Rei­se­be­richt: Die Sul­zer-Moto­ren der «Schwyz» ste­hen für immer still

Es war ein bewe­gen­der Moment, zum Abschluss die­ses aus­ser­ge­wöhn­li­chen Sonn­tags. Der ver­ant­wort­li­che Schiffs­füh­rer der „Schwyz“, Ruedi Lötscher, stellt um 21.08 Uhr zum aller letz­ten Mal, dies nach einem erleb­nis­rei­chen Tag, die bei­den Sul­zer-Schiffs­die­sel 6TW24 ab. Das Schiff steht vor den gros­sen Toren der Werft­halle, durch diese dann am 25. Okto­ber das Schiff auf Hel­ling gezo­gen wird. Ruedi Lötscher steht im Maschi­nen­raum, er lässt jeden Motor ein letz­tes Mal kurz auf 400 Tou­ren hoch­fah­ren und dann folgt für kurze Zeit beklem­mende Stille. Nach über 50 000 Betriebs­stun­den ver­stum­men die Moto­ren. Ruedi rich­tet sin­nige Worte an die Runde und giesst anschlies­send sym­bo­lisch – wie bei einer Beer­di­gung mit Erde – einen Schluck Cham­pa­gner über den manns­ho­hen Steu­er­bord­mo­tor. Die Druck­luft wird abge­las­sen. Lötscher: „Der letzte Atem­zug“. Wir sind Zeu­gen, wie eine tech­nik­ge­schicht­li­che Epo­che zu Ende geht.

Zuvor war eini­ges los an die­sem Sai­son­ende 2012: wol­ken­lo­ser Him­mel, traum­hafte Herbst­tem­pe­ra­tu­ren, das Rütli-Pis­to­len­schies­sen, die 5‑Lie­ber-UBS-Aktion und der SBB-Feri­en­pass und die Aus­sicht, dass der Win­ter wie­der lang sein wird, trie­ben die Leute förm­lich nach draus­sen, auf die Berge und vor allem auf die Seen. Zum wie­der­hol­ten Mal zählt die SGV über 31 000 Tages­fre­quenz, drei Dampf­schiffe ste­hen dabei untä­tig in der Werft, Hun­derte von Leu­ten ver­su­chen ver­ge­bens, einen Platz auf den Schif­fen zu erha­schen und wer­den ste­hen gelas­sen. Der Kurs 13 zum Bei­spiel ver­lässt Luzern mit 1 900 Fahr­gäs­ten (DS Stadt Luzern und MS Win­kel­ried), so was gab es im Herbst­fahr­plan noch nie.

Die Schiffs-Agen­tur auf Diesel-Reise

Auch die Schiffs-Agen­tur war an die­sem Tag mit einem Event unter­wegs und nahm die Aus­ran­gie­rung der his­to­ri­schen Zweitakt-Moto­ren der „Schwyz“ zum Anlass, noch andere „Die­sel-Lecker­bis­sen“ zu bie­ten. Gestar­tet sind rund zwei Dut­zend Teil­neh­mende im Ver­kehrs­haus der Schweiz VHS. Lei­der war das erste Ver­gnü­gen etwas getrübt: dem VHS und der aus­füh­ren­den Firma Shiptec gelang es nicht, im Vor­feld den legen­dä­ren Schiffs­die­sel 2RKW20 des Rhein­schif­fes Nep­tun 8 (mit glei­chem Jahr­gang wie MS Schwyz) zum Lau­fen zu brin­gen. Um so erfreu­li­cher war dann die Tat­sa­che, dass uns der FBW/Hess-Gross­raum­au­to­bus „B71H Nr. 81“ mit­ten auf dem Muse­umsin­nen­hof abholte, sozu­sa­gen zwi­schen der legen­dä­ren DC 9 und DS Rigi. Der Bus mit Jahr­gang 1955 beglei­tete nun MS Schwyz mit Jahr­gang 1959 auf der letz­ten Kurs­fahrt und bot vom Ufer aus zahl­rei­che Foto­gra­fier­mög­lich­kei­ten. Um im Flora-Alpina, einem hüb­schen Aus­sichts­punkt und Hotel zwi­schen Vitz­nau und obe­rer Nas gele­gen, die „Schwyz“ auf ihrer letz­ten Fahrt mit den Ori­gi­nal­mo­to­ren foto­gra­fisch zu doku­men­tie­ren, musste unser Chauf­feur Kas­par Bech­ter vom Ver­ein vbl-his­to­ric grad „Gas“ geben, denn der Land­weg war über Küss­nacht um eini­ges län­ger als jener des Schiffes.

Beim nächs­ten Foto­halt bei der Kind­li­ka­pelle zwi­schen Ger­sau und Brun­nen war „Show­time“ ange­sagt. Die „Schwyz“ dreht wun­der­bare Pirou­et­ten in der Bucht des Ger­sauer Strand­ba­des, die Moto­ren zei­gen ein letz­tes Mal, was noch in ihnen steckt. Auf der anschlies­sen­den Tra­verse nach Treib brin­gen die 53-jäh­ri­gen Moto­ren das Schiff mit 410 Tou­ren auf 28,7 km/​h. In Brun­nen bestei­gen die Rei­se­teil­neh­men­den nun die „Schwyz“, um die aller letzte Zwei­takt­mo­to­ren-Fahrt zurück nach Luzern zu genies­sen. Nach­denk­li­che, aber zufrie­dene Gäste bli­cken auf einen beson­de­ren Tag zurück.

Eine Epo­che geht zu Ende

Nun kommt die «Schwyz» in die Werft­halle der Shiptec. 2,7 Mil­lio­nen Fran­ken bewil­ligte der VR für den Umbau, der durch das Design-Büro Judel/​Vroljik aus Bre­mer­ha­fen beglei­tet wird mit dem Ziel, die Atmo­sphäre der 60-iger Jahre an Bord auf­le­ben zu las­sen. Die Reno­va­tion bringt auch schiffs­his­to­ri­sche Nach­teile: der hei­me­lige „Sound“ der Schwyz-Moto­ren, das Zweitakt­stamp­fen, das je nach Wind­ver­hält­nisse aus wei­ter Distanz zu hören war, das schif­fige Knur­ren, wird nun ver­schwin­den. Michael Roost, schweiz­wei­ter Ken­ner und Freak von Die­sel­mo­to­ren kämpft seit Jah­ren um den Erhalt tech­nisch wert­vol­ler Expo­nate. Auch im Fall der Schwyz-Moto­ren argu­men­tiert er mit fun­dier­tem Wis­sen für den Erhalt, meint aber ein­lei­tend: „Es steht mir nicht zu, den unter­neh­me­ri­schen Ent­scheid des Ver­wal­tungs­ra­tes und der Geschäfts­lei­tung zu kri­ti­sie­ren. Er ist mit Sicher­heit wirt­schaft­lich und öko­lo­gisch begrün­det, ist aus Sicht der Ver­ant­wort­li­chen Sach­zwang im Hin­blick auf die wei­tere Ver­wen­dung des Schiffes.“

Trotz­dem, so fährt er nach­denk­lich fort: „Der Ent­scheid der SGV stimmt mich trau­rig. Mit dem Ersatz der bei­den aus den 50-er Jah­ren stam­men­den Sul­zer-Die­sel 6TW24 ver­schwin­den die mei­nes Wis­sens bald letz­ten lang­sam­lau­fen­den Die­sel­ma­schi­nen auf Schwei­zer Gewäs­sern. Nebst eini­gen Güter­schif­fen auf dem Rhein ist nur noch im Motor­schiff Stein am Rhein der Schiff­fahrts­ge­sell­schaft Unter­see und Rhein (URh) ein sol­cher Motor in einem Kurs­schiff als klas­si­scher Lang­sam­läu­fer anzutreffen.“

Damit ver­lie­ren wir einen der letz­ten Zeu­gen des Schwei­zer Indus­trie-Know-Hows im Maschi­nen­bau der 50-er Jahre, der infolge Inno­va­tion und hoher Qua­li­tät auf dem Welt­markt kon­kur­renz­fä­hig war. Wo wer­den kom­mende Gene­ra­tio­nen Zeit­zeu­gen hel­ve­ti­scher Inge­nieurs­kunst im Berei­che der Ther­mo­dy­na­mik in Aktion bewun­dern kön­nen? Auf Fotos, in Museen? Aus­ge­stellte Muse­ums­stü­cke sind sicher inter­es­sant zur Instruk­tion, aber nur in Betrieb ste­hende Maschi­nen, duf­tend, stamp­fend, sich (und den Betrach­ter!) bewe­gend, ver­mö­gen Erleb­nisse zu ver­mit­teln wie das bei den Dampf­schif­fen der Fall ist.

Michael Roost: „Was schon auch etwas weh tut: alle Welt rennt den wun­der­schö­nen Dampf­schif­fen nach, weist mit Stolz (und Recht) auf den Kampf und die erreichte Erhal­tung his­to­ri­scher Zeit­zeu­gen hin, ver­weist auf die zuwei­len fast pedan­tisch anmu­tende ori­gi­nal­ge­treue Wie­der­her­stel­lung von Ori­gi­nal­zu­stän­den – der Ersatz der letz­ten Zeit­zeu­gen einer einst zur Welt­spitze gehö­ren­den Die­sel­ma­schi­nen-Indus­trie (Sau­rer, Sul­zer, SLM und wei­te­rere) ver­mag (fast) nie­man­den zu mobi­li­sie­ren, lockt kei­nen ‹Hund hin­ter dem Ofen› her­vor. Aber ich erlaube mir zu sagen: Schade!“

Blick vom Bus aus auf die „Schwyz“ bei der Kind­li­ka­pelle, beson­ders war dabei auch das Lau­schen des typi­schen Brumm-Moto­ren­ge­räu­sches der bei­den Zweitaktmotore.

Die Schiffs-Agen­tur war der erste Kunde des zwei Tage zuvor gegrün­de­ten Ver­eins „vbl-his­to­ric“, hier sehen wir die bei­den Ver­kehrs­mit­tel aus den Fünf­zi­ger­jah­ren in Brun­nen beim Ein­dun­keln vor dem mäch­ti­gen Uri-Rotstock.

Ruedi Lötscher nimmt auf der Son­der­fahrt nicht nur Abschied von den alten Moto­ren, son­dern auch von sei­ner „Schwyz“; er wird künf­tig andere Schiffe führen.

Typen­schild am Steuerbordmotor

Ein letz­ter Blick in den Maschi­nen­raum, der nun bereits Geschichte ist

Impo­sante Maschi­nen­bau-Inge­nieu­ren­kunst, die manns­ho­hen Zwei­takt­mo­to­ren aus dem Jahr 1959

Es ist Nacht gewor­den und die impo­sante „Schwyz“ legt mit ihren ori­gi­na­len lang­sam­lau­fen­den Sul­zer-Moto­ren ein letzte Mal in Luzern an.

Bil­der Text­teil: MS Schwyz im Stil des ita­lie­ni­schen Schiff­de­sign Ende der Fünf­zi­ger­jahre erbaut, fährt von Vitz­nau Rich­tung der bei­den Nasen. Impo­sante Manö­ver für unsere Event, demons­triert durch Ruedi Lötscher (unten).

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

Am Schluss des Blogs ist Ihr Kom­men­tar willkommen.

Wei­ter im Text

2. Jung­fern­fahrt MS Schwyz (Link)

Impres­sum

Bil­der 1 und 6 M. Bisegger

Text und übrige Bil­der H. Amstad

redi­giert 15.02.2021

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