Zwei ehe­malige Vier­wald­stät­tersee-Urzeugen sind als Nauen verschwunden

Im Zusam­menhang mit dem 3. Ger­sauer Nau­en­treffen vom 2. Juli 2022 wurde in Fach­reisen kon­ster­niert zur Kenntnis genommen, dass ein wei­teres, his­to­ri­sches Vier­wald­stät­tersee-Schiff bereits vor vier Jahren ver­schrottet wurde. Ober­flächlich betrachtet ist ein Ver­schwinden eines Nauens kaum eine Notiz wert. Beim Motor­last­schiff mit dem Namen Luzern aber handelt sich um ein spe­ziell His­to­ri­sches. Wie kürzlich mit dem Ver­schrotten der „Mythen“ oder beim Verkauf der „Aero“ auf den Bodensee: Die Hei­mat­schutz­ver­ant­wort­lichen der Vier­wald­stät­tersee Kantone zeigen kein Interesse für his­to­rische Was­ser­fahr­zeuge, welche sich aus­serhalb der SGV-Rad­damp­fer­flotte befinden.

Die „Luzern“ ist 1886 von Escher-Wyss in Zürich als Trajekt-Schiff für den Thu­nersee erbaut (BB II) und 10 Jahre später nach Luzern über­führt worden (D.G.V.2). Dort trans­por­tierte das Schiff bis in die 1920-er Jahre fünf oder sechs SBB-Güter­wagons an diverse Gestade am Vier­wald­stät­tersee. 1930 wird es an die See­verlad + Kies­handels AG Luzern (heutige SEEKAG) ver­mietet und zwei Jahre später durch diese für 40 000 Franken erworben. Das Schiff wird wei­terhin als Eisen­bahn­fähre ver­wendet. 1963/64 erfolgt ein Total­umbau, die Geleise und die Dampf­ma­schine werden aus­gebaut. Das Tra­jekt­schiff wird zum selbst­ent­la­denden Kies­trans­port­schiff mit einer Trag­kraft von 320 Tonnen und Die­sel­mo­tor­an­trieb umgebaut1 und erhält den Namen „Luzern“ (LU 11). Auf­fällig war das mar­kante Steu­erhaus im Bug. Die „LU 11“ ken­terte 1970 bei der Weg­fahrt vom Bagger in Flüelen und wurde dar­aufhin erneut umgebaut.

Nun wurde der legendäre, 136-jährge Nauen Luzern 2018 in Flüelen abge­wrackt. Zwei Jahre zuvor hatte er noch eine Zulassung für eine Trag­kraft von 190 t (statt wie bisher 270 t) erhalten. Der Nauen prägte über Jahr­zehnte das Stadtbild von Luzern – er war ein fleis­siger Zubringer von Sand, Kies und Schotter zum Luzerner See­verlad und zum Betonwerk hinter der SGV-Werft.

Ände­rungen der Vier­wald­stät­tersee-Nauen der letzten 10 Jahre (Teil 2)2

Mars“ (1930)

Im Jahr 2019 erhält der Nauen Mars (NW 43) ein neues Steuerhaus.

Max“ (ex-„Schwalbe“, Baujahr vor 1900)

2018 wird der frühere Weg­giser Markt­nauen Max (LU 9) mit einem modernen Swiss-Radar aus­ge­rüstet. 2021 über­nimmt Markus Bösch den Nauen von seinem Vater Werner.

Neptun“ (1931)

Im Jahr 2017 verlegt die Shiptec-Werft Luzern auf der „Neptun“ (NW 42) ein neues Deck. Drei Jahre später ziert zusätzlich ein neues Steu­erhaus das Lastschiff.

Nid­walden“ (ex-„Beggo“ Baujahr vor 1907)

Der 115 Jahre alte, ehe­malige „1. Rey­tener-Nauen“, ist 2015 auf dem Werks­ge­lände der Holcim beim Zin­gel­stein­bruch in Kehr­siten abge­brochen worden.

Pirat“ (1926)

Nach einer grös­seren Beschä­digung durch einen Sturm wurde der Nauen Pirat 2015 mit einem Kran im Neu­seeland (Bucht zwi­schen Beckenried und Buochs) aus Land gehoben. Nach anfäng­lichen Zweifeln, ob das ehe­malige Stein­bruch-Naueli je wieder fahren wird, wurde es durch die Werk­stätten der Firma Arnold & Co Flüelen wieder instand­ge­setzt. Nach der Über­nahme der Firma Franz Murer-AG durch die KIBAG Bau­leis­tungen AG (Wasser- und Spe­zi­al­tiefbau) Rotzloch erhielt die „Pirat“ 2019 ein neues Steu­erhaus, einen neuen, blauen KIBAG-Anstrich und einen neuen Volvo Penta 4‑Zy­linder-Motor mit 140 PS Leistung. Nau­en­kenner Rolf Gwerder: „Jetzt sieht der Nauen Pirat doch sehr gefällig aus.»

Rigi“ (1920)

Der Autor des Nau­en­buches (2011) macht darauf auf­merksam, dass das Bild auf S. 34 in der Säge­rei­wehri beim Hotel Ter­rasse in Vitznau (heute Boots­an­le­ge­stelle der Gemeinde) nicht die „Rigi“ mit dem Baujahr 1920 zeigt, sondern sein Vor­gän­ger­schiff. Im unten­ste­henden Bild zeigt Rolf Gwerder ein Fundus, der die „Rigi“ I zeigt. Rechts erkennt man die „Rigi“ II, die 1920 erbaut wurde und heute noch fährt. Weiter ist zu berichten, dass die Firma Bar­mettler & Partner AG Ennetmoos 2020 auf diesem Nauen eine Kipp­brücke instal­lierte, die es ermög­licht, her­auf­ge­bag­gertes Holz des Ris­le­ten­baggers zu sammeln und anschliessend an anderer Stelle des Vier­wald­stät­tersees zu versenken.

Sta. Theresa“ (1932)

Der Nauen Theresi (mit dem offi­zi­ellen Namen Santa „Sta. Theresa“) wech­selte 2014 von der Sand- und Kies AG Alpnachstad zur KIBAG Rotzloch und somit die Bezeichnung von OW 48 zu SZ 175. Die „Tech­ni­schen Dienste“ (TD) der KIBAG in Bäch bauten in der Folge einen neuen Volvo-Motor D5 A TA und ein neues ZF-Wen­de­ge­triebe (mit der Über­setzung 3:1) ein. In der Hasler Werft Rotzloch erfolgte die Auf­dop­pelung von abge­nutzten Scha­len­blechen. Im Winter 2020/21 führten die TD weitere Arbeiten am Schiff durch: Es erhielt ein neues Steu­erhaus und einen blauen KIBAG-Anstrich. Weitere Scha­len­bleche wurden in der Werft der Shiptec ersetzt.

SGV-Ramme (1843)

So wie der nun ver­schwundene Nauen Luzern (wie ein­gangs erwähnt) mit dem Baujahr 1886 früher ein Dampf­tra­jekt­schiff der DGV war, über­lebte auch die ehe­malige Dampf­ramme, umgebaut vom DS St. Gotthard aus dem Jahr 1843 (!), nicht. Das älteste Schiff des Vier­wald­stät­tersees wurde nach 161 Dienst­jahren 2014 im Auftrag der SGV im Rotzloch abge­brochen. Die gesamte Ent­wicklung dieses aus­ser­ge­wöhn­lichen Schiffes ist im neuen Buch „Die Geschichte der Schiff­fahrt auf dem Vier­wald­stät­tersee“ aus­führlich beschrieben1.

Tell“ (1906)

Der Umbau von Holz- auf eine Eisen­schale erfolgte durch die Firma Lais (Basel) im Jahr 1959, wie neuste Erkennt­nisse ergeben (Nutzlast 90 t). Kurz darauf wird ein Stein­brecher, ein sog. Krei­sel­brecher zum Zer­kleinern der durch die Kübe­li­bagger geför­derten „Bollen“ (grössere Steine) auf dem Nauen Tell ein­gebaut. Dieser Brecher und die zwei För­der­bänder (eines davon sogar schwenkbar) wurden elek­trisch ange­trieben. Somit ist die „Tell“ nach­weislich der erste Selbst­aus­lader auf dem Vier­wald­stät­tersee. Mit Hilfe des Nauens „Tell“ wurden jeweils die Anker des Schwimm­baggers IV in Flüelen, Brunnen und Buochs sowie des grossen Bagger V in Flüelen ver­setzt. Auch für andere Spe­zi­al­ein­sätze ist das Last­schiff bis heute bestens geeignet: So wurde bei­spiels­weise ein im Juli 2022 von der Axen­strasse gestürztes Auto mit Hilfe der „Tell“ und der „Walter Fürst“ aus über 180 Meter Tiefe geborgen.

Treib Naueli (Baujahr ver­mutlich vor 1900)

Der für 10 t zuge­lassene Klein­nauen mit dem Kenn­zeichen UR 66 wurde nach dem Tod des Eigners Ferdi Kaufmann 2018 in Flüelen abgebrochen.

Unter­walden“ (1963÷64)

Der Nauen Unter­walden erhält 2019 ein neues Steu­erhaus, aus­ge­führt durch die Firma OZ-Metallbau Buochs.

Uristier“ (1971÷72)

Wenige Monate nach Wisi Ziegler’s (Titu­lar­schiffs­führer des „Uristier“) Pen­sio­nierung, streift das beladene Schiff das sog. Zin­nen­bergli, eine nur wenig unter der Was­ser­ober­fläche sich befind­liche Erhebung beim Eingang zum Küss­nach­tersee3. Dabei wurde ein Ruder­blatt abge­rissen und ein Pro­peller beschädigt; die Welle blieb unbeschädigt.

Zwing Uri“ (1922÷23)

Zu diesem ersten Last­schiff mit einer Stahl­schale sind inzwi­schen weitere Infor­ma­tionen zusam­men­ge­kommen. So war die Bau­werft Anderssen in Neckarsulm (DE) behei­matet. In den Zwan­zi­ger­jahren konnten auf der „Zwing Uri“ aus­schliesslich Teil­haber der „Kom­panyy“ (Arnold, Aschwanden und Co) als Schiffs­führer fahren. Dieser war fürs Fahren zuständig und musste nicht weiter Hand anlegen, etwa in Form von „Zämä­schoore“ des vom Greifer im Kasten zurück­ge­las­senen Materials.

Soweit alle Ver­än­de­rungen der letzten 10 Jahre. Im dritten Teil des Nauen-Rap­ports Vier­wald­stät­tersee4 gehe ich der Geschichte der „Win­kelried“ nach, die in der Werft „im Bodä“ in Beckenried erbaut, nach Jahr­zehnten 1968 auf den Zugersee kam und nun am 18. Oktober 2022 ver­schrottet wurde.

Das Dampf-Tra­jekt­schiff D.G.V.2 von der See­verlad + Kies­handels AG Luzern über­nommen und so auch umge­tauft trans­por­tiert auf dem Vier­wald­stät­tersee über Jahr­zehnte Eisenbahn-Güter­wagen von Luzern aus nach ver­schie­denen Ufer­orten, so auch zur Kalk- und Stein­fabrik in Beckenried.

Das 1964 zum Kies­schiff Luzern umge­baute Tra­jekt­schiff prägt bis 2018 ein all­täg­liches Bild auf dem Vier­wald­stät­tersee; hier im letzten Bau­zu­stand seit 1970.

Mas­siver Stahlbau aus dem Hause Escher Wyss wäre auch in Zukunft noch schwimm­fähig gewesen…

Der Nauen Rigi (II) am Risletenbagger

Die Schale der 2014 abge­bro­chenen Pfahl­ramme der SGV war vom zweiten Rad­dampfer vom Vier­wald­stät­tersee, DS St. Gotthard aus dem Jahr 1843.

1932 wird die Schale der „St. Gotthard“ ver­wendet, um damit ein Dienst­schiff zu machen: Damals stand sowohl Antrieb wie die Ramme unter Dampf!

Die nun in einen Motornauen umge­baute Pfahl­ramme der SGV macht sich bereit, um die noch gewäs­serten Pfähle an Bord zu nehmen und sie an einer der Sta­tionen ein­zu­rammen, foto­gra­fiert 1988.

Bilder im Textteil: Das 1963/64 umge­baute Tra­jekt­schiff sah als Kies­nauen richtig chic aus: das Steu­erhaus erinnert an die damals modern wir­kenden Vor­bilder auf MS Rigi, Wald­stätter & Co. Das Kies brachte das För­derband unter den Dienst­räumen hin­durch zur Aus­ladung am Bug. Der hin­terste Teil des Decks war eine Arbeits­fläche, bestückt mit Lüftern für den Moto­renraum wie auf Dampfschiffen.

Neu überholt sieht man dem in vier Jahren 100-jäh­rigen Nauen Pirat sein Alter nicht an, hier im Hafen Neu­seeland bei Beckenried.

Ein sel­tenes Zeit­do­kument: der Nauen Rigi (I) in der Wehri der Gemeinde Vitznau (links), das alte Hotel Pension zur Rigibahn (später Ter­minus 1908, Ter­rasse 1964) und der abfah­rende Rad­dampfer Gotthard, auf­ge­nomen zwi­schen 1901 (vorher war das Hotel ein Stockwerk weniger) und 1907 (nachher Namen­än­derung des Hotels).

Durch Klick aufs Bild erscheint dieses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­mentar willkommen.

Hin­weise

3) Ort siehe Link

4) Berichte über die Schweizer Bin­nensee-Last­schiff­fahrt sind in der nau­ti­schen Lite­ratur ein Rand­thema. Um so wich­tiger scheint mir, diese für die Volks­wirt­schaft wich­tigen Leis­tungs­träger ab und zu zu wür­digen und die Ent­wicklung zu doku­men­tieren. Mit dem Fokus Vier­wald­stät­tersee erscheinen in diesem Zusam­menhang drei Medi­en­be­richte: Der erste befasst sich schwer­punkt­mässig mit dem 3. Ger­sauer Nau­en­treffen, das am 2. Juli 2022 unter besten Vor­aus­set­zungen durch­ge­führt wurde (Link). Im zweiten Bericht werden sämt­liche Ände­rungen in der ins­gesamt 33 Nauen umfas­senden Vier­wald­stät­tersee-Flotte in den letzten 10 Jahren doku­men­tiert. Der dritte Artikel beleuchtet ein besonders inter­es­santes Schiff, welches in einer heute ver­gessen gera­tenen Werft in Beckenried erbaut und am 13. Oktober 2022 ver­schrottet wurde (Link).

Quellen

1) Jürg Meister, Josef Gwerder „Die Geschichte der Schiff­fahrt auf dem Vier­wald­stät­tersee“ 2022 (bei und erhältlich, Link)

2) Gwerder Rolf, Nach­träge zu seinem Buch „Nauen auf dem Vier­wald­stät­tersee, Die Geschichte des Güter­trans­ports mit Motornauen“ 2022

Weiter im Text

«Nau­en­fahrt: eine lite­ra­rische Annä­herung an den Vier­wald­stät­tersee mit der «Goliath». Link

Mit dem Nauen Stauf­facher den Vier­wald­stät­tersee mit anderen Augen ent­decken. Link

Zur Geschichte des Hotels Ter­rasse in Vitznau (Link)

Impressum

Text H. Amstad anhand Recherchen von R. Gwerder

Bilder 1 und 5 aus Meister, Gwerder „Die Geschichte der Schiff­fahrt auf dem Vier­wald­stät­tersee“, Bilder 2 bis 4 Sammlung R. Gwerder, Bild 6 Sammlung H. Amstad, Bild 7 H. Amstad

Bilder im Textteil: Sammlung R. Gwerder (1: aus Archiv VHS)

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