Visite des letz­ten Toueurs der Welt, ein Seil­schlepp­dampf­schiff in Frankreich.

Das Thema Dampf­schiff­fahrt in Frank­reich ist eine karge Ange­le­gen­heit. Mir sind bloss drei Schiffe bekannt, die heute mit viel Wohl­wol­len mit Dampf in Ver­bin­dung gebracht wer­den kön­nen oder min­des­tens ein­mal Dampf­an­trieb hat­ten. Alle drei lie­gen ent­we­der auf Grund oder sind aus­ran­giert. Etwas nei­disch bli­cken Dampf­schif­f­an­hän­ger von Frank­reich auf den Lac Léman, wo die fünf Schwei­zer Rad­damp­fer immer­hin fran­zö­si­sche Orte wie Evian, Tho­non und Yvoire anfah­ren. So liegt im Lac d’Annecy der Schau­fel­rad­damp­fer France (1909 erbaut von Escher Wyss) seit 1971 in 42 m Tiefe auf Grund und dient seit­her Tau­chern als belieb­tes Aus­flugs­ob­jekt. Der Heck­rad­damp­fer Mark Twain (1992 erbaut mit einer rund 100-jäh­ri­gen Dampf­ma­schine aus den USA) fuhr bis 2013 im Euro-Dis­ney­land bei Paris auf einem künst­li­chen See. Als Beson­der­heit besass die­ser Damp­fer keine eigene Ruder­an­lage, son­dern glitt bei sei­nen Rund­fahr­ten auf einem im Was­ser geleg­ten Geleise.

Das dritte Dampf­schiff ist ein tech­ni­sches Uni­kum, ein soge­nann­ter Toueur. Erika und Andreas Wer­ner, bekannt durch ihre aben­teu­er­li­chen Ent­de­ckungs­rei­sen rund um den Glo­bus, berich­ten von ihrer Visite in Valence: „Da liegt er, wie ein an Land gespül­ter Wal, halb­ver­sun­ken am Ufer der Rhone. Die letz­ten Son­nen­strah­len las­sen sogar den Rost noch glän­zen. Es ist Mon­tag, der 30. Novem­ber 2015. Mit vagen Infor­ma­tio­nen rei­sen wir nach Valence, das etwa in der Mitte zwi­schen Genf und Mar­seille liegt. Das Dampf­schiff fin­den wir am süd­li­chen Stadt­rand beim Hafen l’Epervière.“

Für Andreas Wer­ner war es schnell klar, dass es sich bei dem Wrack um ein inter­es­san­tes, ja kurio­ses Was­ser­fahr­zeug han­delt: „Es ist ein Toueur, wie er typi­scher­weise auf der Rhone ein­ge­setzt wurde.“ Ein Toueur ist ein Seil-Schlepp­damp­fer. Der Toueur Ardè­che ist wohl der aller­letzte sei­ner Art. 1895 in der Werft Bon­net-Spa­zin in Lyon gebaut, kam der rund 52 Meter lange und 325 t schwere Schlep­per mit acht Schwes­ter­schif­fen ab 1896 auf dem gut 100 km lan­gen, strö­mungs­rei­chen Rho­ne­ab­schnitt von Ser­ves bis Pont Saint Esprit zum Einsatz.

Wie funk­tio­nierte ein Toueur? Wer­ner: „Jeder die­ser Toueurs war mit einer gros­sen Seil­winde mit bis zu 15 km Draht­seil aus­ge­rüs­tet. Jeder der Seil­schlep­per hatte einen eige­nen Abschnitt und konnte sich am eige­nen Seil durch die Dampf­winde strom­auf­wärts zie­hen, im Kiel­was­ser die Schlepp­kähne zie­hend. Die Schlepp­kähne wur­den so von Schlep­per zu Schlep­per wei­ter­ge­reicht. Das Seil wurde nach dem Prin­zip von Lom­bard Gèrin mit einer lie­gen­den 220 PS Zwei­zy­lin­der-Dampf­ma­schine auf den gros­sen Tam­bou­ren auf­ge­rollt. Das Gewicht des Seils betrug um die 40 Ton­nen. Strom­ab­wärts brauchte es keine Unter­stüt­zung, die Schlepp­kähne fuh­ren mit der star­ken Strö­mung von sel­ber tal­wärts. So auch der Toueur, wobei er das Seil wie­der ent­rollte und die­ses auf den Grund der Rhone zu lie­gen kam.“ Toueur sind also keine Ket­ten­schlepp­damp­fer, von denen es auch in Frank­reich wel­che gab. Im Gegen­satz zu den Toueurs, die sozu­sa­gen sich sel­ber am Seil auf­wi­ckel­ten wur­den bei den Ket­ten­schif­fen eine im Fluss lie­gende Kette am Bug geho­ben und mitt­schiffs auf einer mit Dampf ange­trie­be­nen Trom­mel umwi­ckelt. Das Schiff mit sei­nen Schlepp­käh­nen ange­hängt schob sich auf diese Art vor­wärts, wobei dann am Heck die Kette wie­der ins Was­ser gelas­sen wurde.

Die Art des Schlepp­be­trie­bes à la Toueur wurde bis 1936 durch­ge­führt, danach waren die neu erstell­ten Sei­ten­rad­damp­fer stark genug, um auch die­sen Strom­ab­schnitt der Rhone pro­blem­los zu befah­ren. Toueur Ardè­che wurde ab 1936 dann für ver­schie­dene andere Auf­ga­ben zum Bei­spiel bei der Regu­lie­rung der Rhone gebraucht, im spe­zi­el­len bei den Damm- und Schleu­sen­bau­ten, haupt­säch­lich als Vor­spann­schlep­per. Andreas Wer­ner: „Angeb­lich war dann anfangs der 1970-er Jahre end­gül­tig ‚Feuer aus’. Um 1975 hat der Bür­ger­meis­ter von Cruas-Der­bie­res aus der Region um Valence den his­to­ri­schen Wert des Schif­fes erkannt und die­ses gekauft, um dar­aus ein Muse­ums­damp­fer zu machen. Seit­dem liegt der Damp­fer in Valence und aus der Muse­ums­idee ist bis jetzt lei­der nichts gewor­den. Ein­zige ‚Museums’-Besucher sind Fische und Bie­ber. Am Ufer­weg ist eine Info­ta­fel mit Bil­dern und ein paar Anga­ben über das Schiff und die Rhone-Schlepp­schif­fahrt auf­ge­stellt. Bei deren Stu­dium wur­den wir von einem Ein­hei­mi­schen ange­spro­chen, wir sol­len doch gleich mit Ent­ros­ten und Malen anfan­gen und so den alten Schlep­per vor dem end­gül­ti­gen Unter­gang retten…“

Links ist der Bug mit den seit­li­chen Füh­rungs­rol­len ersicht­lich, vor der Kom­man­do­brü­cke der Ober­licht-Auf­bau mit der Seil­trom­mel dar­un­ter und rechts das Kes­sel­haus. Ganz links erkennt man auf dem Damm die Infotafel.

Erika und Andreas Wer­ner: „Irgend­wie muss man ja schon ver­rückt sein, wegen sol­chem Schrott ein Reisli zu machen – aber toll war’s trotzdem.“

Der grosse Tam­bour, 1,50 m im Durch­mes­ser und 3,50 m breit mit dem ursprüng­lich 15 km lan­gen Draht­seil ist noch erhalten.

Die „Ardè­che“ in einer zeit­ge­nös­si­schen Aufnahme.

Im Gegen­satz zu einem Ket­ten­schlepp­damp­fer wie hier auf der Seine, wo die Kette am Heck wie­der ins Was­ser gelas­sen wurde, zog sich auf der Rhône das Schiff am Seil hoch und ras­pelte bis zu 18 km Seil auf!

Der Damp­fer Mark Twain ist zZ im Dis­ney­land Paris abge­stellt und war­tet auf bes­sere Zeiten.

DS France liegt im Lac d’Annecy auf dem Grund.

Durch Klick aufs Bild erscheint die­ses im Grossformat.

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Hin­weise

Bis vor Kur­zen gab es in Frank­reich noch zwei andere Dampf­schiffe, eines davon war im inter­na­tio­na­len Dampf­schif­fre­gis­ter von Max Kuhn beschrie­ben, näm­lich­die „Pas­teur“ ex „EMTSC-661“, respek­tive ex-„Turnu Seve­rin“. Der 1914 durch die Schiffs­werft Linz erbaute Schlep­per stand bis anfangs der neun­zi­ger Jahre auf der unte­ren Donau im Ein­satz, zuerst im Besitz der DDSG und ab 1918 im Besitz der in Braila/​Rom behei­ma­te­ten fran­zö­si­schen Donau-Schif­fahrts­ge­sell­schaft SFND. Nach sei­ner erfolg­ten Aus­ser­dienst­stel­lung 1979 wurde der Damp­fer im Jahr 1994 vom Schif­fahrts­mu­seum Société des amis du musée regio­nal du Rhin et de la Navi­ga­tion (MRRN) nach Strass­burg geholt und machte dort einige Fahr­ten unter Dampf. Das Museum ist nun seit 2010 geschlos­sen und nach den Recher­chen von Andreas Wer­ner gelangte DS Pas­teur 2013 nach Hol­land, wo es in Haar­lem ver­schrot­tet wurde.

Das andere Dampf­schiff ver­schwand im letz­ten Jahr von die­ser Welt, die „Ondée“. Andreas Wer­ner: „Der Frisch­was­ser-Ten­der der fran­zö­si­schen Kriegs­ma­rine hatte eine 3‑Zy­lin­der-Dampf­ma­schine, koh­len­ge­feu­ert, und zum Trans­port von 235 Ton­nen Frisch­was­ser gebaut. Die mili­tä­ri­sche Bezeich­nung war Q 864, erbaut 1935, 34,8 m seine Länge. Erhal­tungs­be­mü­hun­gen von 1993 bis 2015 schei­ter­ten an den Kos­ten und am Wil­len. 2015 verschrottet.“

Hin­weis auf eine schöne Video­pro­duk­tion: Link

Quel­len

Text und Bil­der 4 und 5 Samm­lung H. Amstad,

Bil­der 1 bis 3 A. Werner,

Bild 6 (Link), Bild 7 (Link).

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