Tony Zim­mermann: ein Seebär aus Vitznau erzählt aus seinem Schiffer-Leben (Teil 1)

Zum Film­abend „Flie­gende Schiffe“ benutzt die Schiffs-Agentur im letzten Sommer ein Schiff, das vor 60 Jahren die Boots­ver­mietung Zim­mermann aus Vitznau erbauen liess. Die Recherchen zum Schiff Aurora brachten mich zum „Anker-Tony“, der im Dorf auch Sie­gristen-Tony oder Schiffli-Tony heisst. Nach meinem ersten Gespräch mit Tony Zim­mermann wusste ich: da liegt mehr drin als bloss ein kleiner Abschnitt im Rei­se­be­richt. Obwohl eine Bio­grafie über ihn vor­liegt wurde die Geschichte der Zim­mermann-Flotte noch nie auf­ge­ar­beitet. Am (vor­läu­figen) Schluss meiner Recherchen sprengte es fast den Rahmen des (B)Logbuches; Material, Bilder und Anek­doten gäbe es für ein (wei­teres) Buch und für mich – redu­ziert – Inhalt für zwei (B)Logbuch-Einträge. Im ersten Teil gehe ich auf die Fami­li­en­ge­schichte des Schiffs­un­ter­nehmers ein, im zweiten dann schwer­punkt­mässig auf die Flotte unter Tony Zimmermann.

Die Anfänge des Boots­be­triebes Zim­mermann gehen zurück in die frühen Dreis­siger-Jahre des 20. Jahr­hun­derts. Tony Zim­mermann holt eine Kar­ton­kiste aus seinem Büro­schrank an der Ziehl­strasse in Vitznau, darin hat es einen Stapel Schiffs­bilder und Doku­mente: „1931 haben meine Eltern die damals bescheidene Ruder­boots­ver­mietung von Isidor Zim­mermann, einem Gross­onkel meines Vaters Walter, über­nommen. Eigentlich war es meine Mutter; sie erwarb den Betrieb, ohne ihren Gatten zu infor­mieren. Den Betrag zahlte sie in Raten ab. Der Tarif für eine Stunde mit einem ‚Schiffli‘ zu fahren betrug fünfzig bis sechzig Rappen.“ Zu den neun Ruder­booten kam 1934 ein erstes Motor­schiff namens „Nacht­schwärmer“ mit einem Aus­sen­border dazu, das 8 Per­sonen auf­nehmen konnte. „Bewil­li­gungen brauchte es keine. Ent­weder man konnte mit einem Boot umgehen oder nicht. Wenn nicht, ging man nicht aufs Wasser. Klare Ver­hält­nisse. So ent­stand die kleine Schiff­fahrts-Nation am Fuss der Rigi“, resu­miert Tony Zim­mermann aus heu­tiger Warte.

Die Welt­wirt­schafts­krise setzte dem Unter­nehmen um 1938 arg zu, aber danach erholte sich dieses erfreulich. Auch Vater Walter sah nun ein, dass die Boots­ver­mietung eine finan­ziell inter­es­sante Sache war. Der gelernte Schuh­macher war auch noch Sigrist und han­delte mit Waren. Er belie­ferte mit den eigenen Booten während harten Zeiten Restau­rants und Hotels mit Schnaps, Fleisch und anderen Gütern, die er von Ennet­bürgen übers Wasser ins Weg­giser Becken schip­perte. „Schwarz ver­steht sich. Ganz im Dienst des Frem­den­ver­kehrs ver­an­staltet er weiter an lauen Som­mer­abenden Boots-Korsos. Mit Fähnlein und Lam­pions geschmückt wurden die Boote mit­ein­ander vertäut und dann mit dem Motorboot durch die Nacht gezogen. Man sang Lieder und liess Fla­schen kreisen. Diese roman­ti­schen Aus­flüge waren bei den Gästen aus dem In- und Ausland sehr beliebt.“

Nach dem Tod von Walter Zim­mermann sen. im Jahr 1950 stand die 52-jährige Mutter Mary, geborene Gisler, mit ihren fünf Kindern alleine da, wovon zwei noch in der Lehre und der 12-jährige Tony noch schul­pflichtig waren. Er, der Jüngste, erinnert sich: „Zum oft alko­ho­li­sierten Vater hatte ich ein schwie­riges Ver­hältnis. Wir Kinder fürch­teten uns vor seinem Jähzorn.“ Der Tod kam fast einer „Erlösung“ gleich und wirkte sich anschliessend auch auf das Boots­ge­schäft aus, das sich nun pro­spektiv ent­wi­ckelte: „Der dunkle Schatten des Vaters war ver­schwunden, und man fühlte sich freier als je zuvor.“

Die Casa­novas von Vitznau

Tony Zim­mermann fand als 18-jäh­riger immer mehr Spass am “Bötlen“: „Ausser ein paar Reichen, die ihre Villen am See hatten, waren wir die ein­zigen, die Boote hatten.“ Nicht einmal die Polizei. So weckte ihn eines Tages seine Mutter, er müsse sofort mit dem Motorboot zum Strandbad fahren, ein Mann sei ertrunken. Dort ange­kommen emp­fingen ihn bereits zwei Ord­nungs­hüter. Ein Ertrun­kener schwimme draussen im See, er solle die Leiche doch holen, aber nicht berühren. „Einfach einen Strick darum und dann ziehst du ihn zu uns an Land,“ lautete die Befehls­ausgabe. Ein damals mit­ge­nom­mener Tony Zim­mermann berichtet aus der Erin­nerung: „Es schien, als stehe der Mann im Wasser, Kopf oben. Der Unglück­liche war vom ‚Känzeli‘ gesprungen, dabei hatte es ihm die Luft in die Lungen gepresst, erklärten mir die Poli­zisten.“ Ähn­liche Erleb­nisse beglei­teten Tony noch mehrfach und belas­teten ihn immer wieder, bis dann später die Polizei ein eigenes Boot bekam.

Das „Böteln“ bot aber auch Vor­teile für die Gebrüder Pius und Tony: „Als Boots­mit­be­sitzer hatte man ein paar über­zeu­gende Argu­mente, schöne Mädchen aus­zu­führen.“ Er erinnert sich gerne an diese Zeit zurück: „Die Mädchen kamen immer gerne aufs Boot. Draussen wurde der Motor abge­stellt und es wurde im Rausch der gemein­samen Lei­den­schaft nichts aus­ge­lassen.“ Es waren nicht wenige solcher Erleb­nisse: „Niemand fragte, niemand klagte über diese freien Umstände im bie­deren Ort am See. Wahrlich, die Sie­gristen-Brüder wähnten sich in dieser Zeit wie im Garten Eden. Man genoss das Leben, warf die gän­gigen Moral­vor­stel­lungen wort­wörtlich über Bord und nutzte aus­giebig alle Vor­teile, die sich wie auf dem Ser­vier­ta­blett darboten.“

Der Beginn von öffent­lichen Charterfahrten

1954 war mit dem Kauf eines „grossen“ Pas­sa­gier­schiffes ein Mei­len­stein in der Fami­li­en­un­ter­nehmung Zim­mermann zu ver­melden. Man kaufte dieses nach viel­fäl­tigen Abklä­rungen bei Luigi Gnecchi in Lugano. Auf einem spe­zi­ellen SBB-Wagon gelangte die „Albatros“ von Lugano nach Luzern, wo es ein­ge­wassert wurde. „Eigentlich war das Fahren der ‚Albatros‘ meines Bruders Walti Sache, aber ich durfte es jeweils von seinem Stand­platz in der Boots­hütte vom Hotel Vitz­nau­erhof zum Schiffsteg holen. Für damalige Zeit war es ein wirk­liches Pracht­stück,“ schwärmt Tony noch heute. 1958 baute die Firma Infanger aus Ennet­bürgen die „Albatros“ um. Dabei wurde der unzweck­mässige Ein­stieg über den Bug durch einen Sei­ten­ein­stieg ersetzt. Gleich­zeitig erhält das Schiff eine erhöhte Füh­rer­kabine und vier Sitz­plätze mehr.

Eng­lisch-spre­chende Gruppen häufen sich und die „Zim­mer­männer“ des Eng­li­schen nicht mächtig müssen Dol­met­scher anheuern. Um sich dies zukünftig zu sparen ver­lässt Tony Vitznau und reist aben­teu­er­lustig Richtung London, um sich diese Sprach­kom­pe­tenzen anzu­eignen. „London mit dem Mix eng­li­scher Exzentrik, Big-Business und swin­gender Gross­stadt war trotz Kul­tur­schock genau das Richtige zur rich­tigen Zeit für mich,“ blickt Tony zurück. Er schliesst London in sein Herz: „In London hatte ich die beste Zeit meines Lebens.“ Wenn er jeweils in Londons legen­dären Dock­lands den kleinen und grossen Schiffen zuschaute, über­legte er sich ernsthaft, die Meer­schiff­fahrt nicht nur zwi­schen Calais und Dover zu ent­decken, sondern „richtig“ zur See zu fahren. Er war aber früh in den fami­li­en­ei­genen Betrieb ein­ge­stiegen und fühlte sich dort ver­pflichtet, „zumal ich diesen fast allein führte“. Sein Bruder Pius zieht bald darauf nach Amerika, sein anderer Bruder Guido hat ein Elek­tro­ap­parate-Geschäft auf­gebaut und sein ältester Bruder Walti arbeitete zuerst als Kapitän bei der Schiff­fahrts­ge­sell­schaft Zugersee, später auf einer Bank. Die ver­schie­denen Betei­li­gungen am Fami­li­en­be­trieb waren immer noch da.

32 Jahre nach der Gründung des Boots­be­triebes Zim­mermann Vitznau kam es nach einer Aus­ein­an­der­setzung zwi­schen dem ältesten (Walti) und dem jüngsten der Brüder (Tony) wegen einer Spe­sen­ab­rechnung, die das schon länger anschwel­lende „Fass zum Über­laufen“ brachte, zu einem Bruch des Fami­li­en­be­triebes. 1968 übernahm Tony den ganzen Betrieb, „denn irgendwie hatten wir Brüder das Heu nicht mehr auf der gleichen Bühne.“ Das ganze „Zim­mermann-Imperium“ wurde nun erblich auf­ge­teilt; Tony bekam die Schiffs­ver­mietung samt den drei Schiffen und das Haus Obers­tägli, wo er später an dessen Stelle das heutige Haus Anker erbauen liess. Darin unter­ge­bracht war auch sein Rei­sebüro, das bis heute existiert.

Wie er zum Hotel Schiff kam

Tony Zim­mermann hatte 1968 die Idee, in Vitznau einen Boots­hafen zu bauen. Mit dem Argument „der Boots­hafen bringt der Gemeinde Prestige und stellt was dar, wenn man Vitznau vom See aus betrachtet,“ konnte Zim­mermann auf die poli­tische Unter­stützung zählen. Mit 35 ver­mie­teten Boots­plätzen bei der Wehri im Dorf­zentrum war das lukrativ, nur war die Lage geo­gra­fisch schlecht. Bei jedem Sturm gab es Schäden an den Schiffen und ständige Rekla­ma­tionen der Mieter. Tony wusste in einer nörd­licher-gele­genen Bucht einen bes­seren Platz, nur zu diesem Land zu kommen war schon damals schwierig und teuer. Er brauchte viel Glück, aber auch Ver­hand­lungs­ge­schick und Geduld. Ein erster Teil des Ufer­grund­stückes „luchste“ er einer Eng­län­derin ab. Und zum weitaus grös­seren Teil, immerhin 4 400 m2 gross, kam er nur, indem er gleich­zeitig ein Hotel kaufen musste. Der damalige Eigen­tümer des Hotels Bel­levue, Peter Bally, kam nach einer Scheidung in finan­zielle Schieflage und ver­kaufte in seiner Not dem Tony Zim­mermann das Hotel mitsamt dem Umschwung. „Auf das Hotel war ich nicht besonders scharf, aber das Grund­stück am See war eine Perle zur Rea­li­sierung meines neuen Bootshafens.“

Aus dem „Bel­levue“ wurde nun 1979 das „Hotel Schiff“, dort, wo noch heute die Bug­partie mit dem Steu­erhaus des DS Pilatus aus dem Rig­i­massiv auf den Vier­wald­stät­tersee hin­aus­zeigt. „In Köln hatte ich eine Hafen­kneipe, die ein Puff war, gesehen, die mir gut gefallen hatte. Genauso richtete ich mein Restaurant ein.“ Die Acces­soires besorgte sich Tony eigen­händig aus England: mit einem Last­wagen schleppte er Kompass, Schekel, Fla­schenzüge aus Holz, Sextant, Bull­augen herbei. Nach fünf Jahren defi­zi­tärem Betrieb ver­kaufte er es seinem Bruder Walter, der ihn nun unter­stützte. „Wahr­scheinlich war das eine Art Wie­der­gut­ma­chung, weil er beim gemein­samen Boots­be­trieb oft gegen mich geschossen und sich quer­ge­stellt hatte“, sin­niert Tony. 1983 stirbt sein Bruder Walter; Tony unter­stützt nun seine Schwä­gerin, damit sie das „Schiff“ wei­ter­führen konnte. 2008 wird das Hotel an den Wiener Investor Peter Püh­ringer* ver­kauft. Dieser hat im Hotel Schiff seit 2020 eine öffent­liche, durch seine Stiftung mitf­an­zierte Kin­der­ta­ges­stätte genannt «Musikita» ein­ge­richtet. Im Sommer ist die herr­liche Ter­rasse geöffnet; das Essen kommt von seinem nahe gele­genen Parkhotel.

Zurück zu Tony’s Vor­haben, einen grossen Hafen zu rea­li­sieren. Sein Traumziel fand 1984 bei einer Gemeinde- und Kor­po­ra­ti­ons­ver­sammlung eine Mehrheit. Die Boots­hafen AG konnte dar­aufhin gegründet werden, bei der Tony Zim­mermann „bloss“ einen Drittel der Aktien hält. Aus tak­ti­schen Gründen musste er je einen Drittel der Gemeinde und der Kor­po­ration, die dort eine ver­briefte Fischenze hatte, über­lassen. Sein Trumpf war das dazu nötige Stück Land am See, das ihm bis heute gehört. Eine Ein­sprache eines Nachbarn ver­zö­gerte das Projekt dann um fünf Jahre.

Tony Zim­mermann 2020 in der Lobby seines Rei­se­büros Anker in Vitznau; im Hin­ter­grund links das Modell der „Aurora“, eines besonders gelun­genen Motor­schiffes, das der Boots­be­trieb Zim­mermann in der Hasler-Werft Rotzloch erbauen liess.

Ein his­to­ri­sches Dokument: Mit diesem Vertrag begann die Boots­ver­mietung Zim­mermann in Vitznau (mit Dop­pel­klick erscheint der Vertrag in les­barer Grösse).

So begann 1934, drei Jahre nach der Über­nahme des Boots­be­triebes, die moto­ren­be­triebene Schiff­fahrt der Firma Zim­mermann in Vitznau: Am ehe­ma­ligen Ruderboot Nacht­schwärmer wurde ein Aus­sen­bord­motor installiert.

Ihr zweites Motorboot, die „Tony“, kam dann schon weitaus schnit­tiger daher; mit ihm konnte man nebst Publi­kums­fahrten und Taxi­diensten auch Was­ser­ski­fahren anbieten.

Hand­ge­schrie­bener Vertrag zwi­schen dem Ver­käufer Luigi in Lugano und dem Käufer Walter Zim­mermann für das erste grosse Motorboot des Boots­be­triebes Zimmermann

Aus Lugano per Eisenbahn nach Luzern gebracht: das Holzboot Albatros sorgte für den Boots­be­trieb Zim­mermann einen Quantensprung.

Nach einem Umbau prä­sen­tiert sich die „Albatros“ als stolze Einheit des noch jungen Schiffs­be­triebes Zimmermann.

Bilder im Textteil – oben: Schiffs­korso vor Vitznau waren ein tou­ris­ti­scher Hit der Boots­ver­mietung Zim­mermann – unten: High-Life im Vitz­nauer Becken des Vier­wald­stät­tersees, rechts Tony Zim­mermann in jungen Jahren…

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

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Hin­weise

*) Der in der DDR geborene Öster­reicher Peter Püh­ringer (1942) ist Ver­mö­gens­ver­walter, Fonds­ma­nager und Mäzen. Er zählt zu den reichsten Öster­rei­chern. Ihm gehören unter anderem die Schweizer Hotel­lie­gen­schaften Her­ten­stein, Park­hotel Vitznau und Flo­ralpina. Der Kanton Luzern gewährt ihm eine Pauschalbesteuerung.

Quellen

Anker-Tony – Vom Vier­wald­stät­tersee hinaus in die Welt“, Helmi Sigg, Verlag Agentur Sigg Ober­rieden 2014

30 Jahre Boots­ver­mietung Zim­mermann: Vitznau“ 1961 g.b.

Tages­zei­tungen und Bilder aus der Sammlung Tony Zimmermann

Gespräche mit Tony Zim­mermann am 21.9.2020, 13.11.2020 und 23.1.2021 sowie mit Bri­gitte Fassbind am 20.2.2921 und Urs Sie­grist am 23.3.2021

Unter­lagen Sammlung H. Amstad

Weiter im Text

Die Geschichte der Pas­sagier-Schiff­fahrt der Boots­ver­mietung Zim­mermann Vitznau – Teil 2 (Link)

Impressum

Text und Bild 1 H. Amstad, übrige Bilder Sammlung T. Zimmermann

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