der Rest pro­du­ziert die JFS vor Ort von Grund auf.

Text und Bilder 2, 3 und 7 H. Amstad, Bild 1 Brandner, Bild 4 St. Limacher, Bild 5 CGN.

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­mentar willkommen.

Hin­weise

*) Radar ist laut Google die Abkürzung für radio detection and ranging (frei über­setzt „funk­ge­stützte Ortung und Abstands­messung“) oder radio dire­ction and ranging (frei über­setzt „funk­ge­stützte Rich­tungs- und Abstands­messung“) und ist die Bezeichnung für ver­schiedene Erken­nungs- und Ortungs­geräte auf der Basis elek­tro­ma­gne­ti­scher Wellen im Radiofrequenzbereich.

**) Der Fir­men­gründer Jorg F. Sturtzel wurde 1932 in Hamburg geboren. Als junger Mann kam er in die Schweiz, wo er 1965 die Firma JFS Elec­tronic gründete. Im Laufe seiner Tätigkeit ent­wi­ckelte er zahl­reiche inno­vative Neue­rungen in der Radar­technik. Nach fast 40 Jahren erfolg­reicher Tätigkeit trat er 2005 in den Ruhe­stand. Jorg F. Sturtzel ver­starb zwei Jahre später 2007.

***) Marco Bisegger kom­men­tiert die Zahlen der Tabelle: «MS Titlis hatte mit den dama­ligen MAN-Motoren 1500 U/​min für grosse und 900 U/​min für kleine Touren. Für die heu­tigen Scania-Motoren wurden keine Kom­pass­kurse mehr auf­ge­nommen. «250″ bedeudet der Kom­pass­stand bei Abfahrt in Gersau. Danach folgt die Fahrt mit Ruder­ein­schlag 5 Grad bis auf dem Kompass 217 Grad erreicht sind. Dann Fahrt während 9 ½ Minuten bei grosse Touren (und bei schönem Wetter mit dem Fix­punkt „Restaurant Alpen­rösli“). Die 217 Grad sollten genau vor dem Bug von MS Titlis liegen. Danach mit Ruder­ein­schlag 20 Grad und kleinen Touren ein­drehen, bis 242 Grad auf dem Kompass erreicht sind.» 

****) Der Blog ist unab­hängig von Firmen-Inter­essen ent­standen. Der Besuch bei der JFS erfolgte auf Eigeninitiative.

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