Uni­kum der Tech­nik: Rends­bur­ger Schwe­be­fähre über den Nord-Ostsee-Kanal

Von wei­tem sieht es aus wie ein „flie­gen­des“ Schiff. Die Umrisse erin­nern mich an eine Schwei­zer Auto­fähre aus der Grün­der­zei­ten à la „Schwan“ I vom Zürich­see, „Kon­stanz“ I vom Boden­see oder „Tell­sprung“ I vom Vier­wald­stätter­see. Die Täu­schung wird ver­stärkt, weil ich die 12 fili­gra­nen, bloss 3 cm dicken Auf­hän­ge­seile zuerst nicht sehe und der Fahr­schlit­ten sich 40 Meter über der „Fähre“ befin­det. Je näher wir an das Uni­kum kom­men, umso plau­si­bler wird zwar die Tech­nik, doch sie fas­zi­niert mich jetzt noch mehr. Ein Schiff ohne Was­ser, eine Seil­bahn ohne Berg: die Schwe­be­fähre ver­bin­det das Kanal­ufer von Rends­burg mit jenem von Oster­rön­feld über den Nord-Ostsee-Kanal.

Die Schwe­be­fähre in Rends­burg ist eines der acht noch übrig geblie­be­nen Uni­ka­ten*, Ende des 19. Jahr­hun­derts erfun­den von Alberto Pala­cio und Fer­di­nand Arno­din. Die Fäh­ren sind gut doku­men­tiert. Das hat seine Gründe: Im Herbst 2003 wurde in Bil­bao der Welt­ver­band der Schwe­be­fäh­ren gegrün­det. Den Ehren­vor­sitz über­nahm der spa­ni­sche König Juan Car­los I. In Deutsch­land bil­dete sich 2006 der Arbeits­kreis Deut­sche Schwe­be­fäh­ren, dem unter ande­rem die Bür­ger­meis­ter der vier Anrai­ner­ge­mein­den an den Schwe­be­fäh­ren über die Oste und den Nord-Ost­see-Kanal angehören.

Unsere Rei­se­gruppe benutzt die Schwe­be­fähre zum Hin- und Her­fah­ren aus lau­ter Gwun­der. Der Fahr­plan ist ohne Unter­bruch seit 102 Jah­ren der glei­che: Von 5 Uhr mor­gens bis 23 Uhr abends legt die Schwe­be­fähre vier Mal im Süden und vier Mal im Nor­den pro Stunde ab. Die Fahrt dau­ert 90 Sekun­den, wobei sie 55 Meter zurück­legt. An „Bord“ der Fähre unter­schei­det sich fast nichts von einer rich­ti­gen Fähre, 4 Autos haben Platz oder 14 Ton­nen Zula­dung. Die Abfahrts­zeit kann sich ver­zö­gern: die „Fähre“ muss den 35 000 Berufs­schif­fen und den 16 000 Frei­zeit­käh­nen jeweils den Vor­tritt las­sen. Das war frü­her anders: Vor dem Bau der sog. „eiser­nen Lady“ von Rends­burg, wie die fast 2,5 km lange Eisen­bahn­brü­cke auch genannt wird, gab es an die­ser Stelle eine Dreh­brü­cke, die den Schiffs­ver­kehr erheb­lich behin­derte. Die Bahn hatte Vor­fahrt und die Schiffe muss­ten häu­fig vor der geschlos­se­nen Brü­cke warten.

Nun wurde 1913 die Bahn auf Stel­zen 42 Meter über den Kanal ver­legt, damit beide – Schiff und Bahn – freie Fahrt beka­men. Um die Eisen­bahn im nord­deut­schen Flach­land auf diese Höhe zu brin­gen, war der Bau von Däm­men und immensen Eisen­kon­struk­tio­nen not­wen­dig. Der nur 600 m von Kanal ent­fernte Bahn­hof Rends­burg wurde um 4,5 m höher gelegt. Die Stei­gung der Adhä­si­ons­bahn erreicht man mit einer 4,5 km lan­gen Schleife; mit der Brü­cke und der andern Rampe ergibt dies ein Bau­werk von sagen­haf­ten 7,5 km. Die Kon­struk­tion ist genie­tet: 3,2 Mil­lio­nen Stück hal­ten das Bau­werk zusam­men. 240 000 m² Flä­che Rost­schutz­an­strich bewah­ren das seit 1988 unter Schutz gestellte Objekt vor dem gröss­ten „Feind“ des Kolos­ses, der Kor­ro­sion. Vor eini­gen Jah­ren begann eine umfas­sende Reno­va­tion des Bau­wer­kes, Kos­ten­punkt 165 Mil­lio­nen Euro. Die Schwe­be­fähre ist also Teil eines Gesamt­wer­kes; die „Eiserne Lady“ ist die Trag­kon­struk­tion, an des­sen Unter­seite die Schwe­be­fähre ihren Fahr­schlit­ten führt.

Ein 102-jäh­ri­ges Kon­strukt wirkt im moder­nen Con­tai­ner­ver­kehr des Nord-Ost­see-Kanals wie ein Anachronismus.

Die 42 m hohe Eisen­bahn­brü­cke „Eiserne Lady“ bie­tet die Vor­aus­set­zung zum Betrei­ben der Schwebefähre.

Das gigan­ti­sche Bau­werk ist seit 1988 unter Denk­mal­schutz gestellt.

Die Autos, Velos und Fuss­gän­ger schei­nen eine Fähre zu betre­ten, min­des­tens vom Land her betrachtet.

Die Was­ser­per­spek­tive aller­dings ver­rät, dass es sich dabei um kein „nor­ma­les“ Fähr­schiff handelt.

Text und Bil­der H. Amstad

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Hin­weise

*) Von den welt­weit einst 20 Schweb­fäh­ren sind noch acht vor­han­den, sie­ben davon noch in Betrieb: In Argen­ti­nien quert die Puente Trans­bord­ador “Nicolás Avel­la­neda” seit 1914 den Fluss Riachuelo zwi­schen La Boca in Bue­nos Aires und Avel­la­neda. In Deutsch­land über­quert die Schwe­be­fähre Osten – Hem­moor (1909) den Fluss Oste und die beschrie­bene Rends­bur­ger Schwe­be­fähre ver­bin­det Oster­rön­feld und Rends­burg (1913). In Frank­reich quert die Schwe­be­fähre Roche­fort (1900) den Fluss Cha­rente zwi­schen Roche­fort und Échil­lais. In Gross­bri­tan­nien ver­bin­det die Schwe­be­fähre New­port über den River Usk (1906), die Schwe­be­fähre Midd­les­b­rough über den Tees Midd­les­b­rough mit Port Cla­rence (1911), die Schwe­be­fähre War­ring­ton quert den Fluss Mer­sey (1915, seit 1964 still­ge­legt). In Spa­nien quert die Puente de Viz­caya die Mün­dung des Ner­vión in den Golf von Bis­kaya zwi­schen Por­tu­ga­lete und Getxo; 1893 eröff­net, ist sie die älteste exis­tie­rende Schwe­be­brü­cke und zählt seit 2006 zum Welt­kul­tur­erbe der UNESCO.

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